"Atys" (Jean-Baptiste Lully): Unterschied zwischen den Versionen
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Die Entstehung der Oper ''Atys'' steht in Zusammenhang mit der ''Guerre de Hollande.'' Diese dehnt sich 1675 auf Seeschlachten von Frankreich gegen Holland und Spanien aus. Ludwig XIV, der selbst an der Front kämpft, kehrt von Juli 1675 bis März 1676 an seinen Hof zurück, bevor er im Frühjahr 1676 die Kampfestätigkeit fortsetzt. In der Zeit seines Aufenthaltes in Paris wählt er Atys als Opernsujet aus und wohnt der Uraufführung am 10. Januar 1676 am Hof in Saint-Germain-en-Laye bei (vgl. Duron 1987b, 20). Lully und Philippe Quinault erwähnen im Prolog die bevorstehende Rückkehr des Königs an die Front, sodass Duron annimmt, die Oper diene einzig der königlichen Unterhaltung (vgl. Duron 1987b, 20). Auf sentimentaler Ebene aber bezieht sie sich auf die Situation des Königs: Die Zeit der Uraufführung des ''Atys'' fällt in eine Periode, in der Ludwig XIV keine Liebschaften unterhält und in der er sich möglicherweise mit Atys Vorliebe für „unbeteiligte Herzen“ identifiziert (vgl. Duron 1987b, 21). | Die Entstehung der Oper ''Atys'' steht in Zusammenhang mit der ''Guerre de Hollande.'' Diese dehnt sich 1675 auf Seeschlachten von Frankreich gegen Holland und Spanien aus. Ludwig XIV, der selbst an der Front kämpft, kehrt von Juli 1675 bis März 1676 an seinen Hof zurück, bevor er im Frühjahr 1676 die Kampfestätigkeit fortsetzt. In der Zeit seines Aufenthaltes in Paris wählt er Atys als Opernsujet aus und wohnt der Uraufführung am 10. Januar 1676 am Hof in Saint-Germain-en-Laye bei (vgl. Duron 1987b, 20). Lully und Philippe Quinault erwähnen im Prolog die bevorstehende Rückkehr des Königs an die Front, sodass Duron annimmt, die Oper diene einzig der königlichen Unterhaltung (vgl. Duron 1987b, 20). Auf sentimentaler Ebene aber bezieht sie sich auf die Situation des Königs: Die Zeit der Uraufführung des ''Atys'' fällt in eine Periode, in der Ludwig XIV keine Liebschaften unterhält und in der er sich möglicherweise mit Atys Vorliebe für „unbeteiligte Herzen“ identifiziert (vgl. Duron 1987b, 21). | ||
Die Uraufführung des ''Atys'' | Die Uraufführung des ''Atys'' ist so erfolgreich gewesen, dass die Oper 1677, 1678 und 1682 in Saint-Germaine-en-Laye und 1753 am Hof in Fontainebleau wiederaufgenommen wird. Der Öffentlichkeit wird das Werk im April 1676 an der Pariser Oper mit großem Erfolg präsentiert und erlebt sieben Wiederaufnahmen zwischen 1689 und 1747 (vgl. Rosow). Internationale Aufführungen in Amsterdam, Marseille, Lyon, Rouen, Brüssel, Metz, Lille und Den Haag folgen in den Jahren 1687–1749. ''Atys'' ist bis heute im Opernrepertoire, wobei insbesondere die historisch informierte Wideraufführung unter der Regie von William Christie von 1987 hervorzuheben ist (vgl. Rosow). | ||
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Phobétor evoziert nun die Traumwelt – die in der Bühnenkulisse dargestellten, dahinfließenden Bäche. Musikalisch wird das Onirische über den Einsatz der Flöten (T. 105) markiert. Diese führen die Motivik aus punktierten Tonrepetitionen fort, während in der Singstimme neben oftmals ebenmäßigen Tonrepetitionen (T. 105 und T. 118-133), die den Schlaf verkörpern, schrittweise absteigende, punktierte Motive erscheinen, die das Fließen der Bäche illustrieren (T. 108-117). Zudem verlässt das Continuo erstmals die Viertelmotivik zugunsten einer mit der Gesangsstimme fast ständig unisono geführten Melodik. Lully evoziert mittels der Flöten und der Motivik den Schlaf als ruhig-süßen Zustand. Zugleich zeigt er ihn mit der Darstellung der Bäche als Ort der Illusion. Die Harmonik verharrt stabil in g-Moll. Schlaf als Voraussetzung für den Traum ist so entsprechend der damaligen Vorstellungen (vgl. Dandrey 1988, 72f.) auch bei Lully ein Zustand der geistigen Inaktivität. | Phobétor evoziert nun die Traumwelt – die in der Bühnenkulisse dargestellten, dahinfließenden Bäche. Musikalisch wird das Onirische über den Einsatz der Flöten (T. 105) markiert. Diese führen die Motivik aus punktierten Tonrepetitionen fort, während in der Singstimme neben oftmals ebenmäßigen Tonrepetitionen (T. 105 und T. 118-133), die den Schlaf verkörpern, schrittweise absteigende, punktierte Motive erscheinen, die das Fließen der Bäche illustrieren (T. 108-117). Zudem verlässt das Continuo erstmals die Viertelmotivik zugunsten einer mit der Gesangsstimme fast ständig unisono geführten Melodik. Lully evoziert mittels der Flöten und der Motivik den Schlaf als ruhig-süßen Zustand. Zugleich zeigt er ihn mit der Darstellung der Bäche als Ort der Illusion. Die Harmonik verharrt stabil in g-Moll. Schlaf als Voraussetzung für den Traum ist so entsprechend der damaligen Vorstellungen (vgl. Dandrey 1988, 72f.) auch bei Lully ein Zustand der geistigen Inaktivität. | ||
Die Wiederholung der Anfangsphrase „Dormons, dormons tous“ durch den Sommeil (T. 121-146), greifen die Söhne leicht polyphon versetzt auf (T. 145f.) und wandeln sie motivisch ab, indem sie Teile derselben (z. B. T. 148-150: Morphée als Abwandlung der Motivik aus T. 139-142) mit den schon bekannten Tonrepetitionen (z. B. 151 in allen Stimmen) kombinieren. Die Continuostimme verbindet dabei die punktierte (z.B. T. 150f.) mit der gebundenen Viertelmotivik (T. 162). Harmonisch bleibt auch das Terzett stabil in g-Moll. Geschickt baut Lully aber eine harmonische Schlussspannung auf, indem er über den Wechsel der Nebenfunktionen und ihrer Dominanten sowie über die Einfügung eines Trugschlusses (T. 172f.) und eines plagalen (also mit der Subdominante gebildeten) Schlusses (T. 174f.) die eigentliche Tonika bis in den Schlusstakt des Terzetts zurückhält.<ref>Die Subdominante c-Moll in T. 156 wird über die Dominante auf Zz. 1 erreicht. Anschließend erscheint wieder G-Dur als Zwischendominante, der eine Septime hinzugefügt wird und die sich wiederum in c-Moll auflöst (T. 158), das diesmal mit Sekundvorhalt erscheint. Wieder erfolgt ein Wechsel zur Zwischendominante, deren Quartvorhalt sich auflöst (T. 148) und sich abermals in die Zwischendominante auflöst. In der Folge wird ein ähnliches Spiel mit der Tonikaparallele und ihrer Zwischendominante verfolgt. Über die Tonikaparallele wird die Dominante D-Dur (T. 169) erreicht, die sich nach einem Spannungsaufbau durch einen Trugschluss (T. 172f.) und einen plagalen Schluss (T. 174f.) schlussendlich mit Erreichen der Schlusstakte in die Tonika auflöst (T. 178-180).</ref> Begleitet wird dieser Spannungsbogen von der zunehmenden melodischen Abwärtsbewegung. Die im Text des Terzetts wiederholte Aufforderung zum Schlafen geht mit einer musikalischen Zusammenfassung der gesamten Arie einher. Hierauf folgt die Wiederholung des Präludiums, die einen großformalen dreiteiligen ersten Abschnitt der Schlafszene schafft. Die Verwendung von Präludien in Zusammenhang mit Traumszenen verbreitet sich in der Nachfolge Lullys, wobei die von Lully gegebene Strukturierung mit eingeschobener Arie einzigartig bleibt (vgl. La Gorce 2010, 205). | Die Wiederholung der Anfangsphrase „Dormons, dormons tous“ durch den Sommeil (T. 121-146), greifen die Söhne leicht polyphon versetzt auf (T. 145f.) und wandeln sie motivisch ab, indem sie Teile derselben (z. B. T. 148-150: Morphée als Abwandlung der Motivik aus T. 139-142) mit den schon bekannten Tonrepetitionen (z. B. T. 151 in allen Stimmen) kombinieren. Die Continuostimme verbindet dabei die punktierte (z.B. T. 150f.) mit der gebundenen Viertelmotivik (T. 162). Harmonisch bleibt auch das Terzett stabil in g-Moll. Geschickt baut Lully aber eine harmonische Schlussspannung auf, indem er über den Wechsel der Nebenfunktionen und ihrer Dominanten sowie über die Einfügung eines Trugschlusses (T. 172f.) und eines plagalen (also mit der Subdominante gebildeten) Schlusses (T. 174f.) die eigentliche Tonika bis in den Schlusstakt des Terzetts zurückhält.<ref>Die Subdominante c-Moll in T. 156 wird über die Dominante auf Zz. 1 erreicht. Anschließend erscheint wieder G-Dur als Zwischendominante, der eine Septime hinzugefügt wird und die sich wiederum in c-Moll auflöst (T. 158), das diesmal mit Sekundvorhalt erscheint. Wieder erfolgt ein Wechsel zur Zwischendominante, deren Quartvorhalt sich auflöst (T. 148) und sich abermals in die Zwischendominante auflöst. In der Folge wird ein ähnliches Spiel mit der Tonikaparallele und ihrer Zwischendominante verfolgt. Über die Tonikaparallele wird die Dominante D-Dur (T. 169) erreicht, die sich nach einem Spannungsaufbau durch einen Trugschluss (T. 172f.) und einen plagalen Schluss (T. 174f.) schlussendlich mit Erreichen der Schlusstakte in die Tonika auflöst (T. 178-180).</ref> Begleitet wird dieser Spannungsbogen von der zunehmenden melodischen Abwärtsbewegung. Die im Text des Terzetts wiederholte Aufforderung zum Schlafen geht mit einer musikalischen Zusammenfassung der gesamten Arie einher. Hierauf folgt die Wiederholung des Präludiums, die einen großformalen dreiteiligen ersten Abschnitt der Schlafszene schafft. Die Verwendung von Präludien in Zusammenhang mit Traumszenen verbreitet sich in der Nachfolge Lullys, wobei die von Lully gegebene Strukturierung mit eingeschobener Arie einzigartig bleibt (vgl. La Gorce 2010, 205). | ||
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Im sich anschließenden Terzett der Schlafgottsöhne (T. 16-25) warnt Lully, dass die Liebe Cybèles ewige Treue erfordere. Ein erstmaliger Tonartwechsel nach B-Dur (T. 16-20), der späteren Tonart der songes funestes, deutet auf deren Auftritt im dritten Teil der Szene voraus (vgl. Leopold 2006, 214) und verleiht der Warnung zusammen mit der Zunahme der Besetzung und der homophonen, von Tonrepetitionen geprägten Deklamation eine bedrohliche Eindrücklichkeit. Auffällig ist, dass die Unsterblichkeit der Schönheit Cybèles und damit ihrer Person (T. 16-20) in B-Dur gesetzt ist, während der zweite Phrasenteil (T. 21-25) in g-Moll ewige Treue und Liebe beinhaltet. Mit der Tonika wird hier der positive Ausgang der Liebe - vorausgesetzt Atys nimmt sie an - harmonisch verdeutlicht. Im zweiten Teil der Warnung (T. 26-41) singt Phantase solistisch zur Continuobegleitung in g-Moll und bestärkt die Vorteilhaftigkeit der Liebe zu einer Göttin mit einem neuen, schrittweise aufsteigenden Motiv, das um zwei, satztechnisch korrekt in Gegenrichtung aufgefangene Quartsprünge abfällt (T. 26ff.). Die abfallende Bewegung sowie das Erreichen der Tonika auf „attraits“, den Reizen der Liebe zu Cybèle, verdeutlichen musikalisch den Zwang, dem Atys ausgesetzt ist. Lully hebt diesen weiter hervor, indem er über wellenartige melodische Bewegung den Spitzenton f auf „puissance“, der Macht Cybèles über die Liebe und über Atys, erreicht (dies wird im Folgenden als Liebesmachtmotivik bezeichnet). Nach einer Wiederholung der ersten und der nach oben sequenzierten zweiten Phrase (T. 34-38), wird mit Besingen der nie endenden Liebe über die Schlusskadenz mit Quartvorhalt die Grundtonart erreicht (T. 39ff.). So ist die Akzeptanz des Antrags von Cybèle musikalisch als einzig mögliche Lösung ausgewiesen. | Im sich anschließenden Terzett der Schlafgottsöhne (T. 16-25) warnt Lully, dass die Liebe Cybèles ewige Treue erfordere. Ein erstmaliger Tonartwechsel nach B-Dur (T. 16-20), der späteren Tonart der songes funestes, deutet auf deren Auftritt im dritten Teil der Szene voraus (vgl. Leopold 2006, 214) und verleiht der Warnung zusammen mit der Zunahme der Besetzung und der homophonen, von Tonrepetitionen geprägten Deklamation eine bedrohliche Eindrücklichkeit. Auffällig ist, dass die Unsterblichkeit der Schönheit Cybèles und damit ihrer Person (T. 16-20) in B-Dur gesetzt ist, während der zweite Phrasenteil (T. 21-25) in g-Moll ewige Treue und Liebe beinhaltet. Mit der Tonika wird hier der positive Ausgang der Liebe - vorausgesetzt Atys nimmt sie an - harmonisch verdeutlicht. Im zweiten Teil der Warnung (T. 26-41) singt Phantase solistisch zur Continuobegleitung in g-Moll und bestärkt die Vorteilhaftigkeit der Liebe zu einer Göttin mit einem neuen, schrittweise aufsteigenden Motiv, das um zwei, satztechnisch korrekt in Gegenrichtung aufgefangene Quartsprünge abfällt (T. 26ff.). Die abfallende Bewegung sowie das Erreichen der Tonika auf „attraits“, den Reizen der Liebe zu Cybèle, verdeutlichen musikalisch den Zwang, dem Atys ausgesetzt ist. Lully hebt diesen weiter hervor, indem er über wellenartige melodische Bewegung den Spitzenton f auf „puissance“, der Macht Cybèles über die Liebe und über Atys, erreicht (dies wird im Folgenden als Liebesmachtmotivik bezeichnet). Nach einer Wiederholung der ersten und der nach oben sequenzierten zweiten Phrase (T. 34-38), wird mit Besingen der nie endenden Liebe über die Schlusskadenz mit Quartvorhalt die Grundtonart erreicht (T. 39ff.). So ist die Akzeptanz des Antrags von Cybèle musikalisch als einzig mögliche Lösung ausgewiesen. | ||
Hieran schließt sich der instrumental untermalte Tanz der ''songes agréables'' an (''Entrée des songes agréables''). Besetzt ist er mit dem fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz, sowie höchstwahrscheinlich colla parte<ref> | Hieran schließt sich der instrumental untermalte Tanz der ''songes agréables'' an (''Entrée des songes agréables''). Besetzt ist er mit dem fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz, sowie höchstwahrscheinlich colla parte<ref>Als colla parte wird eine mit den Gesangstimmen identische Instrumentalbegleitung bezeichnet.</ref> mit den in der Regieanweisung (S. 110) genannten, auf der Bühne spielenden Violen und Theorben. Der homophon gesetzte Tanz kombiniert, wie für Instrumentalformen der frühen französischen Oper üblich (vgl. Anthony 1990, 68), Phantases Motive der Reize der Liebe (T. 1-3) und ihrer Macht (T. 4-6) mit den aus dem Präludium bekannten Tonrepetitionen in kleinschrittiger Reihung (T. 6-10). Harmonisch verbleibt dieser wiederholte Teil A des Tanzes (T. 1-10) in g-Moll. Teil B ist zweiteilig. Im Abschnitt a (T. 11-18) verlangsamt sich die Bewegung der Begleitstimmen, während in der Oberstimme ein bewegter Gestus aus punktierten Tonrepetitionen (T. 11, T. 15f.), Motivabspaltungen des Liebesmachtmotivs (T. 12) sowie schrittweise Achtelbewegungen (T. 13) erscheinen. Harmonisch bewegt sich dieser Abschnitt zur Tonikaparallele (T. 18). Die sechstaktige, identisch wiederholte Phrase des Abschnittes b (T. 18-30) kombiniert die Punktierungen aus Abschnitt a mit der Schlafmotivik aus Tonrepetitionen. Die erste Phrase öffnet sich zur Dominante, während die zweite in die Tonika mit pikardischer Terz schließt. Auch hier ist die Harmonik, die den Schlaf als Zustand des körperlichen Ruhens darstellt, äußerst stabil. Die auf der Bühne agierenden Sänger und Instrumentalisten stellen die Traumbilder dar. Da diese Figuren nicht explizit göttlichen Ursprungs sind, könnten sie auch die songes animaux verkörpern. | ||
In der folgenden Arie „Gouste en paix“ singt Phobétor in der bereits bekannten Motivik aus punktierten Tonrepetitionen zu der für Schlafszenen seit Lully typischen Flöten- und Continuobegleitung in einem ersten Abschnitt A (T. 1-15) vom Frieden und dem Glück einer göttlichen Liebe, die es wert ist, sich der Kette ewiger Treue zu ergeben. Auch hier wird g-Moll nicht verlassen. Die Göttlichkeit Cybèles wird mit einer aufsteigenden Melodielinie und dem Spitzenton d auf „divinité“ in ihrer Bedeutung hervorgehoben (T. 6-8). Nicht nur ist die Tatsache, dass Cybèle Göttin ist, Anlass für das Auftreten der Götter zur Überbringung der Liebesbotschaft, es ist zugleich Grund für die Zwänge, denen Atys sich unterworfen sieht. Die melodische Kulmination fällt somit auch mit der Peripetie der Oper zusammen. Im Anschluss hieran fällt die Melodie sukzessive um den Tonumfang einer Undezime. Die Phrase endet offen in der Dominante, sodass die Aussage des Glücks einer göttlichen Liebe nicht bestätigt wird. Die klangliche Lieblichkeit, erzeugt durch die ab T. 9 fast durchgängig in Terzen gesetzten Flöten, erscheint in ihrer Verbildlichung der Worte Phobétors als ironischer Kommentar auf die von ihm in tiefster Lage und mit absteigender Melodik besungene Schönheit der Ketten der Liebe. An Phobétors mehrdeutiges Lob einer Liebe, die Unfreiheit bedeutet, schließt sich die schon bekannte Warnung der Schlafgötter (T. 16-25) sowie deren Bekräftigung durch Phantase (T. 26-41) an. Die Wiederholung des ''Entrée der songes agréables'' beschließt den zweiten Teil der Szene. Mit der Darstellung der guten Träume bewegt Lully sich im Bereich der ''songes divins'' und der ''songes animaux''. Seine Traumszene folgt somit den in Medizin, Philosophie und Theologie geläufigen Vorstellungen gottgesandter Träume und der darin auftretenden Gestalten. | In der folgenden Arie „Gouste en paix“ singt Phobétor in der bereits bekannten Motivik aus punktierten Tonrepetitionen zu der für Schlafszenen seit Lully typischen Flöten- und Continuobegleitung in einem ersten Abschnitt A (T. 1-15) vom Frieden und dem Glück einer göttlichen Liebe, die es wert ist, sich der Kette ewiger Treue zu ergeben. Auch hier wird g-Moll nicht verlassen. Die Göttlichkeit Cybèles wird mit einer aufsteigenden Melodielinie und dem Spitzenton d auf „divinité“ in ihrer Bedeutung hervorgehoben (T. 6-8). Nicht nur ist die Tatsache, dass Cybèle Göttin ist, Anlass für das Auftreten der Götter zur Überbringung der Liebesbotschaft, es ist zugleich Grund für die Zwänge, denen Atys sich unterworfen sieht. Die melodische Kulmination fällt somit auch mit der Peripetie der Oper zusammen. Im Anschluss hieran fällt die Melodie sukzessive um den Tonumfang einer Undezime. Die Phrase endet offen in der Dominante, sodass die Aussage des Glücks einer göttlichen Liebe nicht bestätigt wird. Die klangliche Lieblichkeit, erzeugt durch die ab T. 9 fast durchgängig in Terzen gesetzten Flöten, erscheint in ihrer Verbildlichung der Worte Phobétors als ironischer Kommentar auf die von ihm in tiefster Lage und mit absteigender Melodik besungene Schönheit der Ketten der Liebe. An Phobétors mehrdeutiges Lob einer Liebe, die Unfreiheit bedeutet, schließt sich die schon bekannte Warnung der Schlafgötter (T. 16-25) sowie deren Bekräftigung durch Phantase (T. 26-41) an. Die Wiederholung des ''Entrée der songes agréables'' beschließt den zweiten Teil der Szene. Mit der Darstellung der guten Träume bewegt Lully sich im Bereich der ''songes divins'' und der ''songes animaux''. Seine Traumszene folgt somit den in Medizin, Philosophie und Theologie geläufigen Vorstellungen gottgesandter Träume und der darin auftretenden Gestalten. | ||
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Mit dem Auftritt der songes funestes erhält ein dämonisches Element Eintritt in die Traumszene. Schlechte Träume können einerseits innerhalb der songes corporels bei schlechter körperlicher Verfassung (vgl. Dandrey 1988, 87) auftreten, andererseits in von Dämonen ausgelösten songes divins, wie sie auch die Medizin annimmt (vgl. Dandrey 1988, 85f.). Ferner kommen sie in Dämonenträumen vor (vgl. Matton 1988, 157). Sie sind damit im Bereich des Bedrohlichen angesiedelt, in dem böse Mächte als Gegenspieler Gottes oder gesundheitliche Probleme im todesähnlichen Schlafzustand wirken. | Mit dem Auftritt der songes funestes erhält ein dämonisches Element Eintritt in die Traumszene. Schlechte Träume können einerseits innerhalb der songes corporels bei schlechter körperlicher Verfassung (vgl. Dandrey 1988, 87) auftreten, andererseits in von Dämonen ausgelösten songes divins, wie sie auch die Medizin annimmt (vgl. Dandrey 1988, 85f.). Ferner kommen sie in Dämonenträumen vor (vgl. Matton 1988, 157). Sie sind damit im Bereich des Bedrohlichen angesiedelt, in dem böse Mächte als Gegenspieler Gottes oder gesundheitliche Probleme im todesähnlichen Schlafzustand wirken. | ||
Ihr Auftritt in der Oper ''Atys'' ist auf allen Ebenen von der vorangehenden Traumszene abgesetzt. Am augenfälligsten ist die Ablösung aller zuvor aufgetretenen Figuren durch die Personifizierungen der schlechten Träume und einen einzigen Sänger. Von nun an steht B-Dur im Zentrum, die Tonart des Dämonischen (vgl. Henze-Döhring 1997, 318). Die Flöten als Symbol der guten Träume treten nicht mehr auf; anstelle von Arien erscheint ein Rezitativ (vgl. Duron 1987c, 59). Die tiefe Lage des Rezitativs „Garde-toy d’offencer un amour glorieux“, die Beschleunigung des Rhythmus durch zahlreiche Achteln (z. B. T. 3) und die Verdopplung der Geschwindigkeit bei den Punktierungen (z. B. T. 2) sorgen für einen gewandelten musikalischen Charakter. Signifikant verändert ist auch die Continuobegleitung, die mit langen Notenwerten die Taktschwerpunkte betont und eine hauptsächlich harmonische Funktion übernimmt. Die Motivik des Gesangs aber bleibt derjenigen der guten Träume ähnlich: Tonwiederholungen und Punktierungen, | Ihr Auftritt in der Oper ''Atys'' ist auf allen Ebenen von der vorangehenden Traumszene abgesetzt. Am augenfälligsten ist die Ablösung aller zuvor aufgetretenen Figuren durch die Personifizierungen der schlechten Träume und einen einzigen Sänger. Von nun an steht B-Dur im Zentrum, die Tonart des Dämonischen (vgl. Henze-Döhring 1997, 318). Die Flöten als Symbol der guten Träume treten nicht mehr auf; anstelle von Arien erscheint ein Rezitativ (vgl. Duron 1987c, 59). Die tiefe Lage des Rezitativs „Garde-toy d’offencer un amour glorieux“, die Beschleunigung des Rhythmus durch zahlreiche Achteln (z. B. T. 3) und die Verdopplung der Geschwindigkeit bei den Punktierungen (z. B. T. 2) sorgen für einen gewandelten musikalischen Charakter. Signifikant verändert ist auch die Continuobegleitung, die mit langen Notenwerten die Taktschwerpunkte betont und eine hauptsächlich harmonische Funktion übernimmt. Die Motivik des Gesangs aber bleibt derjenigen der guten Träume ähnlich: Tonwiederholungen und Punktierungen, nun jedoch abgewandelt durch stärkere melodische Bewegung und einen großen Tonumfang bilden die zentralen Elemente. Der songe funeste beginnt seine Warnung vor der Rache Cybèles mit der zweimaligen Folge von Sext- bzw. Terzsprung abwärts und schrittweise aufwärtsgerichteter Bewegung (T. 1-5). Der Spitzenton c (T. 5) sowie eine harmonische Ausweichung nach C-Dur werden erreicht, als er erklärt, dass Cybèle für ihre Liebe zu einem Sterblichen den Himmel wird verlassen müssen, und damit die Härte der Racheandrohungen begründet. Auf halbtönige Schritte (T. 5f.) verengt sich in der nächsten Phrase die melodische Bewegung, als Atys aufgefordert wird, Cybèles Hoffnung nicht zu vernichten. Die kleinen Intervallschritte deuten bildlich auf die geringe Hoffnung, die für sie besteht. Die Motivik kehrt mit den Rachedrohungen zu auf- und absteigenden Skalen zurück, die mit Tonrepetitionen und Punktierungen durchsetzt sind (T. 7-15). Durch das erneute Erscheinen von C-Dur in T. 10, als der songe funeste vom eifersüchtigen Herzen spricht, verdeutlicht Lully harmonisch in Bezugnahme auf die vorherige Ausweichung nach C-Dur (T. 5), dass es sich um Cybèles Herz handelt. Die Arie schließt mit der Drohung, dass Atys sich einer so mächtigen Liebe nicht widersetzen dürfe. Die Gesangsstimme schwingt sich dabei schrittweise auf (T. 13) und schließt in der Tonika. Ebenso unausweichlich wie das B-Dur dieses Szenenteils ist auch die Liebe Cybèles und damit der tragische Opernausgang. | ||
Die Tanzeinlage, ''Entrée des songes funestes'', ist homophon im fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz instrumentiert. Durch die in allen Stimmen gleichzeitig gesetzten Akkordwechsel oder -wiederholungen auf Hauptzeiten sowie die repetierten Punktierungen entsteht ein marschartiger, rigider Charakter. Die Melodiestimme im dessus de violon lockert diese rhythmischen Strukturen nicht grundsätzlich auf. Nach einer einführenden, absteigenden Sechzehntelskala (T. 1) folgt die Melodik einer Grundstruktur aus punktierten, repetierten Vierteln, häufig parallel zur Begleitung (z. B. T. 2f.). Dies wird von Fragmenten aus der Sechzehntelkette durchsetzt, die entweder in lange Noten (z. B. T. 5-7) oder in punktierte Vierteln münden (ab T. 22). Die Melodie ist von marschartigem Charakter, den die zahlreichen Sprünge (z. B. der Sextsprung T. 11) und die im Vergleich zu den guten Träumen bewegte melodische Bewegung kaum aufzulockern vermögen. Die Tonart ist fest in B-Dur verankert. Beide Teile (T. 1-15, T. 16-31) verwenden dieselbe Motivik. Lully zeichnet hier das Dämonische nach, das die songes divins bedrohlicher Art kennzeichnet. | Die Tanzeinlage, ''Entrée des songes funestes'', ist homophon im fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz instrumentiert. Durch die in allen Stimmen gleichzeitig gesetzten Akkordwechsel oder -wiederholungen auf Hauptzeiten sowie die repetierten Punktierungen entsteht ein marschartiger, rigider Charakter. Die Melodiestimme im dessus de violon lockert diese rhythmischen Strukturen nicht grundsätzlich auf. Nach einer einführenden, absteigenden Sechzehntelskala (T. 1) folgt die Melodik einer Grundstruktur aus punktierten, repetierten Vierteln, häufig parallel zur Begleitung (z. B. T. 2f.). Dies wird von Fragmenten aus der Sechzehntelkette durchsetzt, die entweder in lange Noten (z. B. T. 5-7) oder in punktierte Vierteln münden (ab T. 22). Die Melodie ist von marschartigem Charakter, den die zahlreichen Sprünge (z. B. der Sextsprung T. 11) und die im Vergleich zu den guten Träumen bewegte melodische Bewegung kaum aufzulockern vermögen. Die Tonart ist fest in B-Dur verankert. Beide Teile (T. 1-15, T. 16-31) verwenden dieselbe Motivik. Lully zeichnet hier das Dämonische nach, das die songes divins bedrohlicher Art kennzeichnet. | ||
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Der ''Chœur des songes funestes'' radikalisiert die Motivik der Entrée, indem ein vierstimmiger Chor homophon und homorhythmisch in fast ausschließlicher Viertelbewegung (vgl. Duron 1987c, 61) die Rache Cybèles bei Untreue des Atys syllabisch deklamierend beschwört. Der harmonische Rhythmus ist auf vorwiegend taktweise Bewegung verlangsamt (T. 1-3, T. 5f., 12ff., 16-20, 22-28), wobei die Grundtonart nicht verlassen wird. Die akkordische Bewegung wird von fast ausschließlich schrittweisen melodischen Linien begleitet, deren einförmige Viertelbewegung nur an den Phrasenenden durch Punktierungen und abschließende ganze Noten (T. 4f., 9, 14, 15, 16, 18, 22, 24, 27f.) aufgebrochen wird. Lully erstrebt eine Chorrezitation nach Vorbild der griechischen Tragödie: Das Wort steht im Vordergrund. Der nicht am Sprechduktus orientierte, sondern auf gleichmäßige Bewegung gerichtete Rhythmus erzeugt einen marschartigen, drohenden Charakter. Dieser vollendet sich mit der zweimal (T. 17-22, 23-28) gesungenen Todeswarnung, deren zweiten Teil „Tremble, tremble, crains un affreux trépas“ („Zittere, zittere, fürchte einen schrecklichen Tod“, T. 25-28) den Tod explizit benennt. Das Deklamationstempo verlangsamt sich auf Halbe und Ganze, die Melodik stagniert, während sich eine authentische Kadenz vollzieht – möglicherweise ein musikalischer Hinweis darauf, dass diese Drohung sich bewahrheiten wird. In diesem dritten Szenenteil geht es weniger um die Darstellung eines Traumgeschehens entsprechend der damaligen Vorstellungen, sondern um die dramaturgische Rechtfertigung und Ankündigung des weiteren Handlungsverlaufs. | Der ''Chœur des songes funestes'' radikalisiert die Motivik der Entrée, indem ein vierstimmiger Chor homophon und homorhythmisch in fast ausschließlicher Viertelbewegung (vgl. Duron 1987c, 61) die Rache Cybèles bei Untreue des Atys syllabisch deklamierend beschwört. Der harmonische Rhythmus ist auf vorwiegend taktweise Bewegung verlangsamt (T. 1-3, T. 5f., 12ff., 16-20, 22-28), wobei die Grundtonart nicht verlassen wird. Die akkordische Bewegung wird von fast ausschließlich schrittweisen melodischen Linien begleitet, deren einförmige Viertelbewegung nur an den Phrasenenden durch Punktierungen und abschließende ganze Noten (T. 4f., 9, 14, 15, 16, 18, 22, 24, 27f.) aufgebrochen wird. Lully erstrebt eine Chorrezitation nach Vorbild der griechischen Tragödie: Das Wort steht im Vordergrund. Der nicht am Sprechduktus orientierte, sondern auf gleichmäßige Bewegung gerichtete Rhythmus erzeugt einen marschartigen, drohenden Charakter. Dieser vollendet sich mit der zweimal (T. 17-22, 23-28) gesungenen Todeswarnung, deren zweiten Teil „Tremble, tremble, crains un affreux trépas“ („Zittere, zittere, fürchte einen schrecklichen Tod“, T. 25-28) den Tod explizit benennt. Das Deklamationstempo verlangsamt sich auf Halbe und Ganze, die Melodik stagniert, während sich eine authentische Kadenz vollzieht – möglicherweise ein musikalischer Hinweis darauf, dass diese Drohung sich bewahrheiten wird. In diesem dritten Szenenteil geht es weniger um die Darstellung eines Traumgeschehens entsprechend der damaligen Vorstellungen, sondern um die dramaturgische Rechtfertigung und Ankündigung des weiteren Handlungsverlaufs. | ||
Die abschließende ''Deuxième Entrée des songes funestes'', ebenfalls für fünfstimmigen Streichersatz, ist von gänzlich anderem Charakter. Schon im ersten Teil (T. 1-10) sorgt die bewegte und sprunghafte Melodie der dessus de violon mit den tänzerischen Achtelrhythmen im Dreiertakt für Tanzstimmung innerhalb der weiterhin beibehaltenen Tonart B-Dur. Zahlreiche Vorhalte<ref> | Die abschließende ''Deuxième Entrée des songes funestes'', ebenfalls für fünfstimmigen Streichersatz, ist von gänzlich anderem Charakter. Schon im ersten Teil (T. 1-10) sorgt die bewegte und sprunghafte Melodie der dessus de violon mit den tänzerischen Achtelrhythmen im Dreiertakt für Tanzstimmung innerhalb der weiterhin beibehaltenen Tonart B-Dur. Zahlreiche Vorhalte<ref>Ein Vorhalt ist eine harmoniefremde, dissonierende Note auf einer schweren Taktzeit, die sich durch einen Sekundschritt in einen harmonieeigenen Ton auflöst.</ref> (T. 7ff.) erhöhen die harmonische Spannung. In allen Stimmen bleiben punktierte Tonrepetitionen präsent, die durch die auf sie folgenden Pausen aber (T. 4, 5, 8, 9) ihren marschhaft-drohenden Gestus verlieren. Mit einer Kadenz nach F-Dur öffnet sich der erste Teil zur Dominante. Der zweite (T. 12-25) führt in den ersten beiden Takten die Motivik des ersten fort, weicht dann aber unvermittelt auf den Gestus des vorangehenden Chores aus. Wirkt die homophon vorgetragene Viertelpunktierung mit zwei Sechzehnteln am Anfang jedes Taktes (T. 14-18) noch verspielt, so wird mit den überwiegend repetierten Viertelen auf die Deklamation des Chores und seine Todeswarnung angespielt. Auch die Harmonik erscheint hier analog zum Chor auf taktweise Bewegung verlangsamt. Mit absteigenden, von Achteln durchsetzten Skalen im Tonumfang einer Septime schließt der zweite Teil (T. 19-25). Die Begleitstimmen sind aus derselben Motivik gewonnen, sodass am Ende ein tänzerischer Charakter vorherrscht. Die Abwärtsbewegung der Skalen aber vermag nicht über die Düsterkeit von Atys’ Zukunft hinwegzutäuschen. Mit dieser fast verspielten Darstellung der schlechten Träume illustriert Lully die Gestalten derselben als dämonische Wesen. Der Überschwang des Tanzes erinnert an das Dionysische, wobei im Zentrum des Stückes, einem warnenden Fingerzeig gleich, auf die Todesandrohung verwiesen wird. Insbesondere hierdurch wird die dramaturgische Funktion dieses Szenenteils in Erinnerung gerufen. Die Szene endet mit dem Verschwinden der Szenerie und ihrer Figuren, als Atys verschreckt aus seinem Traum erwacht. | ||
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===Lullys Traumdarstellung=== | ===Lullys Traumdarstellung=== | ||
Lullys Traumszene zeichnet sich durch ihre klare Struktur, ihre Anlehnung an die Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts – derjenigen des ''songe divin'' und der dämonischen Träume – und ihre dramaturgische Funktion aus. Gemäß dem mythologischen Thema wählt Lully einen songe divin. Den Traumvorstellungen seiner Zeit entsprechend erscheint hierin die Botschaft der Göttin Cybèle vermittelt durch allegorische Figuren. Die szenische Darstellung des Traumgeschehens und das Erschrecken Atys' beim Erwachen sind für das Theater typische Darstellungen des Traumes (vgl. Forestier 1988, 16f.). Als göttlicher Traum ist er ein nach den damaligen Vorstellungen in Medizin, Theologie und Volksglauben real mögliches Phänomen. Durch seine Einbettung in eine mythologische Fiktion und die dadurch erfolgende Abgrenzung vom Sakralen wird seine zukunftsvorhersagende Komponente aus theologischer Sicht akzeptabel. Aus der Perspektive der Philosophie am Ende des 17. Jahrhunderts aber ist die handlungsvorausnehmende Komponente dieses göttlichen Traums nicht mehr zeitgemäß (vgl. Simon 1988, 141f.). Es ist eben diese Komponente, die den Traum des Atys als geschickten Kunstgriff ausweist: Lully bindet den Traum eng in die dramaturgische Gestaltung seiner Oper ein, indem er hierin das nach der bienséance unmögliche Liebesgeständnis einer Göttin an einen Sterblichen darstellt und damit zugleich den Handlungsausgang begründet und vorbereitet. In seiner zukunftsvorhersagenden Funktion zeugt der Traum von einem konservativen Traumverständnis, da insbesondere in der Philosophie | Lullys Traumszene zeichnet sich durch ihre klare Struktur, ihre Anlehnung an die Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts – derjenigen des ''songe divin'' und der dämonischen Träume – und ihre dramaturgische Funktion aus. Gemäß dem mythologischen Thema wählt Lully einen songe divin. Den Traumvorstellungen seiner Zeit entsprechend erscheint hierin die Botschaft der Göttin Cybèle vermittelt durch allegorische Figuren. Die szenische Darstellung des Traumgeschehens und das Erschrecken Atys' beim Erwachen sind für das Theater typische Darstellungen des Traumes (vgl. Forestier 1988, 16f.). Als göttlicher Traum ist er ein nach den damaligen Vorstellungen in Medizin, Theologie und Volksglauben real mögliches Phänomen. Durch seine Einbettung in eine mythologische Fiktion und die dadurch erfolgende Abgrenzung vom Sakralen wird seine zukunftsvorhersagende Komponente aus theologischer Sicht akzeptabel. Aus der Perspektive der Philosophie am Ende des 17. Jahrhunderts aber ist die handlungsvorausnehmende Komponente dieses göttlichen Traums nicht mehr zeitgemäß (vgl. Simon 1988, 141f.). Es ist eben diese Komponente, die den Traum des Atys als geschickten Kunstgriff ausweist: Lully bindet den Traum eng in die dramaturgische Gestaltung seiner Oper ein, indem er hierin das nach der bienséance unmögliche Liebesgeständnis einer Göttin an einen Sterblichen darstellt und damit zugleich den Handlungsausgang begründet und vorbereitet. In seiner zukunftsvorhersagenden Funktion zeugt der Traum von einem konservativen Traumverständnis, da insbesondere in der Philosophie von Ménéstrier (vgl. Gautier 1988, 10) und Descartes (vgl. Simon 1988, 141f.) Ende des 17. Jahrhunderts die visionäre Kraft von Träumen hinterfragt wird. Die Zukunftsweisung ist also weniger eine zeitgemäße Traumvorstellung als ein zentrales dramaturgisches Mittel. Somit besteht bei Lully eine enge Koppelung der musikdramatischen Traumdarstellung mit den medizinischen, philosophischen, theologischen und allgemeinen Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts. Ob seine Nachfolger in Oper und Instrumentalmusik die Gestaltung ihrer Traumdarstellungen an zeitgenössischem Gedankengut orientierten, bleibt noch zu erforschen. Erkenntnisse hierüber würden Aufschluss darüber geben, ob die Rezeption von Lullys Traumszene sich ausschließlich auf die kompositorische Gestaltung bezogen, oder ob auch ihr konzeptioneller und ideengeschichtlicher Hintergrund an die jeweilige Gegenwart angepasst wurde. Ein solcher Zusammenhang würde einen engen Bezug zwischen den gelehrten Denktraditionen und der Kunst belegen können – eine Interdisziplinarität von ungeahnter Modernität. | ||
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