Film und Traum (1900-1930): Unterschied zwischen den Versionen

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Denn wurden Träume im Jahrhundert zuvor noch häufig als von außen gesandte Botschaften verstanden (denke man etwa an die Figur des 'Nachtmahrs', beispielsweise in Johann Heinrich Füsslis Gemälde von 1781) und dementsprechend prophetisch gedeutet, bestimmen jetzt innerpsychische Vorgänge das diskursive Wissen über dieses mysteriöse nächtliche Phänomen. Dessen stark symbolischer Charakter wird nun als eine hochkreative Verarbeitung des Wachlebens begriffen, was erstmals in dieser Form die unbewussten Vorgänge in der Psyche hervorhebt.
Denn wurden Träume im Jahrhundert zuvor noch häufig als von außen gesandte Botschaften verstanden (denke man etwa an die Figur des 'Nachtmahrs', beispielsweise in Johann Heinrich Füsslis Gemälde von 1781) und dementsprechend prophetisch gedeutet, bestimmen jetzt innerpsychische Vorgänge das diskursive Wissen über dieses mysteriöse nächtliche Phänomen. Dessen stark symbolischer Charakter wird nun als eine hochkreative Verarbeitung des Wachlebens begriffen, was erstmals in dieser Form die unbewussten Vorgänge in der Psyche hervorhebt.


==Ein "Ersatz für die Träume"==
==Ein "Ersatz für die Träume"==
Freuds Schreibzeit in den Jahren vor 1900 ist auch von einer einflussreichen Medienrevolution geprägt, als im Jahr 1895 relativ synchron in Paris (durch die Brüder Auguste und Louis Lumière) und Berlin (durch die Brüder Max und Emil Skladanowsky) erstmals kurze Filmvorführungen stattfinden. Zwar sind diese zunächst aufgrund der technischen Beschränkung nur wenige Sekunden lang und zumeist innerhalb eines Varieté-Programms eingebettet, doch stellen die 'bewegten Bilder' offensichtlich eine Herausforderung für das damalige Publikum dar. Denn diese neue Technik der Kinematographie (aus dem altgriechischen "kinēma" = Bewegung und "gráphein" = schreiben) erscheint besonders 'authentisch', wie die (kaum zu verifizierende) Legende um den Kurzfilm ''L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat'' (1896) der Brüder Lumière zeigt: Die nur etwa eine Minute dauernde Sequenz eines in den Bahnhof La Ciotat einfahrenden Zuges soll zu einer Panik bei den Zuschauenden geführt haben – und das trotz der schwarz-weißen Bilder und des fehlenden Tons.
Freuds Schreibzeit in den Jahren vor 1900 ist von einer einflussreichen Medienrevolution geprägt, da im Jahr 1895 relativ synchron in Paris (durch die Brüder Auguste und Louis Lumière) und Berlin (durch die Brüder Max und Emil Skladanowsky) erstmals kurze Filmvorführungen stattfinden. Zwar sind diese zunächst aufgrund der technischen Beschränkung nur wenige Sekunden lang und zumeist innerhalb eines Varieté-Programms eingebettet, doch stellen die 'bewegten Bilder' offensichtlich eine Herausforderung für das damalige Publikum dar. Denn diese neue Technik der Kinematographie (aus dem altgriechischen "kinēma" = Bewegung und "gráphein" = schreiben) erscheint besonders 'authentisch', wie die (kaum zu verifizierende) Legende um den Kurzfilm ''L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat'' (1896) der Brüder Lumière zeigt: Die nur etwa eine Minute dauernde Sequenz eines in den Bahnhof La Ciotat einfahrenden Zuges soll zu einer Panik bei den Zuschauenden geführt haben – und das trotz der schwarz-weißen Bilder und des fehlenden Tons.


Im Unterschied zum Theater (als wortwörtlichem Schau-spiel) wird dem vorgeführten Film also ein starker Realismus zugesprochen, wie in ähnlicher Weise bereits der Fotografie sieben Jahrzehnte zuvor. Denn schon dieses technische Verfahren der Belichtung einer behandelten Metallplatte ("phōs" = Licht, "gráphein" = schreiben) ist als besonders 'objektive' Darstellungsweise gelobt worden (William Talbot sprach dementsprechend vom "pencil of nature"), und ohnehin lehnt sich der Film nun – als eine Aneinanderreihung von fotografischen Einzelbildern zur Illusion einer Bewegung – an diesen Vorläufer an.
Im Unterschied zum Theater (als wortwörtlichem Schau-spiel) wird dem vorgeführten Film also ein starker Realismus zugesprochen, wie in ähnlicher Weise bereits der Fotografie sieben Jahrzehnte zuvor. Denn schon dieses technische Verfahren der Belichtung einer behandelten Metallplatte ("phōs" = Licht, "gráphein" = schreiben) ist als besonders 'objektive' Darstellungsweise gelobt worden (William Talbot sprach dementsprechend vom "pencil of nature"), und ohnehin lehnt sich der Film nun – als eine Aneinanderreihung von fotografischen Einzelbildern zur Illusion einer Bewegung – an diesen Vorläufer an.
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Ebenjener Epstein – eigentlich studierter Mediziner, in den frühen 1920er Jahren Filmregisseur und später als Leiter der "Académie du cinéma" in Kontakt mit den Surrealisten – dreht beispielsweise 1927 den einflussreichen Stummfilm ''La Glace à trois faces'' ("Der dreiflügelige Spiegel") und setzte darin genau diese Ästhetik des Films als eine Abfolge traumartiger Bilder um (vgl. Brütsch 2009: 28f.). Der etwa vierzigminütige Film arbeitet dabei unter anderem mit sprunghaften Detailaufnahmen (als Übernahme der Figurenperspektive), mit überblendeten Einstellungen (zur narrativen Schwerpunktsetzung) oder unscharfen Szenen (die rauschhafte Geschwindigkeit des Sportwagens spiegelnd) und nimmt dabei bereits Elemente des surrealistischen Stummfilms ''Un chien andalou'' vorweg, der etwa zwei Jahre später in Paris uraufgeführt wird.
Ebenjener Epstein – eigentlich studierter Mediziner, in den frühen 1920er Jahren Filmregisseur und später als Leiter der "Académie du cinéma" in Kontakt mit den Surrealisten – dreht beispielsweise 1927 den einflussreichen Stummfilm ''La Glace à trois faces'' ("Der dreiflügelige Spiegel") und setzte darin genau diese Ästhetik des Films als eine Abfolge traumartiger Bilder um (vgl. Brütsch 2009: 28f.). Der etwa vierzigminütige Film arbeitet dabei unter anderem mit sprunghaften Detailaufnahmen (als Übernahme der Figurenperspektive), mit überblendeten Einstellungen (zur narrativen Schwerpunktsetzung) oder unscharfen Szenen (die rauschhafte Geschwindigkeit des Sportwagens spiegelnd) und nimmt dabei bereits Elemente des surrealistischen Stummfilms ''Un chien andalou'' vorweg, der etwa zwei Jahre später in Paris uraufgeführt wird.


<div style="text-align: right;">[[Autoren|Jonas Nesselhauf]]</div>
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Jonas Nesselhauf]]</div>


==Literatur==
 
==Filme==
* Auguste und Louis Lumière, L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat (Frankreich, 1896)
 
 
==Bezugstexte==
* Freud, Sigmund: Die Traumdeutung [1899]. Frankfurt/M.: Fischer 2009.
* Talbot
 
==Forschungsliteratur==
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[[Kategorie:20._Jahrhundert]]
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[[Katgeorie:Moderne]]
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