"Träume" (Günter Eich): Unterschied zwischen den Versionen

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==Entstehung und Rezeption==
==Entstehung und Rezeption==
Das Hörstück wurde am 19. April 1951 erstmals vom Nordwestdeutschen Rundfunk unter der Regie von Fritz Schröder-Jahn mit prominent besetzten Sprecherrollen ausgestrahlt. Bereits im Vorfeld der Sendung hatte die Rundfunkanstalt mit kritischen Zuschauerreaktionen gerechnet. Die wütenden und verständnislosen Proteste, die während und im Anschluss an die Ursendung erfolgten, übertrafen jedoch sämtliche Befürchtungen. Eine Zusammenstellung der Reaktionen liefert Ruth Schmitt-Lederhaus (1989, 27-49). Mit seiner programmatischen Kritik an einem selbstzufriedenen ‚Dämmerzustand’ der Nachkriegsbevölkerung, welche die Augen vor der eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus verschließt, hatte Eich einen Nerv der Zeit getroffen. Vor allem die ersten beiden Träume wurden unmittelbar auf den Genozid und die Euthanasie der Nationalsozialisten bezogen. Die Traumszenen selbst stellen allerdings keine explizite Verbindung zum nationalsozialistischen Terror her, sondern legen diese allenfalls symbolhaft nahe. Das Hörspiel wurde nach seiner Erstsendung 15 Jahre lang nicht mehr ausgestrahlt. Demgegenüber erfährt die gedruckte Fassung, die erstmals 1953 erschien, eine deutlich positivere Resonanz (Goß 1988, 160-163). Im November 1954 fügt Eich seinen fünf Träumen noch einen sechsten hinzu. Dieser ersetzte in späteren Hörspiel-Sendungen oftmals den wegen eines kannibalischen Kindermordes besonders umstrittenen zweiten Traum der Urfassung (Karst 1992, 481). 1966 wurde der Alptraum-Zyklus in Eichs Sammlung 15 Hörspiele aufgenommen. Der ursprüngliche Eingangsdialog der Hörspielfassung ist in der gedruckten Ausgabe durch ein programmatisches Gedicht ersetzt, das sich in kritischer Art und Weise mit einem traumlosen, die Augen vor der Realität verschließenden Schlaf auseinandersetzt.Was die Bedeutung der Träume selbst angeht, so bemerkt Karl Korn anlässlich der Buchausgabe: „Wer die [...] Traumspiele gelesen hat, der fühlt sich wie von Magie angerührt. [...] Traumgestalten werden leibhaftig, betrachtet mit dem Tiefsinn verschütteter Kindheitsträume. Traumdeutung ist Günter Eichs Gedicht, und man kann zu seinem Ruhme wohl nicht mehr sagen, als daß er unser aller Träume dichtet“ (Korn zitiert nach Karst 1992, 482). Gleichwohl steht das spezifisch Traumhafte der einzelnen Alpträume bislang nicht im Zentrum der Forschung. Eine Interpretation auf der Grundlage der Freud’schen Traumdeutung liefert allerdings Schmitt-Lederhaus (1989, 76-117). Jörg Döring hat anhand des ersten Traums die einzelnen Phasen der Rezeption in Deutschland untersucht und nachgewiesen, wie dieser Traum „auf je zeitbedingte Weise einer kreativen Fehllektüre unterzogen wird“ (Döring 2009, 142). Diese reicht von der vehementen Abwehr des ‚Unzumutbaren’ über kollektives Beschweigen und das von den Hörern/Lesern ignorierte Angebot, sich in die Opfergemeinschaft des Zweiten Weltkriegs zu integrieren, bis hin zur undifferenzierten Vereinnahmung durch die 1968-er Bewegung (Döring 2009, 160-161).
Das Hörstück wurde am 19. April 1951 erstmals vom Nordwestdeutschen Rundfunk unter der Regie von Fritz Schröder-Jahn mit prominent besetzten Sprecherrollen ausgestrahlt. Bereits im Vorfeld der Sendung hatte die Rundfunkanstalt mit kritischen Zuschauerreaktionen gerechnet. Die wütenden und verständnislosen Proteste, die während und im Anschluss an die Ursendung erfolgten, übertrafen jedoch sämtliche Befürchtungen. Eine Zusammenstellung der Reaktionen liefert Ruth Schmitt-Lederhaus (1989, 27-49). Mit seiner programmatischen Kritik an einem selbstzufriedenen ‚Dämmerzustand’ der Nachkriegsbevölkerung, welche die Augen vor der eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus verschließt, hatte Eich einen Nerv der Zeit getroffen. Vor allem die ersten beiden Träume wurden unmittelbar auf den Genozid und die Euthanasie der Nationalsozialisten bezogen. Die Traumszenen selbst stellen allerdings keine explizite Verbindung zum nationalsozialistischen Terror her, sondern legen diese allenfalls symbolhaft nahe. Das Hörspiel wurde nach seiner Erstsendung 15 Jahre lang nicht mehr ausgestrahlt. Demgegenüber erfährt die gedruckte Fassung, die erstmals 1953 erschien, eine deutlich positivere Resonanz (Goß 1988, 160-163). Im November 1954 fügt Eich seinen fünf Träumen noch einen sechsten hinzu. Dieser ersetzte in späteren Hörspiel-Sendungen oftmals den wegen eines kannibalischen Kindermordes besonders umstrittenen zweiten Traum der Urfassung (Karst 1992, 481). 1966 wurde der Alptraum-Zyklus in Eichs Sammlung ''15 Hörspiele'' aufgenommen. Der ursprüngliche Eingangsdialog der Hörspielfassung ist in der gedruckten Ausgabe durch ein programmatisches Gedicht ersetzt, das sich in kritischer Art und Weise mit einem traumlosen, die Augen vor der Realität verschließenden Schlaf auseinandersetzt.Was die Bedeutung der Träume selbst angeht, so bemerkt Karl Korn anlässlich der Buchausgabe: „Wer die [...] Traumspiele gelesen hat, der fühlt sich wie von Magie angerührt. [...] Traumgestalten werden leibhaftig, betrachtet mit dem Tiefsinn verschütteter Kindheitsträume. Traumdeutung ist Günter Eichs Gedicht, und man kann zu seinem Ruhme wohl nicht mehr sagen, als daß er unser aller Träume dichtet“ (Korn zitiert nach Karst 1992, 482). Gleichwohl steht das spezifisch Traumhafte der einzelnen Alpträume bislang nicht im Zentrum der Forschung. Eine Interpretation auf der Grundlage der Freud’schen ''Traumdeutung'' liefert allerdings Schmitt-Lederhaus (1989, 76-117). Jörg Döring hat anhand des ersten Traums die einzelnen Phasen der Rezeption in Deutschland untersucht und nachgewiesen, wie dieser Traum „auf je zeitbedingte Weise einer kreativen Fehllektüre unterzogen wird“ (Döring 2009, 142). Diese reicht von der vehementen Abwehr des ‚Unzumutbaren’ über kollektives Beschweigen und das von den Hörern/Lesern ignorierte Angebot, sich in die Opfergemeinschaft des Zweiten Weltkriegs zu integrieren, bis hin zur undifferenzierten Vereinnahmung durch die 1968-er Bewegung (Döring 2009, 160-161).