"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner): Unterschied zwischen den Versionen
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===Narrative Verbindung von Traum und Figurendarstellung=== | ===Narrative Verbindung von Traum und Figurendarstellung=== | ||
Die vier Träume zeigen sowohl den Figuren als auch den Rezipierenden, welches Ende die Erzählung nehmen könnte. Die prognostische Kraft von Träumen wird in dieser Erzählung nicht angezweifelt. Schon in der antiken Traumtheorie hat man jedoch hervorgehoben, dass es notwendig war, ein geeignetes Leben zu führen, um solche Träume erfahren zu dürfen; v.a. „besondere, auserwählte Menschen haben solche Träume“ (Haubrichs 1979, 248). So dienen diese im ''Helmbrecht'' ebenfalls zur Charakterisierung der Figuren: Der Vater, dem diese Träume widerfahren, wird positiv dargestellt als derjenige, der sich angemessen verhält, ehrenhaft und gehorsam ist (H V. 233, 242–258; Seelbach 1987, 63). Dadurch wird den Rezipierenden vermittelt, dass der Träumende glaubwürdig sei und demzufolge auch auserwählt sein könne, um wahrhaftige Träume zu erhalten (Haubrichs 1979, 248). Die „Beziehung zwischen der moralischen Qualifikation des Träumers und Trauminhalt“ (Haubrichs 1979, 249) ist dabei entscheidend. Um dies nicht nur auf der Ebene der Figurengestaltung zu suggerieren, wird dem Vater bereits bei der Wiedergabe des ersten Traums, wie erwähnt, ein weiterer Traum zugeschrieben, von dem er selbst berichtet, dass sich dessen Vorausdeutung erfüllt habe (H V. 584–586). So hat der Vater nicht nur zuvor bereits einen prognostischen Traum erfahren, sondern auch inhaltlich das Motiv der Blendung geträumt, dessen reale Entsprechung das Erblinden des betroffenen Mannes war. Hierdurch wird eine unmittelbare Deutung, die sich bereits bewahrheitet hat, eingebracht und somit der Status des Vaters als eine für sogenannte ''somnia vera'' auserwählte Person hervorgehoben (Haubrichs 1979, 249). | Die vier Träume zeigen sowohl den Figuren als auch den Rezipierenden, welches Ende die Erzählung nehmen könnte. Die prognostische Kraft von Träumen wird in dieser Erzählung nicht angezweifelt. Schon in der antiken Traumtheorie hat man jedoch hervorgehoben, dass es notwendig war, ein geeignetes Leben zu führen, um solche Träume erfahren zu dürfen; v.a. „besondere, auserwählte Menschen haben solche Träume“ (Haubrichs 1979, 248). So dienen diese im ''Helmbrecht'' ebenfalls zur Charakterisierung der Figuren: Der Vater, dem diese Träume widerfahren, wird positiv dargestellt als derjenige, der sich angemessen verhält, ehrenhaft und gehorsam ist (H V. 233, 242–258; Seelbach 1987, 63). Dadurch wird den Rezipierenden vermittelt, dass der Träumende glaubwürdig sei und demzufolge auch auserwählt sein könne, um wahrhaftige Träume zu erhalten (Haubrichs 1979, 248). Die „Beziehung zwischen der moralischen Qualifikation des Träumers und Trauminhalt“ (Haubrichs 1979, 249) ist dabei entscheidend. Um dies nicht nur auf der Ebene der Figurengestaltung zu suggerieren, wird dem Vater bereits bei der Wiedergabe des ersten Traums, wie erwähnt, ein weiterer Traum zugeschrieben, von dem er selbst berichtet, dass sich dessen Vorausdeutung erfüllt habe (H V. 584–586). So hat der Vater nicht nur zuvor bereits einen prognostischen Traum erfahren, sondern auch inhaltlich das Motiv der Blendung geträumt, dessen reale Entsprechung das Erblinden des betroffenen Mannes war. Hierdurch wird eine unmittelbare Deutung, die sich bereits bewahrheitet hat, eingebracht und somit der Status des Vaters als eine für sogenannte ''somnia vera'' auserwählte Person hervorgehoben (Haubrichs 1979, 249). | ||
Im Gegensatz dazu wird Helmbrecht wiederholt negativ dargestellt als ''der narre und der gouch'' (H V. 83, der törichte Narr), ''der gotes tumbe'' (H V. 85, der unverständige Tor) oder ''der tumbe[] ræze[] knehte'' (H V. 106, der dumme, aufgeblasene Bursche). Ebenso betont der Erzähler anfangs mehrfach, dass er eine solch prächtige Ausstattung nicht besitzen sollte (H V. 38–40, 54–56), womit er einen negativen Helden vorführt, „der sich etwas anmaßt, was ihm nicht zusteht“ (Seelbach 1987, 33). Diese stark negative Skizzierung der Figur Helmbrecht kulminiert in seinem schlechten Verhalten gegenüber seiner Familie, seiner abweisenden Reaktion auf die Warnträume des Vaters und in den Verbrechen gegenüber den sonstigen Bauern. Der Erzähler steuert die Leser*innen bzw. Hörer*innen dadurch, dass Helmbrecht als unwürdig wahrgenommen wird: So betont der Vater, dass Helmbrecht die Trauminhalte von weisen Leuten deuten lassen müsse, wenn er einen Nutzen daraus ziehen wolle. Aufgrund der relativen Eindeutigkeit der Traumbilder kann dieser Verweis zum einen eine weitere Bekräftigung ihrer Bedeutung sein (Sowinski 1968, 236); zum anderen zeigt dies, dass symbolhaltige Träume aus zeitgenössischer Sicht einen erfahrenen Deuter verlangen, um den womöglich „verborgenen Willen Gottes“ (Haubrichs 1979, 249) erkennen zu können. Dass Helmbrecht eigenständig diese Träume als eine Vorausdeutung auf Glück, Heil und große Freude interpretiert (''„daz ist sælde unde heil / und aller freuden teil.“'' (H V. 601 f., „Er [der Traum] bedeutet Heil und Segen vom Himmel und irdisches Glück in Fülle.“)), zeigt, dass er die Tragweite der Warnungen nicht begreift. Er sieht ausschließlich diese Fehldeutung, da sie zu seinem persönlichen Traum des | Im Gegensatz dazu wird Helmbrecht wiederholt negativ dargestellt als ''der narre und der gouch'' (H V. 83, der törichte Narr), ''der gotes tumbe'' (H V. 85, der unverständige Tor) oder ''der tumbe[] ræze[] knehte'' (H V. 106, der dumme, aufgeblasene Bursche). Ebenso betont der Erzähler anfangs mehrfach, dass er eine solch prächtige Ausstattung nicht besitzen sollte (H V. 38–40, 54–56), womit er einen negativen Helden vorführt, „der sich etwas anmaßt, was ihm nicht zusteht“ (Seelbach 1987, 33). Diese stark negative Skizzierung der Figur Helmbrecht kulminiert in seinem schlechten Verhalten gegenüber seiner Familie, seiner abweisenden Reaktion auf die Warnträume des Vaters und in den Verbrechen gegenüber den sonstigen Bauern. Der Erzähler steuert die Leser*innen bzw. Hörer*innen dadurch, dass Helmbrecht als unwürdig wahrgenommen wird: So betont der Vater, dass Helmbrecht die Trauminhalte von weisen Leuten deuten lassen müsse, wenn er einen Nutzen daraus ziehen wolle. Aufgrund der relativen Eindeutigkeit der Traumbilder kann dieser Verweis zum einen eine weitere Bekräftigung ihrer Bedeutung sein (Sowinski 1968, 236); zum anderen zeigt dies, dass symbolhaltige Träume aus zeitgenössischer Sicht einen erfahrenen Deuter verlangen, um den womöglich „verborgenen Willen Gottes“ (Haubrichs 1979, 249) erkennen zu können. Dass Helmbrecht eigenständig diese Träume als eine Vorausdeutung auf Glück, Heil und große Freude interpretiert (''„daz ist sælde unde heil / und aller freuden teil.“'' (H V. 601 f., „Er [der Traum] bedeutet Heil und Segen vom Himmel und irdisches Glück in Fülle.“)), zeigt, dass er die Tragweite der Warnungen nicht begreift. Er sieht ausschließlich diese Fehldeutung, da sie zu seinem persönlichen Traum des | ||
(Raub-)Ritterseins passt. Dies bestätigt die Aussage, alle anderen Träume würden ebenfalls im Zeichen des Glücks stehen: | (Raub-)Ritterseins passt. Dies bestätigt die Aussage, alle anderen Träume würden ebenfalls im Zeichen des Glücks stehen: |