"Traumaufzeichnungen" (Walter Benjamin): Unterschied zwischen den Versionen

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Die ''Traumaufzeichnungen'' von Walter Benjamin (1892-1940) sind eine von Burkhardt Lindner zusammengestellte Sammlung von mehr als dreißig verschiedenen ausgewählten Traumnotaten bzw. -berichten Benjamins mit Träumen aus den Jahren 1928 bis 1939. Diese Sammlung stellt den ersten Teil des bei Suhrkamp erschienenen Bandes „Walter Benjamin: Träume“ dar (Benjamin 2008, 9-66) und „enthält in erreichbarer Vollständigkeit und zeitlicher Folge Benjamins Niederschriften eigener Träume“ (Lindner in Benjamin 2008b, 136). Sie ermöglicht einen Einblick in Walter Benjamins Träume, die ein breit gestreutes inhaltliches Spektrum aufweisen (Lindner in Benjamin 2008b, 145) und häufig auch auf Biographisches verweisen, ohne dabei aber ein „verborgenes Psychogramm“ oder bisher Unbekanntes „über seine Beziehungen zu ihm nahestehenden Personen“ preiszugeben (Lindner in Benjamin 2008b, 144). Zugleich dienen die Traumaufzeichnungen Benjamin als konstruktive Ressource zur bildhaften Entfaltung seines traumtheoretischen Denkens und seiner traumbezogenen Reflexionen (Bretas 2009, 1).
Die ''Traumaufzeichnungen'' von Walter Benjamin (1892-1940) sind eine von Burkhardt Lindner zusammengestellte Sammlung von mehr als dreißig verschiedenen ausgewählten Traumnotaten bzw. -berichten Benjamins mit Träumen aus den Jahren 1928 bis 1939. Die Sammlung stellt den ersten Teil des bei Suhrkamp erschienenen Bandes „Walter Benjamin: Träume“ dar (T 9-66) und „enthält in erreichbarer Vollständigkeit und zeitlicher Folge Benjamins Niederschriften eigener Träume“ (Lindner, T 136). Sie ermöglicht einen Einblick in Walter Benjamins Träume, die ein breit gestreutes inhaltliches Spektrum zeigen (Lindner, T 145) und häufig auch auf Biographisches verweisen, ohne dabei aber ein „verborgenes Psychogramm“ oder bisher Unbekanntes „über seine Beziehungen zu ihm nahestehenden Personen“ preiszugeben (Lindner, T 144). Zugleich dienen die Traumaufzeichnungen Benjamin als konstruktive Ressource zur bildhaften Entfaltung seines traumtheoretischen Denkens und seiner traumbezogenen Reflexionen (Bretas 2009, 1).




==Walter Benjamin als Träumer==
==Walter Benjamin als Träumer==
Walter Benjamin war ein deutscher Philosoph, Schriftsteller, Kunst-, Literatur- und Kulturkritiker sowie Publizist, dessen Werk - das auch aufgrund seines konstruktiv-fragmentarischen Charakters (Schöttker 1999, 9) und der anschaulichen sowie bildhaften Darstellungen seiner Gedanken häufig als so eigenwillig wie brillant betrachtet wird (Friedlander 2012, 7 ff. und 48 ff.) - sowohl im wissenschaftlichen als auch im kulturellen Bereich bis heute einen weitreichenden Einfluss ausübt. Benjamin hat neben seinen eigenen Beiträgen, z.B. zur Geschichtsphilosophie, zur Kunst- und Literaturkritik etc., auch Werke von Honoré de Balzac (1799-1850), Charles Baudelaire (1821-1867) und Marcel Proust (1871-1925) aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Er zählte zum erweiterten Mitgliederkreis der sogenannten Frankfurter Schule, u.a. aufgrund seiner Mitarbeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung, seiner Beiträge zur Zeitschrift für Sozialforschung, seines erheblichen Einflusses auf die Kritische Theorie und deren Entwicklung sowie aufgrund seiner Freundschaft und des intensiven Austauschs mit Theodor W. Adorno (1903-1969), der gemeinsam mit Benjamins langjährigem Freund Gershom Scholem (1897-1982) nach dem zweiten Weltkrieg Benjamins Werke veröffentlicht hat. Außerdem waren der inhaltliche Austausch und die freundschaftliche Beziehung zu Bertolt Brecht (1898-1956) von erheblicher Bedeutung für Benjamins Schaffen.


Walter Benjamin war ein deutscher Philosoph, Schriftsteller, Kunst-, Literatur- und Kulturkritiker sowie Publizist, dessen Werk, das auch aufgrund seines konstruktiv-fragmentarischen Charakters (Schöttker 1999, 9) und der anschaulichen sowie bildhaften Darstellungen seiner Gedanken häufig als so eigenwillig wie brillant betrachtet wird (Friedlander 2012, 7ff. und 48ff.), sowohl im wissenschaftlichen als auch im kulturellen Bereich bis heute einen weitreichenden Einfluss ausübt. Benjamin hat neben seinen eigenen Beiträgen, z. B. zur Geschichtsphilosophie, zur Kunst- und Literaturkritik etc., auch Werke von Balzac, Baudelaire und Proust aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Er zählte zum erweiterten Mitgliederkreis der sogenannten Frankfurter Schule, u. a. aufgrund seiner Mitarbeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung, seiner Beiträge zur Zeitschrift für Sozialforschung, seines erheblichen Einflusses auf die Kritische Theorie und deren Entwicklung sowie aufgrund seiner Freundschaft und des intensiven Austauschs mit Theodor W. Adorno, der gemeinsam mit Benjamins langjährigem Freund Gershom Scholem nach dem zweiten Weltkrieg Benjamins Werke veröffentlicht hat. Außerdem waren der inhaltliche Austausch und die freundschaftliche Beziehung zu Bertold Brecht von erheblicher Bedeutung für Benjamins Schaffen.
Obwohl Benjamin in dem 1925 verfassten Text ''Traumkitsch. Glosse zum Surrealismus'' Folgendes feststellte:
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
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: <span style="color: #7b879e;>Es träumt sich nicht mehr recht von der blauen Blume. Wer heut als [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Heinrich_von_Ofterdingen%22_(Novalis) Heinrich von Ofterdingen] erwacht, muß verschlafen haben. […] Der Traum eröffnet nicht mehr eine blaue Ferne. Er ist grau geworden. Die graue Staubschicht auf den Dingen ist sein bestes Teil. Die Träume sind nun Richtweg ins Banale (T 72-75, das Zitat 72 f.; GS II, 620-622, zusätzliche Anmerkungen auch in GS II, 1425-1428),</span>
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Obwohl Benjamin in dem 1925 verfassten Text „Traumkitsch. Glosse zum Surrealismus“ folgendes feststellte (Benjamin 2008, 72-75, das folgende Zitat 72-73, GS II, 620-622, zusätzliche Anmerkungen auch in GS II, 1425-1428):
träumte er selbst „intensiv“ und „leidenschaftlich“ (Chamat 2017, 69), dokumentierte und publizierte allerdings nur eine vergleichsweise kleine Auswahl von Träumen. Benjamin entwickelte aus seinen Traumaufzeichnungen verschiedene für sein Werk grundlegende traumbezogene theoretische Überlegungen und Reflexionen und publizierte diese als einen Teil seiner Arbeit als Schriftsteller und Publizist (Lindner, T 135-137). Benjamins Art und Weise des Notierens von Trauminhalten unterscheidet sich fundamental von derjenigen, deren Grundprämisse es ist, dass Trauminhalte höchst flüchtig und deshalb direkt nach dem Aufwachen zu notieren seien. Dieser Auffassung ist z.B. Benjamins Kollege und Freund Theodor W. Adorno gefolgt: „Ich habe sie [die Träume] jeweils gleich beim Erwachen niedergeschrieben und für die Publikation nur die empfindlichsten Mängel korrigiert“ (Adorno 2018, 88, Lindner, T 137; siehe dazu auch den Lexikonartikel zu [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Traumprotokolle%22_(Theodor_W._Adorno) Adornos Traumprotokollen]).


„Es träumt sich nicht mehr recht von der blauen Blume. Wer heut als Heinrich von Ofterdingen erwacht, muß verschlafen haben. [] Der Traum eröffnet nicht mehr eine blaue Ferne. Er ist grau geworden. Die graue Staubschicht auf den Dingen ist sein bestes Teil. Die Träume sind nun Richtweg ins Banale.“,
Seine eigene Position zur Art und Weise des Notierens von Trauminhalten, bei der „der Zeitpunkt des Aufschreibens und der Zeitpunkt des Traums“ häufig recht weit auseinanderliegen (Lindner, T 137) und bei der das Traumerlebnis erst „aus überlegener Erinnerung“ sowie nicht mehr „im Bannkreis des Traumes“ bzw. aus der „graue[n] Traumdämmerung“ heraus erzählt bzw. aufgeschrieben werden sollte, hat Benjamin anschaulich im Text ''Frühstücksstube'' in der Sammlung ''Einbahnstraße'' beschrieben :


so träumte er doch selbst „intensiv“ und „leidenschaftlich“ (Chamat 2017, 69), dokumentierte und publizierte allerdings nur eine vergleichsweise kleine Auswahl von Träumen. Benjamin entwickelte aus seinen Traumaufzeichnungen verschiedene für sein Werk grundlegende traumbezogene theoretische Überlegungen und Reflexionen und publizierte diese als einen Teil seiner Arbeit als Schriftsteller und Publizist (Lindner in Benjamin 2008b, 135-137). Benjamins Art und Weise des Notierens von Trauminhalten unterscheidet sich fundamental von derjenigen, deren Grundprämisse es ist, dass Trauminhalte höchst flüchtig und deshalb direkt nach dem Aufwachen zu notieren seien, und der z. B. sein Kollege und Freund Theodor W. Adorno gefolgt ist („Ich habe sie jeweils gleich beim Erwachen niedergeschrieben und für die Publikation nur die empfindlichsten Mängel korrigiert. (Adorno 2018, 88, Lindner in Benjamin 2008b, 137, siehe dazu auch den Lexikoneintrag zu Adornos Traumprotokollen: http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Traumprotokolle%22_(Theodor_W._Adorno)). Seine eigene Position zur Art und Weise des Notierens von Trauminhalten, bei der „der Zeitpunkt des Aufschreibens und der Zeitpunkt des Traums“ häufig recht weit auseinanderliegen (Lindner in Benjamin 2008b, 137) und bei der das Traumerlebnis erst „aus überlegener Erinnerung“ sowie nicht mehr „im Bannkreis des Traumes“ bzw. aus der „graue[n] Traumdämmerung“ heraus erzählt bzw. aufgeschrieben werden sollte, hat Benjamin anschaulich im Text „Frühstücksstube“ in der Sammlung „Einbahnstraße“ beschrieben (Benjamin 2008, 77-78, auch in GS IV, 85-86, eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesem Text findet sich bei Lindner in Benjamin 2008b, 138-141):
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
 
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„Eine Volksüberlieferung warnt, Träume am Morgen nüchtern zu erzählen. Der Erwachte verbleibt in diesem Zustand in der Tat noch im Bannkreis des Traumes. Die Waschung nämlich ruft nur die Oberfläche des Leibes und seine sichtbaren motorischen Funktionen ins Licht hinein, wogegen in den tiefen Schichten auch während der morgendlichen Reinigung die graue Traumdämmerung verharrt, ja in der Einsamkeit der ersten wachen Stunde sich festsetzt. Wer die Berührung mit dem Tage, sei es aus Menschenfurcht, sei es um innerer Sammlung willen, scheut, der will nicht essen und verschmäht das Frühstück. Derart vermeidet er den Bruch zwischen Nacht- und Tagwelt. Eine Behutsamkeit, die nur durch die Verbrennung des Traumes in konzentrierte Morgenarbeit, wenn nicht im Gebet, sich rechtfertigt, anders aber zu einer Vermengung der Lebensrhythmen führt. In dieser Verfassung ist der Bericht über Träume verhängnisvoll, weil der Mensch, zur Hälfte der Traumwelt noch verschworen, in seinen Worten sie verrät und ihre Rache gegenwärtigen muß. Neuzeitlicher gesprochen: er verrät sich selbst. Dem Schutz der träumenden Naivität ist er entwachsen und gibt, indem er seine Traumgesichte ohne Überlegenheit berührt, sich preis. Denn nur vom anderen Ufer, von dem hellen Tage aus, darf Traum aus überlegener Erinnerung angesprochen werden. Dieses Jenseits vom Traum ist nur in einer Reinigung erreichbar, die dem Waschen analog, jedoch gänzlich von ihm verschieden ist. Sie geht durch den Magen. Der Nüchterne spricht vom Traum, als spräche er aus dem Schlaf.
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: <span style="color: #7b879e;>Eine Volksüberlieferung warnt, Träume am Morgen nüchtern zu erzählen. Der Erwachte verbleibt in diesem Zustand in der Tat noch im Bannkreis des Traumes. Die Waschung nämlich ruft nur die Oberfläche des Leibes und seine sichtbaren motorischen Funktionen ins Licht hinein, wogegen in den tieferen Schichten auch während der morgendlichen Reinigung die graue Traumdämmerung verharrt, ja in der Einsamkeit der ersten wachen Stunde sich festsetzt. Wer die Berührung mit dem Tage, sei es aus Menschenfurcht, sei es um innerer Sammlung willen, scheut, der will nicht essen und verschmäht das Frühstück. Derart vermeidet er den Bruch zwischen Nacht- und Tagwelt. Eine Behutsamkeit, die nur durch die Verbrennung des Traumes in konzentrierte Morgenarbeit, wenn nicht im Gebet, sich rechtfertigt, anders aber zu einer Vermengung der Lebensrhythmen führt. In dieser Verfassung ist der Bericht über Träume verhängnisvoll, weil der Mensch, zur Hälfte der Traumwelt noch verschworen, in seinen Worten sie verrät und ihre Rache gewärtigen muß. Neuzeitlicher gesprochen: er verrät sich selbst. Dem Schutz der träumenden Naivität ist er entwachsen und gibt, indem er seine Traumgesichte ohne Überlegenheit berührt, sich preis. Denn nur vom anderen Ufer, von dem hellen Tage aus, darf Traum aus überlegener Erinnerung angesprochen werden. Dieses Jenseits vom Traum ist nur in einer Reinigung erreichbar, die dem Waschen analog, jedoch gänzlich von ihm verschieden ist. Sie geht durch den Magen. Der Nüchterne spricht vom Traum, als spräche er aus dem Schlaf (T 77 f.; auch in GS IV, 85 f., eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesem Text findet sich bei Lindner, T 138-141).</span>
Gemäß dieser Position hat Benjamin seine persönlichen Traumbilder und Traumsituationen beschrieben. Im Vergleich zu Adorno, dessen umfassende Sammlung von Traumprotokollen „aufgrund der bewussten Auswahl als eine eigenwillige Form authentischer Selbstdarstellung intimer Innenerlebnisse angesehen werden kann“ (Müller-Doohm 2019, 19), erfüllen Benjamins Traumaufzeichnungen weniger den Zweck des persönlichen sich Darstellens, sondern sind vielmehr Ausgangspunkt und Materialsammlung zur Entfaltung seines grundlegenden traumtheoretischen Denkens (Bretas 2009, 1).
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Gemäß dieser Position hat Benjamin seine persönlichen Traumbilder und Traumsituationen beschrieben. Im Vergleich zu Adorno, dessen umfassende Sammlung von Traumprotokollen „aufgrund der bewussten Auswahl als eine eigenwillige Form authentischer Selbstdarstellung intimer Innenerlebnisse angesehen werden kann“ (Müller-Doohm 2019, 19), erfüllen Benjamins Traumaufzeichnungen weniger den Zweck des persönlichen Sich-Darstellens, sondern sind vielmehr Ausgangspunkt und Materialsammlung zur Entfaltung seines grundlegenden traumtheoretischen Denkens (Bretas 2009, 1).


==Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen Benjamins==
==Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen Benjamins==
 
Benjamin publizierte manche seiner Traumaufzeichnungen separat oder als Teile einzelner Werke. Außerdem ist bekannt, dass er die eigenständige Publikation einer Sammlung von Traumaufzeichnungen anstrebte, die allerdings nicht zustande kam (Lindner, T 137 f.). Die von Burkhardt Lindner zusammengestellte Sammlung von Benjamins Traumaufzeichnungen wurde nicht als textkritische Edition konzipiert (Lindner, T 128). Grundlagen der ausgewählten Texte, bei denen sich zu Lebzeiten publizierte und nachgelassene Beiträge mischen, sind insbesondere die bei Suhrkamp herausgegebenen ''Gesammelten Schriften'' Benjamins (GS), die ebenfalls bei Suhrkamp erschienene sechsbändige Ausgabe der ''Briefe'' Benjamins, andere Quellen wie Ignaz Ježowers (1878-1942) 1928 publiziertes ''Buch der Träume'', eine umfangreiche und historisch von der Antike bis zur Gegenwart reichende Traumanthologie, sowie bisher nicht publizierte Manuskripte, die im Walter Benjamin Archiv (WBA) in Berlin aufbewahrt werden. In der Sammlung wurden zu einigen Traumaufzeichnungen (z.B. ''Ein Gespenst'' oder ''Der Mond'') verschiedene Versionen, z.B. auch eine Entwurfsfassung (von ''Der Mond''), aufgenommen (Lindner, T 129 f.). Diese unterschiedlichen Fassungen, z.B. die alternativen Enden der Traumaufzeichnung ''Ein Gespenst'', lassen unterschiedliche Deutungen zu und können so die traumbezogene Benjamin-Forschung erheblich bereichern (siehe Abschnitt 4).
Benjamin publizierte manche seiner Traumaufzeichnungen separat oder als Teile einzelner Werke. Außerdem ist bekannt, dass er die eigenständige Publikation einer Sammlung von Traumaufzeichnungen anstrebte, die allerdings nicht zustande kam (Lindner in Benjamin 2008b, 137f.). Die von Burkhardt Lindner zusammengestellte Sammlung von Benjamins Traumaufzeichnungen (Lindner in Benjamin 2008b, 136) wurde nicht als textkritische Edition konzipiert (Lindner in Benjamin 2008a, 128). Grundlagen der ausgewählten Texte, bei denen sich zu Lebzeiten publizierte und nachgelassene Beiträge mischen, sind insbesondere die bei Suhrkamp herausgegebenen „Gesammelten Schriften“ Benjamins (GS), die ebenfalls bei Suhrkamp erschienene sechsbändige Ausgabe der „Briefe“ Benjamins, andere Quellen wie Ignaz Ježowers „Das Buch der Träume“ (1928) sowie bisher nicht publizierte Manuskripte, die im Walter Benjamin Archiv (WBA) in Berlin aufbewahrt werden. In der Sammlung wurden zu einigen Traumaufzeichnungen (z. B. „Ein Gespenst“ oder „Der Mond“) verschiedene publikationswürdige Versionen, z. B. auch eine Entwurfsfassung (von „Der Mond“), aufgenommen (Lindner in Benjamin 2008a, 129-130)). Diese unterschiedlichen Fassungen, z. B. die alternativen Enden der Traumaufzeichnung „Ein Gespenst“, lassen unterschiedliche Deutungen zu und können so die traumbezogene Benjamin-Forschung erheblich bereichern (siehe Abschnitt 4).
 


==Benjamins Traumaufzeichnungen im Band „Träume“==
==Benjamins Traumaufzeichnungen im Band „Träume“==
 
Folgende Übersicht präsentiert sämtliche Traumaufzeichnungen Benjamins in der von Burkhart Lindner zusammengestellten Ausgabe (T 9-66) und umfasst 35 Einträge. Die Nachweise in der folgenden Liste wurden ggf. an die aktuelle Ausgabe der ''Gesammelten Schriften'' (GS), sowie die aktuelle Ausgabe der anderen referenzierten Quellen angepasst, weichen aber nur geringfügig von den Verweisen Lindners ab. Zuweilen wurden auch zusätzliche Referenzen ergänzt, wenn eine Traumaufzeichnung in weiteren, bisher noch nicht zitierten Werken auffindbar ist.
Folgende Übersicht präsentiert sämtliche Traumaufzeichnungen Benjamins in der von Burkhart Lindner zusammengestellten Ausgabe (Benjamin 2008, 9-66) und umfasst 35 Einträge. Die Nachweise in der folgenden Liste wurden ggf. an die aktuelle Ausgabe der „Gesammelten Schriften“ (GS), sowie die aktuelle Ausgabe der anderen referenzierten Quellen angepasst, weichen aber nur geringfügig von den Verweisen Lindners ab. Zuweilen wurden auch zusätzliche Referenzen ergänzt, wenn eine Traumaufzeichnung in weiteren, bisher noch nicht zitierten Werken auffindbar ist.




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| Ježower, Ignaz: 'Das Buch der Träume' (1928)
| Ježower, Ignaz: ''Das Buch der Träume'' (1928)
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| Im Traum – es sind nun schon drei bis vier Tage, daß ich ihn träumte, und er verläßt mich nicht – hatte ich eine Landstraße im dunkelsten Dämmerlicht vor mir. […]
| „Im Traum – es sind nun schon drei bis vier Tage, daß ich ihn träumte, und er verläßt mich nicht – hatte ich eine Landstraße im dunkelsten Dämmerlicht vor mir. […]
| Ježower 1985, 268-269
| Ježower 1985, 268 f.
| Benjamin 2008, 9
| T 9
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| Oxford, 9. Juni 1936
| Ježower, Ignaz: ''Das Buch der Träume'' (1928)
| Traum: Agathe erschien mir und sagte vollends traurig: Früher, mein Kind, habe ich dir immer gesagt, wir werden uns nach dem Tod wiedersehen. …
| -
| Adorno 2018, 7
| „Ich träumte von einer Schülerrevolte. Dabei spielte Sternheim [der expressionistische Dramatiker Carl Sternheim, 1878-1942] irgendwie eine Rolle, und später referierte er darüber. []“
| Ježower 1985, 272
| T 10
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| 3a
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| Oxford, 10. März 1937
| Ježower, Ignaz: ''Das Buch der Träume'' (1928)
| Ich fand mich in Paris ohne alles Geld, wollte aber in ein besonders elegantes Bordell, die maison Drouot gehen (in Wirklichkeit ist Hôtel Drouot das berühmteste Auktionslokal für alte Dinge). …
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| Adorno 2018, 8
| „Ich träumte, mit Roethe [dem deutschnationalen germanistischen Mediävisten Gustav Roethe, 1859-1926] gehe ich – neugebackener Privatdozent – in kollegialer Unterhaltung durch die weiten Räume eines Museums, dessen Vorsteher er ist. […]“
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| Ježower 1985, 272
| 3b
| T 11
| Oxford, 10. März 1937
| Ein anderer Traum, früher in der Nacht, bezog sich auf Agathe. Sie sagte: mein Kind, du darfst mir nicht böse sein, aber wenn ich zwei wirklich Täler besäße, würde ich die ganze Musik von Schubert dafür geben.
| Adorno 2018, 8
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| 4
| 4
| London 1937 (während der Arbeit am „Versuch über Wagner“)
| Einbahnstraße (1928)
| Der Traum hatte einen Titel: „Siegfrieds letztes Abenteuer“ oder „Siegfrieds letzter Tod“. …  
| Wegen Umbau geschlossen!
| Adorno 2018, 8-9; ebenso in Adorno 2003, 572-573
| „Im Traum nahm ich mir mit einem Gewehr das Leben. []“
| GS IV, 133; auch in: Ježower 1985, 272
| T 12
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| 5
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| New York, November oder Dezember 1938
| Einbahnstraße (1928)
| Ich träumte: Hölderlin hieß Hölderlin, weil er immer auf einer Holunderflöte spielte.  
| Halteplatz für nicht mehr als 3 Droschken
| Adorno 2018, 10
| „Ich sah im Traum 'ein verrufenes Haus'. 'Ein Hotel, in dem ein Tier verwöhnt ist. […]“
| GS IV, 120
| T 13
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| 6
| New York, 30. Dezember 1940
| Einbahnstraße (1928)
| Kurz vorm Erwachen: ich wohnte der Szene bei, die Baudelaires Gedicht „Don Juan aux Enfers“ – wohl nach einem Bilde Delacroix‘ – festhält. …  
| Reiseandenken
| Adorno 2018, 10-11; ebenso in Adorno 2003, 573
| „Himmel – Im Traume trat ich aus einem Hause und erblickte den Nachthimmel. Ein wildes Geglänze ging von ihm aus. []“
| GS IV, 125
| T 14
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| 7
| New York, 8. Februar 1941
| Einbahnstraße (1928)
| Ich war an Bord eines Schiffs, das von Seeräubern geentert wurde. …  
| Unordentliches Kind
| Adorno 2018, 11-12
| „Jeder Stein, den es findet, jede gepflückte Blume und jeder gefangene Schmetterling ist ihm schon Anfang einer Sammlung, und alles, was es überhaupt besitzt, macht ihm eine einzige Sammlung aus. []“
| GS IV, 115
| T 15
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| Los Angeles, 22. Mai 1941
| Einbahnstraße (1928)
| Wir gingen, Agathe, meine Mutter und ich, auf einem Höhenweg von rötlicher Sandsteinfarbe, wie sie mir von Amorbach vertraut ist. …  
| Mexikanische Botschaft
| Adorno 2018, 12-13; ebenso in Adorno 2003, 574-575
| „Mir träumte, als Mitglied einer forschenden Expedition in Mexiko zu sein. []“
| GS IV, 91; auch in: Ježower 1985, 270 f.
| T 16
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| 9
| Los Angeles, 20. November 1941
| Einbahnstraße (1928)
| In der ersten Nacht in Los Angeles träumte ich, ich sei in einem Café – in Paris? – mit einem Mädchen losester Sitten verabredet gewesen. …  
| Tiefbau-Arbeiten
| Adorno 2018, 13
| „Im Traum sah ich ein ödes Gelände. Das war der Marktplatz von Weimar. []"
| GS IV, 101, auch in: Ježower 1985, 271
| T 17
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| 10
| 10
| Los Angeles, 1942
| Einbahnstraße (1928)
| Am Untermainkai in Frankfurt geriet ich in den Aufmarsch einer arabischen Armee. …  
| Nr. 113
| Adorno 2018, 14; ebenso in Adorno 2003, 574
| „Souterrain. Wir haben längst das Ritual vergessen, unter dem das Haus unseres Lebens aufgeführt wurde. […] Vestibül. Besuch im Goethehaus. […] Speisesaal. In einem Traume sah ich mich in Goethes Arbeitszimmer. []“
| GS IV, 86 f., zweiter („Besuch im Goethehaus“) und dritter Teil („Goethes Arbeitszimmer“) jeweils separat auch in: Ježower 1985, 271, dort allerdings umgekehrt angeordnet.
| T 18 f.
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| 11
| 11
| In einer der folgenden Nächte
| Berliner Chronik (1932)
| Ich wohnte mit meiner Mutter einer Aufführung der Meistersinger bei. …  
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| Adorno 2018, 15
| „Das Elend konnte in diesen Räumen keine Stelle haben, in welchen ja nicht einmal der Tod sie hatte. []“
| GS VI, 501
| T 20
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| 12
| 12
| Los Angeles, Ende Mai 1942
| Berliner Chronik (1932)
| Ich träumte, ich solle gekreuzigt werden. …  
| Ein Gespenst
| Adorno 2018, 16
| „Den ganzen Tag hatte ich ein Geheimnis für mich behalten: nämlich den Traum der letztvergangnen Nacht. []“
| GS VI, 513 f.
| T 21 f.
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| 13
| 13
| Los Angeles, Anfang Juli 1942
| Berliner Chronik (1932)
| Der Traum war oder schien mir im Rückblick – eine lange, ungemein verwickelte Detektivgeschichte, in die ich selber verwickelt war. …  
| Ein Gespenst
| Adorno 2018, 16-17
| „Es war ein Abend meines siebenten oder achten Jahres vor unserer babelsberger Sommerwohnung. Eins unserer Mädchen steht noch eine Weile am Gittertor, das auf, ich weiß nicht welche, Allee herausführt. []“
| GS IV, 278-280
| T 23-25
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| 14
| 14
| Los Angeles, 13. September 1942
| Berliner Kindheit (1933-1938)
| Wir waren am Nachmittag zu Schönbergs 68. Geburtstag eingeladen. …  
| Ein Weihnachtslied
| Adorno 2018, 17-19
| „Von allen diesen Liedern liebte ich am meisten ein Weihnachtslied [„Ich lag und schlief da träumte mir], das jedesmal mich mit dem Troste für noch nicht erfahrenes, doch erstmals nun geahntes Leid erfüllte, das einzig die Musik uns geben kann. []“
| zuvor unpubliziertes Manuskript (WBA Ms 904)
| T 26
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| 15
| Los Angeles, 21. Oktober 1942
| Berliner Kindheit (1933-1938)
| Mein Freund erzählte mir, er habe nur eine musikalische Leidenschaft: Kontrabaß spielen. …  
| Schmöker
| Adorno 2018, 19
| „[…] Das Buch lag auf dem viel zu hohen Tisch. Beim Lesen hielt ich mir die Ohren zu. So lautlos hatte ich doch schon einmal erzählen hören. []“
| GS IV, 274 f.
| T 27 f.
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| 16
| 16
| Los Angeles, November 1942
| Berliner Kindheit (1933-1938)
| Mit meinem Vater geriet ich in London in einen Fliegeralarm. …  
| Der Mond
| Adorno 2018, 19-20
| „Weltis Mondnacht. In einer breiten Woge, die von Urzeit her anzustehn schien, brandete das Land vor dem Fenster. []“
| zuvor nicht publiziertes Manuskript (WBA Ms 911 und 911v)
| T 29-32
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| 17
| 17
| In einer andern Nacht
| Berliner Kindheit (1933-1938)
| Ich unterhielt mich mit meiner Freundin X über die erotischen Künste, deren ich sie für mächtig hielt. …  
| Der Mond
| Adorno 2018, 20-21
| „Das Licht, welches vom Mond herunterfließt, gilt nicht dem Schauplatz unseres Tagesdaseins. Der Umkreis, den es zweifelhaft erhellt, scheint einer Gegen- oder Nebenerde zu gehören. []“
| GS IV, 300-302
| T 33-36
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| 18
| Los Angeles, 25. November 1942
| Berliner Kindheit (1933-1938)
| Mit Gretel und Max war ich, nach Hitlers Sturz, nach Frankfurt zurückgekehrt. …  
| Abreise und Rückkehr
| Adorno 2018, 21-23
| „Der Lichtstreif unter der Schlafzimmertür, am Vorabend, wenn die andern noch auf waren, – war er nicht das erste Reisesignal? []“
| GS IV, 245 f.
| T 37
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| 19
| Los Angeles, Anfang Dezember 1942
| Berliner Kindheit (1933-1938)
| Ich nahm an einem großen, ungemein anspruchsvollen Bankett teil. …  
| Unglücksfälle und Verbrechen
| Adorno 2018, 23-24; ebenso in Adorno 2003, 575-576
| „[…] Für das Unglück war überall vorgesorgt; die Stadt und ich hätten es weich gebettet, aber nirgends ließ es sich sehn. []“
| GS IV, 292 f.
| T 38 f.
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| 20
| 20
| Los Angeles, 10. Januar 1943
| Selbstbildnisse des Träumenden [eine von Benjamin selbst zusammengestellte aber unpublizierte Sammlung von fünf Träumen] (1932/33)
| Ich besuchte ein amerikanisches Bordell. …  
| Der Enkel
| Adorno 2018, 25-26
| „Man hatte eine Fahrt zur Großmutter beschlossen. Sie ging in einer Droschke vor sich. []“
| GS IV, 420 f.
| T 40 f.
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| 21
| 21
| Los Angeles, 16. Januar 1943, früh morgens
| Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33)
| Ich lag mit zwei entzückenden Frauen im Bett.
| Der Seher
| Adorno 2018, 26-27
| „Oberhalb einer Großstadt. Römische Arena. Des Nachts. Ein Wagenrennen findet statt, es handelt sich – wie ein dunkles Bewußtsein mir sagte – um Christus. […]“
| GS IV, 421 f., auch in: Ježower 1985, 269
| T 42
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| 22
| 22
| Los Angeles, 15. Februar 1943
| Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33)
| Agathe erschien mir im Traum und sagte etwa: „Karl Kraus war doch der witzigste und geistreichste aller Schriftsteller. …  
| Der Liebhaber
| Adorno 2018, 27-28; ebenso in Adorno 2003, 576
| „Mit der Freundin war ich unterwegs, es war ein Mittelding zwischen Bergwanderung und Spaziergang, das wir unternommen hatten, und nun näherten wir uns dem Gipfel. []“
| GS IV, 422
| T 43
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| 23
| 23
| Los Angeles, 28. Februar 1943
| Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33)
| Alexander Granach veranstaltete in einem großen Saal – dem des Frankfurter Saalbaus? – eine Vorlesung aus seinem Novellen-Roman. …  
| Der Wissende
| Adorno 2018, 28-30
| „Ich sehe mich im Warenhaus Wertheim vor einem flachen Schächtelchen mit Holzfiguren, zum Beispiel einem Schäfchen, genau wie die Tiere der Arche Noah gebildet. []“
| GS IV, 422 f.
| T 44 f.
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| 24
| 24
| 16. April 1943
| Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33)
| Nächsten Dienstag hat der alte Hahn seinen 85. Geburtstag. Ich träumte: Was kann man denn dem alten Hahn zum 85. Geburtstag schenken, etwas, wovon er etwas hat.
| Der Verschwiegene
| Adorno 2018, 30
| „Da ich im Traume wußte, nun müsse ich bald Italien verlassen, fuhr ich von Capri nach Positano hinüber. […]“
| GS IV, 423 f., auch in: Ježower 1985, 269 f.
| T 46 f.
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| 25
| 25
| Los Angeles, 12. Mai 1943
| Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33)
| Nach dem ersten Besuch von Luli draußen bei uns träumte ich: auf einer Gesellschaft etwas alkoholischen Wesens, die sich in mehreren Räumen abspielte, stieß ich mit einem älteren, eleganten Herrn zusammen – sei es, daß ich in ihn hineinrannte, sei es daß ich ihm auf den Fuß trat. …  
| Der Chronist
| Adorno 2018, 30-31
| „Der Kaiser [Wilhelm II.] stand vor Gericht. Es gab aber nur ein Podium, auf dem ein Tisch stand, und vor diesem Tisch wurden die Zeugen vernommen. []“
| GS IV, 424 f.
| T 48
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| 26
| 26
| Sommer 1943
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Vor einigen Wochen träumte ich, es hätte mich jemand gefragt: wie ist es nur möglich, daß jemand wie Sie so gern auf langweilige Gesellschaften geht! …  
| Zu nahe
| Adorno 2018, 31
| „Im Traum am linken Seine-Ufer vor Notre Dame. Da stand ich, aber da war nichts, was Notre Dame glich. []“
| GS IV, 370; Kurze Schatten 1929
| T 49
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| 27
| 27
| Los Angeles, 22. November 1943
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Ich las im Traum einen Aufsatz von Herwarth Walden im Feuilleton der Frankfurter Zeitung, über Shakespeare. …  
| -
| Adorno 2018, 32
| „Ein Traum aus der ersten oder zweiten Nacht meines Aufenthalts in Ibiza: Ich ging spät abends nach Hause – es war eigentlich nicht mein Haus, vielmehr ein prächtiges Mietshaus, in welches ich, träumend, Seligmanns einlogiert hatte. []“
| GS VI, 447; Tagebuch Ibiza Sommer 1932
| T 50
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| 28
| 28
| Eine Nacht vorher
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Auf einem Empfang bei einer Dame der Gesellschaft in L.A., mit Gretel und Norah. …
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| Adorno 2018, 32
| „Noch ein Traum (dieser in Berlin, einige Zeit vor der Reise). Mit Jula war ich unterwegs, es war ein Mittelding zwischen Bergwanderung und Spaziergang, das wir unternommen hatten und nun näherten wir uns dem Gipfel. []“
| GS VI, 447 f.; Tagebuch Ibiza Sommer 1932
| T 51
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| 29
| 29
| Los Angeles, Anfang Januar 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Dieterle hat ein Stück geschrieben, das heißt: Backt Hegellämmchen!
| Traum
| Adorno 2018, 32
| „O…s zeigten mir ihr Haus in Niederländisch-Indien. Das Zimmer, in dem ich mich befand, war mit dunklem Holz getäfelt und erweckte den Eindruck von Wohlstand. […]“
| GS IV, 429 f.; 1933
| T 52
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| 30
| 30
| Los Angeles, Ende März 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| In einer Arena fand unter meinem Befehl, die Hinrichtung einer großen Anzahl von Nazis statt. …
| Traum
| Adorno 2018, 33
| „Berlin; ich saß in einer Kutsche in höchst zweideutiger Mädchengesellschaft. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel. []“
| GS IV, 430 f.; 1933
| T 53 f.
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| 31
| 31
| Los Angeles, 2. April 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Gretel sagte mir: „ich weiß nun, wer der neue Geliebte von Y ist. …
| Noch einmal
| Adorno 2018, 33
| „Ich war im Traum im Landerziehungsheim Haubinda, wo ich aufgewachsen bin. Das Schulhaus lag in meinem Rücken und ich ging im Wald, der einsam war, nach Streufdorf zu. []“
| GS IV, 435; ca. 1933
| T 55
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| 32
| 32
| Los Angeles, 8. Juni 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Ich träumte, Agathe und Maria erzählten mir gemeinsam, in heller Begeisterung, die neueste Louische-Geschichte. …
| Brief an die holländische Malerin Toet Blaupot ten Cate (1902-2002) aus dem Sommer 1934
| Adorno 2018, 33
| „[…] Sie sehen, auch mein Sommer stellt einen bedeutenden Kontrast gegen den letzten dar. Damals konnte ich – wie das meist der Ausdruck eines ganz erfüllten Daseins ist – nicht früh genug aufstehen. []“
| GS VI, 812; 1934
| T 56
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| 33
| 33
| Los Angeles, 1. August 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Ich sollte wieder einmal – gleich dem Pierrot lunaire – hingerichtet werde. …
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| Adorno 2018, 34
| „6 März [1938] In den letzten Nächten habe ich Träume, die meinem Tag tief eingeprägt bleiben. Heute nacht war ich im Traum einmal in Gesellschaft. []“
| GS VI, 532 f.
| T 57 f.
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| 34
| 34
| Los Angeles, 10. August 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Mit Luise Rainer nahm ich an einer Art Presseball in Europa teil. …
| -
| Adorno 2018, 34-35
| „28 Juni [1938] Ich befand mich in einem Labyrinth von Treppen. Dieses Labyrinth war nicht an allen Stellen gedeckt. []“
| GS VI, 533 f.
| T 59
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| 35
| 35
| Los Angeles, 26. August 1944
| Einzelne Träume (1929-1939)
| Ich träumte, ich rasierte mich mit einem ebenso einfachen wie merkwürdigen Apparat. …
| Rêve du 11/12 octobre 1939 – Brief an Gretel Adorno
| Adorno 2018, 35-36
| „ma très chère, j’ai fait cette nuit sur la paille un rêve d‘une beauté telle que je ne résiste pas à l’envie de la raconter à toi. Il y a si peu de choses belles, voire agréables, dont je puis t’entretenir. []
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„Meine Teuerste, ich hatte gestern nacht auf dem dürftigen Strohbett einen Traum von solcher Schönheit, daß ich dem Wunsch nicht widerstehen kann, ihn Dir zu erzählen. Es gibt ja sonst so wenig schöne, wenigstens erfreuliche Sachen, über die ich mit Dir reden könnte. […]
| 36
| Adorno/Benjamin 2005, 390-393; ein Ausschnitt des Traums in französischer Sprache auch in: GS VI, 540-542
| Los Angeles, 3. September 1944
| T 60-66
| Ich konnte, über traurigen und enttäuschten Gedanken lange nicht einschlafen. Ein Auto raste am Haus vorbei, ich hörte noch das Knirschen der Bremsen, als es den San Vincente Boulevard erreichte. …
| Adorno 2018, 36-37
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| 37
| Berkeley, 17. Oktober 1944
| Nachträglich von einer Postkarte an Gretel transcribiert. Ich befand mich in Gesellschaft mit mehreren Mitgliedern der Familie Guermantes: Oriane, Charlus und der Princesse. …
| Adorno 2018, 37
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| 38
| Bruchstücke, Los Angeles, Oktober 1944
| In einer großen Gesellschaft war Trotzky zugegen, Zentrum einer jüngerhaften Gruppe, zu der er lebhaft dozierend und ziemlich autoritär sprach. …
| Adorno 2018, 38
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| 39
| Los Angeles, 23. November 1944
| Ein Satz: „Der Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts ist Lujche.
| Adorno 2018, 38
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| 40
| Los Angeles, 20. Januar 1945
| Wieder ein Bordelltraum. Er spielte in Paris. …
| Adorno 2018, 38-41
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| 41
| Los Angeles, 31. März 1945
| Nachdem durchs Radio die Aufforderung Eisenhowers zur Niederlegung der deutschen Waffen durchgegeben war, schlief ich nachmittags und träumte: ich war in Süddeutschland, einem großen Erkerzimmer, das auf einen Marktplatz ging, in Würzburg oder Amorbach. …
| Adorno 2018, 42
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| 42
| Los Angeles, 14. Juli 1945
| Hinrichtungsszene. Ob die Opfer Faschisten oder Antifaschisten waren, blieb unklar. …
| Adorno 2018, 43
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| 43
| Los Angeles, 17. August 1945
| Ein sehr schwarzer Freitag. Vor Wochen hatte ich den Traum geträumt, und was ich träumte, schien mir so entscheidend, als hinge alles davon ab und als wäre ich bis ins innerste Geheimnis der Vergeblichkeit der Existenz gedrungen. …
| Adorno 2018, 44-45
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| 44
| Nachtrag zu diesem Traum
| Häufig träumte ich etwas sehr Verwandtes über Paris. Ich gehe weit draußen am linken Seineufer spazieren. …
| Adorno 2018, 45
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| 45
| Los Angeles, 19. September 1945
| Mein Vater fragte mich: weißt du auch, woher der Name Dreyfus kommt. …
| Adorno 2018, 46
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| 46a
| Los Angeles, 6. Oktober 1945
| Zwei Träume, die aufeinander folgten. L.L. hatte ein zweites Kind, ein Töchterchen. …
| Adorno 2018, 46-47
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| 46b
| Los Angeles, 6. Oktober 1945
| Der zweite, viel wirrere Traum: es sollte eine Art akademische Feier für einen Historiker oder Politiker stattfinden. …
| Adorno 2018, 47-48
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| 47
| Los Angeles, 14. Oktober 1945
| Es war eine kleine Gesellschaft bei Dieterles, hufeisenartig gedeckt, so daß in der Mitte ein ziemlich großer Raum frei blieb. …
| Adorno 2018, 48-49
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| 48
| Los Angeles, 29. Oktober 1945
| Besuch bei Anatole France. Ein äußerst eleganter Fahrstuhl – schwarz wie Ebenholz – brachte mich zu dessen Zimmer, oder Bureau. …
| Adorno 2018, 50-51
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| 49
| Los Angeles, 4. Februar 1946
| In einer offenbar mit Krankheit zusammenhängenden, schweren Beklemmung. Ich nahm am Abschied Lavals vor seiner Hinrichtung teil, in einer größeren Gruppe. …
| Adorno 2018, 51-52
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| 50
| Berkeley, 24. März 1946
| In der Nacht, die der entscheidenden Auseinandersetzung mit Charlotte voranging, hatte ich einen Traum. Im Erwachen hielt ich dessen letzte Worte fest: „Ich bin der Märtyrer des Glücks.“
| Adorno 2018, 52
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| 51
| Los Angeles, 18. Februar 1948
| Ich besäße ein voluminöses illustriertes Prachtwerk über den Surrealismus, und der Traum war nichts anderes als die genaue Vorstellung einer der Illustrationen. …
| Adorno 2018, 52-53; ebenso Adorno 2003, 576-577
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| 52a
| Los Angeles, 14. März 1948
| Ich hatte am Abend recht viel getrunken und wußte, daß ich auf den Sonntag mich ausschlafen konnte. So war es eine traumreiche Nacht. …
| Adorno 2018, 53
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| 52b
| Los Angeles, 14. März 1948
| Viel bedenklicher ein zweiter Traum. Mir war ein Kind, ein etwa zwölfjähriger, entzückender Knabe, zur Folter zur Verfügung gestellt. …
| Adorno 2018, 54
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| 53
| Los Angeles, 26. September 1948
| Wir waren bei Sch. zum Essen eingeladen, das auf einer schmalen Terrasse vor dem Haus stattfand. …
| Adorno 2018, 54-55
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| 54
| Los Angeles, September 1948
| In der Emigration träumte ich immer wieder, mit Variationen: es war zuhause in Oberrad, schon unterm Hitlerregime. …
| Adorno 2018, 55-56
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| 55
| Los Angeles, 1. Oktober 1948
| Ein Ball oder Fest, doch schien es mir, ich befände mich allein auf der Tanzfläche. …
| Adorno 2018, 56-57
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| 56
| Los Angeles, 6. Dezember 1948
| Um 8.20 wurde ich durchs Schellen eines Rechtsanwalts geweckt, wegen unserer eviction. Ich war mitten im Traum. Wir waren in einer kleinen süddeutschen oder hessischen Stadt, parkten das Auto in der Hauptstraße, ich ging in die Nebenstraße, fand ein unbeschreiblich schönes altes Rathaus. …
| Adorno 2018, 57
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| 57
| Frankfurt, Sommer 1952
| Ich gehörte einem Gremium an, das entscheiden sollte, ob die barocken Texte mancher Choräle so exzentrisch seien, daß sie heute nicht länger mehr gesungen werden könnten. …
| Adorno 2018, 58
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| 58
| Frankfurt, 24. Januar 1954
| Ferdinand Kramer habe sich ganz der Malereizugewandt und eine neue Gattung erfunden, die „praktikable Malerei“. …
| Adorno 2018, 58; ebenso in Adorno 2003, 577
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| 59
| Frankfurt, Januar 1954
| Ich hörte Hitlers unverkennbare Stimme aus Lautsprechern tönen mit einer Ansprache: „Da gestern meine einzige Tochter einem tragischen Unglücksfall zum Opfer gefallen ist, so ordne ich zur Sühne an, daß heute sämtliche Züge entgleisen.“ …
| Adorno 2018, 59; ebenso in Adorno 2003, 577
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| 60
| Hamburg, Mai 1954
| Traum in einer Nacht, in der ich glaubte, meine Adern anschwellen und verhärten zu fühlen bis zum Platzen. Irgendwelche kleinen und ekelhaften Tiere verübten Unfug. …
| Adorno 2018, 59
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| 61
| 30. Juli 1954
| Ich träumte von L. Sie saß mir sehr elegant, aber totenblaß gegenüber. …
| Adorno 2018, 59-60
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| 62
| Locarno, 30. August 1954
| Der heilige Carl Borromäus habe versucht, dem Gekreuzigten in den After zu kriechen. …
| Adorno 2018, 60-61
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| 63
| Frankfurt, 10. September 1954
| Ich träumte, ich hätte an einer theologischen Diskussion teilgenommen, auch Tillich war dabei. …
| Adorno 2018, 61
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| 64
| 20. März 1955
| Ich spielte, wie als kleines Kind, Klavier auf einer Tischplatte. …
| Adorno 2018, 61-62
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| 65
| 1. April 1955
| Dem eigentlichen Traum voran ging ein etwas wirrer über besonders schöne alte Häuser in Paris oder Wien. …
| Adorno 2018, 62-63
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| 66
| 16. Juni 1955
| Zwei riesige schwarze Triceratopse, wie aus Plastics, wütende, mir unsympathische und schauerliche Tiere. …
| Adorno 2018, 63
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| 67
| 5. September 1955
| Das Leben ist der Mythos. …
| Adorno 2018, 63
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| 68
| Stuttgart, September 1955
| In einer der Nächte in S. träumte ich: die qualvollste Hinrichtungsart – offenbar mir bestimmt – wäre es, bis zum Kopf in Wasser zu stehen und gleichzeitig geröstet zu werden. …
| Adorno 2018, 64
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| 69
| Frankfurt, Ende Oktober 1955
| Ich sollte – wohl als Schauspieler – an einer Aufführung des Wallenstein mitwirken, nicht auf der Bühne, aber in einem Film - oder Fernsehprogramm. …
| Adorno 2018, 64; ebenso in Adorno 2003, 577-578
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| 70
| Frankfurt, 12. November 1955
| Ich träumte, ich müsse das soziologische Diplomexamen machen. …
| Adorno 2018, 65; ebenso in Adorno 2003, 578
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| 71
| 28. November 1955
| Ich hatte einen fürchterlichen Krach mit meiner Mutter, die gesagt hatte, sie wäre nicht verpflichtet, mich materiell zu erhalten. …
| Adorno 2018, 66
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| 72
| 9. Januar 1956
| Ich erinnere mich an einen Komplex: In einer mittleren Großstadt fuhr ich vom Bahnhof in ein bestimmtes Viertel, auf einem Weg, der mir sehr bekannt schien. …
| Adorno 2018, 66
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| 73
| 24. Januar 1956
| Nach einem Tag von jäher Hoffnung und tiefster Depression: Ich war im Freien, unter einem unbeschreiblich schwarz und wild bewölkten Himmel. …
| Adorno 2018, 66-67
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| 74
| Frankfurt, 18. November 1956
| Ich träumte von einer fürchterlichen Hitzekatastrophe. …
| Adorno 2018, 67; ebenso in Adorno 2003, 578
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| 75
| Frankfurt, 9. Mai 1957
| Mit G. hörte ich in einem Konzert ein großes Vokalwerk – wohl mit Chor. …
| Adorno 2018, 67; ebenso in Adorno 2003, 579
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| 76
| 7. Juni 1957
| Ich träumte, ich wäre in einem KZ. …
| Adorno 2018, 68
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| 77
| 25. Juni 1957
| Ich sollte wieder einmal gekreuzigt werden. …
| Adorno 2018, 68
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| 78
| Sils-Maria, 23. August 1957
| In der Aula der Universität sollte ein Konzert stattfinden, doch war es gar nicht die Aula sondern ein rot verblichener Musiksalon. …
| Adorno 2018, 68-69
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| 79
| Sils-Maria, 21. August 1958
| Im Museumskonzert in Frankfurt. Es sollte das Violinkonzert von Brahms gespielt werden, aber von dem Pianisten Serkin. …
| Adorno 2018, 69-70
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| 80
| Mitte September 1958
| Tagesrest: ich war vom Direktor meines Gymnasiums, jetzt Freiherr vom Stein-Schule, eingeladen worden, etwas zur Festschrift beim Anlaß ihres 50-jährigen Bestehens beizusteuern. Traum: bei einer Zeremonie wurde mir feierlich die musikalische Gesamtleitung des Gymnasiums übertragen. …
| Adorno 2018, 70
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| 81
| 28. Januar 1959
| Ich war in einem kleinen runden sehr hohen Raum. Weniger Personen saßen im Kreis: die Mächtigsten der Welt. …
| Adorno 2018, 71
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| 82a
| Frankfurt, Ende Dezember 1959
| Hinrichtungstraum. Enthauptung. Nicht entschieden, ob mir der Kopf abgeschlagen, ob ich guillotiniert werden sollte, doch streckte ich ihn wohl, um still zu halten, in eine Rille. …
| Adorno 2018, 71
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| 82b
| Frankfurt, Ende Dezember 1959
| Ich muß im Schlaf einen starken Drang zum Urinieren gefühlt haben. …
| Adorno 2018, 72
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| 83
| 16. Juni 1960
| In der Nacht vor der Abreise [nach Wien] träumte ich: daß ich von der metaphysischen Hoffnung nicht ablassen mag, ist gar nicht, weil ich so sehr am Leben hinge, sondern weil ich mit G. erwachen möchte.
| Adorno 2018, 72-73
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| 84
| Wien, 26. Juni 1960
| In der vorletzten Nacht träumte ich: es hätte an einem Tag tiefste Nacht geherrscht, zum ersten Mal seit Erschaffung der Welt wäre die Sonne nicht aufgegangen. …
| Adorno 2018, 73
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| 85
| Frankfurt, 10 Oktober 1960
| Kracauer erschien mir: Mein Lieber, ob wir Bücher schreiben, ob sie gut oder schlecht sind, ist doch ganz gleichgültig. …
| Adorno 2018, 73; ebenso in Adorno 2003, 579
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| 86
| Frankfurt, 13. April 1962
| Ich sollte ein Examen machen, mündliche Prüfung in Geographie, allein aus einer großen Zahl von Examinanden; wohl in der Universität. …
| Adorno 2018, 74-76; ebenso in Adorno 2003, 579-581
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| 87
| Frankfurt, 18. September 1962
| Ich hielt ein Exemplar der gedruckten Passagenarbeit von Benjamin in Händen, sei es, daß er sie doch vollendet, sei es, daß ich sie aus den Entwürfen rekonstruiert hatte. …
| Adorno 2018, 76; Adorno 2003, 581
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| 88
| 18. Oktober 1963
| Kurz vor seinem Tod lernte ich Jean Cocteau kennen. …
| Adorno 2018, 77
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| 89
| Baden-Baden, 25. März 1964
| Ein Psychotherapeut wollte in einem sehr großen Hotel einen Vortrag aus seinem Sachgebiet über Schubert halten. …
| Adorno 2018, 77
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| 90
| Frankfurt, 19. Juli 1964
| Ich träumte, Scholem habe mir eine altnordische Sage erzählt. …
| Adorno 2018, 78
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| 91
| Sils-Maria, 4. September 1964
| (Kurz vorm Erwachen) Ich hatte einen sechsstündigen Schulaufsatz über Goethe zu schreiben. …
| Adorno 2018, 78
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| 92
| 22. Dezember 1964
| Einladung bei dem Konsul Schubert, aber nicht in dessen Prunkvilla, sondern in einer eher bescheidenen bürgerlichen Etagenwohnung, etwa wie die meines Onkels Louis auf der Eschersheimer Landstraße. …
| Adorno 2018, 79
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| 93
| Frankfurt, Dezember 1964
| Die Welt sollte untergehen. Ich befand mich in frühester Morgendämmerung, in grauem Halbdunkel, unter einer größeren Menschenmenge auf einer Art Rampe, am Horizont Hügel. …
| Adorno 2018, 79-80; ebenso in Adorno 2003, 581
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| 94
| Frankfurt, Juli 1965
| Mein Arzt hatte mir ein paar Furunkel aufgeschnitten. Ich träumte, er hätte ihnen auf einer Rechnung Namen gegeben. …
| Adorno 2018, 80
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| 95
| Frankfurt, Juli 1965
| Kolisch forderte mich auf, zur Hinrichtung eines Bekannten im elektrischen Stuhl mitzukommen, als eine Art Ehrung für den Delinquenten und zugleich als Protestaktion. …
| Adorno 2018, 80-81
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| 96
| Frankfurt, 22. März 1966
| Ich träumte, Peter Suhrkamp habe ein großes kulturkritisches Buch geschrieben – auf plattdeutsch. …
| Adorno 2018, 81; ebenso in Adorno 2003, 581
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| 97
| März 1966
| In einer Fakultätssitzung wurde ich gebeten, hinauszugehen, weil über mich gesprochen würde. …
| Adorno 2018, 82
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| 98
| Rom, Oktober 1966
| In Rom in einem großen schönen Hotelzimmer, mit Gretel. Mit Schrecken bemerkte ich, daß im Haus nahe gegenüber, in einem Giebeldreieck, zahllose Wesen versammelt waren, zwischen Lumpenproletarieren und Mißgeburten, etwa auch kahle Köpfe direkt mit Fangarmen, genau wie ich sie einmal als auf dem Boden mich bedrohende geträumt hatte. …
| Adorno 2018, 82
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| 99
| Frankfurt, Februar 1967
| Ich wollte meinen juristischen Doktor machen, hatte mir auch ein Thema ausgedacht, von dem mir schien, daß es mir gemäß sei. …
| Adorno 2018, 83; ebenso in Adorno 2003, 581-582
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| 100
| März 1967
| Träume von Toten, in denen man das Gefühl hat, daß sie einen um Hilfe bitten. …
| Adorno 2018, 83
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| 101
| 14. April 1967
| A. sagte mir: ich bin jetzt 30 Jahre alt, aber ich sehe 28 Jahre jünger aus.
| Adorno 2018, 83
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| 102
| Crans, 12. August 1967
| Ich träumte, ich sei mit meiner 87 jährigen Mutter zusammen. Sie war, auch geistig, recht gut im Schuß, nur maßlos eigensinnig. …
| Adorno 2018, 84
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| 103
| 27. November 1967
| Ich fühlte mich sehr schlecht. Aufgewacht mit einem Sprichwort, das mir sehr tiefsinnig schien: „Nur wenn die Hunde scharf sind, sind die Einwohner treu.“
| Adorno 2018, 84
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| 104a
| 17. Dezember 1967
| Ich hatte eine unbeschreiblich schöne und elegante Geliebte, sie erinnerte an A., hatte aber etwas von der Dame der großen Gesellschaft, ich war überaus stolz auf sie. …
| Adorno 2018, 84-85
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| 104b
| 17. Dezember 1967
| Der Mond sollte auf die Erde fallen. …
| Adorno 2018, 85
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| 105
| München, 28. Oktober 1968
| Am Eingang zu einem Konzert traf ich mit größter Freude, aber auch großem Erstaunen, Steuermann; denn ich wußte, er war tot. …
| Adorno 2018, 85
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| 106
| Recklinghausen, 16. März 1969
| A. kam in tiefster Nacht zu mir ins Bett. …
| Adorno 2018, 86
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| 107
| 29. März 1969
| Ich träumte, ich hätte – nach zwei Monaten des Schweigens – einen Brief von A. bekommen. …
| Adorno 2018, 86
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| 108
| Baden-Baden, 11. April 1969
| Ich ging nachts über eine sehr großstädtische Straße, vielleicht den Kurfürstendamm. …
| Adorno 2018, 86
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| 109
| Baden-Baden, 12. April 1969
| Ich besprach mit A. den Plan, mit ihr gemeinsam mir das Leben zu nehmen. …
| Adorno 2018, 87
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Es sind keine Pläne Adornos bekannt, die mit dieser Sammlung vorgelegten Traumprotokolle in irgendeiner Art zu kommentieren oder eigene Deutungsversuche anzubieten (Reemtsma in Adorno 2018, 93).


==Themen, Motive und Deutungen==
==Themen, Motive und Deutungen==
Das inhaltliche Spektrum der aufgezeichneten Träume Benjamins ist recht breit und die präsentierte Sammlung weist nur wenige wiederkehrende Traummotive auf. Zuweilen handelt es sich bei den Traumaufzeichnungen nur um kurze Traumszenen, manchmal um längere Traumerzählungen, in denen heitere Trauminhalte, Alp- oder Angstträume, ein Traum vom eigenen Selbstmord mit einem Gewehr (Nr. 4 in der Liste oben), Träume mit Wortwitz oder ungewöhnlichen Wortbildungen (z. B. Nrn. 3, 5, 9), Träume vom Mond und den Sternen (z. B. Nrn. 6, 16, 17) oder auch erotische Trauminhalte (z. B. in Nrn. 27, 28, 33, 35) eine Rolle spielen und die häufig auf den Augenblick des Erwachens ausgerichtet erscheinen (Lindner, T 145). Das Erwachen aus dem Traum spielt bei Benjamin eine bedeutende Rolle und dient sowohl der Gewinnung von Erkenntnissen über die „Wachwelt“ als auch über den Traum, der insbesondere „Gewesenes“ reflektiert (Goebel 2007, 588) und somit eine „geschichtliche Struktur“ darstellt (Maeding 2012, 13). Lindner spricht hier vom „Auftauchen von Erinnerungen, über die das bewußte Ich nicht verfügt, im Traum selbst“ (Lindner, T 146). Dazu schreibt Benjamin z. B. in seinem Passagen-Werk: „Das Jetzt der Erkennbarkeit ist der Augenblick des Erwachens“ (GS V, 608).


In Adornos ''Traumprotokollen'' treten verschiedene Themen und Motive in unterschiedlichen Typen von Träumen auf, häufig in Form von Alp- oder Angstträumen oder zuweilen auch libidinösen Träumen. Häufige Themen und Motive sind, u. a. Hinrichtungen (zum Beispiel die eigene, diejenige von Bekannten oder auch Hinrichtungen anderer unter eigenem Befehl), Bordellbesuche, Examen bzw. Prüfungen, Wortspiele und kreative Sprachschöpfungen, Spott und Hohn, Wunscherfüllung und Versagung im Zusammenhang mit seiner Mutter und seiner Tante Agathe („zweite Mutter“), „Träume von Toten, in denen man das Gefühl hat, daß sie einen um Hilfe bitten“, Dinosaurier (insb. Triceratops und Ankylosaurus), übermäßiger Harndrang, Folter, Konzentrationslager, Weltuntergang und Naturkatastrophen (z. B. eine Hitzekatastrophe) oder der Tod seines Freundes und Kompositionslehrers Alban Berg (Halley 1997, 61; Stephan 2008, 9; Schünemann 2012; Reemtsma in Adorno 2018, 111ff.; Müller-Doohm 2019, 19-22).
Benjamins Traumaufzeichnungen sind geprägt von seiner Absicht, „die Besonderheit und den Geheimnischarakter des Traums“ zu bewahren, weshalb er in der Regel keine Selbstanalysen oder Analysen der Traumbotschaften mitliefert und die Träume somit häufig „rätselhaft“ bleiben. Aus diesem Grund sperren sie sich tendenziell auch gegen Versuche psychoanalytischer Annäherungen (Lindner, T 144). Lindner stellt allerdings verschiedene Phänomene und Entwicklungen innerhalb des Korpus von Benjamins Traumaufzeichnungen fest, die interessante Rückschlüsse oder Deutungen bezüglich seiner eigenen Entwicklung zulassen und gleichzeitig spannende Fragen aufwerfen. So zeigt sich z. B. dass „die Träume aus der ‚Berliner Kindheit‘ und der ‚Berliner Chronik‘ zumeist in der Räumlichkeit der Elternwohnung oder der Schule angesiedelt sind“, während sich „die späteren Träume oftmals auf der Straße oder im Freien“ abspielen, oder dass Benjamin über den Zeitraum der Aufzeichnung seiner Träume (1928-1939) trotz des zunehmenden Einflusses des Nationalsozialismus in Deutschland bzw. der schließlich herrschenden NS-Diktatur in den vorhandenen Traumaufzeichnungen kaum auf die politische Lage eingeht (Lindner, T 145 f.).


Während Reemtsma im Nachwort zur Separatausgabe der Traumprotokolle Sinn und Unsinn des psychoanalytischen Deutens der Traumprotokolle diskutiert („Doch welcher Art wäre die Deutungskunst, die hier die normativen Vorgaben machen sollte? Die Psychoanalyse, die jedem, auch dem, der sich wer-weiß-was-für-Vorstellungen davon macht, als erste einfällt, wäre gerade, und zwar auf Grund ihrer eigenen technischen Verfahrensregeln, durchaus nicht zuständig. Die psychoanalytische Deutung eines Traums ist ein dialogischer Prozeß zwischen zwei Menschen, in dem die Mitteilung der Assoziationen desjenigen, der den Traum berichtet, eine entscheidende Rolle spielt“, Reemtsma in Adorno 2018, 108ff.), werden die Träume Adornos in verschiedenen Beiträgen dennoch unter Berücksichtigung psychoanalytischer Ansätze detaillierter gedeutet.
Offensichtlich ist, dass verschiedene Motive in Benjamins Traumaufzeichnungen zuweilen durch Biographisches bzw. Privates geprägt sind. Vor dem Hintergrund seines Engagements in der damaligen Jugendbewegung beschreibt er z. B. den Traum von einer Schülerrevolte (Nr. 2). Eine weitere Traumaufzeichnung berichtet von einem Spaziergang in der Gegend des Ortes Haubinda in Thüringen, in der er einen Teil seiner Schulzeit verbrachte (Nr. 31). Auch die Traumaufzeichnung „Das Gespenst“ (Nrn. 12 und 13, verschiedene Versionen mit alternativen Enden) hat einen direkten autobiographischen Hintergrund. In Bezug auf die letztgenannte Traumaufzeichnung lässt sich ein bedeutendes Motiv identifizieren, der 'Traumverrat' (Abschnitt 1). Dieser Traum stammt aus Benjamins Kindheit und erzählt vom nächtlichen Besuch eines Gespenstes, das Gegenstände im Elternschlafzimmer der Familie Benjamin stiehlt, und von einem in der Folgenacht stattfindenden Einbruch einer „vielköpfigen Einbrecherbande“ in das Haus der Familie Benjamins (Lindner, T 143). Während das Traum-Ich in der ersten Fassung (Nr. 12) stolz ist auf seinen Traum mit prophetischem Charakter und die Möglichkeit, ihn zu erzählen („Es machte mich stolz, daß man mich über die Ereignisse des Vorabends ausfragte […]. Noch stolzer aber machte mich die Frage, warum ich meinen Traum, den ich als Prophezeiung, natürlich nun zum besten gab, verschwiegen hätte“, T 22), so wird am Ende der zweiten Version (Nr. 13) der Schrecken des Traum-Ichs über den 'Verrat' des eigenen Traumes deutlich: „Auch mich verwickelte man in den Vorfall. Zwar wußte ich nichts über das Verhalten des [Dienst-]Mädchens, das am Abend vor dem Gittertor gestanden hatte; aber der Traum der vorvergangenen Nacht schuf mir Gehör. Wie Blaubarts Frau, so schlich die Neugier sich in seine abgelegene Kammer. Und noch im Sprechen merkte ich mit Schrecken, daß ich ihn nie hätte erzählen dürfen“ (T 24 f.).
Darüber hinaus ist auch die Begegnung des Träumenden mit sich selbst im Traum von großer Bedeutung bei Benjamin, da der Traum „prägnante Bilder des Selbst erzeugen und das Dunkel des Ichs blitzartig aufhellen“ kann (Lindner, T 148). Benjamin hat in der Sammlung „Selbstbildnisse des Träumenden“ im Traum auftretende Charakterzüge des Traum-Ichs bildhaft beschrieben und in den jeweiligen Träumen mit entsprechenden Überschriften versehen, die den Charakter hervorheben bzw. präzise bezeichnen: der Enkel, der Seher, der Liebhaber, der Wissende, der Verschwiegene und der Chronist (Nr. 20-25).


Exemplarisch wird im Folgenden ein Beitrag von Leithäuser näher betrachtet. Leithäuser analysiert ausführlich zwei Traumprotokolle Adornos mithilfe eines „psychoanalytisch orientierten tiefenhermeneutischen“ Textinterpretationsansatzes basierend auf der „Freudschen Deutungsmethode, wie er sie in der ‚Traumdeutung‘ und den ‚Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse‘ sowie ‚Neue Folge der Vorlesung‘ erörtert hat.“ (Leithäuser 2007, 1 bzw. 8). Leithäuser zielt insbesondere darauf ab, den „gesellschaftlichen Gehalt“ von Adornos Träumen herauszuarbeiten. Es handelt sich dabei um die Träume Nr. 12 (Los Angeles, Ende Mai 1942: „Ich träumte, ich solle gekreuzigt werden.“, Leithäuser 2007, 9-17) und Nr. 91 (Sils-Maria, 4. September 1964: „(Kurz vorm Erwachen) Ich hatte einen sechsstündigen Schulaufsatz über Goethe zu schreiben.“, Leithäuser 2007, 17-22).
Ebenso bildhaft inszeniert und aus der Menge der anderen Traumaufzeichnungen aufgrund verschiedener Merkmale besonders hervortretend ist der Traum Nr. 35 gemäß der obigen Liste, den Benjamin als Brief in französischer Sprache an Gretel Adorno adressierte und der Benjamins letzte bekanntgewordene Traumaufzeichnung darstellt (T 60-63, die deutschsprachige Übersetzung, T 63-66). Auffällig ist zunächst, dass Benjamin zu diesem Traum verschiedene Erläuterungen zur Einordnung des Traums und Kontextinformationen mitliefert. Des Weiteren ist die Traumaufzeichnung im Gegensatz zu den meisten anderen taggenau datiert (Lindner, T 149). Benjamin schickt dem eigentlichen Traumnotat im Brief folgendes voraus (T 63):


Bezüglich des ersten untersuchten Traums, einem Hinrichtungstraum, arbeitet Leithäuser unter anderem mögliche Deutungen zu den Ängsten Adornos, insbesondere seiner Todesangst im nationalsozialistischen Deutschland auf der Grundlage von enthaltenen Symbolen des beschriebenen „Kreuzigungsszenarios“ heraus: „Kreuz“ und „Hakenkreuz“, „Spaziergang durch Bockenheim“ und „Passionsweg Christi“, „Bockenheimer Warte“ und „Golgatha“ (Leithäuser 2007, 12), „Kreuzigung“ und „Hinrichtung, Mord, Vernichtung“ (Leithäuser 2007, 16). Außerdem betont er dabei zwei zentrale Mechanismen der Traumarbeit nach Freud, die bestimmend für den „manifesten Trauminhalt“ sind: die „Umsetzung von Gedanken in visuelle Bilder“ und „die Ersetzung ins Gegenteil“ (Leithäuser 2007, 13).
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
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: <span style="color: #7b879e;>„Rêve du 11/12 octobre 1939 – Brief an Gretel Adorno. Meine Teuerste, ich hatte gestern nacht auf dem dürftigen Strohbett einen Traum von solcher Schönheit, daß ich dem Wunsch nicht widerstehen kann, ihn Dir zu erzählen. Es gibt ja sonst so wenig schöne, wenigstens erfreuliche Sachen, über die ich mit Dir reden könnte. – Er gehört zu der Art von Träumen, die ich vielleicht alle fünf Jahre einmal träume und die um das Motiv des „Lesens“ kreisen. Teddie [Gretels Ehemann Theodor W. Adorno] wird sich erinnern, welche Rolle dieses Motiv in meinen erkenntnistheoretischen Reflexionen spielt. Der Satz, den ich zum Ende des Traums deutlich ausgesprochen habe, wurde auf französisch gesagt, so daß ein doppelter Grund besteht, den Traum Dir in der gleichen Sprache mitzuteilen. Der Arzt Dausse, der mich im Traum begleitet, ist ein Freund von mir; er hat sich, als ich an Malaria erkrankt war, sehr um mich gekümmert.“</span>
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In der Deutung des zweiten untersuchten Traums, eines Prüfungstraums, beschreibt Leithäuser die Unsicherheit und Ängste Adornos, ob er fähig sei, „die Aufgabe überhaupt zu bewältigen“ (Leithäuser 2007, 20), einen sechsstündigen Schulaufsatz über Goethe zu schreiben. Adorno schreibt dazu: „Sogleich war mir bewusst, dass ich einen Komplex auszusuchen hatte und zwar den zentralen. […] Während der Arbeit ergriff mich die Angst, ob ich in der zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt fertig werden könnte, und ob irgendein Lehrer fähig sei, den Aufsatz zu verstehen, so daß ich eine schlechte Note bekäme. Vor lauter Angst wachte ich auf.“ (Adorno 2018, 78). Die „Traumarbeit“ Adornos greife hier „zum Mittel der Verschiebung“ und „verschiebt die Unfähigkeit auf die Lehrer“ (Leithäuser 2007, 20), was aber in diesem Traum misslinge und Adornos überwältigende Ängste nicht davon abbringen kann, ihn „vor lauter Angst“ aufzuwecken.
Dann folgt die eigentliche Traumaufzeichnung, in der sich das Traum-Ich gemeinsam mit dem Arzt Dausse zunächst in einer Gesellschaft mehrerer Personen befand. Die beiden verließen irgendwann diese Gesellschaft und gelangten zu einer Ausgrabungsstätte, an der sie „seltsame, fast ebenerdige Liegen“ (T 63) vorfanden, welche die Form und Größe von Särgen aufwiesen und aus Stein gefertigt erschienen. Das Traum-Ich kniete sich vorsichtig auf eine solche Liege und stellte fest, dass sie ähnlich weich wie ein Bett und mit „moosigen Flechten und Efeu“ (T 64) bedeckt war. Die Liegen waren paarweise aufgestellt und das Traum-Ich suchte für sich und den Arzt zwei Liegen aus, merkte dann allerdings, dass diese schon belegt waren. Daraufhin setzten die beiden ihren Weg in einen scheinbar künstlich angelegten Wald fort, bis sie eine Schiffsanlegestelle erreichten, an der sie „drei oder vier“ Frauen antrafen, mit denen der Arzt „zusammenlebte“. Das Traum-Ich schildert ein befremdendes Gefühl darüber, dass der Arzt ihm die Damen nicht vorstellte und dass weiterhin beim Ausziehen und Ablegen seines Strohhutes, den es von seinem Vater geerbt hatte, dieser einen großen Schlitz aufwies und „dessen Ränder dazu noch rotfarbige Spuren trugen“ (T 64), woraufhin man für das Traum-Ich einen Sessel herbeibrachte. Das Traum-Ich beobachtete kurz darauf eine der Damen an einem Tisch, die bezüglich eines seiner Manuskripte, welches sie vom Arzt erhalten hatte, „in graphologische Studien vertieft“ war. An dieser Stelle, die den Kern seines Traumnotates preisgibt, heißt es weiterhin (T 65-66):


Die publizierte Sammlung von Adornos Traumprotokollen ermöglicht nicht nur aufgrund ihres Umfangs weitere spannende Deutungen und Interpretationen. Die vorliegende Literatur geht bisher nur auf einen überschaubaren Teil der aufgezeichneten Träume in detaillierter Form ein, weshalb sowohl für die Traum- als auch für die Adorno-Forschung noch erhebliches Erkenntnispotential aus der Betrachtung von Adornos Traumprotokollen vorliegt.
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
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: <span style="color: #7b879e;>„Mich versetzte diese Begutachtung in einige Unruhe, weil ich fürchtete, meine intimen Vorlieben könnten auf diese Weise entdeckt werden. Ich ging näher heran. Was ich erblickte, war ein mit bildlichen Zeichnungen gemustertes Stück Stoff. Hinsichtlich schriftgraphischer Elemente konnte ich einzig die oberen Partien des Buchstabens ‚d‘ genau erkennen. Sie verrieten in ihrer Langgezogenheit einen extremen Hang zur Spiritualität. Dieser Teil des Buchstabens war darüber hinaus mit einem kleinen blaugesäumten Segel ausgestattet, und dieses Segel blähte sich über dem Stoffmuster, als sei es von einer Brise erfaßt. Das war das einzige, was ich „lesen“ konnte – das übrige bestand aus undeutlichen Wellen- und Wolkenmotiven. Das Gespräch konzentrierte sich für kurze Zeit auf diese Handschrift. Ob es hierzu klare Meinungen gab, habe ich nicht in Erinnerung. Demgegenüber ist mir ganz gewiß, daß ich unvermittelt dazu wörtlich auf französisch sagte: „Il s’agissait de changer en fichu une poésie.“ (Es handelte sich darum, aus einem Gedicht ein Halstuch zu machen.) Ich hatte noch kaum diese Worte gesprochen, als etwas Beunruhigendes geschah. Unter den Frauen gab es, wie ich bemerkte, eine sehr schöne, die im Bett lag. Als sie meine Erklärung vernahm, machte sie blitzartig eine kleine Bewegung. Sie lüftete einen kleinen Zipfel des Deckbetts, in das sie eingehüllt war. In weniger als einer Sekunde hatte sie diese Geste vollzogen. Dies geschah nicht, um mich ihren Körper sehen zu lassen, sondern um mir das Muster ihres Bettlakens zu zeigen, das der Bilderschrift entsprechen sollte, die ich Jahre zuvor als Geschenk für Dausse „geschrieben“ haben mußte. Ich bin ganz sicher, daß die Dame diese Bewegung zu mir hin gemacht hat. Aber daß ich dies wußte, beruhte auf einer Vision, einer Art zweiter Wahrnehmung. Denn meine Augen blickten anderswohin, und ich sah nichts von dem, was das für mich so flüchtig aufgedeckte Bettlaken hätte zeigen können.“</span>
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<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div>
Nach Abschluss dieser Traumbeschreibung erläutert Benjamin schließlich in seinem Brief an Gretel Adorno: „Nachdem ich diesen Traum gehabt hatte, konnte ich stundenlang nicht wieder einschlafen. Nämlich vor Glück. Ich schreibe Dir, um Dich an diesen Stunden teilhaben zu lassen“ (T 66).


==Literatur==
Benjamins erklärt zu Beginn der Traumaufzeichnung, dass der Traum „um das Motiv des Lesens“ kreise. Zudem ist bezüglich der Situation, in der er diesen Traum notierte, festzuhalten, dass er sich zu dieser Zeit nicht nur im französischen Exil, sondern auch mit anderen deutschen Flüchtlingen in einem französischen Internierungslager, dem Château de Vernuche in Varennes-Vauzelles im Département Niévre, befand (Derrida 2002) und plante, bei der nächstmöglichen Gelegenheit in die USA zu flüchten (Lindner, T 149). Im Traum begegnet dem Traum-Ich eine alte, von ihm selbst erstellte Handschrift. Diese kann er im Traum zweimal, d. h. in zwei verschiedenen Situationen, erkennen, nämlich als „ein mit Bildern bedecktes Stück Stoff“, das von einer Dame „graphologisch“ studiert wird, sowie als Betttuch, das sichtbar wird, als eine in einem Bett liegende, „sehr schöne“ Frau ihre Bettdecke kurzzeitig anhebt (Lindner, T 150). Bezüglich der Textinhalte des Manuskriptes, welches das Traum-Ich zu sehen bekommt, kann es nur ein einziges Zeichen (Lindner, T 150), nämlich das „obere Ende des Buchstabens ,d'". erkennen, an dem ein kleines blaugesäumtes und sich im Wind blähendes Segel angebracht ist. Lindner stellt fest, dass es sich bei diesem Bild um ein Selbstzitat Benjamins handelt: „Mehrere der erkenntnistheoretischen Notate aus der Passagenarbeit zum Begriff der „Rettung“ kreisen um die Metapher vom „Wind des Absoluten in den Segeln des Begriffs“. Der in einer fast ausweglosen Extremsituation Denkende will diesen Wind nutzen. ‚Worte sind seine Segel. Wie sie gesetzt werden, das macht sie zum Begriff.‘ ([GS] V, 591)“ (Lindner, T 150). Vor dem Hintergrund der Kenntnis dieses Selbstzitates ergebe sich Benjamins am Ende des Traums und nach dem Aufwachen empfundenes Glück also aus der Hoffnung auf Rettung aus seiner ausweglosen Situation, dem Hinweis im Traum, dass sich seine Segel mit Wind füllen und ihm ein Ausweg in Aussicht gestellt wird.
===Ausgaben===
Deutsche Erstausgabe:
*Adorno, Theodor W.: Traumprotokolle. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005.


Übersetzungen:
Eine andere mögliche Lesart des Traumes beziehungsweise einen anderen, etwas weniger hoffnungsvollen Interpretationsansatz stellte Jacques Derrida vor, in dessen Rahmen insbesondere die Mehrdeutigkeit des Begriffs „fichu“ eine zentrale Rolle spielt. In seiner Rede zur Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises, den Derrida am 22. September 2001 in Frankfurt erhielt (Derrida 2002), konzentrierte sich Derrida insbesondere auf den von Benjamin in französischer Sprache geäußerten Satz: „Il s’agissait de changer en fichu une poésie.“ (Es handelte sich darum, aus einem Gedicht ein Halstuch zu machen.) Derrida erläutert darin, dass „le fichu“ zwar in seiner „augenfälligsten Bedeutung“ den „Schal, jenes Stück Tuch, das eine Frau sich schnell noch um ihren Kopf oder Hals schlingen mag“, bezeichnet, das Adjektiv „fichu“ hingegen „das Schlechte: das, was übel, verdorben, verloren, verdammt ist“ bedeuten kann. Derrida spekuliert in der beschriebenen Traumsituation, in der Benjamin lediglich den oberen Teil des Buchstabens „d“ erkennen kann, welcher „mit einem kleinen blau gesäumten Schleier versehen“ war und vom Wind erfasst wurde, über eine andere Selbstreferenzierung Benjamins, der persönliche Briefe häufig mit seinem mit dem Buchstaben „d“ beginnenden und von ihm in verschiedenen Kontexten verwendeten Pseudonym „Detlef“ signierte. „Von Benjamin zugleich gelesen und geschrieben, stünde dann der Buchstabe d für die Initiale seiner eigenen Signatur, als wollte Detlef sich zu verstehen geben: „Je suis le fichu“: „Ich bin dieses Halstuch“, ja als wollte er aus dem Camp de travailleurs volontaires, weniger als ein Jahr vor seinem Selbstmord, und wie jeder Sterbliche, der Ich sagt, in seiner Traumsprache zu sich sagen: „Moi, d, je suis fichu“: „Ich, d, bin fertig, mit mir ist es aus.“, ganz im Sinne einer geträumten „poetische[n] und vorausdeutende[n] Hieroglyphe“ (Derrida 2002). Der ungewöhnliche Umstand, dass Benjamin darauf bestand, den Traum in französischer Sprache aufzuschreiben, unterstützt Derridas Lesart zwar, da diese Interpretation nur ohne eine Übersetzung des zentralen und in französischer Sprache mehrdeutigen Wortes „fichu“ tatsächlich zugänglich ist, wie Derrida selbst argumentiert (Derrida 2002). Allerdings steht diese Auslegung inhaltlich dem von Benjamin geäußerten Glückgefühl zumindest teilweise entgegen. Dies wäre wiederum aber nicht der Fall, wenn Benjamin sein Glück allein aus der geheimnisvollen Vielschichtigkeit dieses spannenden Traumes gezogen und er den wenig hoffnungsvollen prognostischen Inhalt ignoriert hätte. Beide Auslegungen erscheinen zumindest plausibel und vor dem Hintergrund, dass neben anderen angebotenen Auslegungsmöglichkeiten keine eindeutig zu favorisierende Interpretation hervorsticht, bleibt diese Traumaufzeichnung, wie so oft bei Benjamin, ein faszinierendes, ambivalentes und schillerndes Gebilde, das verschiedene mögliche Zugänge anbieten kann und sich der Eindeutigkeit entzieht.


Englische Ausgabe:
Benjamins Traumaufzeichnungen haben in erheblichem Maße seine traumtheoretischen Reflexionen geprägt, die von Burkhardt Lindner als der zweite Teil des herausgegebenen Bandes „Träume“ unter dem Titel „Über die Traumwahrnehmung. Erwachen und Traum“ zusammengestellt wurden. Diese reichen von „kurzen Aphorismen über größere Darlegungen zur Traumliteratur und zur Geschichtlichkeit des Traums bis zur traumpolitischen Konzeption des Erwachens aus dem 19. Jahrhundert“ (Lindner, T 136). Obwohl sich bisher nur wenige Arbeiten dediziert und ausführlich mit Benjamins Traumaufzeichnungen auseinandersetzen, bergen diese interessante Deutungs-, Interpretations- und Erkenntnispotentiale nicht nur für die weitere Benjamin-Forschung. Auch für die kulturwissenschaftlich orientierte Traumforschung im Allgemeinen und die Erforschung traumbezogener Literatur des späten 19. und des 20. Jahrhunderts können Benjamins Aufzeichnungen spannende Ansatzpunkte und Perspektiven anbieten.
*Adorno, Theodor W.: Dream Notes. Edited by Christoph Gödde and Henri Lonitz. Afterword by Jan Philipp Reemtsma. Translated by Rodney Livingstone. Cambridge, UK: Polity Press 2007.


Französische Ausgabe:
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div>
*Adorno, Theodor W.: Mes rêves. Edité par Christoph Gödde et Henri Lonitz. Postfacier de Jan Philipp Reemtsma. Traduit de l’allemand par Olivier Mannoni. Paris: Stock 2007.


Italienische Ausgabe:
*Adorno, Theodor W.: Sui sogni. A cura di M. Ranchetti. Tradotto da A. Cecchi. Torino: Bollati Boringhieri 2007.


Spanische Ausgabe:
==Literatur==
*Adorno, Theodor W.: Sueños. Madrid: Ediciones Akal 2014.
===Ausgaben===
* Walter Benjamin: Träume. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Burkhardt Lindner. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008 (zitiert als: T).


Verwendete Taschenbuchausgabe:
''Übersetzungen'':
*Adorno, Theodor W.: Traumprotokolle. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Berlin: Suhrkamp 2018.
* Walter Benjamin: Rêves. Übers. von Christophe David. Paris: Gallimard 2009.
* Walter Benjamin: Sueños. Übers. von Juan Barjay und Joaquín Chamorro Mielke. Madrid: Abada Editores 2011.
* Walter Benjamin: Sogni. Roma: Castelvecchi 2016.
* Walter Benjamin: Dreams. Berlin: Bierke 2017.


Verwendete Ausgabe aus der Reihe der „Gesammelten Schriften“:
===Weitere Primärliteratur===
*Adorno, Theodor W.: Vermischte Schriften II. Aesthetica Miscellanea. Band 20.2. Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003.
*Adorno, Gretel/Walter Benjamin: Briefwechsel. Hg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005.
*Adorno, Theodor W.: Traumprotokolle. Hg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz, Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Berlin: Suhrkamp 2018.
*Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Band II: Aufsätze, Essays, Vorträge. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Suhrkamp 7. Aufl. 2019 (GS II).
*Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. IV: Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen. Hg. von Tillman Rexroth. Frankfurt/M.: Suhrkamp 6. Aufl. 2020 (GS IV).
*Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. V: Das Passagen-Werk. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt/M.: Suhrkamp 9. Aufl. 2020 (GS V).
*Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. VI: Fragmente, Autobiographische Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Suhrkamp 6. Aufl. 2020 (GS VI).
*Ježower, Ignaz: Das Buch der Träume. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein 1985 [zuerst 1928].


===Forschungsliteratur===
* Allerkamp, Andrea: Erwachen als historische Grenzerfahrung. Rudolf Leonhards und Walter Benjamins Traum-Theorien. In: Sarah Schmidt/Gerard Raulet (Hg.), Wissen in Bewegung. Theoriebildung unter dem Fokus von Entgrenzung und Grenzziehung. Berlin: LIT 2014, 115-129.
* Allerkamp, Andrea: Vom Traumkitsch zur Traumkritik. Benjamins kritische Theorie des Erwachens. In: Andrea Allerkamp/Pablo Valdivia Orozco/Sophie Witt (Hg.), Gegen/Stand der Kritik. Zürich, Berlin: Diaphanes 2015, 91-104.
* Bretas, Aléxia: Träume – Os sonhos de Walter Benjamin. In: Cadernos Walter Benjamin 2 (2009) 1, 1-11; [https://www.gewebe.com.br/pdf/os_sonhos.pdf online] (27.08.2021).
* Bubel, Sylvester: Poetiken der Epiphanie in der europäischen Moderne. Studien zu Joyce, Proust, Benjamin und Ponge. Würzburg: Königshausen & Neumann 2020 (Cultural Dream Studies 7).
* Chamat, Natalie: Also träumte Zarathustra. Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche und der Traum. In: Literaturstraße. Chinesisch-deutsche Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 18 (2017) 1, 65-94.
* Derrida, Jacques: Die Sprache des Fremden und das Räubern am Wege, in: Le Monde diplomatique, Nr. 6647 (11.01.2002), 12.  https://monde-diplomatique.de/artikel/!1131776, letzter Abruf: 04.04.2022.
* Friedlander, Eli: Walter Benjamin. Ein philosophisches Portrait. München: Beck 2012.
* Goebel, Rolf J.: Benjamins „Traumhäuser des Kollektivs“ heute. Textlektüre und globale Stadtkultur. In: Zeitschrift für Germanistik 17 (2007), 585-592.
* Humphreys, Franziska: Without Image — Refuge of all Images. On some of Walter Benjamin’s Dream Narratives. In: Orbis Litterarum 74 (2019), 32-43
* Lindner, Burkhardt: Anmerkungen. In: T 128-134.
* Lindner, Burkhardt: Benjamin als Träumer und Theoretiker des Traums. In: T 135-168.
* Maeding, Linda: Zwischen Traum und Erwachen. Walter Benjamins Surrealismus-Rezeption. In: Revista de Filología Alemana 20 (2012) 1, 11-28.
* Müller-Doohm, Stefan: Traumprotokolle. In: Richard Klein/Johann Kreuzer/Stefan Müller-Doohm (Hg.): Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2019, 19-22.
* Schiffermüller, Isolde: Benjamins Traum vom Lesen [T Nr. 35]. In: Peter Kofler/Ulrich Stadler (Hg.), Lesen, schreiben, edieren. Über den Umgang mit Literatur. Frankfurt/M., Basel: Stroemfeld 2016, 64-79.
* Schöttker, Detlev: Konstruktiver Fragmentarismus. Form und Rezeption der Schriften Walter Benjamins. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999.
* Sharvit, Gilad: Exile and Tradition. Benjamin’s Fichu Dream [T Nr. 35], Scholem’s Divine Law, and Kafka’s Village. In: The Germanic Review 92 (2017), 280–300.
* Weidmann, Heiner: Erwachen/Traum. In: Michael Opitz/Erdmut Wizisla (Hg.), Benjamins Begriffe. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2000, Bd. 1, 341-362


===Forschungsliteratur und weitere zitierte Literatur===
===Materialien===
*Fukuda, Daisuke: Epiphanies of the Other in Adorno’s nightmares. The sinthome in Traumprotokolle. In: Savoirs et Clinique 25 (2018) 2, 34-42., sowie die später datierte bzw. erschienene französische Übersetzung mit folgenden bibliographischen Angaben: Fukuda, Daisuke: Épiphanies de l'Autre dans les cauchemars de Theodor W. Adorno. La lecture du sinthome dans les Traumprotokolle. In: Savoirs et Clinique 25 (2019) 1, 34-42.
* [https://www.walter-benjamin.online/ Walter Benjamin Digital — Werke und Nachlass im digitalen Zugriff].
*Garcia Alves Júnior, Douglas: Os sonhos de Adorno. In: Argumentos 8 (2016) 16, 21-28.
 
*Gödde, Christoph und Lonitz, Henri: Editorische Nachbemerkung. In: Adorno, Theodor W. (2018): Traumprotokolle. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Berlin: Suhrkamp 2018, 88-89.
*Gritzner, Karoline: Thoughts Which Do Not Understand Themselves: On Adorno's Dream Notes. In: Daddario, Will und Gritzner, Karoline (Hrsg.): Adorno and Performance. London: Palgrave Macmillan 2014, 38-52.
*Halley, Anne: Theodor W. Adorno’s Dream Transcripts. In: The Antioch Review 55 (1997) 1, 57-74.
*Leithäuser, Thomas: Adornos Träume. In: Journal für Psychologie 15 (2007) 3, 1-24.
*Müller-Doohm, Stefan: Traumprotokolle. In: Klein, Richard; Kreuzer, Johann; Müller-Doohm, Stefan (Hrsg.): Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: J.B. Metzler 2019, 19-22.
*Reemtsma, Jan Philipp: Nachwort. In: Adorno, Theodor W. (2018): Traumprotokolle. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Berlin: Suhrkamp 2018, 91-120.
*Schünemann, Axel: "Das ist gar nicht er selbst" – Theodor W. Adorno träumt den Weltuntergang (Werner Heisenberg kommentiert). 2012. Online (letzter Abruf: 15.07.2021): http://www.axel-schuenemann.de/texte/heisenbergkommentiert.pdf
*Stephan, Inge: Einleitung. Literatur – Traum – Film. Zeitschrift für Germanistik 18 (2008) 1, 7-10.


===Rezensionen===
*Moser, Ulrich: Rezension „Adorno, Theodor W.: Traumprotokolle. Hg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort Jan Philipp Reemtsma. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 2005. 120 Seiten“ [zusammen mit anderen Rezensionen]. In: Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse 66 (2012) 9-10, 1031-1034.
*Müller-Doohm, Stefan: Lachend aufgewacht: Gefressen werden tut gar nicht weh. Online (letzter Abruf: 15.07.2021): https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/adorno-theodor-w-traumprotokolle-1235358.html




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Houy, Constantin: "Traumprotokolle" (Theodor W. Adorno). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2021; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Traumprotokolle%22_(Theodor_W._Adorno).
Houy, Constantin: "Traumaufzeichnungen" (Walter Benjamin). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2021; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Traumaufzeichnungen%22_(Walter_Benjamin).


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Aktuelle Version vom 18. November 2022, 11:24 Uhr

Die Traumaufzeichnungen von Walter Benjamin (1892-1940) sind eine von Burkhardt Lindner zusammengestellte Sammlung von mehr als dreißig verschiedenen ausgewählten Traumnotaten bzw. -berichten Benjamins mit Träumen aus den Jahren 1928 bis 1939. Die Sammlung stellt den ersten Teil des bei Suhrkamp erschienenen Bandes „Walter Benjamin: Träume“ dar (T 9-66) und „enthält in erreichbarer Vollständigkeit und zeitlicher Folge Benjamins Niederschriften eigener Träume“ (Lindner, T 136). Sie ermöglicht einen Einblick in Walter Benjamins Träume, die ein breit gestreutes inhaltliches Spektrum zeigen (Lindner, T 145) und häufig auch auf Biographisches verweisen, ohne dabei aber ein „verborgenes Psychogramm“ oder bisher Unbekanntes „über seine Beziehungen zu ihm nahestehenden Personen“ preiszugeben (Lindner, T 144). Zugleich dienen die Traumaufzeichnungen Benjamin als konstruktive Ressource zur bildhaften Entfaltung seines traumtheoretischen Denkens und seiner traumbezogenen Reflexionen (Bretas 2009, 1).


Walter Benjamin als Träumer

Walter Benjamin war ein deutscher Philosoph, Schriftsteller, Kunst-, Literatur- und Kulturkritiker sowie Publizist, dessen Werk - das auch aufgrund seines konstruktiv-fragmentarischen Charakters (Schöttker 1999, 9) und der anschaulichen sowie bildhaften Darstellungen seiner Gedanken häufig als so eigenwillig wie brillant betrachtet wird (Friedlander 2012, 7 ff. und 48 ff.) - sowohl im wissenschaftlichen als auch im kulturellen Bereich bis heute einen weitreichenden Einfluss ausübt. Benjamin hat neben seinen eigenen Beiträgen, z.B. zur Geschichtsphilosophie, zur Kunst- und Literaturkritik etc., auch Werke von Honoré de Balzac (1799-1850), Charles Baudelaire (1821-1867) und Marcel Proust (1871-1925) aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Er zählte zum erweiterten Mitgliederkreis der sogenannten Frankfurter Schule, u.a. aufgrund seiner Mitarbeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung, seiner Beiträge zur Zeitschrift für Sozialforschung, seines erheblichen Einflusses auf die Kritische Theorie und deren Entwicklung sowie aufgrund seiner Freundschaft und des intensiven Austauschs mit Theodor W. Adorno (1903-1969), der gemeinsam mit Benjamins langjährigem Freund Gershom Scholem (1897-1982) nach dem zweiten Weltkrieg Benjamins Werke veröffentlicht hat. Außerdem waren der inhaltliche Austausch und die freundschaftliche Beziehung zu Bertolt Brecht (1898-1956) von erheblicher Bedeutung für Benjamins Schaffen.

Obwohl Benjamin in dem 1925 verfassten Text Traumkitsch. Glosse zum Surrealismus Folgendes feststellte:

Es träumt sich nicht mehr recht von der blauen Blume. Wer heut als Heinrich von Ofterdingen erwacht, muß verschlafen haben. […] Der Traum eröffnet nicht mehr eine blaue Ferne. Er ist grau geworden. Die graue Staubschicht auf den Dingen ist sein bestes Teil. Die Träume sind nun Richtweg ins Banale (T 72-75, das Zitat 72 f.; GS II, 620-622, zusätzliche Anmerkungen auch in GS II, 1425-1428),

träumte er selbst „intensiv“ und „leidenschaftlich“ (Chamat 2017, 69), dokumentierte und publizierte allerdings nur eine vergleichsweise kleine Auswahl von Träumen. Benjamin entwickelte aus seinen Traumaufzeichnungen verschiedene für sein Werk grundlegende traumbezogene theoretische Überlegungen und Reflexionen und publizierte diese als einen Teil seiner Arbeit als Schriftsteller und Publizist (Lindner, T 135-137). Benjamins Art und Weise des Notierens von Trauminhalten unterscheidet sich fundamental von derjenigen, deren Grundprämisse es ist, dass Trauminhalte höchst flüchtig und deshalb direkt nach dem Aufwachen zu notieren seien. Dieser Auffassung ist z.B. Benjamins Kollege und Freund Theodor W. Adorno gefolgt: „Ich habe sie [die Träume] jeweils gleich beim Erwachen niedergeschrieben und für die Publikation nur die empfindlichsten Mängel korrigiert“ (Adorno 2018, 88, Lindner, T 137; siehe dazu auch den Lexikonartikel zu Adornos Traumprotokollen).

Seine eigene Position zur Art und Weise des Notierens von Trauminhalten, bei der „der Zeitpunkt des Aufschreibens und der Zeitpunkt des Traums“ häufig recht weit auseinanderliegen (Lindner, T 137) und bei der das Traumerlebnis erst „aus überlegener Erinnerung“ sowie nicht mehr „im Bannkreis des Traumes“ bzw. aus der „graue[n] Traumdämmerung“ heraus erzählt bzw. aufgeschrieben werden sollte, hat Benjamin anschaulich im Text Frühstücksstube in der Sammlung Einbahnstraße beschrieben :

Eine Volksüberlieferung warnt, Träume am Morgen nüchtern zu erzählen. Der Erwachte verbleibt in diesem Zustand in der Tat noch im Bannkreis des Traumes. Die Waschung nämlich ruft nur die Oberfläche des Leibes und seine sichtbaren motorischen Funktionen ins Licht hinein, wogegen in den tieferen Schichten auch während der morgendlichen Reinigung die graue Traumdämmerung verharrt, ja in der Einsamkeit der ersten wachen Stunde sich festsetzt. Wer die Berührung mit dem Tage, sei es aus Menschenfurcht, sei es um innerer Sammlung willen, scheut, der will nicht essen und verschmäht das Frühstück. Derart vermeidet er den Bruch zwischen Nacht- und Tagwelt. Eine Behutsamkeit, die nur durch die Verbrennung des Traumes in konzentrierte Morgenarbeit, wenn nicht im Gebet, sich rechtfertigt, anders aber zu einer Vermengung der Lebensrhythmen führt. In dieser Verfassung ist der Bericht über Träume verhängnisvoll, weil der Mensch, zur Hälfte der Traumwelt noch verschworen, in seinen Worten sie verrät und ihre Rache gewärtigen muß. Neuzeitlicher gesprochen: er verrät sich selbst. Dem Schutz der träumenden Naivität ist er entwachsen und gibt, indem er seine Traumgesichte ohne Überlegenheit berührt, sich preis. Denn nur vom anderen Ufer, von dem hellen Tage aus, darf Traum aus überlegener Erinnerung angesprochen werden. Dieses Jenseits vom Traum ist nur in einer Reinigung erreichbar, die dem Waschen analog, jedoch gänzlich von ihm verschieden ist. Sie geht durch den Magen. Der Nüchterne spricht vom Traum, als spräche er aus dem Schlaf (T 77 f.; auch in GS IV, 85 f., eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesem Text findet sich bei Lindner, T 138-141).

Gemäß dieser Position hat Benjamin seine persönlichen Traumbilder und Traumsituationen beschrieben. Im Vergleich zu Adorno, dessen umfassende Sammlung von Traumprotokollen „aufgrund der bewussten Auswahl als eine eigenwillige Form authentischer Selbstdarstellung intimer Innenerlebnisse angesehen werden kann“ (Müller-Doohm 2019, 19), erfüllen Benjamins Traumaufzeichnungen weniger den Zweck des persönlichen Sich-Darstellens, sondern sind vielmehr Ausgangspunkt und Materialsammlung zur Entfaltung seines grundlegenden traumtheoretischen Denkens (Bretas 2009, 1).

Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen Benjamins

Benjamin publizierte manche seiner Traumaufzeichnungen separat oder als Teile einzelner Werke. Außerdem ist bekannt, dass er die eigenständige Publikation einer Sammlung von Traumaufzeichnungen anstrebte, die allerdings nicht zustande kam (Lindner, T 137 f.). Die von Burkhardt Lindner zusammengestellte Sammlung von Benjamins Traumaufzeichnungen wurde nicht als textkritische Edition konzipiert (Lindner, T 128). Grundlagen der ausgewählten Texte, bei denen sich zu Lebzeiten publizierte und nachgelassene Beiträge mischen, sind insbesondere die bei Suhrkamp herausgegebenen Gesammelten Schriften Benjamins (GS), die ebenfalls bei Suhrkamp erschienene sechsbändige Ausgabe der Briefe Benjamins, andere Quellen wie Ignaz Ježowers (1878-1942) 1928 publiziertes Buch der Träume, eine umfangreiche und historisch von der Antike bis zur Gegenwart reichende Traumanthologie, sowie bisher nicht publizierte Manuskripte, die im Walter Benjamin Archiv (WBA) in Berlin aufbewahrt werden. In der Sammlung wurden zu einigen Traumaufzeichnungen (z.B. Ein Gespenst oder Der Mond) verschiedene Versionen, z.B. auch eine Entwurfsfassung (von Der Mond), aufgenommen (Lindner, T 129 f.). Diese unterschiedlichen Fassungen, z.B. die alternativen Enden der Traumaufzeichnung Ein Gespenst, lassen unterschiedliche Deutungen zu und können so die traumbezogene Benjamin-Forschung erheblich bereichern (siehe Abschnitt 4).

Benjamins Traumaufzeichnungen im Band „Träume“

Folgende Übersicht präsentiert sämtliche Traumaufzeichnungen Benjamins in der von Burkhart Lindner zusammengestellten Ausgabe (T 9-66) und umfasst 35 Einträge. Die Nachweise in der folgenden Liste wurden ggf. an die aktuelle Ausgabe der Gesammelten Schriften (GS), sowie die aktuelle Ausgabe der anderen referenzierten Quellen angepasst, weichen aber nur geringfügig von den Verweisen Lindners ab. Zuweilen wurden auch zusätzliche Referenzen ergänzt, wenn eine Traumaufzeichnung in weiteren, bisher noch nicht zitierten Werken auffindbar ist.


Nr. Werk Titel der Aufzeichnung Beginn der Traumaufzeichnung Nachweis im Ursprungswerk Nachweis in 'Träume'
1 Ježower, Ignaz: Das Buch der Träume (1928) - „Im Traum – es sind nun schon drei bis vier Tage, daß ich ihn träumte, und er verläßt mich nicht – hatte ich eine Landstraße im dunkelsten Dämmerlicht vor mir. […]“ Ježower 1985, 268 f. T 9
2 Ježower, Ignaz: Das Buch der Träume (1928) - „Ich träumte von einer Schülerrevolte. Dabei spielte Sternheim [der expressionistische Dramatiker Carl Sternheim, 1878-1942] irgendwie eine Rolle, und später referierte er darüber. […]“ Ježower 1985, 272 T 10
3 Ježower, Ignaz: Das Buch der Träume (1928) - „Ich träumte, mit Roethe [dem deutschnationalen germanistischen Mediävisten Gustav Roethe, 1859-1926] gehe ich – neugebackener Privatdozent – in kollegialer Unterhaltung durch die weiten Räume eines Museums, dessen Vorsteher er ist. […]“ Ježower 1985, 272 T 11
4 Einbahnstraße (1928) Wegen Umbau geschlossen! „Im Traum nahm ich mir mit einem Gewehr das Leben. […]“ GS IV, 133; auch in: Ježower 1985, 272 T 12
5 Einbahnstraße (1928) Halteplatz für nicht mehr als 3 Droschken „Ich sah im Traum 'ein verrufenes Haus'. 'Ein Hotel, in dem ein Tier verwöhnt ist. […]“ GS IV, 120 T 13
6 Einbahnstraße (1928) Reiseandenken „Himmel – Im Traume trat ich aus einem Hause und erblickte den Nachthimmel. Ein wildes Geglänze ging von ihm aus. […]“ GS IV, 125 T 14
7 Einbahnstraße (1928) Unordentliches Kind „Jeder Stein, den es findet, jede gepflückte Blume und jeder gefangene Schmetterling ist ihm schon Anfang einer Sammlung, und alles, was es überhaupt besitzt, macht ihm eine einzige Sammlung aus. […]“ GS IV, 115 T 15
8 Einbahnstraße (1928) Mexikanische Botschaft „Mir träumte, als Mitglied einer forschenden Expedition in Mexiko zu sein. […]“ GS IV, 91; auch in: Ježower 1985, 270 f. T 16
9 Einbahnstraße (1928) Tiefbau-Arbeiten „Im Traum sah ich ein ödes Gelände. Das war der Marktplatz von Weimar. […]" GS IV, 101, auch in: Ježower 1985, 271 T 17
10 Einbahnstraße (1928) Nr. 113 „Souterrain. Wir haben längst das Ritual vergessen, unter dem das Haus unseres Lebens aufgeführt wurde. […] Vestibül. Besuch im Goethehaus. […] Speisesaal. In einem Traume sah ich mich in Goethes Arbeitszimmer. […]“ GS IV, 86 f., zweiter („Besuch im Goethehaus“) und dritter Teil („Goethes Arbeitszimmer“) jeweils separat auch in: Ježower 1985, 271, dort allerdings umgekehrt angeordnet. T 18 f.
11 Berliner Chronik (1932) - „Das Elend konnte in diesen Räumen keine Stelle haben, in welchen ja nicht einmal der Tod sie hatte. […]“ GS VI, 501 T 20
12 Berliner Chronik (1932) Ein Gespenst „Den ganzen Tag hatte ich ein Geheimnis für mich behalten: nämlich den Traum der letztvergangnen Nacht. […]“ GS VI, 513 f. T 21 f.
13 Berliner Chronik (1932) Ein Gespenst „Es war ein Abend meines siebenten oder achten Jahres vor unserer babelsberger Sommerwohnung. Eins unserer Mädchen steht noch eine Weile am Gittertor, das auf, ich weiß nicht welche, Allee herausführt. […]“ GS IV, 278-280 T 23-25
14 Berliner Kindheit (1933-1938) Ein Weihnachtslied „Von allen diesen Liedern liebte ich am meisten ein Weihnachtslied [„Ich lag und schlief da träumte mir], das jedesmal mich mit dem Troste für noch nicht erfahrenes, doch erstmals nun geahntes Leid erfüllte, das einzig die Musik uns geben kann. […]“ zuvor unpubliziertes Manuskript (WBA Ms 904) T 26
15 Berliner Kindheit (1933-1938) Schmöker „[…] Das Buch lag auf dem viel zu hohen Tisch. Beim Lesen hielt ich mir die Ohren zu. So lautlos hatte ich doch schon einmal erzählen hören. […]“ GS IV, 274 f. T 27 f.
16 Berliner Kindheit (1933-1938) Der Mond „Weltis Mondnacht. In einer breiten Woge, die von Urzeit her anzustehn schien, brandete das Land vor dem Fenster. […]“ zuvor nicht publiziertes Manuskript (WBA Ms 911 und 911v) T 29-32
17 Berliner Kindheit (1933-1938) Der Mond „Das Licht, welches vom Mond herunterfließt, gilt nicht dem Schauplatz unseres Tagesdaseins. Der Umkreis, den es zweifelhaft erhellt, scheint einer Gegen- oder Nebenerde zu gehören. […]“ GS IV, 300-302 T 33-36
18 Berliner Kindheit (1933-1938) Abreise und Rückkehr „Der Lichtstreif unter der Schlafzimmertür, am Vorabend, wenn die andern noch auf waren, – war er nicht das erste Reisesignal? […]“ GS IV, 245 f. T 37
19 Berliner Kindheit (1933-1938) Unglücksfälle und Verbrechen „[…] Für das Unglück war überall vorgesorgt; die Stadt und ich hätten es weich gebettet, aber nirgends ließ es sich sehn. […]“ GS IV, 292 f. T 38 f.
20 Selbstbildnisse des Träumenden [eine von Benjamin selbst zusammengestellte aber unpublizierte Sammlung von fünf Träumen] (1932/33) Der Enkel „Man hatte eine Fahrt zur Großmutter beschlossen. Sie ging in einer Droschke vor sich. […]“ GS IV, 420 f. T 40 f.
21 Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33) Der Seher „Oberhalb einer Großstadt. Römische Arena. Des Nachts. Ein Wagenrennen findet statt, es handelt sich – wie ein dunkles Bewußtsein mir sagte – um Christus. […]“ GS IV, 421 f., auch in: Ježower 1985, 269 T 42
22 Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33) Der Liebhaber „Mit der Freundin war ich unterwegs, es war ein Mittelding zwischen Bergwanderung und Spaziergang, das wir unternommen hatten, und nun näherten wir uns dem Gipfel. […]“ GS IV, 422 T 43
23 Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33) Der Wissende „Ich sehe mich im Warenhaus Wertheim vor einem flachen Schächtelchen mit Holzfiguren, zum Beispiel einem Schäfchen, genau wie die Tiere der Arche Noah gebildet. […]“ GS IV, 422 f. T 44 f.
24 Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33) Der Verschwiegene „Da ich im Traume wußte, nun müsse ich bald Italien verlassen, fuhr ich von Capri nach Positano hinüber. […]“ GS IV, 423 f., auch in: Ježower 1985, 269 f. T 46 f.
25 Selbstbildnisse des Träumenden (1932/33) Der Chronist „Der Kaiser [Wilhelm II.] stand vor Gericht. Es gab aber nur ein Podium, auf dem ein Tisch stand, und vor diesem Tisch wurden die Zeugen vernommen. […]“ GS IV, 424 f. T 48
26 Einzelne Träume (1929-1939) Zu nahe „Im Traum am linken Seine-Ufer vor Notre Dame. Da stand ich, aber da war nichts, was Notre Dame glich. […]“ GS IV, 370; Kurze Schatten 1929 T 49
27 Einzelne Träume (1929-1939) - „Ein Traum aus der ersten oder zweiten Nacht meines Aufenthalts in Ibiza: Ich ging spät abends nach Hause – es war eigentlich nicht mein Haus, vielmehr ein prächtiges Mietshaus, in welches ich, träumend, Seligmanns einlogiert hatte. […]“ GS VI, 447; Tagebuch Ibiza Sommer 1932 T 50
28 Einzelne Träume (1929-1939) - „Noch ein Traum (dieser in Berlin, einige Zeit vor der Reise). Mit Jula war ich unterwegs, es war ein Mittelding zwischen Bergwanderung und Spaziergang, das wir unternommen hatten und nun näherten wir uns dem Gipfel. […]“ GS VI, 447 f.; Tagebuch Ibiza Sommer 1932 T 51
29 Einzelne Träume (1929-1939) Traum „O…s zeigten mir ihr Haus in Niederländisch-Indien. Das Zimmer, in dem ich mich befand, war mit dunklem Holz getäfelt und erweckte den Eindruck von Wohlstand. […]“ GS IV, 429 f.; 1933 T 52
30 Einzelne Träume (1929-1939) Traum „Berlin; ich saß in einer Kutsche in höchst zweideutiger Mädchengesellschaft. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel. […]“ GS IV, 430 f.; 1933 T 53 f.
31 Einzelne Träume (1929-1939) Noch einmal „Ich war im Traum im Landerziehungsheim Haubinda, wo ich aufgewachsen bin. Das Schulhaus lag in meinem Rücken und ich ging im Wald, der einsam war, nach Streufdorf zu. […]“ GS IV, 435; ca. 1933 T 55
32 Einzelne Träume (1929-1939) Brief an die holländische Malerin Toet Blaupot ten Cate (1902-2002) aus dem Sommer 1934 „[…] Sie sehen, auch mein Sommer stellt einen bedeutenden Kontrast gegen den letzten dar. Damals konnte ich – wie das meist der Ausdruck eines ganz erfüllten Daseins ist – nicht früh genug aufstehen. […]“ GS VI, 812; 1934 T 56
33 Einzelne Träume (1929-1939) - „6 März [1938] In den letzten Nächten habe ich Träume, die meinem Tag tief eingeprägt bleiben. Heute nacht war ich im Traum einmal in Gesellschaft. […]“ GS VI, 532 f. T 57 f.
34 Einzelne Träume (1929-1939) - „28 Juni [1938] Ich befand mich in einem Labyrinth von Treppen. Dieses Labyrinth war nicht an allen Stellen gedeckt. […]“ GS VI, 533 f. T 59
35 Einzelne Träume (1929-1939) Rêve du 11/12 octobre 1939 – Brief an Gretel Adorno „ma très chère, j’ai fait cette nuit sur la paille un rêve d‘une beauté telle que je ne résiste pas à l’envie de la raconter à toi. Il y a si peu de choses belles, voire agréables, dont je puis t’entretenir. […]“

„Meine Teuerste, ich hatte gestern nacht auf dem dürftigen Strohbett einen Traum von solcher Schönheit, daß ich dem Wunsch nicht widerstehen kann, ihn Dir zu erzählen. Es gibt ja sonst so wenig schöne, wenigstens erfreuliche Sachen, über die ich mit Dir reden könnte. […]“

Adorno/Benjamin 2005, 390-393; ein Ausschnitt des Traums in französischer Sprache auch in: GS VI, 540-542 T 60-66

Themen, Motive und Deutungen

Das inhaltliche Spektrum der aufgezeichneten Träume Benjamins ist recht breit und die präsentierte Sammlung weist nur wenige wiederkehrende Traummotive auf. Zuweilen handelt es sich bei den Traumaufzeichnungen nur um kurze Traumszenen, manchmal um längere Traumerzählungen, in denen heitere Trauminhalte, Alp- oder Angstträume, ein Traum vom eigenen Selbstmord mit einem Gewehr (Nr. 4 in der Liste oben), Träume mit Wortwitz oder ungewöhnlichen Wortbildungen (z. B. Nrn. 3, 5, 9), Träume vom Mond und den Sternen (z. B. Nrn. 6, 16, 17) oder auch erotische Trauminhalte (z. B. in Nrn. 27, 28, 33, 35) eine Rolle spielen und die häufig auf den Augenblick des Erwachens ausgerichtet erscheinen (Lindner, T 145). Das Erwachen aus dem Traum spielt bei Benjamin eine bedeutende Rolle und dient sowohl der Gewinnung von Erkenntnissen über die „Wachwelt“ als auch über den Traum, der insbesondere „Gewesenes“ reflektiert (Goebel 2007, 588) und somit eine „geschichtliche Struktur“ darstellt (Maeding 2012, 13). Lindner spricht hier vom „Auftauchen von Erinnerungen, über die das bewußte Ich nicht verfügt, im Traum selbst“ (Lindner, T 146). Dazu schreibt Benjamin z. B. in seinem Passagen-Werk: „Das Jetzt der Erkennbarkeit ist der Augenblick des Erwachens“ (GS V, 608).

Benjamins Traumaufzeichnungen sind geprägt von seiner Absicht, „die Besonderheit und den Geheimnischarakter des Traums“ zu bewahren, weshalb er in der Regel keine Selbstanalysen oder Analysen der Traumbotschaften mitliefert und die Träume somit häufig „rätselhaft“ bleiben. Aus diesem Grund sperren sie sich tendenziell auch gegen Versuche psychoanalytischer Annäherungen (Lindner, T 144). Lindner stellt allerdings verschiedene Phänomene und Entwicklungen innerhalb des Korpus von Benjamins Traumaufzeichnungen fest, die interessante Rückschlüsse oder Deutungen bezüglich seiner eigenen Entwicklung zulassen und gleichzeitig spannende Fragen aufwerfen. So zeigt sich z. B. dass „die Träume aus der ‚Berliner Kindheit‘ und der ‚Berliner Chronik‘ zumeist in der Räumlichkeit der Elternwohnung oder der Schule angesiedelt sind“, während sich „die späteren Träume oftmals auf der Straße oder im Freien“ abspielen, oder dass Benjamin über den Zeitraum der Aufzeichnung seiner Träume (1928-1939) trotz des zunehmenden Einflusses des Nationalsozialismus in Deutschland bzw. der schließlich herrschenden NS-Diktatur in den vorhandenen Traumaufzeichnungen kaum auf die politische Lage eingeht (Lindner, T 145 f.).

Offensichtlich ist, dass verschiedene Motive in Benjamins Traumaufzeichnungen zuweilen durch Biographisches bzw. Privates geprägt sind. Vor dem Hintergrund seines Engagements in der damaligen Jugendbewegung beschreibt er z. B. den Traum von einer Schülerrevolte (Nr. 2). Eine weitere Traumaufzeichnung berichtet von einem Spaziergang in der Gegend des Ortes Haubinda in Thüringen, in der er einen Teil seiner Schulzeit verbrachte (Nr. 31). Auch die Traumaufzeichnung „Das Gespenst“ (Nrn. 12 und 13, verschiedene Versionen mit alternativen Enden) hat einen direkten autobiographischen Hintergrund. In Bezug auf die letztgenannte Traumaufzeichnung lässt sich ein bedeutendes Motiv identifizieren, der 'Traumverrat' (Abschnitt 1). Dieser Traum stammt aus Benjamins Kindheit und erzählt vom nächtlichen Besuch eines Gespenstes, das Gegenstände im Elternschlafzimmer der Familie Benjamin stiehlt, und von einem in der Folgenacht stattfindenden Einbruch einer „vielköpfigen Einbrecherbande“ in das Haus der Familie Benjamins (Lindner, T 143). Während das Traum-Ich in der ersten Fassung (Nr. 12) stolz ist auf seinen Traum mit prophetischem Charakter und die Möglichkeit, ihn zu erzählen („Es machte mich stolz, daß man mich über die Ereignisse des Vorabends ausfragte […]. Noch stolzer aber machte mich die Frage, warum ich meinen Traum, den ich als Prophezeiung, natürlich nun zum besten gab, verschwiegen hätte“, T 22), so wird am Ende der zweiten Version (Nr. 13) der Schrecken des Traum-Ichs über den 'Verrat' des eigenen Traumes deutlich: „Auch mich verwickelte man in den Vorfall. Zwar wußte ich nichts über das Verhalten des [Dienst-]Mädchens, das am Abend vor dem Gittertor gestanden hatte; aber der Traum der vorvergangenen Nacht schuf mir Gehör. Wie Blaubarts Frau, so schlich die Neugier sich in seine abgelegene Kammer. Und noch im Sprechen merkte ich mit Schrecken, daß ich ihn nie hätte erzählen dürfen“ (T 24 f.). Darüber hinaus ist auch die Begegnung des Träumenden mit sich selbst im Traum von großer Bedeutung bei Benjamin, da der Traum „prägnante Bilder des Selbst erzeugen und das Dunkel des Ichs blitzartig aufhellen“ kann (Lindner, T 148). Benjamin hat in der Sammlung „Selbstbildnisse des Träumenden“ im Traum auftretende Charakterzüge des Traum-Ichs bildhaft beschrieben und in den jeweiligen Träumen mit entsprechenden Überschriften versehen, die den Charakter hervorheben bzw. präzise bezeichnen: der Enkel, der Seher, der Liebhaber, der Wissende, der Verschwiegene und der Chronist (Nr. 20-25).

Ebenso bildhaft inszeniert und aus der Menge der anderen Traumaufzeichnungen aufgrund verschiedener Merkmale besonders hervortretend ist der Traum Nr. 35 gemäß der obigen Liste, den Benjamin als Brief in französischer Sprache an Gretel Adorno adressierte und der Benjamins letzte bekanntgewordene Traumaufzeichnung darstellt (T 60-63, die deutschsprachige Übersetzung, T 63-66). Auffällig ist zunächst, dass Benjamin zu diesem Traum verschiedene Erläuterungen zur Einordnung des Traums und Kontextinformationen mitliefert. Des Weiteren ist die Traumaufzeichnung im Gegensatz zu den meisten anderen taggenau datiert (Lindner, T 149). Benjamin schickt dem eigentlichen Traumnotat im Brief folgendes voraus (T 63):

„Rêve du 11/12 octobre 1939 – Brief an Gretel Adorno. Meine Teuerste, ich hatte gestern nacht auf dem dürftigen Strohbett einen Traum von solcher Schönheit, daß ich dem Wunsch nicht widerstehen kann, ihn Dir zu erzählen. Es gibt ja sonst so wenig schöne, wenigstens erfreuliche Sachen, über die ich mit Dir reden könnte. – Er gehört zu der Art von Träumen, die ich vielleicht alle fünf Jahre einmal träume und die um das Motiv des „Lesens“ kreisen. Teddie [Gretels Ehemann Theodor W. Adorno] wird sich erinnern, welche Rolle dieses Motiv in meinen erkenntnistheoretischen Reflexionen spielt. Der Satz, den ich zum Ende des Traums deutlich ausgesprochen habe, wurde auf französisch gesagt, so daß ein doppelter Grund besteht, den Traum Dir in der gleichen Sprache mitzuteilen. Der Arzt Dausse, der mich im Traum begleitet, ist ein Freund von mir; er hat sich, als ich an Malaria erkrankt war, sehr um mich gekümmert.“

Dann folgt die eigentliche Traumaufzeichnung, in der sich das Traum-Ich gemeinsam mit dem Arzt Dausse zunächst in einer Gesellschaft mehrerer Personen befand. Die beiden verließen irgendwann diese Gesellschaft und gelangten zu einer Ausgrabungsstätte, an der sie „seltsame, fast ebenerdige Liegen“ (T 63) vorfanden, welche die Form und Größe von Särgen aufwiesen und aus Stein gefertigt erschienen. Das Traum-Ich kniete sich vorsichtig auf eine solche Liege und stellte fest, dass sie ähnlich weich wie ein Bett und mit „moosigen Flechten und Efeu“ (T 64) bedeckt war. Die Liegen waren paarweise aufgestellt und das Traum-Ich suchte für sich und den Arzt zwei Liegen aus, merkte dann allerdings, dass diese schon belegt waren. Daraufhin setzten die beiden ihren Weg in einen scheinbar künstlich angelegten Wald fort, bis sie eine Schiffsanlegestelle erreichten, an der sie „drei oder vier“ Frauen antrafen, mit denen der Arzt „zusammenlebte“. Das Traum-Ich schildert ein befremdendes Gefühl darüber, dass der Arzt ihm die Damen nicht vorstellte und dass weiterhin beim Ausziehen und Ablegen seines Strohhutes, den es von seinem Vater geerbt hatte, dieser einen großen Schlitz aufwies und „dessen Ränder dazu noch rotfarbige Spuren trugen“ (T 64), woraufhin man für das Traum-Ich einen Sessel herbeibrachte. Das Traum-Ich beobachtete kurz darauf eine der Damen an einem Tisch, die bezüglich eines seiner Manuskripte, welches sie vom Arzt erhalten hatte, „in graphologische Studien vertieft“ war. An dieser Stelle, die den Kern seines Traumnotates preisgibt, heißt es weiterhin (T 65-66):

„Mich versetzte diese Begutachtung in einige Unruhe, weil ich fürchtete, meine intimen Vorlieben könnten auf diese Weise entdeckt werden. Ich ging näher heran. Was ich erblickte, war ein mit bildlichen Zeichnungen gemustertes Stück Stoff. Hinsichtlich schriftgraphischer Elemente konnte ich einzig die oberen Partien des Buchstabens ‚d‘ genau erkennen. Sie verrieten in ihrer Langgezogenheit einen extremen Hang zur Spiritualität. Dieser Teil des Buchstabens war darüber hinaus mit einem kleinen blaugesäumten Segel ausgestattet, und dieses Segel blähte sich über dem Stoffmuster, als sei es von einer Brise erfaßt. Das war das einzige, was ich „lesen“ konnte – das übrige bestand aus undeutlichen Wellen- und Wolkenmotiven. Das Gespräch konzentrierte sich für kurze Zeit auf diese Handschrift. Ob es hierzu klare Meinungen gab, habe ich nicht in Erinnerung. Demgegenüber ist mir ganz gewiß, daß ich unvermittelt dazu wörtlich auf französisch sagte: „Il s’agissait de changer en fichu une poésie.“ (Es handelte sich darum, aus einem Gedicht ein Halstuch zu machen.) Ich hatte noch kaum diese Worte gesprochen, als etwas Beunruhigendes geschah. Unter den Frauen gab es, wie ich bemerkte, eine sehr schöne, die im Bett lag. Als sie meine Erklärung vernahm, machte sie blitzartig eine kleine Bewegung. Sie lüftete einen kleinen Zipfel des Deckbetts, in das sie eingehüllt war. In weniger als einer Sekunde hatte sie diese Geste vollzogen. Dies geschah nicht, um mich ihren Körper sehen zu lassen, sondern um mir das Muster ihres Bettlakens zu zeigen, das der Bilderschrift entsprechen sollte, die ich Jahre zuvor als Geschenk für Dausse „geschrieben“ haben mußte. Ich bin ganz sicher, daß die Dame diese Bewegung zu mir hin gemacht hat. Aber daß ich dies wußte, beruhte auf einer Vision, einer Art zweiter Wahrnehmung. Denn meine Augen blickten anderswohin, und ich sah nichts von dem, was das für mich so flüchtig aufgedeckte Bettlaken hätte zeigen können.“

Nach Abschluss dieser Traumbeschreibung erläutert Benjamin schließlich in seinem Brief an Gretel Adorno: „Nachdem ich diesen Traum gehabt hatte, konnte ich stundenlang nicht wieder einschlafen. Nämlich vor Glück. Ich schreibe Dir, um Dich an diesen Stunden teilhaben zu lassen“ (T 66).

Benjamins erklärt zu Beginn der Traumaufzeichnung, dass der Traum „um das Motiv des Lesens“ kreise. Zudem ist bezüglich der Situation, in der er diesen Traum notierte, festzuhalten, dass er sich zu dieser Zeit nicht nur im französischen Exil, sondern auch mit anderen deutschen Flüchtlingen in einem französischen Internierungslager, dem Château de Vernuche in Varennes-Vauzelles im Département Niévre, befand (Derrida 2002) und plante, bei der nächstmöglichen Gelegenheit in die USA zu flüchten (Lindner, T 149). Im Traum begegnet dem Traum-Ich eine alte, von ihm selbst erstellte Handschrift. Diese kann er im Traum zweimal, d. h. in zwei verschiedenen Situationen, erkennen, nämlich als „ein mit Bildern bedecktes Stück Stoff“, das von einer Dame „graphologisch“ studiert wird, sowie als Betttuch, das sichtbar wird, als eine in einem Bett liegende, „sehr schöne“ Frau ihre Bettdecke kurzzeitig anhebt (Lindner, T 150). Bezüglich der Textinhalte des Manuskriptes, welches das Traum-Ich zu sehen bekommt, kann es nur ein einziges Zeichen (Lindner, T 150), nämlich das „obere Ende des Buchstabens ,d'". erkennen, an dem ein kleines blaugesäumtes und sich im Wind blähendes Segel angebracht ist. Lindner stellt fest, dass es sich bei diesem Bild um ein Selbstzitat Benjamins handelt: „Mehrere der erkenntnistheoretischen Notate aus der Passagenarbeit zum Begriff der „Rettung“ kreisen um die Metapher vom „Wind des Absoluten in den Segeln des Begriffs“. Der in einer fast ausweglosen Extremsituation Denkende will diesen Wind nutzen. ‚Worte sind seine Segel. Wie sie gesetzt werden, das macht sie zum Begriff.‘ ([GS] V, 591)“ (Lindner, T 150). Vor dem Hintergrund der Kenntnis dieses Selbstzitates ergebe sich Benjamins am Ende des Traums und nach dem Aufwachen empfundenes Glück also aus der Hoffnung auf Rettung aus seiner ausweglosen Situation, dem Hinweis im Traum, dass sich seine Segel mit Wind füllen und ihm ein Ausweg in Aussicht gestellt wird.

Eine andere mögliche Lesart des Traumes beziehungsweise einen anderen, etwas weniger hoffnungsvollen Interpretationsansatz stellte Jacques Derrida vor, in dessen Rahmen insbesondere die Mehrdeutigkeit des Begriffs „fichu“ eine zentrale Rolle spielt. In seiner Rede zur Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises, den Derrida am 22. September 2001 in Frankfurt erhielt (Derrida 2002), konzentrierte sich Derrida insbesondere auf den von Benjamin in französischer Sprache geäußerten Satz: „Il s’agissait de changer en fichu une poésie.“ (Es handelte sich darum, aus einem Gedicht ein Halstuch zu machen.) Derrida erläutert darin, dass „le fichu“ zwar in seiner „augenfälligsten Bedeutung“ den „Schal, jenes Stück Tuch, das eine Frau sich schnell noch um ihren Kopf oder Hals schlingen mag“, bezeichnet, das Adjektiv „fichu“ hingegen „das Schlechte: das, was übel, verdorben, verloren, verdammt ist“ bedeuten kann. Derrida spekuliert in der beschriebenen Traumsituation, in der Benjamin lediglich den oberen Teil des Buchstabens „d“ erkennen kann, welcher „mit einem kleinen blau gesäumten Schleier versehen“ war und vom Wind erfasst wurde, über eine andere Selbstreferenzierung Benjamins, der persönliche Briefe häufig mit seinem mit dem Buchstaben „d“ beginnenden und von ihm in verschiedenen Kontexten verwendeten Pseudonym „Detlef“ signierte. „Von Benjamin zugleich gelesen und geschrieben, stünde dann der Buchstabe d für die Initiale seiner eigenen Signatur, als wollte Detlef sich zu verstehen geben: „Je suis le fichu“: „Ich bin dieses Halstuch“, ja als wollte er aus dem Camp de travailleurs volontaires, weniger als ein Jahr vor seinem Selbstmord, und wie jeder Sterbliche, der Ich sagt, in seiner Traumsprache zu sich sagen: „Moi, d, je suis fichu“: „Ich, d, bin fertig, mit mir ist es aus.“, ganz im Sinne einer geträumten „poetische[n] und vorausdeutende[n] Hieroglyphe“ (Derrida 2002). Der ungewöhnliche Umstand, dass Benjamin darauf bestand, den Traum in französischer Sprache aufzuschreiben, unterstützt Derridas Lesart zwar, da diese Interpretation nur ohne eine Übersetzung des zentralen und in französischer Sprache mehrdeutigen Wortes „fichu“ tatsächlich zugänglich ist, wie Derrida selbst argumentiert (Derrida 2002). Allerdings steht diese Auslegung inhaltlich dem von Benjamin geäußerten Glückgefühl zumindest teilweise entgegen. Dies wäre wiederum aber nicht der Fall, wenn Benjamin sein Glück allein aus der geheimnisvollen Vielschichtigkeit dieses spannenden Traumes gezogen und er den wenig hoffnungsvollen prognostischen Inhalt ignoriert hätte. Beide Auslegungen erscheinen zumindest plausibel und vor dem Hintergrund, dass neben anderen angebotenen Auslegungsmöglichkeiten keine eindeutig zu favorisierende Interpretation hervorsticht, bleibt diese Traumaufzeichnung, wie so oft bei Benjamin, ein faszinierendes, ambivalentes und schillerndes Gebilde, das verschiedene mögliche Zugänge anbieten kann und sich der Eindeutigkeit entzieht.

Benjamins Traumaufzeichnungen haben in erheblichem Maße seine traumtheoretischen Reflexionen geprägt, die von Burkhardt Lindner als der zweite Teil des herausgegebenen Bandes „Träume“ unter dem Titel „Über die Traumwahrnehmung. Erwachen und Traum“ zusammengestellt wurden. Diese reichen von „kurzen Aphorismen über größere Darlegungen zur Traumliteratur und zur Geschichtlichkeit des Traums bis zur traumpolitischen Konzeption des Erwachens aus dem 19. Jahrhundert“ (Lindner, T 136). Obwohl sich bisher nur wenige Arbeiten dediziert und ausführlich mit Benjamins Traumaufzeichnungen auseinandersetzen, bergen diese interessante Deutungs-, Interpretations- und Erkenntnispotentiale nicht nur für die weitere Benjamin-Forschung. Auch für die kulturwissenschaftlich orientierte Traumforschung im Allgemeinen und die Erforschung traumbezogener Literatur des späten 19. und des 20. Jahrhunderts können Benjamins Aufzeichnungen spannende Ansatzpunkte und Perspektiven anbieten.

Constantin Houy


Literatur

Ausgaben

  • Walter Benjamin: Träume. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Burkhardt Lindner. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008 (zitiert als: T).

Übersetzungen:

  • Walter Benjamin: Rêves. Übers. von Christophe David. Paris: Gallimard 2009.
  • Walter Benjamin: Sueños. Übers. von Juan Barjay und Joaquín Chamorro Mielke. Madrid: Abada Editores 2011.
  • Walter Benjamin: Sogni. Roma: Castelvecchi 2016.
  • Walter Benjamin: Dreams. Berlin: Bierke 2017.

Weitere Primärliteratur

  • Adorno, Gretel/Walter Benjamin: Briefwechsel. Hg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005.
  • Adorno, Theodor W.: Traumprotokolle. Hg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz, Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Berlin: Suhrkamp 2018.
  • Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Band II: Aufsätze, Essays, Vorträge. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Suhrkamp 7. Aufl. 2019 (GS II).
  • Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. IV: Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen. Hg. von Tillman Rexroth. Frankfurt/M.: Suhrkamp 6. Aufl. 2020 (GS IV).
  • Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. V: Das Passagen-Werk. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt/M.: Suhrkamp 9. Aufl. 2020 (GS V).
  • Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. VI: Fragmente, Autobiographische Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Suhrkamp 6. Aufl. 2020 (GS VI).
  • Ježower, Ignaz: Das Buch der Träume. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein 1985 [zuerst 1928].

Forschungsliteratur

  • Allerkamp, Andrea: Erwachen als historische Grenzerfahrung. Rudolf Leonhards und Walter Benjamins Traum-Theorien. In: Sarah Schmidt/Gerard Raulet (Hg.), Wissen in Bewegung. Theoriebildung unter dem Fokus von Entgrenzung und Grenzziehung. Berlin: LIT 2014, 115-129.
  • Allerkamp, Andrea: Vom Traumkitsch zur Traumkritik. Benjamins kritische Theorie des Erwachens. In: Andrea Allerkamp/Pablo Valdivia Orozco/Sophie Witt (Hg.), Gegen/Stand der Kritik. Zürich, Berlin: Diaphanes 2015, 91-104.
  • Bretas, Aléxia: Träume – Os sonhos de Walter Benjamin. In: Cadernos Walter Benjamin 2 (2009) 1, 1-11; online (27.08.2021).
  • Bubel, Sylvester: Poetiken der Epiphanie in der europäischen Moderne. Studien zu Joyce, Proust, Benjamin und Ponge. Würzburg: Königshausen & Neumann 2020 (Cultural Dream Studies 7).
  • Chamat, Natalie: Also träumte Zarathustra. Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche und der Traum. In: Literaturstraße. Chinesisch-deutsche Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 18 (2017) 1, 65-94.
  • Derrida, Jacques: Die Sprache des Fremden und das Räubern am Wege, in: Le Monde diplomatique, Nr. 6647 (11.01.2002), 12. https://monde-diplomatique.de/artikel/!1131776, letzter Abruf: 04.04.2022.
  • Friedlander, Eli: Walter Benjamin. Ein philosophisches Portrait. München: Beck 2012.
  • Goebel, Rolf J.: Benjamins „Traumhäuser des Kollektivs“ heute. Textlektüre und globale Stadtkultur. In: Zeitschrift für Germanistik 17 (2007), 585-592.
  • Humphreys, Franziska: Without Image — Refuge of all Images. On some of Walter Benjamin’s Dream Narratives. In: Orbis Litterarum 74 (2019), 32-43
  • Lindner, Burkhardt: Anmerkungen. In: T 128-134.
  • Lindner, Burkhardt: Benjamin als Träumer und Theoretiker des Traums. In: T 135-168.
  • Maeding, Linda: Zwischen Traum und Erwachen. Walter Benjamins Surrealismus-Rezeption. In: Revista de Filología Alemana 20 (2012) 1, 11-28.
  • Müller-Doohm, Stefan: Traumprotokolle. In: Richard Klein/Johann Kreuzer/Stefan Müller-Doohm (Hg.): Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2019, 19-22.
  • Schiffermüller, Isolde: Benjamins Traum vom Lesen [T Nr. 35]. In: Peter Kofler/Ulrich Stadler (Hg.), Lesen, schreiben, edieren. Über den Umgang mit Literatur. Frankfurt/M., Basel: Stroemfeld 2016, 64-79.
  • Schöttker, Detlev: Konstruktiver Fragmentarismus. Form und Rezeption der Schriften Walter Benjamins. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999.
  • Sharvit, Gilad: Exile and Tradition. Benjamin’s Fichu Dream [T Nr. 35], Scholem’s Divine Law, and Kafka’s Village. In: The Germanic Review 92 (2017), 280–300.
  • Weidmann, Heiner: Erwachen/Traum. In: Michael Opitz/Erdmut Wizisla (Hg.), Benjamins Begriffe. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2000, Bd. 1, 341-362

Materialien



Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Houy, Constantin: "Traumaufzeichnungen" (Walter Benjamin). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2021; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Traumaufzeichnungen%22_(Walter_Benjamin).