- Du kamst, und leis wie eine Märchenweise
- Erklang die Nacht... (Rilke 1955, Bd. 1, 88)
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In dem Gedicht, das aus zwei jambischen Vierzeilern im Kreuzreim besteht, geht es um eine nächtliche Begegnung zwischen dem lyrischen Ich und einer geliebten Person. Diese wird im Gedicht direkt vom lyrischen Ich angesprochen, um ihr rückblickend die Eindrücke von dieser Begegnung zwischen Traum- und Wachwelt mitzuteilen, die in der Nacht nach dem „Tag der weißen Chrysanthemen“ stattfand. Chrysanthemen gelten sowohl als Blumen, mit denen nach einer alten englischen Tradition ein Liebesgeständnis verbunden sein kann, als auch als solche, die insbesondere in der Farbe Weiß mit dem Tod und Trauerfeierlichkeiten assoziiert sind. Ob es sich bei dem „Tag der weißen Chrysanthemen“ innerhalb des Gedichtes um den Tag einer Trauerfeier oder hier gar das christliche Fest Allerheiligen handelt, wird in der Literatur weiterhin diskutiert und es soll hier auch kein Versuch stattfinden, dies abschließend zu klären. Themen und mitschwingende Emotionen des Gedichtes sind ein diffuses Bangen des lyrischen Ich vor der „schweren Pracht“ des angesprochenen Tages bzw. der Trauerfeier, der Tod sowie die Liebe zwischen den beiden Personen, die in der ersten Strophe noch mit dem „Nehmen der Seele“, einem zunächst scheinbar gewaltsamen Akt, assoziiert ist, der sich in der zweiten Strophe doch als tröstend und liebevoll erweist. Insbesondere gegen Ende herrscht im Gedicht eine positive, fast gelöste Stimmung vor, die zum „Erklingen der Nacht als Märchenweise“ zwischen Wachwelt und Traum hin- und herschwingt.
Zur persönlichen Auslegung und Verwendung des Gedichts durch Alban Berg in seinem Lied Traumgekrönt lassen sich zwei Briefe Bergs an seine spätere Ehefrau Helene heranziehen, anhand derer der Text eindeutig als Liebesgedicht interpretiert werden kann. Die folgenden Briefe sind zitiert nach Dopheide (1990, 235-236, eigentlich aus Berg 1965, 14 f.).
Brief vom 15. August 1907:
- „Verehrte Helene! Was war das gestern für ein Tag! Es war um die Mittagszeit, ich komponierte grad, es fehlten nur mehr einige Takte zur Vollendung: da brachte man mir Deinen Brief! „Endlich“, jubelte es in mir – – ich wollte ihn öffnen, da fiel mein Blick auf das Lied, und da kam’s wie eine Selbstzüchtigung über mich – uneröffnet legte ich Deinen Brief weg, so unglaublich es klingen mag – und vollendete pochenden Herzens das Lied: Das war der Tag der weißen Chrysanthemen […].“
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Brief (ohne Datum) aus dem Herbst 1907:
- „Wahrlich, Helene, Teuerste, Liebste: Mir bangte fast vor der Pracht des gestrigen Glücks – – Ich habe Dich geküßt! Ich mußte meine Lippen mit den Deinigen vereinigen, den so gebot eine Macht in mir […] / So lieb ich Dich!! Einzige – – – / Fassungslos, wie trunken wankte ich nachhaus, das eine nur fühlend, wie Deine holde Hand meine Seele streichelte – in Seligkeit wiegend – und auf den Lippen den herrlichsten der Küsse heimwärts tragend – – ‚Und leis‘ wie eine Märchenweise – Erklang die Nacht.‘“
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Diesen Ausführungen folgend liegt Bergs Vertonung somit Rilke intendierte Darstellung einer „Liebesnacht“ zugrunde, deren Stimmung zwischen Wach- und Traumwelt sowie in neuromantischer Manier zwischen Liebe und Tod oszilliert. Dopheide (1990, 237) schreibt dazu treffend:
- „Durch seinen ‚Empfindungsinhalt‘ und seinen ursprünglichen Titel Liebesnacht steht das Gedicht in einer Tradition von Liebesgedichten, die die Nacht als Zeit der Liebe besingen. […] In der zweiten Strophe erinnert vieles an die Romantik, die Formel „lieb und leise“ z. B. an das Volkslied. Worte und Bilder der ersten Strophe aber und die sich aus und an ihnen entwickelnden Assoziationen führen in die Vorstellungswelt der Jahrhundertwende: der Neuromantik und des Jugendstils. Das Bild „Tag der weißen Chrysanthemen“ z. B. öffnet einen atmosphärischen Raum, in dem Lichtfülle und schon ersterbendes Licht (Herbst), Lebensfülle – vielleicht schon Überfülle („schwere Pracht“ – und Todesgedanken („weiße Chrysanthemen“) sich verbinden, einander durchdringen. Ein solcher Tag ist ein Tag von noch hinreißender und doch schon müder, todgetroffener Schönheit.“
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Adorno (2003c, 387) betont darüber hinaus, „wie edel dies Ich in Traumgekrönt sein Glück begehrt, noch vertrauend auf Erfüllung, ehe es in die Lyrik von Schlaf und Tod als in ein Land sich versenkt, wohin keine mehr ‚lieb und leise‘ eintritt, an die im Traum gedacht war.“
An Rilkes Text hat Berg bei seiner Komposition eine Veränderung vorgenommen. In der zweiten Verszeile streicht er „schweren“ und schreibt: „mir bangte fast vor seiner Pracht“, was mit Bergs musikalischer Vertonung der psychologischen Vorgänge um das „bange Gefühl“ begründet werden kann (Dopheide 1990, 239-240). Im Folgenden werden nun insbesondere traumrelevante musikalische Aspekte betrachtet.
Traumrelevante analytische Betrachtungen zur Musik
Das bezüglich des Textes festgestellte Schweben zwischen Wach- und Traumwelt greift Alban Berg auch hinsichtlich der Musik auf, mit der er das Rilke-Gedicht vertont. Vorausgesetzt, man fasst Träume als etwas Erzählbares auf, dann weisen Träume typischerweise Charakteristika auf, die in traumartigen erzählenden Kunstwerken aufgegriffen werden können, um eine Traumästhetik umzusetzen (vgl. hierzu und im Folgenden Kreuzer 2014, 82-89). Auf der stofflich-inhaltlichen Ebene handelt es sich dabei z. B. um plötzliche Ortswechsel oder Zeitsprünge („räumliche und zeitliche Relativität“), die „Instabilität von Identitäten“ bei Subjekten oder Objekten, d. h. z. B. das Auftreten von Metamorphosen bei Menschen, Tieren oder Dingen, die „Aufhebung von Natur- oder Kausalgesetzen“ oder das Auftreten von „logischen Brüchen und Irritationen“. Auf der darstellerisch-formalen Ebene handelt es sich um „Diskontinuitäten in der Entfaltung des Geschehens“, „fehlende Kohärenz in der Darstellung“, „unzuverlässiges und unentscheidbares Erzählen“ sowie eine mögliche „Multiperspektivität“ einer Traumerzählung, die als ein „Spezialfall formaler Diskontinuitäten sowie fehlender Kohärenz von Traumdarstellungen“ angesehen werden kann (Kreuzer 2014, 87-88). Alban Berg bedient sich bei der Vertonung des Rilke-Gedichtes verschiedener dieser Eigenschaften von Traumdarstellungen und setzt diese musikalisch um.
Bezüglich der äußeren Form gestaltet Berg seine Vertonung kongruent zur einfachen zweistrophigen Anlage des Rilke-Gedichtes (Balduf-Adams 2008, 274). Das Lied umfasst 30 Takte und ist ungefähr in der Mitte, genauer gesagt in Takt 14, in zwei Teile aufgeteilt (A + A’), wobei die Musik des zweiten Teils (A’) eine Variation der Musik des ersten Teils (A) darstellt und der zweite Teil (A’) durch eine angefügte Coda etwas länger ist als der erste (Stenzl 1991, 84). Beide Teile sind nochmals, ebenso ungefähr in der Mitte, in zwei verschiedene Unterabschnitte unterteilt (A --> a+b, A’ --> a’+b’). Diese formalen Abschnitte werden von Berg insbesondere durch Tempoangaben zu Beginn der Abschnitte sowie durch die an die Enden der Abschnitte gestellten ritardandi markiert. Die folgende Formübersicht stammt aus der empfehlenswerten musikalischen Analyse des Stückes aus der Dissertationsschrift von Lisa A. Lynch zu Alban Bergs frühen Liedern aus dem Jahr 2014, die insbesondere auf die Motivik, die Harmonik, die Bewegtheit der Klavierpassagen sowie die Beschaffenheit der Gesangsphrasen fokussiert ist (Lynch 2014).
Abbildung 1: Form von Traumgekrönt, in Anlehnung an Lynch 2014, 62 (mit mehreren Korrekturen bezüglich der Taktzahlen).
Gemäß der Analyse von Lynch zeigt sich, dass innerhalb des Stückes ein ständiges Abwechseln, gar ein Wechselspiel, hinsichtlich verschiedener musikalischer Gestaltungsparameter stattfindet, wie z. B. bzgl. des vorherrschenden harmonischen Zentrums, der verwendeten musikalischen Motive, bzgl. des Vorherrschens von diatonischer im Gegensatz zu chromatischer Harmonik (vgl. dazu auch Butu 2020, 211) oder auch bzgl. der Bewegtheit des Notensatzes im Klavier sowie die Länge der Phrasen im Gesangsvortrag. Mit diesem Wechselspiel, das verschiedene musikalische Materialien betrifft, bildet Alban Berg das Schweben zwischen Wach- und Traumwelt, welche auch den Rilke-Text bestimmt, analog musikalisch ab. Beispielsweise ist im Hinblick auf die Motivik das, „was in der ersten Strophe zu den ersten beiden Versen der Hauptstimme Begleitung war, [.] zu Beginn der zweiten [Strophe] Gesang [wird] – und umgekehrt“ (Stenzl 1991, 84), das im Folgenden noch näher betrachtete Motiv a. Alban Berg kann so das bereits erwähnte Wechselspiel zwischen den ,Welten‘ anhand der Verwendung nahezu identischen musikalischen Materials in ,der jeweils anderen Welt‘ herbeiführen, was gleichzeitig durch die unvermittelten Übergänge einen traumartigen Klangeindruck, d. h. eine musikalische Traumästhetik erzeugen kann, aber gleichzeitig auch durch die konsequente Handhabung des musikalischen Materials die notwendige Kohärenz innerhalb des Stückes herstellt. Die hier verfolgte Grundidee, moderne Kunstwerke aus einer Traumlogik zu begründen und den Traum als ein Prinzip der formalen Gestaltung moderner Kunst einzusetzen, geht auf Charles Baudelaire zurück und spielt nicht nur in der modernen Dichtung und Literatur, wie z. B. bei Lautréamont oder Lewis Carroll (Lenk 1976), sondern auch in der modernen Musik eine Rolle (Stenzl 1991, 64-65; Stenzl 1996, 129). Das oben bereits angedeutete Wechselspiel im Umgang mit dem musikalischen Material in Alban Bergs Traumgekrönt entspricht ebendieser Idee, Formelemente der Musik traumartig zu konfigurieren und so den musikalischen Effekt des Hin- und Herwechselns zwischen Traum- und Wachwelt musikalisch zu fassen.
In Traumgekrönt, einer der letzten Kompositionen Bergs, die vorwiegend durch Dur-Moll-Tonalität geprägt sind (Archibald 1995, 100), herrscht, obwohl Berg mit den vom ihm notierten Vorzeichen die Tonart g-Moll signalisiert, weder eine eindeutige Tonart, noch ein klares tonales Zentrum vor (Lynch 2014, 5). Das Stück ist zwischenzeitlich sowohl deutlich von chromatischen Entwicklungen als auch von der Verwendung von Ganztonleitern bestimmt und oszilliert zwischen verschiedenen Tonarten (u. a. g-Moll, Fes- bzw. F-Dur, a-Moll etc., vgl. für Details Lynch 2014, 62), ohne jedoch eine Tonart stark bzw. klar und deutlich, z. B. durch eindeutige Kadenzen zur Tonika, zu bestätigen. Diese harmonische Ambiguität und der somit musikalisch simulierte Schwebezustand korrespondieren ebenso mit Anlage und Inhalt von Rilkes traumartigem Gedicht (Lynch 2014, 61).
Ein weiterer, musikalisch bedeutsamer Bezugspunkt, welcher die traumartige Anlage des Stücks bestimmt, liegt in der Motivik, die sich insgesamt aus wenigen musikalischen Keimzellen entwickelt (Adorno 2003e, 106; Dopheide 1990, 238f., Lynch 2014, 61 und 104; Butu 2020, 211,). Von besonderer Bedeutung ist ein kurzes viertöniges Motiv, welches direkt zu Beginn des Stücks im Klavier erklingt. Berg verwendet diese wenigen zentralen Motive in zahlreichen unterschiedlichen Variationen und Formen, was zu einer intensiven motivischen Sättigung und hohen musikalischen Dichte des Stückes führt (Lynch 2014, 13), weshalb es auch als „kompositorisch wohl reifste[s] und geformteste[s]“ der frühen Lieder Bergs gilt (Adorno 2003e, 105-106). Adorno sieht das Lied außerdem als „in der Auseinandersetzung mit Schönbergs Kammersymphonie, als weit geförderte Vorstudie zur Sonate“ (Adorno 2003c, 386), Bergs als op. 1 ausgezeichnete Klaviersonate. Später präzisiert Adorno hinsichtlich der motivischen Arbeit im Stück (2003d, 470):
- „Das Rilke-Lied Traumgekrönt ist das reifste Stück der Sammlung [der sieben frühen Lieder], technisch mit der Verarbeitung thematischer Reste und Modelle, den vielfachen, äußerst ökonomischen Vergrößerungen und Verkleinerungen bereits an der Erfahrung von Schönbergs Kammersymphonie gewachsen, dabei mit Glanz und Staunen einer Jünglingswelt im Ton, die musikalisch selten je sich fand.“
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Was Adorno hier hinsichtlich der Vergrößerungen und Verkleinerungen des motivischen Materials anspricht – Berg verwendet hier auch noch weitere Verfahren der Motivvariation, wie z. B. Transposition, Anpassungen bzgl. der Intervallstruktur innerhalb eines Motivs, Fragmentierung oder in der orchestrierten Fassung von 1928 auch Registerwechsel (vgl. DeVoto 1995, Lynch 2014, 63) –, sind in der Zeit der Komposition von Traumgekrönt zwar zunehmend etablierte, d. h. gängige moderne Kompositionsverfahren („entwickelnden Variation“, Lynch 2014, 13), derer sich nicht nur die Zweite Wiener Schule bediente. Allerdings könnte die motivische Arbeit in Traumgekrönt – einem Stück, das in mehrfacher Hinsicht einen expliziten Traumbezug aufweist – auch als ein offensichtlich im Dienst der musikalischen Erzeugung einer Traumästhetik eingesetztes Verfahren aufgefasst werden. Intensiver wissenschaftlich aufgearbeitet ist die Beschäftigung der Komponisten der Zweiten Wiener Schule mit den Ideen der Psychoanalyse zwar erst ab 1908 (Carpenter 2015) und, dass Alban Berg Sigmund Freuds Die Traumdeutung zum Zeitpunkt der Komposition von Traumgekrönt im Jahr 1907 nicht nur rezipiert, sondern die dortigen Ideen auch verarbeitet haben könnte, bleibt aus Sicht der Entstehungsgeschichte von Traumgekrönt bislang Spekulation. Allerdings erscheint dies zumindest nicht abwegig, zumal sich Freud und Berg im relevanten Zeitraum persönlich getroffen hatten, nämlich im Jahr 1900 und auch im Jahr 1907 (Oberlerchner und Tögel 2015). Die im Stück verwendete entwickelnde Variation der Motivik sowie die entwickelnde Variation im Allgemeinen weisen eine gewisse Ähnlichkeit zu den Verfahrensweisen des „Unbewussten“ mit dem „Traummaterial“ auf, der sog. „Traumarbeit“, die Sigmund Freud in Die Traumdeutung beschreibt (z. B. „Verdichtung“ und „Verschiebung“, Freud 2014, 284ff.). Eine Ähnlichkeit ergibt sich insofern, als sowohl in der Traumarbeit als auch in der musikalischen Arbeit mit den zu verarbeitenden Motiven das „Material“ verändert, fragmentiert und neu zusammengesetzt wird und dabei auch (Bedeutungs-)Akzente verschoben werden können. Petra Gehring spricht im Kontext von Freuds Theorie bei der Erläuterung der „Bauweise von Träumen“ gar von „der kompositorischen Arbeit des Traumes“ (Gehring 2008, 168-169), was ebenso auf diesen Zusammenhang hindeutet. Im Lauf des Stückes Traumgekrönt wird das motivische Material verschiedenen Transformationsprozessen unterzogen, d. h. es durchläuft „Metamorphosen“, was zu einer „traumähnlichen“ Instabilität von Identitäten (Kreutzer 2014, 84) führt. Motive sind zwar in ihrer Ursprungsgestalt noch erkennbar, treten aber umgeformt und verändert auf.
Diese Hypothese wird hier deshalb geäußert und scheint plausibel, weil Berg den Traumbezug seines Stückes Traumgekrönt explizit über mehrere äußere Merkmale des Stückes, d. h. nicht nur über die eben beschriebenen Merkmale der musikalischen Faktur, sondern z. B. auch über den Titel, herstellt und ausdrücklich auf ihn aufmerksam macht (Redepenning 2020, 688 f.). Insofern können die verwendeten Kompositionsverfahren und insbesondere die motivische Arbeit als explizit traumbezogen gedeutet werden, weil sie auf musikalische Art und Weise verschiedenen oben genannten Eigenschaften von erzählenden Traumdarstellungen, z. B. bezüglich der Herstellung musikalischer Kohärenz, vorhandener logischer Brüche in der Form oder auch der Instabilität von Identitäten innerhalb des musikalischen Materials, gerecht werden.
Die folgenden Abbildungen zeigen exemplarisch Bergs Variationsarbeit bezüglich des von Lynch (2014) so bezeichneten Motivs a (fes – es – b – a), das eine symmetrische Struktur aufweist (fallender Halbtonschritt, aufsteigende reine Quinte, fallender Halbtonschritt) und eine schwebende, uneindeutige Tonalität entstehen lässt, sowie die sich weiterhin aus diesem Motiv durch ‚entwickelnde Variation‘ ergebenden Abwandlungen bzw. durchlaufene Metamorphosen.
Abb. 2: Motiv a in Takt 1 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 3: Motiv a mit veränderter Intervallstruktur (Ganztonschritte statt Halbtonschritte) in Takt 2-3 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 4: Motiv a mit veränderter Intervallstruktur (Tritonus statt reiner Quinte) in Takt 3 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 5: Motiv a, transponiert um einen Ganztonschritt nach oben in Takt 4 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 6: Motiv a, zweimal in transponierter Form aufeinander folgend in Takt 5-6 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 7: Motiv a, beschleunigt in Sechzehntelnoten in Takt 8 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 8: Motiv a, einziges Auftreten in der Gesangsstimme in Takt 15-17, als Echo bzw. Wiederaufnahme des Klaviermaterials aus Takt 1-3 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Folgende Abbildungen zeigen Bergs Variationsarbeit bezüglich des Motivs b, das erstmals in der Gesangsstimme erklingt und sich anschließend ebenso in variierter Form durch die Klavierstimme zieht (Lynch 2014, 65).
Abb. 9: Motiv b in Takt 1-3 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Abb. 10: Fragment (zweite Hälfte) des Motivs b in Takt 3-4 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Abb. 11: Motiv b mit geänderter Intervallstruktur, aber gleicher Rhythmik in Takt 8-11 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Abb. 12: Rhythmisches Echo des Motivs b in Takt 28 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Darüber erklingt ein drittes Motiv (Motiv c) sowohl in der Gesangs- als auch leicht angepasst in der Klavierstimme (Lynch 2014, 65), was durch folgende Abbildungen ersichtlich wird.
Abb. 13: Motiv c in Takt 3-5 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Abb. 14: Motiv c mit geänderter Intervallstruktur in Takt 5-7 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Ein weiteres Motiv (Motiv d) erklingt sowohl in seiner ‚Grundgestalt‘ als auch mit leicht alteriertem Ende in der Gesangsstimme sowie in transponierter Form und leicht angepasst auch in der Klavierstimme (Lynch 2014, 66).
Abb. 15: Motiv d in Takt 8-11 (Quelle: Lynch 2014, 66)
Abb. 16: Motiv d mit geändertem Ende in Takt 22-24 (Quelle: Lynch 2014, 66)
Abb. 17: Motiv d im Klavier mit geändertem Ende in Takt 27-29 (Quelle: Lynch 2014, 66)
In ihrer Analyse zeigt Lynch weiterhin im Detail, wie genau die kontrapunktische Verwendung und Überlagerung insbesondere dieser vier Motive und ihrer Varianten nahezu sämtliche Klänge und Harmonien innerhalb des Stückes erzeugen bzw. wie diese bis zu den vier motivischen „Keimzellen“ zurückverfolgt werden können (Lynch 2014, 63-72 und 104). Neben der uneindeutigen harmonischen Entwicklung des Stücks setzt Alban Berg das Schweben zwischen den Welten insbesondere durch die entwickelnde Variation der gewählten und sehr dicht gesetzten Motive um, die verschiedene Metamorphosen durchlaufen und sich derart weiterentwickeln. Berg erzeugt so eine zwar musikalisch kohärente, aber trotzdem mit traumähnlichen Übergängen bzw. Brüchen versehene musikalische Faktur und mit ihr eine zwischen Traum und Wachzustand wechselnde verklärte Stimmung, die dem zugrundeliegenden Rilke-Gedicht entspricht.
Literatur
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