"Liebe 47" (Wolfgang Liebeneiner)

Aus Lexikon Traumkultur
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Die Traumata der Kriegserfahrung, die Enttäuschungen und die Einsamkeit der Nachkriegszeit stehen im Zentrum des deutschen "Trümmerfilms", der sich damit in den unmittelbaren Jahren nach 1945 programmatisch von der nationalsozialistischen Vereinnahmung des Kinos gelöst hat.

Wenig überraschend sind es daher auch immer wieder Albträume, die den aus dem Feld zurückgekehrten Soldaten als archetypischer Figur dieser Zeit heimsuchen (vgl. Nesselhauf 2017, 146) – etwa mit Liebe 47 aus dem Jahre 1949, der filmgeschichtlich inzwischen als "einer der ernsthaftesten" (Filmdienst) und "zweifellos einer der interessantesten" (Krusche 2003, 412) Produktionen des deutschen Nachkriegskinos bezeichnet wird. Angelehnt an das Theaterstück Draußen vor der Tür (1947) des Schriftstellers Wolfgang Borchert (1921–1947), aktualisiert der Film den literarischen Stoff jedoch und ergänzt das Heimkehrerschicksal um eine weibliche Perspektive.

Filmdaten
Deutscher Titel Liebe 47
Produktionsland Westdeutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1949
Länge ca. 125 Minuten
Stab
Regie Wolfgang Liebeneiner
Drehbuch Kurt Joachim Fischer, nach Wolfgang Borchert
Produktion Filmaufbau GmbH Göttingen
Kamera Franz Weihmayr
Schnitt Walter von Bonhorst
Musik Hans-Martin Majewski
Besetzung
* Karl John: Fritz Beckmann
* Hilde Krahl: Anna Gehrke
* Erika Müller: Lisa Beckmann
* Dieter Horn: Jürgen Gehrke
* Albert Florath: Bestattungsunternehmer/"Tod"
* Erich Ponto: Alter Mann/"Gott"
* Paul Hoffmann: Oberst


Produktion und Rezeption

Mit Wolfgang Liebeneiner (1905–1987) übernahm die inszenatorische Leitung des ambitionierten Filmprojekts nicht nur ein Regisseur, der Borcherts Stück tatsächlich auch bereits erfolgreich an den Hamburger Kammerspielen auf die Bühne gebracht hatte, sondern ein ohnehin sehr erfahrener, wenn auch 'vorbelasteter' Film- und Theatermacher. Denn Liebeneiner wurde im "Dritten Reich" von Propagandaminister Joseph Goebbels (1897–1945) gefördert, übernahm hochrangige Positionen in der Reichsfilmkammer wie auch der Reichstheaterkammer und wurde im Jahre 1942 zum Produktionschef der UfA ernannt (vgl. Baer 2012, 79 f.). Die 1917 gegründete "Universum-Film Aktiengesellschaft" mit ihren großen Ateliers in Babelsberg und Berlin zählte zu den wichtigsten und einflussreichsten Produzenten von Unterhaltungsfilmen der Zwischenkriegsjahre – mit Regisseuren wie Fritz Lang (1890–1976), Friedrich Wilhelm Murnau (1888–1931) oder Josef von Sternberg (1894–1969) und Schauspielstars wie Marlene Dietrich (1901–1992), Emil Jannings (1884–1950), Pola Negri (1897–1987) oder Heinz Rühmann (1902–1994). Nach ihrer Verstaatlichung im Jahre 1933 aber lag ein Schwerpunkt der UfA dezidiert auf nationalsozialistischen Propaganda- und später Durchhaltefilmen - etwa Jud Süß (1940) von Regisseur Veit Harlan (1899–1964) oder Die große Liebe (Rolf Hansen; 1942) mit der Schauspielerin Zarah Leander (1907–1981).

Durch die Neuordnung der deutschen Filmindustrie nach 1945 und die Ausgabe von Lizenzen durch die Alliierten Besatzungsmächte wurden auch die bisherigen Studios und Produktionsfirmen aufgelöst und neue Strukturen etabliert. So entstand beispielsweise der erste Spielfilm der deutschen Nachkriegsgeschichte, Die Mörder sind unter uns (1946) von Regisseur Wolfgang Staudte (1906–1984), in den Babelsberger Studios durch die im sowjetischen Sektor neu gegründete "Deutsche Film AG" (DEFA). Auch in den anderen Besatzungszonen wurden sogenannte "Trümmerfilme" gedreht, etwa mit In jenen Tagen (1947) von Helmut Käutner (1908–1980) als erster Spielfilm unter britischer bzw. …und über uns der Himmel (1947) von Regisseur Josef von Báky (1902–1966) als erster Spielfilm unter amerikanischer Lizenz.

Zu den neuen Produktionsfirmen im britischen Sektor zählte auch die 1946 von Hans Abich (1918–2003) und Rolf Thiele (1918–1994) gegründete "Filmaufbau GmbH Göttingen", deren erstes Vorhaben die filmische Adaption von Borcherts Draußen vor der Tür war – und die auch in späteren Produktionen wie Es kommt ein Tag (Rudolf Jugert; 1950) und dem zweiteiligen Spielfilm Die Buddenbrooks (Alfred Weidenmann; 1959) literarische Stoffe für die Leinwand bearbeitete. Die beiden jungen Produzenten hatten dabei klare Vorstellungen, wie mit dem Fokus auf 'Wahrheit' und 'Realität' der deutsche Film nach der nationalsozialistischen Vereinnahmung reformiert werden müsse (vgl. Baer 2012, 76 ff.). Die Adaption eines aktuellen, gesellschaftlich brisanten Stoffs war dementsprechend ein programmatischer Beginn – und so entstand Liebe 47, nach Kurt Joachim Fischers (1911–1979) auf Borcherts Draußen vor der Tür basierendem Drehbuch, von Außenszenen in Hamburg abgesehen, im Sommer 1948 vollständig in Göttingen (unter anderem in drei Ateliers auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens), wo der Film am 7. März 1949 auch seine Uraufführung im "Capitol" hatte (vgl. Spiegel 1948).

Auch wenn im Feuilleton immer wieder besonders die speziell für die Filmversion konzipierte Figur der Anna mit der "infernalischen Erfahrung ihrer jungen Jahre" (Spiegel 1949, 24) hervorgehoben wurde, war die zeitgenössische Rezeption offenbar recht divers: Die unmittelbaren Reaktionen reichten vom Lob als "der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat […] für die inneren Erlebnisse, die inneren Wandlungen und die durch sie bedingten Lebensgesetze deutscher Menschen jener halbvergessenen Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre" (B.R. 1949, 12) bis hin zu "Mißfallensbekundungen, die namentlich in München die dortige Erstaufführung störten" (Weckel 2003, 155).

Und auch für das junge Filmstudio lohnte sich das Projekt nicht (vgl. Burgess 1985): Liebe 47 blieb letztlich ein "nur halbgeglücktes Filmexperiment" (Spiegel 1952, 31), das die Filmaufbau GmbH Göttingen zunächst in eine "finanziellen Dürre" (Spiegel 1950, 26) führte, von der sie sich erst mit der späteren Koproduktion von Nachtwache (Harald BRaun; 1949) erholen konnte.

Film

Der zentrale Unterschied zu Borcherts Theaterstück – das im Februar 1947 zunächst als Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) gesendet und dann von Liebeneiner im November des gleichen Jahres in Hamburg uraufgeführt wurde, nur wenige Stunden, nachdem der gerade 26-jährige Borchert in einem Krankenhaus in Basel gestorben war (vgl. Calzoni 2013, 210) – besteht in der Hinzufügung der "gleichwertigen Geschichte einer jungen Kriegswitwe mit gleichen Selbstmordabsichten" (Weckel 2003, 153).

Anna und Beckmann

So beginnt der Film zwar, ähnlich dem Vorspiel des Dramas (vgl. Borchert 2008, 9 ff.), mit dem "Tod" (in Gestalt eines zynischen Beerdigungsunternehmers mit Frack und Hut), der von St. Pauli aus junge Menschen beobachtet, die "wie die Fliegen" (00:02:54) in die Elbe gehen. Bereits die 'wässrigen' Überblendungen der Titelkarten zu Beginn des Films haben sowohl diese Thematik wie auch die tiefsitzenden Traumata einer ganzen Generation angedeutet, die im weiteren Verlauf des Films ihre Fortführung in der programmatischen Auflösung der linearen Erzählstruktur von Draußen vor der Tür findet (vgl. Moeller 2008, 143).

Zum Beerdigungsunternehmer tritt "Gott" (in Gestalt eines alten Geistlichen); gemeinsam beobachtet das ungleiche Paar eine 'Hochzeit' (00:11:30), zu der sich ein junger Mann und ein "Mädchen" auf dem Steg einfinden: Der gerade vor drei Tagen aus Russland nach Hamburg zurückgekehrte Fritz Beckmann – in zerlumpten Uniformfetzen und mit Gasmaskenbrille als ein gespenstisches Fragment des vergangenen Krieges – möchte sich im kalten Wasser das Leben nehmen, als er auf die Kriegswitwe Anna Gehrke trifft, die es aus gleichem Grund an die Landungsbrücken verschlagen hat.

In mehreren Rückblenden erzählt sie – immer wieder aus dem Off zu hören – ihr Schicksal: Nachdem ihr Mann Jürgen, der mit einer gewissen Begeisterung in Hitlers Krieg gezogen war, im Kaukasus gefallen ist, und der Krieg in den letzten Monaten auch immer näher nach Deutschland rückte, begann für Anna eine leidvolle Fluchtgeschichte, in deren Verlauf ihre Tochter Monika bei einem traumatischen Unglück starb (00:37:56). In den Wirren der Kriegszeit und den Unordnungen des Nachkriegs als "Objekt" (00:47:21) und "Arbeitstier" (00:56:10) ausgenutzt, hat sie inzwischen alles verloren, inklusive des Lebenswillens.

Anna ist in ihrem Leiden damit dem Beckmann aus Borcherts Theaterstück als gleichberechtigtes Äquivalent gegenübergestellt, wenn auch mit unterschiedlichen Erfahrungen und einer anderen Perspektive. Nicht nur der männliche Kriegsheimkehrer findet sich in der Trümmerwüste der Großstadt nicht mehr zurecht, hat seine Kniescheibe (im Gefecht), seine Ehefrau Lisa (an einen jüngeren Mann) und seinen Sohn Andreas (bei den alliierten Bombenangriffen) verloren, sondern auch die zu Hause gebliebene Frau hat unter dem Krieg gelitten, ist auf ihre Art 'versehrt'. Anna klagt in ihren rückblickenden Erzählungen ebenso jene Männer an, die in den Krieg gezogen sind und so ihre Frauen zurückgelassen haben, wie auch die Nachkriegsgewinnler, die nun die Schwäche der Frauen ausnutzen und diese in die (symbolische wie tatsächliche) Prostitution drängen (vgl. Baer 2012, 85): "Die Welt wird von Männern regiert, und so sieht sie auch aus" (00:21:07).

Tatsächlich entsteht so gerade keine "Opferkonkurrenz" (Weckel 2003, 153), denn während Anna nicht mehr will, kann Beckmann nicht mehr (vgl. 00:21:52). Stärker noch als Annas Nacherzählung gleichen seine Rückblicke einem klassischen Stationendrama, das ihn aus Russland zunächst nach Berlin-Zehlendorf geführt hat. Dort sucht er seinen früheren Oberst auf, der offensichtlich nicht in russischer Kriegsgefangenschaft war, sondern gerade mit seiner Familie beim opulenten Abendessen sitzt. Einst hatte er dem Unteroffizier Beckmann das Kommando für eine Erkundung gegeben, von der elf Kameraden nicht wieder zurückgekehrt sind. Der Heimkehrer beschwert sich beim Oberst, damals von ihm diese Verantwortung über die Soldaten bekommen zu haben – schließlich könne er nun nicht mehr schlafen, sei einfach müde und wolle in Ruhe "richtig tief pennen" (01:09:22).

Träume

Erste Traumsequenz

Beckmann erzählt dem verdutzten Oberst seinen Albtraum (01:10:21), von dem er immer wieder schreiend aufwacht und der in einer gut vierminütigen Sequenz (01:11:10–01:14:07) zu sehen ist: Begleitet von disharmonischer Musik und 'schiefen' Tönen im Hintergrund trommelt zunächst ein General mit seinen Prothesenarmen auf Leichenteilen zum Einzug der "Gladiatoren" – einer Armee aus skelettartigen Soldaten, Kriegern aus allen möglichen Epochen: Zu sehen sind beispielsweise ebenso Indigene mit stereotyp ozeanischer und nordamerikanischer Bekleidung, Soldaten aus den Napoleonischen Kriegen, Männer in SS- oder Kolonial-Uniformen, die sich zunächst militärisch aufstellen und schließlich vom kommandohabenden Beckmann zu Kniebeugen aufgefordert werden.

Abb. 1: Liebe 47 (01:11:49)

Die häufig stark überbelichtete, teilweise mit einem Solarisationseffekt zum filmischen 'Negativ' nachbearbeitete Sequenz wird halbtransparent überblendet mit namenlosen Gräberfeldern (Abb. 1). Dies erzeugt nicht nur einen verstörenden, uneinheimlichen Effekt, sondern löst gemeinsam mit den schrillen Geräuschen und den verzerrten Stimmen eine wirkmächtige Bilder- und Geräuscheflut aus, um so die auditiven und visuellen Eindrücke einer posttraumatischen Belastungsstörung zu spiegeln, wie sie in Albträumen erlebt wird. Dabei ist auffällig, dass neben der hochgradig individuellen Verdichtungs- und Verschiebungsarbeit des Traums (besonders bei den Kniebeugen, zu denen Beckmann ja selbst nicht mehr in der Lage ist) die Kriegsszenen stets abstrakt und verallgemeinernd bleiben, wodurch "das Spezifische des nationalsozialistischen Kriegs, sein ideologischer Charakter und auch seine Verquickung mit dem Völkermord" (Echternkamp 2019, 105) fast vollständig ausgeblendet bleiben.

Zweite Traumsequenz

Der erste Traum endet mit dem lauten Schrei des Träumenden/Nacherzählenden, und Beckmann bittet den Oberst erneut darum, ihn von der emotionalen Last des Geschehenen zu 'befreien': "Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück." (01:14:28)

In einer zweiten, kurzen Traumsequenz (01:16:03–54), ebenfalls von Beckmann im militärisch dekorierten Salon des Oberst nacherzählt, sind nun die Angehörigen der elf Kameraden zu sehen, die den im Bett liegenden "Unteroffizier Beckmann" bedrängen und – in einem flüsternden, hauchenden Chorus – nach ihren Vätern, Söhnen, Brüdern, Ehemännern und Verlobten fragen (Abb. 2).

Abb. 2: Liebe 47 (01:16:21)

Sein Gegenüber hat wenig Verständnis für Beckmanns "unmännliches Zeug" (01:08:38) und nimmt die symbolische Verantwortung nicht zurück: Er tut die Sorgen als "komische Nummer" ab, die vielmehr für eine Bühnenkarriere tauge, sieht in ihm "so 'ne Art Dichter" (01:18:28) und rät ihm angesichts seiner "leichten Verwirrung im Kopf" (01:19:12): "Werden Sie erstmal wieder ein Mensch." (01:19:44)

Nachdem er vom Oberst abgewiesen wurde, kommt Beckmann zunächst am Kabarett "Pompeji" vorbei, wo er die anwesenden Gäste mit einem kurzen Monolog auf der Bühne und einem Chanson am Klavier schockiert (1:26:24). Und auch auf seiner dritten Station nach der Rückkehr aus Russland wird Beckmann – nun in Hamburg – keinen Erfolg haben: Als er die elterliche Wohnung aufsucht, teilt ihm die neue Bewohnerin mit, seine Mutter und sein Vater hätten sich "selbst endgültig entnazifiziert" (01:37:07) und seien nun auf die "Gräberkolonie" in Ohlsdorf 'umgezogen'.

Doch auch das Haus in Barmbeck, in dem Beckmann vor der Einberufung mit seiner Ehefrau und seinem Sohn gewohnt hat, steht nicht mehr – ein kleines Schild davor zeigt an, dass sein Sohn Andreas offenbar unter den Trümmern begraben ist, eine Kritzelei am Mauerrest nennt ihm die neue Wohnanschrift seiner Frau Lisa (00:25:58). Er trifft diese zwar dort an, jedoch ebenso einen anderen Mann in seinem Schlafanzug: Seine Frau erreichte einst die Meldung, dass Beckmann im Krieg gefallen wäre. In der Rückblende verlässt Beckmann die Wohnung wortlos, doch Anna kommentiert seine Nacherzählung vorwurfsvoll: "Und wer war bei Ihrer Frau, als das Haus zusammenbrach und ihren Sohn erschlug? Wer war bei ihr, als die Bomben fielen?" (00:28:52)

Dritte Traumsequenz

Nach der zufälligen Begegnung am Elbufer nimmt Anna den Heimkehrer mit in ihr kleines Zimmer, wo sie nun Beckmann ausruhen lässt und ihm ein kleines Abendessen kocht. Dort hat der auf dem Sofa Liegende (vgl. Weckel 2003, 153) einen dritten – nun nicht mehr nacherzählten, sondern quasi 'unmittelbaren' – Traum (01:44:50–02:00:44): Um den im Schlaf sprechenden Beckmann tut sich ein Sternenhimmel auf, durch den Anna (in der Schwerelosigkeit ihres kleinen Zimmers) auf ihn zuschreitet. Aus offenbar bereits schnell zum Traum verarbeiteten Gesprächsfragmenten entsteht eine erotisch aufgeladene Heimkehrerszene, die von einem fernen Klopfen unterbrochen wird. Es ist das Geräusch von Krücken auf dem Asphalt, als sich ein riesenhafter, einbeiniger Soldat in Wehrmachtsuniform – Annas gefallener Ehemann Jürgen Gehrke – nähert und Beckmann zur Rede stellt. Die Situation mit Beckmanns Ehefrau Lisa umkehrend, verfolgt der Riese (und mit ihm zahlreiche weitere Kriegsversehrte) nun Beckmann durch die Straßen, der schließlich auf einem dunklen Platz umzingelt und niedergestreckt wird. Offenbar tot, klagt Beckmann zunächst den 'lieben Gott' an (es kommt der alte Mann vom "Vorspiel"), ruft aber schließlich nach dem "Tod" - es ist der Begräbnisunternehmer, der nun als Straßenfeger auftritt, Beckmann aber im Rinnstein liegen lässt, während PassantInnen riesenhaft an ihm vorbeilaufen (Abb. 3). Von dort aus beobachtet er seine Frau Lisa mit ihrem neuen Mann, bis er von Anna gefunden wird, die ihm (erneut im schwerelosen Raum des Nachthimmels) ihre Liebe gesteht. Als auch sie fortgehen muss, wird Beckmann erneut von einem riesenhaften Kriegsversehrten verfolgt und findet sich schließlich auf dem Grund der Elbe wieder. Doch der Fluss wirft ihn wieder an Land, und Beckmann wacht schreiend auf Annas Sofa auf.

Abb. 3: Liebe 47 (01:53:57)

Diese erneut den Stil der expressionistischen, ja surrealistischen Filme der 1920er Jahre aufgreifende Sequenz hat aufgrund der Länge von mehr als einer Viertelstunde und der experimentellen Ästhetik offenbar zahlreiche Zuschauende aus den Kinosälen getrieben (vgl. Moeller 2008, 150). Sie läutet das als 'zu melodramatisch' kritisierte Ende des Films ein (vgl. Weckel 2003, 153), das mit einem radikalen Wandel der Frauenfigur einhergeht. Denn von Annas anfänglicher Kritik an den Männern ist nun nichts mehr übrig – vielmehr widmet sie sich als sorgende 'Hausfrau' dem traumatisierten Heimkehrer: "Aber Sie haben jetzt jemanden, und ich hab' jetzt jemanden. Was brauchen wir die Welt verbessern? Fangen wir lieber bei uns selber an" (02:02:23).

Indem die beiden vom Krieg gezeichneten Menschen sich nun gegenseitig die Verantwortung füreinander übertragen, scheint letztlich der "Tod" überwunden, der zu Beginn noch auf einen lukrativen Doppelselbstmord im kalten Elbwasser gehofft hatte. Vielmehr scheint die Hoffnung des alten Mannes/"Gott" zuzutreffen, der Anna und Beckmann "viele Jahre, ein ganzes Leben" (00:08:36) prognostiziert hatte: "Zusammen lebt sich's leichter".

Jonas Nesselhauf

Literatur

Film

  • Liebe 47. Regie: Wolfgang Liebeneiner. Drehbuch: Kurt Joachim Fischer nach Wolfgang Borchert. Kamera: Franz Weihmayr. Westdeutschland (britische Zone) 1949.

Bezugstext

  • Borchert, Wolfgang: Draußen vor der Tür. Ein Stück, das kein Theater spielen und das kein Publikum sehen will [1947]. In: Ders.: Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen. Reinbek: Rowohlt 2008, 5–54.

Forschungsliteratur

  • Baer, Hester: Dismantling the Dream Factory. Gender, German Cinema, and the Postwar Quest for a New Film Language. New York: Berghahn 2012.
  • B.R.: Wall-Licht: Liebe 47 – ein Film, der Gültigkeit hat. In: Nordwest-Zeitung, 27. August 1949, 12.
  • Burgess, Gordon J.A.: The Failure of the Film of the Play. Draußen vor der Tür and Liebe 47. In: German Life and Letters 38 (1985) 4, 155–164.
  • Calzoni, Raul: Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will. In: Elena Agazzi/Erhard Schütz (Hg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin: de Gruyter 2013, 210–213.
  • Echternkamp, Jörg: Liebe 47 – ein unzeitgemäßer "Zeitfilm" (1949). Der historische Spielfilm als Seismograph diskursiver Verwerfungen. In: Johannes Hürter/Tobias Hof (Hg.): Verfilmte Trümmerlandschaften. Nachkriegserzählungen im internationalen Kino, 1945–1949. Berlin: de Gruyter 2019, 97–113.
  • Filmdienst: Liebe 47. (o.J.)<https://www.filmdienst.de/film/details/44197/liebe-47> (01.12.2020).
  • Krusche, Dieter: Reclams Filmführer. Stuttgart: Reclam 2003.
  • Moeller, Robert G.: When "Liebe" was just a Five-Letter Word. Wolfgang Liebeneiner's Love 47. In: Wilfried Wilms/William Rasch (Hg.): German Postwar Films. Life and Love in the Ruins. New York: Palgrave Macmillan 2008, 141–156.
  • Nesselhauf, Jonas: Der ewige Albtraum. Zur Figur des Kriegsheimkehrers in der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Paderborn: Fink 2017.
  • Spiegel (1948): Am Start ein Brautpaar. In: Der Spiegel Nr. 35 (1948), 23.
  • Spiegel (1949): Beckmann trifft Anna. Der Faust wird kommen. In: Der Spiegel Nr. 11 (1949), 23 f.
  • Spiegel (1950): Bei der Ufa macht man das so… Kino – Das große Traumgeschäft. In: Der Spiegel Nr. 36 (1950), 23–29.
  • Spiegel (1952): Etwas vom guten Geist. In: Der Spiegel Nr. 39 (1952),30–31.
  • Weckel, Ulrike: Spielarten der Vergangenheitsbewältigung. Wolfgang Borcherts Heimkehrer und sein langer Weg durch die westdeutschen Medien. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), 125–161.

Weblink


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Nesselhauf, Jonas: "Liebe 47" (Wolfgang Liebeneiner). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2020; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Liebe_47%22_(Wolfgang_Liebeneiner).