"A Day in the Life" (The Beatles)

Aus Lexikon Traumkultur
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A Day in the Life (dt. etwa: ein Tag im Leben, 1967) ist das dreizehnte und letzte Lied des Albums Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band der britischen Musikgruppe The Beatles. Als Verfasser registriert sind „Lennon/McCartney“. Der zweite Teil des Stückes führt in einen instrumentalen Traum hinein, ist aber selbst auch schon als Erwachen inszeniert. Zudem gibt es weitere Verweise auf Träumen bzw. traumähnliche Rauschzustände.


Autoren

The Beatles (1960–1970), seit 1962 bestehend aus John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr, waren eine der populärsten Musikgruppen der Welt. Nach Ursprüngen im Rock’n’Roll und Beat in den frühen 1960er Jahren wandten sie sich zunehmend experimentelleren Musikformen zu. Sgt. Pepper gilt als eines der ersten Konzeptalben – obgleich eigentlich kein einheitliches Konzept vorlag (vgl. Gaar 2017, 115, 119) –, das aufwändig mit moderner Aufnahmetechnik produziert wurde und aufgrund seiner Komplexität kaum noch für Live-Auftritte geeignet war. Als Autoren der Mehrheit der Stücke sowohl in textlicher wie musikalischer Hinsicht fungierten John Lennon (1940–1980) und Paul McCartney (geb. 1942) als „Lennon/McCartney“. Gerade Sgt. Pepper muss aber als ein Gemeinschaftsprojekt im erweiterten Sinne betrachtet werden, da es sehr viele Mitwirkende im Studio gab. Alle Musiker begannen nach der Auflösung der Band Solokarrieren. John Lennon war bis zu seiner Ermordung 1980 auch in der Friedensbewegung aktiv; Paul McCartney und Ringo Starr, die überlebenden Mitglieder, treten immer noch erfolgreich auf.


Zur Entstehungsgeschichte

Lennon schrieb den A-Teil des Songs – mit Ausnahme der Zeile „I’d love to turn you on“, die von McCartney stammt –, der dann mit einem parallel von McCartney entwickelten B-Teil kombiniert wurde (vgl. Gaar 2017, 108). Die Aufnahmen fanden im Januar und Februar 1967 statt, wobei die Session am 10. Februar als eine Art „Happening“ mit geladenen prominenten Gästen in den Abbey Road Studios inszeniert wurde (vgl. Gaar 2017, 110), und involvierten u.a. ein vierzigköpfiges klassisches Orchester sowie diverse aufnahmetechnische Experimente unter der Federführung von George Martin, darunter ungewöhnliche Tonabnahmeverfahren, vielfältige Verfremdungseffekte und der extensive Einsatz von Geräuschen. Als letztes Lied nimmt A Day in the Life zudem eine Sonderstellung ein, indem es außerhalb des ‚Rahmens‘ steht, den das Einleitungsstück „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, mit Jahrmarkts- und Zirkusreferenzen ein Thema des Albums aufrufend, und seine Reprise als zwölftes und damit vorletztes Lied bildet. Durch Ausblenden geht es in A Day in the Life über, was aber je nach Ausgabe, Kanal (Mono vs. Stereo) und Land unterschiedlich ausfällt (vgl. Gaar 2017, 130).


Inhalt und Aufbau

Lyrics

Textlich kann der Song in zwei Hauptteile gegliedert werden. Der A-Teil – von Lennon verfasst – beschreibt in drei Strophen (1 als Doppelstrophe, 2 und 4) Beobachtungen des lyrischen Ichs zu aktuellen Ereignissen (basierend auf Zeitungsmeldungen), der B-Teil (3) – von McCartney – erzählt vom ‚typischen‘ Tagesablauf eines Ichs. Lennons Teil umschließt McCartneys in der Form AABA. Die beiden Teile sind durch instrumentale musikalische Bridges (Übergänge) miteinander verbunden.

A-Teil (Lennon)

Die Strophen beginnen stets mit der Beschreibung einer Medienrezeption im ersten Vers mit dem Zusatz „oh boy“: „I read the news today, oh boy“ (Strophe 1), „I saw a film today, oh boy“ (Strophe 2) und wieder „I read the news today, oh boy“ (Strophe 4), wobei das „oh boy“ eher rhetorischen Zwecken dient als ein Du anredet. Daran schließt sich eine genauere Angabe zu dem Rezipierten an: Ein junger Mann hatte einen Unfall oder wurde beim Drogenkonsum erwischt („he blew his mind out in a car“, 1), ein Film schockiert das Publikum oder – absurderweise – die Löcher in den Straßen einer Stadt in Lancashire wurden gezählt („4,000 holes in Blackburn, Lancashire“, 4). Die Reaktionen eines fiktiven Publikums („a crowd of people“) spielen dabei eine Rolle; sie stehen im starken Kontrast zum Verhalten des lyrischen Ichs: Während Letzteres mit Sarkasmus („a lucky man who made the grade“, 1) und Lachen auf das Ereignis reagiert („I just had to laugh/ I saw the photograph“, 1), sind die anderen Zuschauer schaulustig („a crowd of people stood and stared“, 1) und scheinen sich zu fragen, woher sie den verunfallten Mann kennen („nobody was really sure if he was from the House of Lords“). Oder sie reagieren schockiert auf einen Film („a crowd of people turned away“, 2), während das Ich hinsehen muss, weil es schon die Buchvorlage kannte („but I just had to look/ having read the book“, 2) – eine Verdopplung der inszenierten Rezeption um das Lesen, die noch multipliziert wird, wenn man bedenkt, dass Lennon in dem referierten Film How I Won the War („the English Army had just won the war“, 2) selbst mitspielte (vgl. Gaar 2017, 108).

Die Absurdität nebensächlicher Zeitungsmeldungen treibt die letzte Strophe (4) auf die Spitze: Da man die Löcher in den Straßen gezählt habe, so wisse man nun immerhin, wie man die renommierteste Londoner Konzerthalle damit füllen könne („now they know how many holes it takes to fill the Albert Hall“, 4). Der Versfuß, orientiert man sich am Gesang, ist unspektakulär jambisch, das Reimschema frei, aber regelmäßig abcdd(e), wobei der Paarreim heraussticht und, verzögernd gesungen, Latenz generiert und aufmerksamkeitslenkend wirkt (1: „laugh-photograph“, „before-sure“, 2 „look-book“). In der vierten Strophe ist dieser Effekt durch dreifachen Reim („small-all-Hall“) geradezu überbetont. Besondere Aufmerksamkeit erlangte der am Ende der zweiten und vierten Strophe gesetzte Vers „I’d love to turn you on“, der, als Hinweis auf Drogenkonsum und möglicherweise Timothy Leary (1920-1996) gewertet, zeitweise für den Radioboykott des Stückes sorgte (vgl. Wicke 2014, iv; Gaar 2017, 142) und in der Folge den auf Drogen verweisenden, aber hauptsächlich sexuell konnotierten Ausspruch ‚to turn sb. on‘ (‚jmdn. antörnen‘) prägte (vgl. Bünting 2017).

B-Teil (McCartney)

Der von McCartney geschriebene B-Teil ist nicht nur musikalisch verschieden, er hat auch eine andere Erzählform: Während Lennons Strophen vorwiegend Reflexionen wiedergeben, beschreibt das lyrische Ich hier einen Tagesablauf, der mit dem auch akustisch wahrnehmbaren Klingeln eines Weckers und den Worten „woke up, fell out of bed“ (Strophe 3) beginnt. Dies geschieht hauptsächlich in stakkatoartigen Aufzählungen unter größtmöglicher Weglassung des Personalpronomens:

Woke up, fell out of bed
Dragged a comb across my head
Found my way downstairs and drank a cup
And looking up/ I noticed I was late
Found my coat and grabbed my hat
Made the bus in seconds flat
Found my way upstairs and had a smoke
And somebody spoke/ and I went into a dream (The Beatles 1967, 3)

Zudem verwendet McCartney ein strikteres Reimschema als Lennon im A-Teil, aab(b)cdde(e)f, fast eine Art Schweifreim, wenn man die beiden Binnenzäsuren berücksichtigt, die ebenso zum ‚atemlosen‘ Eindruck beitragen, der akustisch u.a. durch ein eingeblendetes Hechelgeräusch verstärkt wird; auch die – in Metrikterminologie – annähernd anapästisch gesungenen Verse fügen sich dazu. Das Ich erwacht, steht auf, trinkt eine Tasse Kaffee und bemerkt dann, dass es sich beeilen muss, um den Bus noch zu erreichen. Am Zielort, wahrscheinlich der Arbeitsstelle, raucht es, nimmt noch das Gespräch eines Anderen wahr und scheint dann in einen Traum abzugleiten. Was es raucht (Marihuana?) und um welche Art von Traum es sich handelt, wird nicht erläutert, eignet sich aber zur Interpretation. Auffällig auch die Abwärtsbewegung in der ersten Hälfte („fell out of bed“, „found my way downstairs“), der eine Aufwärtsbewegung in der zweiten Hälfte gegenübersteht („found my way upstairs“), die dann im anschließenden Instrumentalteil eine Entsprechung findet, sowie das ‚tastende‘ Vorgehen des Ichs, ausgedrückt durch die dreimalige Verwendung von „found“. Der Tagesablauf scheint als typisch erzählt und kann als eine Parodie und Überzeichnung bürgerlichen Alltags gelesen werden (so auch Wicke 2014, iii) – oder eines langweiligen Schultages, wie es McCartney beschrieb (vgl. Gaar 2017, 108) –, aus dem der Traum eine Ausbruchsmöglichkeit bietet.

Musik[1]

Musikalisch ist das Stück in mehr als zwei Teile gegliedert: Der A-Teil wechselt zwischen den verwandten Tonarten G-Dur und E-Moll, der B-Teil ist in E-Dur gehalten. Der A-Teil ist sehr sparsam instrumentiert (Gitarre, Klavier, Bass, Maracas, dann Schlagzeug, vgl. Pollack 1996, Verse) und wird von John Lennon „nüchtern“ (Schleich 2019, 95) vorgetragen, doch aufgenommen mit Hall auf der Stimme und als Teil einer leicht bruchhaften Melodik, in der „jede Viertaktgruppe der Strophen […] auf einem anderen Akkord (I, IV, I, iv) [beginnt], ohne die Grundtonart jedoch zu verlassen“ und „jede der drei Strophen […] harmonisch mit einer anderen Akkordwendung (IV-V, IV-IV, i-I) [schließt]“ (Wicke 2014, iii). Daraus resultiert ein Höreindruck, der bisweilen als „gespenstisch“ beschrieben wird (Schleich 2019, 87) und auch einer komplexen Klangarchitektur geschuldet ist, bei der die Klangquellen in unterschiedlichen Distanzen zum Aufnahmegerät platziert sind und dadurch verschiedene ‚Räume‘ suggerieren (vgl. ausführlich Wicke 2014, iii). Auffällig ist die jeweils am Ende einer Strophe ansteigend gesungene Melodielinie, die schon auf das Ende des A-Teils und den anschließenden instrumentalen Übergang vorbereitet. Der B-Teil wird von McCartney ebenfalls sachlich vorgetragen, ist zudem „aufnahmetechnisch unmittelbar an den Hörer heran gerückt“ (vgl. Wicke 2014, iii), hat jedoch in seiner gleichfalls reduzierten Besetzung einen charakteristisch treibenden Rhythmus, der durch subtile Steigerung eine jazzartige Komponente bekommt und, gemeinsam mit den Geräuschen – charakteristisch das Weckerklingeln zu Beginn und ein Hecheln nach der Zeile „I noticed I was late“ – mit dem atemlosen Weg des Ich-Erzählers zur Arbeit auf der Textebene korrespondiert (vgl. dazu auch Wicke 2014, iii).

Musikalisch besonders interessant sind die beiden Varianten von Überleitungen: Im Anschluss an den ersten, von Lennon geschriebenen Teil (nach Strophe 2) – schon zuvor in der Mitte der Strophe kurz angedeutet – wie nach der letzten von Lennon geschriebenen Strophe 4 folgt jeweils auf die Zeile „I’d love to turn you on“ ein Instrumentalteil a, der sehr aufwändig produziert wurde. Ein vierzigköpfiges klassisches Orchester spielt in einer dynamisch wie quantitativen Steigerung nach McCartneys Anweisung, „to start on whatever the lowest note on their instrument is, and to arrive on the highest note on their instrument“ (Anthology, 247), was den Eindruck einer Kakophonie erzeugt, die stetig anschwillt, um dann beim ersten Mal mit einer Wendung in den B-Teil überzugehen bzw. im zweiten Fall in einer Art Explosion, auf die ein Moment der Stille folgt, in einen monumentalen E-Dur-Schlussakkord zu münden, der auf mehreren Klavieren mit getretenem Pedal aufgenommen wurde und so sehr lange schwebend nachklingt. Besonders aufschlussreich für den vorliegenden Beitrag ist der Instrumentalteil b im Anschluss an den von McCartney komponierten B-Teil (Strophe 3), da dieser auf den Vers „and I went into a dream“ folgt. Er ist nicht rein instrumental, da er über die gesamte Länge von einem vokalisierten „Ahahaha“ begleitet wird. Die Singstimme ‚schwebt‘ sphärisch anmutend über dem Orchester, das eine dynamisch zunehmende Begleitung spielt, während das Schlagzeug als Rhythmusgeber weiterhin präsent bleibt. Einen Sonderfall bildet das Ende c: Nach dem Verklingen des Schlussakkords ist ein für Menschen unhörbar hoher Ton eingefügt („a bit that only dogs could hear“; Anthology, 247), dann herrscht einige Zeit Stille, bevor – je nach Ausgabe und Abspielgerät (bei Plattenspielern ohne „automatic turntable“, vgl. Garr 2017, 136) – ein aus Sprachfetzen und Geräuschen zusammengefügter Loop einsetzt, in dem möglicherweise die Aussagen „Been really high“ und „It never could be any other way“ herauszuhören sind.

Die musikalische Gesamtstruktur von A Day in the Life lässt sich also wie folgt schematisieren:

A - A - a - B - b - a2 - [c]


Träume(n)

Die deutlichste Traumreferenz findet sich im am Ende des B-Teils (Strophe 3) mit dem Vers „and I went into a dream“ und verweist auf die unter diesem Vorzeichen zu betrachtende anschließende musikalische Überleitung b. Weitere Referenzen sind als Drogenkonsum deutbar, besonders das ebenfalls am Ende zweier Strophen vorkommende „I’d love to turn you on“.

Situierung und Beschreibung

An einer Stelle innerhalb des Songs wird, wie erwähnt, eindeutig das Träumen angesprochen: So heißt es am Ende des von Paul McCartney geschriebenen B-Teils im Anschluss an die Beschreibung des morgendlichen Tagesablaufs: „Found my way upstairs and had a smoke / and somebody spoke and I went into a dream“ (3). Darauf folgt die instrumentale Überleitung b, die durch das gesteigerte vokalisierte „Ahahaha“ eine sphärische Atmosphäre transportiert, die interpretatorisch eine traumähnliche Qualität gewinnt: „the narrator slips into a dream“ (Garr 2017, 111), und somit in krassem Kontrast zu den lakonischen Beobachtungen des A-Teils wie der Getriebenheit des B-Teils steht. Als schwächere Traumreferenz kann auch das jeweils ans Ende des A-Teils gesetzte „I’d love to turn you on“ aufgefasst werden, an das sich die Überleitung a anschließt, die durch ihre kakophone Atmosphäre besonders am Ende des Stückes einen geradezu bedrohlichen Eindruck hervorrufen kann und in eine Art ‚Soundexplosion‘ mündet.

Analyse und Interpretationsansatz

Am Ende des B-Teils angesiedelt, bereitet die Traummarkierung den instrumentalen Anschluss vor und kann daher interpretatorisch als ‚Leseanweisung‘ für diesen instrumentalen Teil verstanden werden. Demnach wäre dessen musikalisch in starkem Kontrast stehende orchestrale wie stimmlich sphärische Umsetzung eine Art nonverbale Traumdarstellung des Ichs, das seiner Alltagsroutine entfliehen möchte. Das Fehlen von Worten könnte mit der oftmals Träumen zugeschriebenen Dominanz von Sinneseindrücken und der Unmöglichkeit der Verbalisierung des Trauminhalts in Verbindung gebracht werden. Nimmt man die oben beschriebene Aufwärtsbewegung („upstairs“) im B-Teil wörtlich, so wird sie in der treppenartig steigenden Musik (zum Begriff Schleich 2019, 86, mit Tagg) des b-Teils gespiegelt, was den Eindruck eines ‚Aufsteigens‘ in die ‚Höhen‘ eines Traumes oder Rauschzustandes (vgl. den Ausdruck ‚to get high‘) verstärkt. Im Übergang in den zweiten A-Teil erfolgt dann ein vorübergehendes ‚Absteigen‘; dessen im Vergleich zum ersten surrealerer Text unterminiert den Eindruck einer Rückkehr in die Alltäglichkeit (erneut „I read the news“) allerdings wieder.

Da Musik aber nicht im gleichen Maße wie Text, Film oder auch Bild narrativ ist, ist sie nur annähernd zu beschreiben und stets im Kontext des Liedtextes zu sehen. Aufmerksamkeit gebührt in dieser Hinsicht der Anfangszeile der Strophe 3, heißt es dort doch gleich zu Beginn (in Korrespondenz zum abrupten musikalischen Umbruch) „Woke up, fell out of bed“. Ist möglicherweise die vorangehende instrumentale Partie a gleichfalls eine Traumdarstellung? Wie für Instrumentalmusik typisch kann diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden. Es ist jedoch auffällig, dass auch der instrumentale Teil a an „I’d love to turn you on“, eine weitere potenzielle Traumreferenz, anschließt. Durch die Positionierung von Traum- oder Erwachensreferenzen zu Beginn und Ende der dritten Strophe entsteht der Eindruck einer gewissen Zirkelhaftigkeit, wie sie auch bei Formen des Traums im Traum zu beobachten ist – oder, allgemeiner, beim Wechsel zwischen Traum- und Wachphasen. Durch die vorangehende mögliche Traum-/Rauschreferenz wiederholt sich die Zirkelhaftigkeit also mehrfach innerhalb von A Day in the Life. Die Wiederkehr dieser Struktur am Ende des Songs in Strophe 4, wenn im Anschluss an das erneut gesungene „I’d love to turn you on“ eine Variation des a-Instrumentalteils vorkommt, stärkt die These von einer instrumentalen Traum- bzw. Rauschdarstellung, denn stets folgen Instrumentalteile auf mögliche Traumreferenzen.

Sieht man nun den Hauptgegenstand der jeweiligen Teile – im A-Teil die konträren Reaktionen des lyrischen Ichs auf täglich rezipierte (Sensations-)Meldungen, im B-Teil der morgendlichen Alltag eines Ichs nach dem Aufstehen – so bieten die am jeweiligen Ende eines Teils stehenden (potenziellen) Traumverweise („I’d love to turn you on“, „and I went into a dream“) mit der jeweils anschließenden instrumentalen Umsetzung eine gängige Funktion des Traums in vielen fiktionalen Werken: den des Auswegs, des Ausbrechens und Entkommens aus dem Alltag. Die Drogenreferenzen („turn you on“, „had a smoke“) fügen sich in das Zeitgeschehen der späten 1960er Jahre und Selbstzeugnisse der Autoren ein (vgl. Garr 2017, 109), die von „lots of psychedelic references“ sprechen (Anthology, 247). In beiden Fällen sind es jedoch keine ‚gewöhnlichen‘ Nachtträume, auf die (potenziell) angespielt wird, sondern eher tagtraumartige Rauschzustände, die zumindest gewünscht werden („I’d love to“). Lediglich das „Woke up“ (3) verweist auf den Nachttraum: Aus ihm heraus wird das lyrische Ich im B-Teil durch das rüde Klingeln des Weckers hinauskatapultiert, nur um seinem Alltag schnellstmöglich wieder in einen Tagtraum zu entfliehen. Andere Stücke des Albums variieren entweder die Parodie eines bürgerlichen Morgens (Lennons Good Morning, Good Morning, vgl. Garr 2017, 119, 137) oder spielen an einem Morgen (McCartneys She’s Leaving Home). In beiden ist aber nicht der Traum Möglichkeit zum Ausbruch: Entweder bleibt die Monotonie („everyone you see is half asleep“) oder der Morgen selbst ist schon Metapher für den Aufbruch der Protagonistin in ein neues Leben („Wednesday morning at five o’clock as the day begins […] she is free“).

Bei genauerem Hinsehen sind die im A-Teil rezipierten Zeitungsmeldungen alles andere als banal: Ist das „he blew his mind out in a car“ (1) nun eine Referenz auf den Unfall des Guiness-Erben Tara Browne, wie gemeinhin angenommen, oder eine weitere Drogenreferenz, wie Paul McCartney einmal nahelegte („I was imagining a politician bombed out on drugs“, zitiert nach Miles in Garr 2017, 108) – immerhin heißt es nicht ‚he blew his brains out‘ (dazu Bünting 2017)? Der in 2 referierte Film ist eine schwarze Komödie über den Krieg. Zumindest die ersten beiden Strophen beschäftigen sich also mit dem Tod, wozu Lennons ‚gespenstische‘ Stimme passt, die durch den parallelen Einsatz von E-Moll unterstrichen wird (vgl. Pollack 1996, Melody and Harmony), sowie die sarkastische Stellung des Ichs zu den Geschehnissen. Musikalisch wird das Ende des Songs, zugleich das Ende des Albums, gerne mal mit dem Ende der Welt (Bünting 2017: „Götterdämmerungskatastrophen“) umschrieben. Doch zugleich ist die ‚Explosion‘ auch eine Erlösung und Auflösung der zuvor entstandenen dissonanten Spannungen in einem harmonischen E-Dur-Schlussakkord, was geradezu sinfonisch anmutet (Bünting 2017 denkt gar an Beethoven) – oder aber eine Parodie darauf ist: „that ready-made classical cliché of a final E-Major chord“ nennt es Pollack (1996, Outro). Im Hinblick auf das Traumthema kann das Ende die Deutung bestärken, dass Traum bzw. Rausch eine Erlösung von den Katastrophen des Lebens bieten kann. Man könnte auch den letzten instrumentalen Teil a2 mit der erst Spannung erzeugenden und diese dann auflösenden Musikgestaltung als Beschreibung eines Rausches selbst lesen (oder wahlweise sexuell, siehe ‚turn you on‘).

Das Video – Ein Medienwechsel

00:01: Die wiederkehrenden abstrakten Lichteffekte.
01:17: Das Filmen im Video.
00:51: Die extreme Nahaufnahme eines Auges.

Eine Sonderstellung nimmt das Musikvideo zu A Day in the Life ein. Es wurde 1995 als Teil der Anthology veröffentlicht und ist seit 2015 auch auf dem offiziellen Youtube-Kanal der Beatles zu sehen.[2] Im Rhythmus der Musik sind collagenartig Aufnahmen montiert, die teils abstrakter Natur sind (verschwommene bewegte Lichter, überbelichtete Filmbilder, extreme Nahaufnahmen), mehrheitlich aber von der Aufnahmesession zu A Day in the Life stammen. In Analogie zur inhärenten Steigerung des Musikstücks, besonders erkennbar in den Orchesterpartien, nehmen auch die Surrealität der Aufnahmen sowie die Schnittfrequenz zu. Schließlich (ab Instrumentalteil a) sind die klassischen Musiker im Studio mit clownesken Nasen und übergroßen Brillen zu sehen. Jeweils sind parallel zu ihren Gesangspartien John Lennon bzw. Paul McCartney im Bild. Es handelt sich zudem um assoziative Montagen, wenn z.B. die extreme Nahaufnahme eines Auges (vgl. 00:51) gezeigt wird, die an die berühmte Aufnahme zu Beginn von "Un_chien_andalou"_(Luis_Buñuel) Un chien andalou erinnert, während Lennon von „notice“ singt, bei dem Stichwort „lights“ Scheinwerfer zu sehen sind (00:54-56), bei „film“ ein Mann mit einer Super-8-Kamera (01:12-21) oder dem hörbaren Hecheln im B-Teil das Bild eines sich kratzenden Studiogastes gegenübergestellt wird (02:35); bei „Woke up“ wackelt eine Panoramaaufnahme des House of Parliament analog zum klingelnden Wecker (02:18-21), bei „War“ sind Super-8-Aufnahmen von Kindern mit Spielgewehren sowie der englischen Polizei zu sehen (01:18-25), was fast gesellschaftskritisch anmutet. Zu den Traumreferenzen parallel sind entrückte oder rauchende Personen zu sehen (z.B. 01:39, 01:51). Auf die ‚Explosion‘ des Endes folgt eine längere Weißblende, wie sie geradezu zur filmischen Konvention geworden ist (04:20), das Nachklingen des Schlussakkords wird von Aufnahmen in Zeitlupengeschwindigkeit begleitet. Durch die Collagetechnik spiegelt das Video die Machart des Liedes selbst, durch die rhythmisierten Schnitte seine Musikalität, durch die zunehmend surrealen Einstellungen seine Rezeption, zugleich aber auch eine für Traumdarstellungen typische zunehmende Wunderbarkeit zum Aufwachen hin. Die Aufnahmen aus der Entstehungszeit bilden zudem eine Metareferenz auf die Produktion des Stückes. In diesem Licht betrachtet ist das Video doch etwas mehr als „ein bloßer Zusammenschnitt“ (Wicke 2014, iv).


Einordnung

Gewiss kann die Analyse der Darstellung von Träumen durch rein instrumentale Musik problematisch sein, im Fall dieses Popsongs kann sich die Analyse allerdings auf den Kontext der Lyrics stützen. So tritt ein Muster zu Tage: Den auffallend nüchternen und dem Titel (‚Ein Tag im Leben‘) entsprechenden, auf Zeitungsmeldungen basierenden Reflexionen mit möglicherweise medienkritischem Unterton (A-Teil) und der iterativen Routinebeschreibung (B-Teil) stehen aufwändig instrumentierte Übergangspartien gegenüber, die jeweils auf ein traumbezogenes Stichwort folgen. Interpretatorisch kann in ihnen eine Entgrenzung des Geistes durch Tagtraum oder Rauschzustand erkannt werden, wodurch unterschiedliche Wahrnehmungsebenen gestaltet werden. Damit nimmt der Traum eine basale Entlastungsfunktion von der Nüchternheit des Alltags ein, wie sie für viele Traumdarstellungen kennzeichnend ist, erhält allerdings ‚ohne Worte‘ zugleich eine herausgehobene Stellung. So zeigt sich A Day in the Life als Zeitdokument der späten 1960er Jahre mit ihrer Affinität für Experimente auch mit Rauschmitteln, die sich in anderen Stücken aus 1967 (z.B. Jefferson Airplanes White Rabbit) mit mitunter deutlichen (Traum-)Referenzen besonders auf Lewis Carrolls Alice-Werke sowie anderen Stücken der Beatles (vgl. dazu auf demselben Beatles-Album auch Lucy in the Sky With Diamonds; u.a. Gaar 2017, 123) gleichfalls ausdrückt. Zugleich beschreibt A Day in the Life aber auch den überzeitlichen Konflikt zwischen oftmals banalem, ggf. unglücklichem Alltag und dem Wunsch des Ausbrechens, den unter Umständen nur der Traum erfüllen kann.


Kathrin Neis


Literatur

Ausgaben

  • The Beatles: A Day in the Life. In: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band. London: Parlophone 1967. [Text zitiert mit Strophennummer]
    • LP von 1967, verschiedene Varianten, Mono wie Stereo in verschiedenen Ländern
    • CD von 1987
    • Anthology 2, 1996 unter Verwendung früherer Aufnahmen
    • The Beatles in Mono, remastered 2009
    • Jubiläumsausgabe 2017 mit Outtakes der Aufnahmesessions

Weitere zitierte Songs

  • The Beatles: Good Morning, Good Morning. In: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band. London: Parlophone 1967.
  • Dies.: She’s Leaving Home. In: Ebd.


Forschungsliteratur


Weblinks


Anmerkungen

  1. Neben werkspezifischer Sekundärliteratur nutze ich die von Markus Schleich entwickelte Methode zur Beschreibung von (Popular-)Musik für Literaturwissenschaftler (vgl. Schleich 2019, 83-104). Den Analysen liegen die Aufnahme von 1967 und die remasterte Version von 1996 zugrunde.
  2. Ich danke meinen Kolleg*innen und besonders Sophia Mehrbrey für die Anregung zur näheren Beschäftigung mit dem Video.


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Neis, Kathrin: "A Day in the Life" (The Beatles). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2020; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22A_Day_in_the_Life%22_(The_Beatles).

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