"Atys" (Jean-Baptiste Lully): Unterschied zwischen den Versionen
"Atys" (Jean-Baptiste Lully) (Quelltext anzeigen)
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Weder aus Lullys Manuskripten (Lully o.J.), aus späteren Nachdrucken (Lully 1689, 1709, 1720, 1998), noch aus der hier verwendeten modernen Ausgabe geht die exakte Instrumentation der Oper hervor. Diese ist aber von großer Bedeutung, da die Instrumentation von Traumszenen nach Vorbild Lullys zu einem Topos wird. Lullys 150-köpfiges Opernorchester hat neben den beiden fünfstimmigen Streichergruppen, dem ''grand choeur'' und dem solistisch besetzten ''petit choeur'', eine Continuogruppe aus zwei Cembalisten, sechs Theorben, Lauten und Violen und ein bis zwei basses de violon umfasst. Weitere 21 Musiker haben jeweils mehrere Holzblasinstrumente gespielt: Flöten, Oboen und Fagotte (vgl. La Gorce 1987, 85). Aus der Partitur des ''Atys'' geht hervor, dass eine Continuogruppe spielt. Der fünfstimmige Satz entspricht der Schlüsselung nach dem für Lully typischen Streichersatz. Der Einsatz von Flöten ist in der Partitur kenntlich gemacht, ebenso wie derjenige von zwei Violen, zwei Theorben, Flöten, einem zwölfstimmigen Chor der songes funestes, zuzüglich je acht tanzender guter und schlechter Träume (vgl. A, 110ff.). | Weder aus Lullys Manuskripten (Lully o.J.), aus späteren Nachdrucken (Lully 1689, 1709, 1720, 1998), noch aus der hier verwendeten modernen Ausgabe geht die exakte Instrumentation der Oper hervor. Diese ist aber von großer Bedeutung, da die Instrumentation von Traumszenen nach Vorbild Lullys zu einem Topos wird. Lullys 150-köpfiges Opernorchester hat neben den beiden fünfstimmigen Streichergruppen, dem ''grand choeur'' und dem solistisch besetzten ''petit choeur'', eine Continuogruppe aus zwei Cembalisten, sechs Theorben, Lauten und Violen und ein bis zwei basses de violon umfasst. Weitere 21 Musiker haben jeweils mehrere Holzblasinstrumente gespielt: Flöten, Oboen und Fagotte (vgl. La Gorce 1987, 85). Aus der Partitur des ''Atys'' geht hervor, dass eine Continuogruppe spielt. Der fünfstimmige Satz entspricht der Schlüsselung nach dem für Lully typischen Streichersatz. Der Einsatz von Flöten ist in der Partitur kenntlich gemacht, ebenso wie derjenige von zwei Violen, zwei Theorben, Flöten, einem zwölfstimmigen Chor der ''songes funestes'', zuzüglich je acht tanzender guter und schlechter Träume (vgl. A, 110ff.). | ||
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Einen wiegenliedhaften Gestus schaffen die stets präsenten zweigebundenen Viertel, die sich überwiegend schrittweise bewegen (vgl. La Gorce 2010, 205) und dialogartig zwischen Streichern und Flöten alterieren (z. B. T. 1-6: Streicher, T. 6-10: Flöten). Diese Motivik wird zum Topos in Schlafszenen (vgl. Wood 1996, 328). Das Präludium setzt sich aus diesem Material fort, wobei die Begleitfigur aus ganzer Note mit Nachschlag, die erstmals in den tiefen Streichern zu den zweigebundenen Vierteln erschienen war (T. 1-3), zunehmend prominent wird (T. 45-48 und ab T. 54). Sie trägt zur Beruhigung der rhythmisch-melodischen Bewegung gemäß dem Einschlafen bei. Aufgrund der dramaturgisch geschickten Gestaltung des Präludiums, die aus dem präzisen Einsatz der monotonen, sich trotz der stetigen Viertelbewegung beruhigenden Motivik und der alterierenden Klangfarben resultiert, gelingt Lully eine musikalisch ökonomische aber wirkungsvolle Hinführung zum Traumgeschehen. | Einen wiegenliedhaften Gestus schaffen die stets präsenten zweigebundenen Viertel, die sich überwiegend schrittweise bewegen (vgl. La Gorce 2010, 205) und dialogartig zwischen Streichern und Flöten alterieren (z. B. T. 1-6: Streicher, T. 6-10: Flöten). Diese Motivik wird zum Topos in Schlafszenen (vgl. Wood 1996, 328). Das Präludium setzt sich aus diesem Material fort, wobei die Begleitfigur aus ganzer Note mit Nachschlag, die erstmals in den tiefen Streichern zu den zweigebundenen Vierteln erschienen war (T. 1-3), zunehmend prominent wird (T. 45-48 und ab T. 54). Sie trägt zur Beruhigung der rhythmisch-melodischen Bewegung gemäß dem Einschlafen bei. Aufgrund der dramaturgisch geschickten Gestaltung des Präludiums, die aus dem präzisen Einsatz der monotonen, sich trotz der stetigen Viertelbewegung beruhigenden Motivik und der alterierenden Klangfarben resultiert, gelingt Lully eine musikalisch ökonomische aber wirkungsvolle Hinführung zum Traumgeschehen. | ||
Dieses setzt nahtlos mit dem Terzett „Dormons, dormons tous“ des Schlafgottes Le Sommeil und seiner Söhne Morphée, Phobétor und Phantase ein. Dass das Traumgeschehen Schlafgötter beinhaltet und dass der Traum eine Botschaft Cybèles ist, verortet es in den Bereich der songes divins. Deren Existenz wird im 17. Jahrhundert in Natur- und Geisteswissenschaften, Theologie, Mystik und Volksglauben aufgrund der Autorität der Bibel anerkannt (vgl. Dandrey 1988, 85ff.; Simon 1988, 141f.; Matton 1988, 157, 162-176; Gautier 1988, 9, 13f., 17). Bei Lully ist das Traumgeschehen durch die Rahmenthematik und die Figuren in die Mythologie übertragen und bietet damit Raum für das Merveilleux. Ferner ist es eine innerhalb der Fiktion und vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Ideen der Zeit plausibel erscheinende und der bienséance entsprechende Form des Liebesgeständnisses einer Göttin. | Dieses setzt nahtlos mit dem Terzett „Dormons, dormons tous“ des Schlafgottes Le Sommeil und seiner Söhne Morphée, Phobétor und Phantase ein. Dass das Traumgeschehen Schlafgötter beinhaltet und dass der Traum eine Botschaft Cybèles ist, verortet es in den Bereich der ''songes divins''. Deren Existenz wird im 17. Jahrhundert in Natur- und Geisteswissenschaften, Theologie, Mystik und Volksglauben aufgrund der Autorität der Bibel anerkannt (vgl. Dandrey 1988, 85ff.; Simon 1988, 141f.; Matton 1988, 157, 162-176; Gautier 1988, 9, 13f., 17). Bei Lully ist das Traumgeschehen durch die Rahmenthematik und die Figuren in die Mythologie übertragen und bietet damit Raum für das Merveilleux. Ferner ist es eine innerhalb der Fiktion und vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Ideen der Zeit plausibel erscheinende und der bienséance entsprechende Form des Liebesgeständnisses einer Göttin. | ||
Das Terzett, das durch eine halbe Pause vom Präludium abgesetzt ist (T. 57), setzt das Schlafmotiv des Präludiums ostinat fort (vgl. Wood 1996, 328). Gemäß der Schlafthematik bewegt sich die Harmonik konstant in g-Moll. Die Melodik des Schlafgottes ist von Tonwiederholungen und langen Notenwerten geprägt, die seine Aufforderung zum Schlafen illustrieren (T. 58-62). Bei der Beschreibung der Süße dieser Tätigkeit verengt sich die Melodiebewegung auf kleine und große Sekunden. Morphée beschwört anschließend den Schlaf, die Sinne zu beruhigen und verweist damit auf die historische Ansicht, im Schlaf- und Traumprozess kühle sich das Gehirn ab und Geist und Sinne verlangsamten sich. Angesichts solcher Hinweise ist davon auszugehen, dass Lully die damaligen Traumvorstellungen bekannt waren und er eine dementsprechend angepasste Darstellung des Traums innerhalb der mythologischen Fiktion versucht. Morphées Beschwörung ist von der Singstimme seines Vaters abgesetzt durch eine Modulation nach c-Moll (T. 74) und das Wiedererscheinen der punktierten, eine Tonrepetition beinhaltenden Motive, die im Instrumentalvorspiel zu Atys Einschlafrezitativ Verwendung fanden (vgl. III,3, T. 1-10). Tonmalerisch wird bei Morphées Aufforderung, die Herzen mit einem tiefen Frieden – dem Schlaf und dem Traum – zu beruhigen, die Anzahl der Tonrepetitionen erhöht, sodass es melodisch zu einer Stagnation kommt. Lully moduliert zudem, die „paix profonde“ illustrierend, zurück in die Grundtonart (T. 100) und lässt die Melodie innerhalb von drei Takten um eine Oktave abfallen (T. 100-102). Dass Atys durch das Wirken der Götter in den Schlaf gefunden hat, zeigt die zwei Takte währende Generalpause (T. 113f.). | Das Terzett, das durch eine halbe Pause vom Präludium abgesetzt ist (T. 57), setzt das Schlafmotiv des Präludiums ostinat fort (vgl. Wood 1996, 328). Gemäß der Schlafthematik bewegt sich die Harmonik konstant in g-Moll. Die Melodik des Schlafgottes ist von Tonwiederholungen und langen Notenwerten geprägt, die seine Aufforderung zum Schlafen illustrieren (T. 58-62). Bei der Beschreibung der Süße dieser Tätigkeit verengt sich die Melodiebewegung auf kleine und große Sekunden. Morphée beschwört anschließend den Schlaf, die Sinne zu beruhigen und verweist damit auf die historische Ansicht, im Schlaf- und Traumprozess kühle sich das Gehirn ab und Geist und Sinne verlangsamten sich. Angesichts solcher Hinweise ist davon auszugehen, dass Lully die damaligen Traumvorstellungen bekannt waren und er eine dementsprechend angepasste Darstellung des Traums innerhalb der mythologischen Fiktion versucht. Morphées Beschwörung ist von der Singstimme seines Vaters abgesetzt durch eine Modulation nach c-Moll (T. 74) und das Wiedererscheinen der punktierten, eine Tonrepetition beinhaltenden Motive, die im Instrumentalvorspiel zu Atys Einschlafrezitativ Verwendung fanden (vgl. III,3, T. 1-10). Tonmalerisch wird bei Morphées Aufforderung, die Herzen mit einem tiefen Frieden – dem Schlaf und dem Traum – zu beruhigen, die Anzahl der Tonrepetitionen erhöht, sodass es melodisch zu einer Stagnation kommt. Lully moduliert zudem, die „paix profonde“ illustrierend, zurück in die Grundtonart (T. 100) und lässt die Melodie innerhalb von drei Takten um eine Oktave abfallen (T. 100-102). Dass Atys durch das Wirken der Götter in den Schlaf gefunden hat, zeigt die zwei Takte währende Generalpause (T. 113f.). | ||
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Der Auftritt der guten Träume, die tanzend und singend zu den Schlafgöttern hinzutreten, bildet den Mittelteil der Traumszene. Mit der Arie „Escoute, escoute Atys“ berichten die Götter Atys von der Liebe Cybèles. Über einem Continuo aus langen Noten und dem Schlafmotiv hebt Morphée auf die Glorie ab, die Atys erwartet, wenn er ihre Liebe annimmt. Der Gesang mit seinen punktierten Tonrepetitionen (T. 2ff., T. 10-13) im wiegenden Zweiertakt, den ebenmäßigen Tonwiederholungen (T. 5-8, T. 14), der sich stabil in g-Moll bewegenden Harmonik sowie der überwiegend schrittweisen Bewegung bezieht sich im Gestus auf den Moment des Einschlafens in Szene III,3 und die Traumdarstellung im Präludium ab dem Einsatz der Sänger. Dies erlaubt Lully, der Szenerie eine außerordentliche Geschlossenheit und Ruhe zu verleihen, die den Moment des Schlafens einfängt. | Der Auftritt der guten Träume, die tanzend und singend zu den Schlafgöttern hinzutreten, bildet den Mittelteil der Traumszene. Mit der Arie „Escoute, escoute Atys“ berichten die Götter Atys von der Liebe Cybèles. Über einem Continuo aus langen Noten und dem Schlafmotiv hebt Morphée auf die Glorie ab, die Atys erwartet, wenn er ihre Liebe annimmt. Der Gesang mit seinen punktierten Tonrepetitionen (T. 2ff., T. 10-13) im wiegenden Zweiertakt, den ebenmäßigen Tonwiederholungen (T. 5-8, T. 14), der sich stabil in g-Moll bewegenden Harmonik sowie der überwiegend schrittweisen Bewegung bezieht sich im Gestus auf den Moment des Einschlafens in Szene III,3 und die Traumdarstellung im Präludium ab dem Einsatz der Sänger. Dies erlaubt Lully, der Szenerie eine außerordentliche Geschlossenheit und Ruhe zu verleihen, die den Moment des Schlafens einfängt. | ||
Im sich anschließenden Terzett der Schlafgottsöhne (T. 16-25) warnt Lully, dass die Liebe Cybèles ewige Treue erfordere. Ein erstmaliger Tonartwechsel nach B-Dur (T. 16-20), der späteren Tonart der songes funestes, deutet auf deren Auftritt im dritten Teil der Szene voraus (vgl. Leopold 2006, 214) und verleiht der Warnung zusammen mit der Zunahme der Besetzung und der homophonen, von Tonrepetitionen geprägten Deklamation eine bedrohliche Eindrücklichkeit. Auffällig ist, dass die Unsterblichkeit der Schönheit Cybèles und damit ihrer Person (T. 16-20) in B-Dur gesetzt ist, während der zweite Phrasenteil (T. 21-25) in g-Moll ewige Treue und Liebe beinhaltet. Mit der Tonika wird hier der positive Ausgang der Liebe - vorausgesetzt Atys nimmt sie an - harmonisch verdeutlicht. Im zweiten Teil der Warnung (T. 26-41) singt Phantase solistisch zur Continuobegleitung in g-Moll und bestärkt die Vorteilhaftigkeit der Liebe zu einer Göttin mit einem neuen, schrittweise aufsteigenden Motiv, das um zwei, satztechnisch korrekt in Gegenrichtung aufgefangene Quartsprünge abfällt (T. 26ff.). Die abfallende Bewegung sowie das Erreichen der Tonika auf „attraits“, den Reizen der Liebe zu Cybèle, verdeutlichen musikalisch den Zwang, dem Atys ausgesetzt ist. Lully hebt diesen weiter hervor, indem er über wellenartige melodische Bewegung den Spitzenton f auf „puissance“, der Macht Cybèles über die Liebe und über Atys, erreicht (dies wird im Folgenden als Liebesmachtmotivik bezeichnet). Nach einer Wiederholung der ersten und der nach oben sequenzierten zweiten Phrase (T. 34-38), wird mit Besingen der nie endenden Liebe über die Schlusskadenz mit Quartvorhalt die Grundtonart erreicht (T. 39ff.). So ist die Akzeptanz des Antrags von Cybèle musikalisch als einzig mögliche Lösung ausgewiesen. | Im sich anschließenden Terzett der Schlafgottsöhne (T. 16-25) warnt Lully, dass die Liebe Cybèles ewige Treue erfordere. Ein erstmaliger Tonartwechsel nach B-Dur (T. 16-20), der späteren Tonart der ''songes funestes'', deutet auf deren Auftritt im dritten Teil der Szene voraus (vgl. Leopold 2006, 214) und verleiht der Warnung zusammen mit der Zunahme der Besetzung und der homophonen, von Tonrepetitionen geprägten Deklamation eine bedrohliche Eindrücklichkeit. Auffällig ist, dass die Unsterblichkeit der Schönheit Cybèles und damit ihrer Person (T. 16-20) in B-Dur gesetzt ist, während der zweite Phrasenteil (T. 21-25) in g-Moll ewige Treue und Liebe beinhaltet. Mit der Tonika wird hier der positive Ausgang der Liebe - vorausgesetzt Atys nimmt sie an - harmonisch verdeutlicht. Im zweiten Teil der Warnung (T. 26-41) singt Phantase solistisch zur Continuobegleitung in g-Moll und bestärkt die Vorteilhaftigkeit der Liebe zu einer Göttin mit einem neuen, schrittweise aufsteigenden Motiv, das um zwei, satztechnisch korrekt in Gegenrichtung aufgefangene Quartsprünge abfällt (T. 26ff.). Die abfallende Bewegung sowie das Erreichen der Tonika auf „attraits“, den Reizen der Liebe zu Cybèle, verdeutlichen musikalisch den Zwang, dem Atys ausgesetzt ist. Lully hebt diesen weiter hervor, indem er über wellenartige melodische Bewegung den Spitzenton f auf „puissance“, der Macht Cybèles über die Liebe und über Atys, erreicht (dies wird im Folgenden als Liebesmachtmotivik bezeichnet). Nach einer Wiederholung der ersten und der nach oben sequenzierten zweiten Phrase (T. 34-38), wird mit Besingen der nie endenden Liebe über die Schlusskadenz mit Quartvorhalt die Grundtonart erreicht (T. 39ff.). So ist die Akzeptanz des Antrags von Cybèle musikalisch als einzig mögliche Lösung ausgewiesen. | ||
Hieran schließt sich der instrumental untermalte Tanz der ''songes agréables'' an (''Entrée des songes agréables''). Besetzt ist er mit dem fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz, sowie höchstwahrscheinlich colla parte<ref>Als colla parte wird eine mit den Gesangstimmen identische Instrumentalbegleitung bezeichnet.</ref> mit den in der Regieanweisung (S. 110) genannten, auf der Bühne spielenden Violen und Theorben. Der homophon gesetzte Tanz kombiniert, wie für Instrumentalformen der frühen französischen Oper üblich (vgl. Anthony 1990, 68), Phantases Motive der Reize der Liebe (T. 1-3) und ihrer Macht (T. 4-6) mit den aus dem Präludium bekannten Tonrepetitionen in kleinschrittiger Reihung (T. 6-10). Harmonisch verbleibt dieser wiederholte Teil A des Tanzes (T. 1-10) in g-Moll. Teil B ist zweiteilig. Im Abschnitt a (T. 11-18) verlangsamt sich die Bewegung der Begleitstimmen, während in der Oberstimme ein bewegter Gestus aus punktierten Tonrepetitionen (T. 11, T. 15f.), Motivabspaltungen des Liebesmachtmotivs (T. 12) sowie schrittweise Achtelbewegungen (T. 13) erscheinen. Harmonisch bewegt sich dieser Abschnitt zur Tonikaparallele (T. 18). Die sechstaktige, identisch wiederholte Phrase des Abschnittes b (T. 18-30) kombiniert die Punktierungen aus Abschnitt a mit der Schlafmotivik aus Tonrepetitionen. Die erste Phrase öffnet sich zur Dominante, während die zweite in die Tonika mit pikardischer Terz schließt. Auch hier ist die Harmonik, die den Schlaf als Zustand des körperlichen Ruhens darstellt, äußerst stabil. Die auf der Bühne agierenden Sänger und Instrumentalisten stellen die Traumbilder dar. Da diese Figuren nicht explizit göttlichen Ursprungs sind, könnten sie auch die songes animaux verkörpern. | Hieran schließt sich der instrumental untermalte Tanz der ''songes agréables'' an (''Entrée des songes agréables''). Besetzt ist er mit dem fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz, sowie höchstwahrscheinlich colla parte<ref>Als colla parte wird eine mit den Gesangstimmen identische Instrumentalbegleitung bezeichnet.</ref> mit den in der Regieanweisung (S. 110) genannten, auf der Bühne spielenden Violen und Theorben. Der homophon gesetzte Tanz kombiniert, wie für Instrumentalformen der frühen französischen Oper üblich (vgl. Anthony 1990, 68), Phantases Motive der Reize der Liebe (T. 1-3) und ihrer Macht (T. 4-6) mit den aus dem Präludium bekannten Tonrepetitionen in kleinschrittiger Reihung (T. 6-10). Harmonisch verbleibt dieser wiederholte Teil A des Tanzes (T. 1-10) in g-Moll. Teil B ist zweiteilig. Im Abschnitt a (T. 11-18) verlangsamt sich die Bewegung der Begleitstimmen, während in der Oberstimme ein bewegter Gestus aus punktierten Tonrepetitionen (T. 11, T. 15f.), Motivabspaltungen des Liebesmachtmotivs (T. 12) sowie schrittweise Achtelbewegungen (T. 13) erscheinen. Harmonisch bewegt sich dieser Abschnitt zur Tonikaparallele (T. 18). Die sechstaktige, identisch wiederholte Phrase des Abschnittes b (T. 18-30) kombiniert die Punktierungen aus Abschnitt a mit der Schlafmotivik aus Tonrepetitionen. Die erste Phrase öffnet sich zur Dominante, während die zweite in die Tonika mit pikardischer Terz schließt. Auch hier ist die Harmonik, die den Schlaf als Zustand des körperlichen Ruhens darstellt, äußerst stabil. Die auf der Bühne agierenden Sänger und Instrumentalisten stellen die Traumbilder dar. Da diese Figuren nicht explizit göttlichen Ursprungs sind, könnten sie auch die ''songes animaux'' verkörpern. | ||
In der folgenden Arie „Gouste en paix“ singt Phobétor in der bereits bekannten Motivik aus punktierten Tonrepetitionen zu der für Schlafszenen seit Lully typischen Flöten- und Continuobegleitung in einem ersten Abschnitt A (T. 1-15) vom Frieden und dem Glück einer göttlichen Liebe, die es wert ist, sich der Kette ewiger Treue zu ergeben. Auch hier wird g-Moll nicht verlassen. Die Göttlichkeit Cybèles wird mit einer aufsteigenden Melodielinie und dem Spitzenton d auf „divinité“ in ihrer Bedeutung hervorgehoben (T. 6-8). Nicht nur ist die Tatsache, dass Cybèle Göttin ist, Anlass für das Auftreten der Götter zur Überbringung der Liebesbotschaft, es ist zugleich Grund für die Zwänge, denen Atys sich unterworfen sieht. Die melodische Kulmination fällt somit auch mit der Peripetie der Oper zusammen. Im Anschluss hieran fällt die Melodie sukzessive um den Tonumfang einer Undezime. Die Phrase endet offen in der Dominante, sodass die Aussage des Glücks einer göttlichen Liebe nicht bestätigt wird. Die klangliche Lieblichkeit, erzeugt durch die ab T. 9 fast durchgängig in Terzen gesetzten Flöten, erscheint in ihrer Verbildlichung der Worte Phobétors als ironischer Kommentar auf die von ihm in tiefster Lage und mit absteigender Melodik besungene Schönheit der Ketten der Liebe. An Phobétors mehrdeutiges Lob einer Liebe, die Unfreiheit bedeutet, schließt sich die schon bekannte Warnung der Schlafgötter (T. 16-25) sowie deren Bekräftigung durch Phantase (T. 26-41) an. Die Wiederholung des ''Entrée der songes agréables'' beschließt den zweiten Teil der Szene. Mit der Darstellung der guten Träume bewegt Lully sich im Bereich der ''songes divins'' und der ''songes animaux''. Seine Traumszene folgt somit den in Medizin, Philosophie und Theologie geläufigen Vorstellungen gottgesandter Träume und der darin auftretenden Gestalten. | In der folgenden Arie „Gouste en paix“ singt Phobétor in der bereits bekannten Motivik aus punktierten Tonrepetitionen zu der für Schlafszenen seit Lully typischen Flöten- und Continuobegleitung in einem ersten Abschnitt A (T. 1-15) vom Frieden und dem Glück einer göttlichen Liebe, die es wert ist, sich der Kette ewiger Treue zu ergeben. Auch hier wird g-Moll nicht verlassen. Die Göttlichkeit Cybèles wird mit einer aufsteigenden Melodielinie und dem Spitzenton d auf „divinité“ in ihrer Bedeutung hervorgehoben (T. 6-8). Nicht nur ist die Tatsache, dass Cybèle Göttin ist, Anlass für das Auftreten der Götter zur Überbringung der Liebesbotschaft, es ist zugleich Grund für die Zwänge, denen Atys sich unterworfen sieht. Die melodische Kulmination fällt somit auch mit der Peripetie der Oper zusammen. Im Anschluss hieran fällt die Melodie sukzessive um den Tonumfang einer Undezime. Die Phrase endet offen in der Dominante, sodass die Aussage des Glücks einer göttlichen Liebe nicht bestätigt wird. Die klangliche Lieblichkeit, erzeugt durch die ab T. 9 fast durchgängig in Terzen gesetzten Flöten, erscheint in ihrer Verbildlichung der Worte Phobétors als ironischer Kommentar auf die von ihm in tiefster Lage und mit absteigender Melodik besungene Schönheit der Ketten der Liebe. An Phobétors mehrdeutiges Lob einer Liebe, die Unfreiheit bedeutet, schließt sich die schon bekannte Warnung der Schlafgötter (T. 16-25) sowie deren Bekräftigung durch Phantase (T. 26-41) an. Die Wiederholung des ''Entrée der songes agréables'' beschließt den zweiten Teil der Szene. Mit der Darstellung der guten Träume bewegt Lully sich im Bereich der ''songes divins'' und der ''songes animaux''. Seine Traumszene folgt somit den in Medizin, Philosophie und Theologie geläufigen Vorstellungen gottgesandter Träume und der darin auftretenden Gestalten. | ||
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===Der Auftritt der ''songes funestes'' – dritter Teil der Traumszene=== | ===Der Auftritt der ''songes funestes'' – dritter Teil der Traumszene=== | ||
Mit dem Auftritt der songes funestes erhält ein dämonisches Element Eintritt in die Traumszene. Schlechte Träume können einerseits innerhalb der songes corporels bei schlechter körperlicher Verfassung (vgl. Dandrey 1988, 87) auftreten, andererseits in von Dämonen ausgelösten songes divins, wie sie auch die Medizin annimmt (vgl. Dandrey 1988, 85f.). Ferner kommen sie in Dämonenträumen vor (vgl. Matton 1988, 157). Sie sind damit im Bereich des Bedrohlichen angesiedelt, in dem böse Mächte als Gegenspieler Gottes oder gesundheitliche Probleme im todesähnlichen Schlafzustand wirken. | Mit dem Auftritt der ''songes funestes'' erhält ein dämonisches Element Eintritt in die Traumszene. Schlechte Träume können einerseits innerhalb der ''songes corporels'' bei schlechter körperlicher Verfassung (vgl. Dandrey 1988, 87) auftreten, andererseits in von Dämonen ausgelösten ''songes divins'', wie sie auch die Medizin annimmt (vgl. Dandrey 1988, 85f.). Ferner kommen sie in Dämonenträumen vor (vgl. Matton 1988, 157). Sie sind damit im Bereich des Bedrohlichen angesiedelt, in dem böse Mächte als Gegenspieler Gottes oder gesundheitliche Probleme im todesähnlichen Schlafzustand wirken. | ||
Ihr Auftritt in der Oper ''Atys'' ist auf allen Ebenen von der vorangehenden Traumszene abgesetzt. Am augenfälligsten ist die Ablösung aller zuvor aufgetretenen Figuren durch die Personifizierungen der schlechten Träume und einen einzigen Sänger. Von nun an steht B-Dur im Zentrum, die Tonart des Dämonischen (vgl. Henze-Döhring 1997, 318). Die Flöten als Symbol der guten Träume treten nicht mehr auf; anstelle von Arien erscheint ein Rezitativ (vgl. Duron 1987c, 59). Die tiefe Lage des Rezitativs „Garde-toy d’offencer un amour glorieux“, die Beschleunigung des Rhythmus durch zahlreiche Achteln (z. B. T. 3) und die Verdopplung der Geschwindigkeit bei den Punktierungen (z. B. T. 2) sorgen für einen gewandelten musikalischen Charakter. Signifikant verändert ist auch die Continuobegleitung, die mit langen Notenwerten die Taktschwerpunkte betont und eine hauptsächlich harmonische Funktion übernimmt. Die Motivik des Gesangs aber bleibt derjenigen der guten Träume ähnlich: Tonwiederholungen und Punktierungen, nun jedoch abgewandelt durch stärkere melodische Bewegung und einen großen Tonumfang bilden die zentralen Elemente. Der songe funeste beginnt seine Warnung vor der Rache Cybèles mit der zweimaligen Folge von Sext- bzw. Terzsprung abwärts und schrittweise aufwärtsgerichteter Bewegung (T. 1-5). Der Spitzenton c (T. 5) sowie eine harmonische Ausweichung nach C-Dur werden erreicht, als er erklärt, dass Cybèle für ihre Liebe zu einem Sterblichen den Himmel wird verlassen müssen, und damit die Härte der Racheandrohungen begründet. Auf halbtönige Schritte (T. 5f.) verengt sich in der nächsten Phrase die melodische Bewegung, als Atys aufgefordert wird, Cybèles Hoffnung nicht zu vernichten. Die kleinen Intervallschritte deuten bildlich auf die geringe Hoffnung, die für sie besteht. Die Motivik kehrt mit den Rachedrohungen zu auf- und absteigenden Skalen zurück, die mit Tonrepetitionen und Punktierungen durchsetzt sind (T. 7-15). Durch das erneute Erscheinen von C-Dur in T. 10, als der songe funeste vom eifersüchtigen Herzen spricht, verdeutlicht Lully harmonisch in Bezugnahme auf die vorherige Ausweichung nach C-Dur (T. 5), dass es sich um Cybèles Herz handelt. Die Arie schließt mit der Drohung, dass Atys sich einer so mächtigen Liebe nicht widersetzen dürfe. Die Gesangsstimme schwingt sich dabei schrittweise auf (T. 13) und schließt in der Tonika. Ebenso unausweichlich wie das B-Dur dieses Szenenteils ist auch die Liebe Cybèles und damit der tragische Opernausgang. | Ihr Auftritt in der Oper ''Atys'' ist auf allen Ebenen von der vorangehenden Traumszene abgesetzt. Am augenfälligsten ist die Ablösung aller zuvor aufgetretenen Figuren durch die Personifizierungen der schlechten Träume und einen einzigen Sänger. Von nun an steht B-Dur im Zentrum, die Tonart des Dämonischen (vgl. Henze-Döhring 1997, 318). Die Flöten als Symbol der guten Träume treten nicht mehr auf; anstelle von Arien erscheint ein Rezitativ (vgl. Duron 1987c, 59). Die tiefe Lage des Rezitativs „Garde-toy d’offencer un amour glorieux“, die Beschleunigung des Rhythmus durch zahlreiche Achteln (z. B. T. 3) und die Verdopplung der Geschwindigkeit bei den Punktierungen (z. B. T. 2) sorgen für einen gewandelten musikalischen Charakter. Signifikant verändert ist auch die Continuobegleitung, die mit langen Notenwerten die Taktschwerpunkte betont und eine hauptsächlich harmonische Funktion übernimmt. Die Motivik des Gesangs aber bleibt derjenigen der guten Träume ähnlich: Tonwiederholungen und Punktierungen, nun jedoch abgewandelt durch stärkere melodische Bewegung und einen großen Tonumfang bilden die zentralen Elemente. Der ''songe funeste'' beginnt seine Warnung vor der Rache Cybèles mit der zweimaligen Folge von Sext- bzw. Terzsprung abwärts und schrittweise aufwärtsgerichteter Bewegung (T. 1-5). Der Spitzenton c (T. 5) sowie eine harmonische Ausweichung nach C-Dur werden erreicht, als er erklärt, dass Cybèle für ihre Liebe zu einem Sterblichen den Himmel wird verlassen müssen, und damit die Härte der Racheandrohungen begründet. Auf halbtönige Schritte (T. 5f.) verengt sich in der nächsten Phrase die melodische Bewegung, als Atys aufgefordert wird, Cybèles Hoffnung nicht zu vernichten. Die kleinen Intervallschritte deuten bildlich auf die geringe Hoffnung, die für sie besteht. Die Motivik kehrt mit den Rachedrohungen zu auf- und absteigenden Skalen zurück, die mit Tonrepetitionen und Punktierungen durchsetzt sind (T. 7-15). Durch das erneute Erscheinen von C-Dur in T. 10, als der ''songe funeste'' vom eifersüchtigen Herzen spricht, verdeutlicht Lully harmonisch in Bezugnahme auf die vorherige Ausweichung nach C-Dur (T. 5), dass es sich um Cybèles Herz handelt. Die Arie schließt mit der Drohung, dass Atys sich einer so mächtigen Liebe nicht widersetzen dürfe. Die Gesangsstimme schwingt sich dabei schrittweise auf (T. 13) und schließt in der Tonika. Ebenso unausweichlich wie das B-Dur dieses Szenenteils ist auch die Liebe Cybèles und damit der tragische Opernausgang. | ||
Die Tanzeinlage, ''Entrée des songes funestes'', ist homophon im fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz instrumentiert. Durch die in allen Stimmen gleichzeitig gesetzten Akkordwechsel oder -wiederholungen auf Hauptzeiten sowie die repetierten Punktierungen entsteht ein marschartiger, rigider Charakter. Die Melodiestimme im dessus de violon lockert diese rhythmischen Strukturen nicht grundsätzlich auf. Nach einer einführenden, absteigenden Sechzehntelskala (T. 1) folgt die Melodik einer Grundstruktur aus punktierten, repetierten Vierteln, häufig parallel zur Begleitung (z. B. T. 2f.). Dies wird von Fragmenten aus der Sechzehntelkette durchsetzt, die entweder in lange Noten (z. B. T. 5-7) oder in punktierte Vierteln münden (ab T. 22). Die Melodie ist von marschartigem Charakter, den die zahlreichen Sprünge (z. B. der Sextsprung T. 11) und die im Vergleich zu den guten Träumen bewegte melodische Bewegung kaum aufzulockern vermögen. Die Tonart ist fest in B-Dur verankert. Beide Teile (T. 1-15, T. 16-31) verwenden dieselbe Motivik. Lully zeichnet hier das Dämonische nach, das die songes divins bedrohlicher Art kennzeichnet. | Die Tanzeinlage, ''Entrée des songes funestes'', ist homophon im fünfstimmigen Lullyschen Streichersatz instrumentiert. Durch die in allen Stimmen gleichzeitig gesetzten Akkordwechsel oder -wiederholungen auf Hauptzeiten sowie die repetierten Punktierungen entsteht ein marschartiger, rigider Charakter. Die Melodiestimme im dessus de violon lockert diese rhythmischen Strukturen nicht grundsätzlich auf. Nach einer einführenden, absteigenden Sechzehntelskala (T. 1) folgt die Melodik einer Grundstruktur aus punktierten, repetierten Vierteln, häufig parallel zur Begleitung (z. B. T. 2f.). Dies wird von Fragmenten aus der Sechzehntelkette durchsetzt, die entweder in lange Noten (z. B. T. 5-7) oder in punktierte Vierteln münden (ab T. 22). Die Melodie ist von marschartigem Charakter, den die zahlreichen Sprünge (z. B. der Sextsprung T. 11) und die im Vergleich zu den guten Träumen bewegte melodische Bewegung kaum aufzulockern vermögen. Die Tonart ist fest in B-Dur verankert. Beide Teile (T. 1-15, T. 16-31) verwenden dieselbe Motivik. Lully zeichnet hier das Dämonische nach, das die ''songes divins'' bedrohlicher Art kennzeichnet. | ||
Der ''Chœur des songes funestes'' radikalisiert die Motivik der Entrée, indem ein vierstimmiger Chor homophon und homorhythmisch in fast ausschließlicher Viertelbewegung (vgl. Duron 1987c, 61) die Rache Cybèles bei Untreue des Atys syllabisch deklamierend beschwört. Der harmonische Rhythmus ist auf vorwiegend taktweise Bewegung verlangsamt (T. 1-3, T. 5f., 12ff., 16-20, 22-28), wobei die Grundtonart nicht verlassen wird. Die akkordische Bewegung wird von fast ausschließlich schrittweisen melodischen Linien begleitet, deren einförmige Viertelbewegung nur an den Phrasenenden durch Punktierungen und abschließende ganze Noten (T. 4f., 9, 14, 15, 16, 18, 22, 24, 27f.) aufgebrochen wird. Lully erstrebt eine Chorrezitation nach Vorbild der griechischen Tragödie: Das Wort steht im Vordergrund. Der nicht am Sprechduktus orientierte, sondern auf gleichmäßige Bewegung gerichtete Rhythmus erzeugt einen marschartigen, drohenden Charakter. Dieser vollendet sich mit der zweimal (T. 17-22, 23-28) gesungenen Todeswarnung, deren zweiten Teil „Tremble, tremble, crains un affreux trépas“ („Zittere, zittere, fürchte einen schrecklichen Tod“, T. 25-28) den Tod explizit benennt. Das Deklamationstempo verlangsamt sich auf Halbe und Ganze, die Melodik stagniert, während sich eine authentische Kadenz vollzieht – möglicherweise ein musikalischer Hinweis darauf, dass diese Drohung sich bewahrheiten wird. In diesem dritten Szenenteil geht es weniger um die Darstellung eines Traumgeschehens entsprechend der damaligen Vorstellungen, sondern um die dramaturgische Rechtfertigung und Ankündigung des weiteren Handlungsverlaufs. | Der ''Chœur des songes funestes'' radikalisiert die Motivik der Entrée, indem ein vierstimmiger Chor homophon und homorhythmisch in fast ausschließlicher Viertelbewegung (vgl. Duron 1987c, 61) die Rache Cybèles bei Untreue des Atys syllabisch deklamierend beschwört. Der harmonische Rhythmus ist auf vorwiegend taktweise Bewegung verlangsamt (T. 1-3, T. 5f., 12ff., 16-20, 22-28), wobei die Grundtonart nicht verlassen wird. Die akkordische Bewegung wird von fast ausschließlich schrittweisen melodischen Linien begleitet, deren einförmige Viertelbewegung nur an den Phrasenenden durch Punktierungen und abschließende ganze Noten (T. 4f., 9, 14, 15, 16, 18, 22, 24, 27f.) aufgebrochen wird. Lully erstrebt eine Chorrezitation nach Vorbild der griechischen Tragödie: Das Wort steht im Vordergrund. Der nicht am Sprechduktus orientierte, sondern auf gleichmäßige Bewegung gerichtete Rhythmus erzeugt einen marschartigen, drohenden Charakter. Dieser vollendet sich mit der zweimal (T. 17-22, 23-28) gesungenen Todeswarnung, deren zweiten Teil „Tremble, tremble, crains un affreux trépas“ („Zittere, zittere, fürchte einen schrecklichen Tod“, T. 25-28) den Tod explizit benennt. Das Deklamationstempo verlangsamt sich auf Halbe und Ganze, die Melodik stagniert, während sich eine authentische Kadenz vollzieht – möglicherweise ein musikalischer Hinweis darauf, dass diese Drohung sich bewahrheiten wird. In diesem dritten Szenenteil geht es weniger um die Darstellung eines Traumgeschehens entsprechend der damaligen Vorstellungen, sondern um die dramaturgische Rechtfertigung und Ankündigung des weiteren Handlungsverlaufs. | ||
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===Lullys Traumdarstellung=== | ===Lullys Traumdarstellung=== | ||
Lullys Traumszene zeichnet sich durch ihre klare Struktur, ihre Anlehnung an die Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts – derjenigen des ''songe divin'' und der dämonischen Träume – und ihre dramaturgische Funktion aus. Gemäß dem mythologischen Thema wählt Lully einen songe divin. Den Traumvorstellungen seiner Zeit entsprechend erscheint hierin die Botschaft der Göttin Cybèle vermittelt durch allegorische Figuren. Die szenische Darstellung des Traumgeschehens und das Erschrecken Atys' beim Erwachen sind für das Theater typische Darstellungen des Traumes (vgl. Forestier 1988, 16f.). Als göttlicher Traum ist er ein nach den damaligen Vorstellungen in Medizin, Theologie und Volksglauben real mögliches Phänomen. Durch seine Einbettung in eine mythologische Fiktion und die dadurch erfolgende Abgrenzung vom Sakralen wird seine zukunftsvorhersagende Komponente aus theologischer Sicht akzeptabel. Aus der Perspektive der Philosophie am Ende des 17. Jahrhunderts aber ist die handlungsvorausnehmende Komponente dieses göttlichen Traums nicht mehr zeitgemäß (vgl. Simon 1988, 141f.). Es ist eben diese Komponente, die den Traum des Atys als geschickten Kunstgriff ausweist: Lully bindet den Traum eng in die dramaturgische Gestaltung seiner Oper ein, indem er hierin das nach der bienséance unmögliche Liebesgeständnis einer Göttin an einen Sterblichen darstellt und damit zugleich den Handlungsausgang begründet und vorbereitet. In seiner zukunftsvorhersagenden Funktion zeugt der Traum von einem konservativen Traumverständnis, da insbesondere in der Philosophie von Ménéstrier (vgl. Gautier 1988, 10) und Descartes (vgl. Simon 1988, 141f.) Ende des 17. Jahrhunderts die visionäre Kraft von Träumen hinterfragt wird. Die Zukunftsweisung ist also weniger eine zeitgemäße Traumvorstellung als ein zentrales dramaturgisches Mittel. Somit besteht bei Lully eine enge Koppelung der musikdramatischen Traumdarstellung mit den medizinischen, philosophischen, theologischen und allgemeinen Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts. Ob seine Nachfolger in Oper und Instrumentalmusik die Gestaltung ihrer Traumdarstellungen an zeitgenössischem Gedankengut orientierten, bleibt noch zu erforschen. Erkenntnisse hierüber würden Aufschluss darüber geben, ob die Rezeption von Lullys Traumszene sich ausschließlich auf die kompositorische Gestaltung bezogen, oder ob auch ihr konzeptioneller und ideengeschichtlicher Hintergrund an die jeweilige Gegenwart angepasst wurde. Ein solcher Zusammenhang würde einen engen Bezug zwischen den gelehrten Denktraditionen und der Kunst belegen können – eine Interdisziplinarität von ungeahnter Modernität. | Lullys Traumszene zeichnet sich durch ihre klare Struktur, ihre Anlehnung an die Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts – derjenigen des ''songe divin'' und der dämonischen Träume – und ihre dramaturgische Funktion aus. Gemäß dem mythologischen Thema wählt Lully einen ''songe divin''. Den Traumvorstellungen seiner Zeit entsprechend erscheint hierin die Botschaft der Göttin Cybèle vermittelt durch allegorische Figuren. Die szenische Darstellung des Traumgeschehens und das Erschrecken Atys' beim Erwachen sind für das Theater typische Darstellungen des Traumes (vgl. Forestier 1988, 16f.). Als göttlicher Traum ist er ein nach den damaligen Vorstellungen in Medizin, Theologie und Volksglauben real mögliches Phänomen. Durch seine Einbettung in eine mythologische Fiktion und die dadurch erfolgende Abgrenzung vom Sakralen wird seine zukunftsvorhersagende Komponente aus theologischer Sicht akzeptabel. Aus der Perspektive der Philosophie am Ende des 17. Jahrhunderts aber ist die handlungsvorausnehmende Komponente dieses göttlichen Traums nicht mehr zeitgemäß (vgl. Simon 1988, 141f.). Es ist eben diese Komponente, die den Traum des Atys als geschickten Kunstgriff ausweist: Lully bindet den Traum eng in die dramaturgische Gestaltung seiner Oper ein, indem er hierin das nach der bienséance unmögliche Liebesgeständnis einer Göttin an einen Sterblichen darstellt und damit zugleich den Handlungsausgang begründet und vorbereitet. In seiner zukunftsvorhersagenden Funktion zeugt der Traum von einem konservativen Traumverständnis, da insbesondere in der Philosophie von Ménéstrier (vgl. Gautier 1988, 10) und Descartes (vgl. Simon 1988, 141f.) Ende des 17. Jahrhunderts die visionäre Kraft von Träumen hinterfragt wird. Die Zukunftsweisung ist also weniger eine zeitgemäße Traumvorstellung als ein zentrales dramaturgisches Mittel. Somit besteht bei Lully eine enge Koppelung der musikdramatischen Traumdarstellung mit den medizinischen, philosophischen, theologischen und allgemeinen Traumvorstellungen des 17. Jahrhunderts. Ob seine Nachfolger in Oper und Instrumentalmusik die Gestaltung ihrer Traumdarstellungen an zeitgenössischem Gedankengut orientierten, bleibt noch zu erforschen. Erkenntnisse hierüber würden Aufschluss darüber geben, ob die Rezeption von Lullys Traumszene sich ausschließlich auf die kompositorische Gestaltung bezogen, oder ob auch ihr konzeptioneller und ideengeschichtlicher Hintergrund an die jeweilige Gegenwart angepasst wurde. Ein solcher Zusammenhang würde einen engen Bezug zwischen den gelehrten Denktraditionen und der Kunst belegen können – eine Interdisziplinarität von ungeahnter Modernität. | ||
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