Winsor McCay (geboren zwischen 1867 und 71; gestorben 1934) war einer der produktivsten und prägendsten Comic-Künstler des frühen 20. Jahrhunderts. Zwei seiner einflussreichsten Comic-Serien speisen sich maßgeblich aus dem Phänomen des Traums. Seine Bildlösungen sind wegweisend für die visuelle Traumästhetik in populärkulturellen Medien.

Winsor McCay (1906)

Leben und Schaffen

Vor seiner Karriere als Presse- und Comiczeichner war McCay als Plakatgestalter für Freak Shows und Vaudeville-Theater tätig. Sein fantastisches, oft groteskes Bildrepertoire ist vermutlich nicht zuletzt auf diese Erfahrung zurückzuführen. Ab 1903 lebte McCay mit seiner Familie in New York und schuf für den New York Herald und den Evening Telegram mehrere Comic Strip-Reihen, die in wöchentlichen Fortsetzungen über mehrere Jahre erschienen. Vor allem zu Beginn seiner Zeitungskarriere wurde er für einen Zeichner geradezu fürstlich bezahlt (Heer, 2006) und pflegte einen entsprechenden Lebensstil. Seiner Vorliebe für das Jahrmarktsmilieu und die Unterhaltungskultur des Vaudeville ging er durch Auftritte als Schauzeichner bei öffentlichen Veranstaltungen (sog. chalk talks) nach, bei denen er vor allem seine Geschwindigkeit unter Beweis stellte (Heer, 2006). Der Anspruch, sich handwerklich zu beweisen, schlägt sich auch in McCays filmischen Ambitionen nieder, die z.T. aus seinen Comic-Serien hervorgingen. Mit dem animierten Kurzfilm Gertie the Dinosaur (1914) ging McCay auch im Rahmen eines Vaudeville-Auftritts auf Tournee. Nach seinem Wechsel zu Randolph William Hearsts Zeitung The New York American wurden ihm öffentliche Auftritte jedoch untersagt, da er sich stärker auf die Aufgaben eines 'ernsthaften' Nachrichtenzeichners konzentrieren sollte. McCays ausgeprägte Liebe zum Nicht-Ernsthaften und seine Scheu vor der Welt der 'Erwachsenen', die ihm sein Verleger austreiben wollte, scheint sich nicht zuletzt in seiner zeichnerischen Faszination für den Traum niederzuschlagen: Auch die Darstellung von Träumen bietet letztlich eine Möglichkeit, dem Alltäglichen zu entkommen.

Traum-Comics

Zwei von McCays Serienformaten im Comic Strip speisen sich maßgeblich aus dem Phänomen des Traums: Dream of the Rarebit Fiend (1904-1913; unter dem Pseudonym "Silas") und sein bekanntester Comic Strip Little Nemo in Slumberland (1905-1911; 1911-1914; 1924-1926). Jede Folge der beiden Reihen erzählt jeweils einen Traum einer Person und endet mit deren Erwachen. Die Kommentare der Träumenden beziehen sich auf mögliche Ursachen des Traums, es werden jedoch nie Bemühungen einer Deutung unternommen. Die verbal-visuelle Narration weist unterschiedliche Grade von Traumhaftigkeit auf.

McCay hegte ein persönliches Interesse für Träume und verarbeitete in Dream of the Rarebit Fiend z.B. eigene und von Leser*innen eingesandte Träume. Dabei scheinen ihn vor allem die fantastischen, surrealen Aspekte des Traums und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung im Comic interessiert zu haben. Das Setting des Traums bot vor allem eine Möglichkeit, die Grenzen des neuen Mediums Comic zu erkunden und zu überschreiten (Harvey 1994, 34): Eine Erzählung, die von vornherein als Traum gekennzeichnet ist, ist nicht an die Beschränkungen realistischer Darstellung gebunden, sondern kann frei Fantasiewelten entwerfen und diese erkunden. McCays Traum-Comics hatten großen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen, nicht zuletzt auf den Surrealismus. Traumdarstellungen im Comic und im Film nehmen immer wieder in respektvoller oder parodistischer Weise Bezug auf McCays Pionierwerke.

Traumkonzept und Traumwissen

McCays Traumwissen scheint vor allem durch populäre Traumdiskurse und weniger durch konkrete Traumtheorien geprägt zu sein. Freuds Traumdeutung wurde erst 1913 zum ersten Mal ins Englische übertragen, also fast zehn Jahre nachdem McCay seine ersten Traum-Comics veröffentlicht hatte. Eine direkte Lektüre ist äußerst unwahrscheinlich; es ist allerdings möglich, dass McCay die Diskussion von Freuds Theorien im Evening Telegram, der Zeitung, bei der er ab 1904 arbeitete, indirekt rezipierte (Taylor 2007, 125). Obwohl eine direkte Rezeption nahezu ausgeschlossen werden kann, wird in der Forschung immer wieder auf freudianische Motive in McCays Traumwerk hingewiesen: Vor allem die Folgen von Dream of the Rarebit Fiend präsentieren Träume tendenziell als Produkte des Unterbewusstseins, die Tagesreste integrieren (Braun 2012, 97). Gleichzeitig ist aber eine - vermutlich ebenfalls durch populäres Wissen vermittelte - Prägung durch die sogenannte Leibreiz-Theorie zu verzeichnen, die davon ausgeht, dass Träume von rein physiologischen Empfindungen ausgelöst werden (Alt 2002, 303-360). In diesem Sinne wird das titelgebende Käsegericht Welsh Rarebit (aber auch andere zur Unzeit und in Unmaßen genossene Speisen) für die wilden Träume und den damit verbundenen schlechten Schlaf verantwortlich gemacht. Diese Theorie grundiert auch die Parallelen zwischen Traumhandlung und Wachzustand, die in allen Comics von McCay immer wieder hergestellt werden: Eine träumende Person, die im Traum fällt, stellt beim Erwachen fest, dass sie aus dem Bett gestürzt ist (Little Nemo); eine andere, die im Traum in Schweiß zu ertrinken droht, wacht in einem zu warmen Schlafzimmer auf (Rarebit Fiend). Aufgrund der unterschiedlichen Einflüsse kann man nicht von einer "Traumtheorie" McCays sprechen, sondern muss von einer eklektizistischen Vermischung verschiedener Traumkonzepte und eines ganz unwissenschaftlichen, erfahrungsbasierten Alltagswissens über Träume ausgehen.

Forschungsliteratur

  • Alt, Peter-André: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München: Beck 2002.
  • Blank, Juliane: Shaping the World. Dreams, Dreaming, and Dreamworlds in Comics (Dream of the Rarebit Fiend, Little Nemo and The Sandman). In: Manfred Engel/Bernard Dieterle (Hg.): Writing the Dream / Ècrire le rève. Würzburg: Königshausen & Neumann 2016 (Cultural Dream Studies 1), 277-303.
  • Braun, Alexander: Winsor McCay. Comics, Filme, Träume. Bonn: Bocola 2012.
  • Canemaker, John: Winsor McCay. His Life and Art. New York: Abrams überarb. Neuaufl. 2005.
  • Harvey, Robert C.: The Art of the Funnies. An Aesthetic History. Jackson: Mississippi UP 1994.
  • Heer, Jeet: Little Nemo in Comicsland. In: Spring 82 (2006) 2; http://www.vqronline.org/essay/little-nemo-comicsland (24.11.2017)
  • Taylor, Jeremy: Some Archetypal Symbolic Aspects of Dream of the Rarebit Fiend. In: Winsor McCay "Silas": The Complete Dream of the Rarebit Fiend (1904-1913). Hg. von Ulrich Merkl. Hohenstein-Ernstthal: Merkl 2007, 125-131.


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Blank, Juliane: McCay, Winsor. In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2018; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/McCay,_Winsor.