Thomas Bernhards (1931-1989) Debütroman Frost (1963) enthält mehrere Traumerzählungen, die als Schlüsselszenen zur Thematik des Ich-Verlusts und -Zerfalls beitragen, indem sie zentrale Motive des Romans aufgreifen und metaphorisch verdichten. Ein junger (namenlos bleibender) Medizinstudent wird während seiner Famulatur von einem Assistenzarzt beauftragt, dessen Bruder, den Maler Strauch, zu beobachten. Er reist in den (fiktiven) abgelegenen österreichischen Gebirgsort Weng, macht dort die Bekanntschaft des Malers sowie der Dorfbewohner und zeichnet seine Beobachtungen auf. Sowohl der Maler Strauch als auch der Famulant berichten von ihren Träumen, in denen sich die jeweilige Situation, das Weltverhältnis der Protagonisten und auch das Verhältnis der beiden zueinander spiegeln.


Erzählstruktur und Perspektive

Der Roman ist in Kapitel untergliedert, die anhand der Aufenthaltstage in Weng durchlaufend nummeriert überschrieben sind. Sie wirken wie Tagebuchaufzeichnungen des Studenten, der seine Gedanken, Gespräche und Erlebnisse mit dem Maler Strauch dokumentiert; zwischen dem sechsundzwanzigsten und siebenundzwanzigsten Tag erfolgt der Einschub von sechs Briefen des Studenten an den Assistenzarzt. Der Roman endet mit einer Zeitungsnotiz, die nach der Abreise des Erzählers über das anschließende Verschwinden des Malers informiert. Ab dem zehnten Tag werden in unregelmäßigen Abständen neun Erzählungen des Malers eingefügt und mit eigenen Überschriften von den Aufzeichnungen abgehoben.

Der Roman präsentiert keine Entwicklung oder Handlung im konventionellen Sinne, sondern nebeneinander gestellte Erzähleinheiten, die ein Gesamtbild der Weltsicht und Befindlichkeit des Malers ergeben. Laut Mittermayer wird der Roman „ausdrücklich als Krankengeschichte ausgewiesen“ (Mittermayer 1995, 30), die sich jedoch laut der eröffnenden Reflexion des Studenten „mit außerfleischlichen Tatsachen und Möglichkeiten“ (F 7) befasst, also auf psychischer Ebene anzusiedeln ist. Der Student berichtet als autodiegetische Instanz von seinen Gesprächen mit dem Maler, die aufgrund der hohen Redeanteile Strauchs wie Monologe wirken. Diese werden sowohl in direkter als auch in indirekter Rede wiedergegeben, wodurch dem Studenten zunächst die Rolle eines Berichterstatters und Vermittlers zukommt, der das Erzählte bestätigen kann: „Ohne die Präsenz eines Ich-Erzählers würde der Leser die fiktive Frost-Welt schlichtweg als halluzinierte Wahnwelt des Malers wahrnehmen. Der formale ,Auftrag‘ des Famulanten besteht also nicht zuletzt darin, das phantastisch-albtraumhafte Setting als real zu beglaubigen“ (Gößling 2018, 40). Im monologischen Redefluss berichtet der Maler vorgefallene Ereignisse, aber auch aus zweiter oder dritter Hand Nacherzähltes und reflektiert seinen körperlichen und geistigen Zustand, wobei „das Wortfeld von Auflösung und Zerfall dominiert“ (Mittermayer 1995, 30). Zwar gewährt der Bericht des Studenten Einblicke in das Innenleben des Malers, aber er formuliert mehrfach Verständnisprobleme oder thematisiert seinen subjektiven Blick auf das Gegenüber. Besonderen Reiz gewinnt die Narration durch die Nähe, die zwischen dem Studenten und dem Maler entsteht - denn dieser kann sich dessen Gedankengängen immer weniger entziehen: „Das fällt mir ein, wenn ich mich tief in Gedankengänge verrannt habe, die ihren Ursprung im Maler habe, wenn ich weit weg von mir bin“ (F 136). Zunehmend übernimmt er dessen Wahrnehmung: „Auf dem ganzen Weg hatte ich nichts anderes gedacht und überhaupt nichts gesehen, immer nur gedacht, daß der Maler von mir Besitz ergriffen hat. Mich in seine Bilder, mich in seine Vorstellungswelt hineingezwängt hat“ (F 298 f.) Dieser Prozess verstärkt die „rezeptionssteuernde Qualität“ (Gößling 2018, 41) des Erzählers, dessen Distanzlosigkeit sich in den Leser:innen fortsetzt und ein Gefühl der „Ohnmacht“ (Gößling 2018, 39) erzeugt.


Träume in Frost

Verhältnis der Protagonisten zum Traum

Das Motiv des Traums wird in Frost zur Charakterisierung der beiden Brüder und des Studenten eingesetzt. So vergleicht der Student die Brüder miteinander, indem er den Chirurgen als „Erfolgsmensch“ charakterisiert, der „Tag und Nacht“ von seiner Arbeit bestimmt ist und als „ein Feind des Zwischenreichs, der Kunst“ (F 212 f.) gilt: „Ästhetik haßt er. Ebenso Träume“. In dieser Ablehnung ist der zentrale Gegensatz zu seinem Bruder als Maler angelegt: „Was sein Bruder gemacht hat, war ihm immer ein Greuel“ (F 213). Laut Gößling ist dieser Antagonismus typisch für viele Werke Bernhards, wobei die Pole von Naturwissenschaft und Kunst, von Verstand und Phantasie nur auf den ersten Blick einander entgegengesetzt sind (Gößling 2018, 41) – auch in Frost. So lehnt auch der Maler mittlerweile die Kunst und das Träumen ab: „Die furchtbaren Träume, die ich habe, das sind die furchtbaren Träume meiner Kindheit. Schauerlich, wenn sie ein alter Mann träumen muss“ (F 286). Und laut einem Brief des Studenten an den Chirurgen, auf den Bozzi hinweist, arbeitet dieser an einer Schrift mit dem Titel „Der träumende und der politische Mensch“, weshalb er ihm den Maler als exemplarischen Vertreter dieser menschlichen Spezies beschreibt. Allerdings zeugt das Forschungsvorhaben weniger von einer „allnächtlichen Wandlung des Chirurgen“ (Bozzi 2002, 137), sondern von dessen Versuch, das ihm Unzugängliche zu analysieren und sich zu erschließen – worin vermutlich auch der Auftrag des Studenten begründet liegt. Der Student versucht daher, über dieses Interesse den abgebrochenen Kontakt zwischen den beiden Brüdern wieder herzustellen (F 323).

Diese vermittelnde Position des Studenten lässt sich auch in seinem Verhältnis zu Traum und Schlaf ausmachen. Bozzi charakterisiert ihn als „Bewohner jenes „Zwischenreichs“, der ins Medizinstudium „Elemente unbewußter Dunkelheit hinein“ trage und dem das Leben als ein Traum erscheine, „aus dem er entgegen seiner Behauptung niemals erwachen“ werde (Bozzi 2002, 132). Gegen diese Deutung spricht, dass sie anhand weit auseinanderliegender Textstellen belegt wird, die in keinem narrativen Zusammenhang stehen. Auch ist dem Studenten schon zu Beginn klar, dass er sich durch seinen Auftrag mit „außerfleischlichen Tatsachen und Möglichkeiten“ auseinandersetzen wird und versuchen muss, „etwas Unerforschliches zu erforschen“ (F 7). Während ihm im Medizinstudium „eigentlich immer alles wie im Schlaf gegangen“ ist (F 53), wird er durch die zunehmende Nähe zum Maler und zu dessen auswegloser Verzweiflung mit der Realität der menschlichen Existenz konfrontiert. Dies führt am neunten Tag zur Infragestellung seiner Berufswahl: „Ich und Arzt? Mit kommt das Ganze vor, als wäre ich gerade aus einem Traum aufgewacht, und jetzt soll ich mit dem weißen Mantel, den ich anhabe, ich weiß nicht warum, fertig werden“ (F 95). Er gelangt jedoch am Ende zur Erkenntnis, dass es sich bei dem Medizinischen um eine „methodisch ineinandergreifende Folge von Dunkelheiten“ handle (F 326), in der die beiden Ebenen von Verstand und Phantasie miteinander verschmelzen. Um dem Chirurgen diese Verbindung deutlich zu machen, zitiert er seinen Bruder: „Die Wissenschaft von den Krankheiten ist die poetischste aller Wissenschaften“ (F 326). Der Student vermittelt also zwischen den beiden scheinbar antagonistischen Prinzipien, beendet nach seiner Abreise die Famulatur und setzt das Studium in der Hauptstadt fort – mit diesen Informationen endet der Roman.

Traumerzählungen des Malers

1. Traum

Am späten Nachmittag des fünften Tages berichtet der Maler von einem Traum, den er als etwas Besonderes ankündigt: „Ein ungewöhnlicher Traum, keiner der hoffnungslosen, wie ich sie sonst immer träume“ (F 39). Zunächst stellt sich eine Veränderung der Landschaft ein, sie wechselt immer wieder schnell die Farbe entgegen „menschlichem Ermessen“. Das Ganze wird begleitet von einer „Musik, die aus allen Musikepochen zusammengesetzt war“ (F 39). Sein Traum-Ich sitzt „in dieser Landschaft, auf einer Wiese“ und nimmt, wie auch die anderen Menschen, die wechselnden Farben der Umgebung an. Aufgrund der Farben sind die Menschen in dieser „Menschenlandschaft“ nur anhand „ihrer Stimmen zu erkennen“ (F 39). Diese zuerst mit Faszination beschriebene Stimmung wandelt sich, die Harmonie des Traum-Ichs mit der Umgebung wird gestört: „Plötzlich aber geschah etwas Grauenhaftes: Mein Kopf blähte sich auf, und zwar so, daß die Landschaft sich um einige Grade verfinsterte und die Menschen in Wehlaute ausbrachen“ (F 39 f.) Der große Kopf verselbständigt sich, er rollt „von dem Hügel hinunter […] und erdrückte viele der blauen Bäume und viele der Menschen“ (F 40). Er zerstört die Landschaft und bringt Tod: „Plötzlich bemerkte ich, daß hinter mit alles abgestorben war. Abgestorben, tot. Mein großer Kopf lag in einem toten Land“ (F 40). Der Traum endet in „Finsternis“, was vom Maler als „fürchterlich“ (F 40) bewertet wird.

Auffällig ist, dass der Traum von einer zunächst harmonisch wirkenden Einheit des Traum-Ichs mit der Welt ausgeht. Die Farben wechseln zwar, aber das Ich und die Menschen sind dabei an die Landschaft angepasst. Auch die Musik und die Stimmen der Menschen werden als Einheit empfunden. Als Störfaktor tritt der Kopf auf, der sich verselbständigt und die Welt zerstört. Bozzi deutet diesen Prozess als „Verselbständigung der Teile gegenüber dem Ganzen“, die im Zusammenhang mit einer „Verwirrung, Unordnung und Aufregung“ des Körpers stehe und eine Auflösung des Ichs einleite (Bozzi 2002, 133 f.). Zwar ist die Zersetzung und Auslöschung der Existenz ein zentrales Thema des Romans, doch der Traum beschreibt diesen Auflösungsprozess genauer: Er geht vom Kopf aus, der für das Denken steht, das hier jedoch in Kopflosigkeit mündet. Interessant ist, dass die Traumerzählung durch eine Feststellung des Malers eingeleitet wird: „Die Phantasie ist der Tod des Menschen“ (F 39). Der Kopf ist sowohl Sitz des Denkens als auch der Phantasie, die in der Passage vor der Traumerzählung thematisiert wird. Dort äußert sich der Maler, dass „die Phantasie […] ein Ausdruck von Unordnung“ sei: „Ich bin mir sicher, daß Phantasie eine Krankheit ist“ (F 38). Der Traum greift diese Überlegung auf, denn die harmonische Phantasiewelt, die ja eine Kopfgeburt des Malers darstellt, wird durch eben den sie hervorbringenden Kopf zerstört. Der Traum symbolisiert also eine Verselbständigung der Phantasie und der Geisteskräfte, durch die die Kluft zwischen Ich und Landschaft sowie zwischen Ich und anderen Menschen vergrößert wird.

2. Traum

Dieser erste Traum etabliert Motive, die sich in den späteren Träumen des Malers wiederfinden. So berichtet er am sechzehnten Tag von einem Traum, der laut eigener Aussage mit seinen bisherigen Träumen „nicht das geringste gemeinsam hatte“ (F 187). Er beschreibt, dass der Traum wie alle seine Träume mit einer Farbe beginnt – eine Gemeinsamkeit mit der ersten Traumerzählung. Allerdings entwickelt sich die Farbe „in das Zwischenverhältnis aller Farben zu allen Farben“ und dann „bis in die Dunkelheit der Farben hinein.“ Zunächst ist der Traum noch „tonlos“, doch „dann plötzlich, sich steigernd, zu einem Geräusch werdend“ und „plötzlich war dieser Traum […] nur mehr Geräusch“ (F 187). Dieses wird von dem Träumenden als unangenehm und bedrohlich wahrgenommen, es entwickelt sich „zu einem unheimlich geltungsbedürftigen Infernalischen“ (F 187) und wird als „ein ungeheurer Lärm“ (F 188) bezeichnet. Dieser erzeugt einen unendlichen Raum und in diesem „taumelten“ oder „schwebten“ zwei oder drei Polizisten „in dem schamlosen, erdachten, alles umfassenden Schnürboden der Unendlichkeit“ (F 188). Trotz des vergleichsweise hohen Grades der Abstraktion sind die Farben und die Musik durchaus Konstanten, die bereits im ersten Traum des Malers präsent waren. Auch die Verzerrung der räumlichen Dimensionen ins Unendliche sowie das Kippen einer optischen oder akustischen Wahrnehmung ins Bedrohliche sind wiederkehrende Elemente. In der abstrakten Traumwelt wird kraft der Phantasie die eigentliche Ordnung ausgehebelt - und das Traum-Ich schreckt vor der unendlichen Macht des Erdachten zurück.

3. Traum

Während im ersten Traum das Motiv des anwachsenden Kopfes noch als Element der Groteske wahrgenommen werden kann, gewinnt es im weiteren Verlauf des Romans an Bedrohlichkeit. So beschreibt der Maler am sechsundzwanzigsten Tag, wie er nachts auf seinem Zimmerboden liegt und sich Kälte in ihm ausbreitet: „Da wurde mein Kopf wieder so groß, blähte sich auf: alles wickelte sich in einer Art Halbschlaf ab: der große Kopf atmete und erdrückte fast meine Brust“ (F 301). Während im ersten Traum noch die Menschen und die Landschaft von dem Kopf getötet werden und das Traum-Ich allein in Finsternis zurückbleibt, wendet sich nun der eigene Kopf gegen das Ich. Er erdrückt das Ich, sodass es nicht mehr atmen kann. Dazu kommt, dass sich dieser Vorgang im Halbschlaf abspielt, er wird nicht mehr eindeutig als Traum markiert und überschreitet die Grenze zwischen Traumwelt und Wachzustand. Das Bedrohungspotenzial nimmt daher zu, das Ich ist dabei von „Schmerzen“ und insbesondere „Kopfschmerzen“ (F 302) geplagt. Auch schon an früherer Stelle erklärt der Maler die Ausmaße seiner Kopfschmerzen mit dem Bild eines anschwellenden Kopfes: „Jetzt habe ich das Gefühl, dieser Kopf hat nirgends mehr Platz, nicht einmal in der Landschaft. Nur Schmerzen. Nur Finsternis“ (F 48), Das Motiv wird also vom Wachzustand in den Traum überführt und dort weiterentwickelt.

4. Traum

Wenige Absätze später berichtet der Maler erneut von einem Traum mit anwachsendem Kopf, der alle Menschen erdrückt: „Plötzlich hatte mein Kopf die Leute, die im Gastzimmer waren, auch die Leute am Extratisch, alle, den Wasenmeister, den Gendarm, den Ingenieur, alle, die Wirtin und ihre Töchter auch, an die Wand gedrückt. Im Traum, wissen Sie“ (F 305). Während der erste Traum in einer abstrakten Landschaft mit nicht weiter benannten Menschen stattfindet, ist er nun an einen bekannten Raum und konkrete Personen der unmittelbaren Umgebung geknüpft. Dass es sich um eine Traumerzählung handelt, wird erst durch den Nachsatz deutlich, denn die Erzählung reiht sich ein in seine Berichte von Schmerz, körperlicher Dissoziation und den vermeintlich auslösenden Faktoren. Wie im zuvor beschriebenen Halbschlaf werden die Grenzen der Wahrnehmung verwischt. Der Kopf „erdrückte alles“, hat aber „nicht die Kraft, das Gasthaus zu sprengen“, und bleibt mit dem Traum-Ich verbunden: „Über mein Gesicht rann der Saft der Menschen, die mein Kopf schlagartig ausgelöscht hat, zerquetscht hat. Gegenstände und Menschen zu einem Brei“ (F 305). Sein Körper wird „fürchterlich eingezwängt“ und hat „keine Möglichkeit mehr, zu atmen“ (F 306). Wie in der Halbschlaf-Erzählung ist erneut das Motiv der Atemlosigkeit zentral, das in Bernhards Werk häufig mit Krankheit und Tod, in den autobiographischen Texten aber auch mit (literarischer) Subjektwerdung verbunden wird.

Neben der eigenen Bedrohung empfindet das Traum-Ich eine starke Trauer um die getöteten Menschen: „Da weinte ich, weil ich alle getötet hatte“ (F 306). Der Traum endet allerdings nicht mit dem Tod, sondern der ursprüngliche Zustand wird wieder hergestellt: „So wurde ich wahnsinnig. Da schrumpfte der Kopf plötzlich auf seine ursprüngliche Größe zusammen. […] Alle saßen auf ihren Plätzen und tranken und aßen und bestellten und zahlten. […] Ich wachte erschöpft auf und sah, daß ich meine Wolldecke verloren hatte“ (F 306). Indem das Traum-Ich durch die Trauer um die Mitmenschen seinen Widerstand aufgibt und sich dem Wahnsinn überlässt, kehrt die Ordnung zurück. Die Bedrohung der Umgebung durch seinen anwachsenden Kopf kann nicht nur beendet werden, auch die bereits verursachte Zerstörung wird wieder rückgängig gemacht. Bozzi deutet diese Traumerzählung als einen Alptraum, der den „Körper als Überschuss“ inszeniere: „Der Bernhardsche Traumtext thematisiert in diesem Sinne die Last des Leibes, den Sturz in die amorphe Tiefe und die hassenswerte und furchtgebietende Macht der Auflösung“ (Bozzi 2002, 136). Allerdings ist es in dieser Traumerzählung eben nicht die „Flut des Unter- und Unbewussten“, in der das „strukturierende Bewusstsein versinkt“ (ebd., 136). Der Text führt vielmehr die psychoanalytische Deutung ad absurdum, da gerade das Wahnsinnigwerden dem alptraumhaften Geschehen Einhalt gebietet. Dieser Schritt in den Wahnsinn, der in den vorangehenden Passagen als Konsequenz der nicht auszuhaltenden (Kopf-)Schmerzen der Existenz hergeleitet wird, erscheint im Traum als Erlösung. Eine solche Verknüpfung lässt sich auch hinsichtlich der Selbstmordgedanken des Malers feststellen, die ebenfalls mit Traummotivik illustriert werden. So äußert er sich über die Option des Erfrierens, es „führe in einem Traum, aus dem man nicht mehr herauskomme“ (F 51). Die Auflösung oder Aufgabe der eigenen Existenz in Wahnsinn oder Tod wird als möglicher Ausweg empfunden und im Traum durchaus positiv konnotiert.

Träume und Philosophie

Ein typisch Berhardsches Erzählverfahren ist es, „Figuren durch von ihnen bevorzugte Autoren bzw. literarische oder philosophische Werke zu charakterisieren“ (Gößling 2018, 41). Diese Technik der intertextuellen Verknüpfung wird in Frost mit den Träumen des Malers verbunden. Nach dem ersten Traum schreibt der Student: „Der Maler zog seinen Pascal aus der linken Rocktasche und steckte ihn in seine rechte Rocktasche“ (F 40). Nach dem bedrohlichen Traum im Halbschlaf ist dem Maler die Lektüre unmöglich geworden: „Auch meinen Pascal kann ich nicht mehr lesen“ (F 302). Und nach dem Traum, der in einer Wiederherstellung der Normalität endet, findet der Maler zu einer schlaflosen Ruhe: „Jedenfalls hatte ich keinen Traum mehr. Vielleicht, weil ich still auf meinem Bett sitzen blieb und in meinem Pascal blätterte. Vielleicht“ (F 307). Diese Verweise auf den französischen Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) sind auf dessen Penseés (1669) bezogen, die neben stilistischen Übereinstimmungen auch Sinnwidersprüche und Paradoxa als Reaktionen auf die Zerrissenheit der menschlichen Existenz mit Bernhards Protagonisten gemeinsam haben (Klug 1991, 46 f.). Zentral für die Charakterisierung des Malers ist eine Technik, die Klug ausgehend von Bernhards Theaterstücken als „Dramatisierung von Gedanken Pascals über die Unruhe des Daseins“ bezeichnet (ebd., 47). Ebenso wie auch der Maler gehört Pascal zu den „Einzelgängern und Außenseitern der Philosophiegeschichte“ und philosophiert „nicht beruflich, sondern aus Berufung“ (ebd., 36 f.).

Strauchs Rückgriff auf Pascal unmittelbar nach den verstörenden Träumen wirkt wie ein Versuch, wieder Halt in der Philosophie zu finden – mit dem Wissen, dass auch diese voller Widersprüche und Unsicherheiten ist. So findet sich der Verweis auf Pascal ebenso in Verbindung mit seinen Selbstmordgedanken, denn am vierundzwanzigsten Tag berichtet der Student, dass der Maler immer wieder „das Wort Selbstmord“ verwende und die Alltäglichkeit des Daseins beklage, die er auf seine Träume bezieht: „Selbst meine Träume sind alltäglich. Und ich, ich hätte auf andere als auf alltägliche Träume Anspruch“ (F 286). Im Anschluss kommentiert er den Umgang mit Pascal folgendermaßen: Der Maler versucht, „mit seinem Pascal alles zu beweisen […] und weiß, daß nichts zu beweisen ist“ (F 287). Ebenso wie die Träume die Verselbständigung der Geisteskräfte zeigen und die Entwicklung in Richtung Wahnsinn und Ich-Auflösung illustrieren, zeigt auch der Verweis auf Pascal die Unruhe des Daseins und die Unmöglichkeit, dem Prozess durch philosophisches Denken Einhalt zu gebieten.

Träume des Studenten

Da die Weltwahrnehmung des Malers im Fokus der Narration steht, nehmen die Reflexionen und Erlebnisse des Studenten deutlich weniger Raum ein – ebenso seine Träume, von denen nur einer erzählt und ein weiterer angedeutet wird. Der mögliche Traum bezieht sich auf ein Erlebnis in der Nacht zum zweiundzwanzigsten Tag, in der er Geräusche hört und beobachtet, wie der Wasenmeister der Wirtin einen Rucksack bringt, in dem er Tierkadaver vermutet. Er schleicht aus dem Zimmer und wird Zeuge einer Unterhaltung der beiden, die seine Vermutung bestätigt: „Jetzt weiß ich, daß sie mit Hundefleisch kocht, dachte ich. Der Maler hat es ja gesagt. Es ist wahr“ (F 257). Am nächsten Morgen kommt ihm diese „Geschichte“ allerdings „immer wieder wie ein Traum“ (F 257) vor und er beschließt, niemandem davon zu erzählen. Er reflektiert über die Möglichkeit, so realistisch zu träumen: „Daß im Traum derartiges möglich ist, auch bei geistig gesunden Menschen – im Traum ist alles möglich –, weiß ich; aber es war kein Traum“ (F 258). Sollte es sich um einen Traum handeln, so bestätigt dieser die langsame Übernahme der Weltsicht des Malers. Die Andeutung, dass es eventuell kein Traum war, trägt zur alptraumhaften Kulisse des Dorfes bei, in der die Grenzen zwischen Traum und Realität verwischt werden.

Am zehnten Tag berichtet der Student, der sich bisher „an keinen einzigen Traum in der letzten Zeit erinnern“ kann, dass er „von Strauch geträumt“ hat (F 106). Sein Traum-Ich ist gefeierter Arzt, schreitet durch die Klink und die Patienten verneigen sich vor ihm. In einem „schlachthausähnlichen, weißgekachelten Raum“ befindet sich „Strauch auf dem Operationstisch angeschnallt“, der „sich dauernd halb rotierend bewegte“ (F 107). Aufgrund der Bewegung des Tischs möchte er nicht operieren, aber die Ärzteschaft fordert ihn dazu auf und insbesondere der Chirurg drängt: „Schneiden Sie doch! […] Sie sind meinem Bruder alles schuldig!“ (F 108). Das Traum-Ich des Studenten fängt an und führt „eine Reihe von Operationen […] gleichzeitig aus,“ bis ihm auffällt, dass er den Körper „vollkommen zerschnitten“ hat: „Der Körper war überhaupt nicht mehr als Körper erkennbar. Es war wie ein Fleisch, das ich folgerichtig, tadellos, aber vollkommen verrückt zerschnitten hatte und jetzt wieder tadellos, aber wahnsinnig geworden zusammennähte“ (F 108). Die Ärzteschaft ist von dieser Operation begeistert, lobt seine „großartige Leistung“ (F 108) und hebt ihn im Jubel hinauf. Von oben blickt er auf den Operationstisch und sieht „einen Haufen völlig zerstückelten Fleisches, das schlagweise Blut ausstieß, ununterbrochen Blut ausstieß, riesige Mengen Blutes und langsam alles in Blut ertränkte, alles, die Ärzteschaft, alles“ (F 109). Nach dem Aufwachen erinnert sich der Student, dass alle Ärzte im Traum mit grotesken Kinderstimmen gesprochen haben.

Bozzi bezieht sich in ihrer Deutung des Traums auf den französischen Psychoanalytiker Jaques Lacan (1901-1981) und sieht darin ein Zeichen von aggressiver Desintegration, da der Student in der feindlichen Umgebung dem Maler und seiner Gedankenwelt hilflos ausgeliefert sei. Auch lasse das Eindringen in das Fleisch und die Bewegung männliche Sexualität anklingen, die in einer Ejakulationsmetapher münde und Auswirkung einer Angst vor sexueller Aktivität sei (Bozzi 2002, 134 f.) Ordnet man den Traum jedoch in das bereits skizzierte Denkschema des Studenten ein, wird er zum Symbol seiner Auseinandersetzung mit dem Beobachtungsobjekt und den Konsequenzen für seine Vorstellung von Medizin. Im Traum folgt er den Anweisungen der anderen Ärzte, wie er zunächst der Anweisung des Chirurgen zur Beobachtung des Malers gefolgt ist. Er nimmt „ganz präzise Operationen“ (F 108) vor, die aber seinen Patienten zerstören. Daran wird deutlich, dass sich sein Untersuchungsgegenstand mit den herkömmlichen Methoden der Medizin nicht fassen lässt, da er sich in Rotation, also in permanenter geistiger Unruhe, befindet. Der Maler kann nicht operiert und geheilt werden, die chirurgischen Kompetenzen bringen den Studenten in diesem Fall nicht weiter. Der Traum zeugt von seinem Kontrollverlust und der Erkenntnis, dass er dem Maler als Arzt nicht helfen kann – der Ich-Zerfall des Malers lässt sich zwar beobachten, aber nicht aufhalten.

Einordnung

Das Verhältnis der Protagonisten zu den Träumen kann zunächst dem Bernhardschen Figurentypus des 'Geistesmenschen' zugeordnet werden. So stellt auch Bozzi fest, dass für diese Figuren „das dem Geist verpflichtete Leben als höchste Stufe des Daseins dargestellt“ wird (Bozzi 2002, 128) und die Verwendung des Traummotivs den Autor in die Lage versetze, „die Zwanghaftigkeit des Geistigen in Frage zu stellen und letztlich ad absurdum zu führen“ (ebd., 131). Ihre psychoanalytische Deutung der Traumszenen folgt daher der Annahme, dass sich „Bernhards negatives Verständnis von Körperlichkeit“ (ebd., 128) in einem Dualismus von Körperlichkeit und Geist niederschlage, der bei den Figuren zu einer Verbannung des Körperlichen ins Unter- und Unbewusste führe, was eine Verselbständigung des Körpers und der Triebe im Traum begünstige: „Der Nachttraum ist der andere Diskurs im Werk Thomas Bernhards: das subversive Potential, die anarchische Dimension, die durch die Vernunftform ersetzt worden ist, aber schattenhaft weiterlebt“ (ebd., 137). Dieser Deutung ist insofern zu widersprechen, als der Dualismus von Körper und Geist, wie auch der Antagonismus von Verstand und Phantasie, in Frost nicht aufrechterhalten wird. Durch die Motivik des Schmerzes, des Verfalls und der Ich-Auflösung wird immer wieder deutlich, dass der Sieg des Körpers unausweichlich ist. Die stete Thematisierung des Schmerzes und der körperlichen Leiden des Malers widerspricht einer Verbannung des Körperlichen ins Unterbewusste. Vergänglichkeit und Tod bedeuten für ihn einerseits die Auslöschung des Geistes, stellen aber andererseits keine Bedrohung, sondern eine Erlösung dar: „Der Tod kann nur das Aufhören aller Schmerzen sein. Der Tod bedeutet Freisein von allem; vor allem von mir selbst“ (F 90).

Die Träume zeigen zwar eine radikalisierte Körperlichkeit in grotesken oder bedrohlichen Szenarien, symbolisieren jedoch hauptsächlich das Verhältnis des Ichs zu seiner Umwelt - beziehungsweise, im Falle des Studenten, zu seinem Beobachtungsobjekt - und deuten seinen Kontrollverlust an. Hierbei ist wichtig, dass die Traumwelten zwar alptraumhaft übersteigert sind, aber in ihrer Bedrohlichkeit kaum einen Unterschied zur Wirklichkeit der Protagonisten ausmachen. Sie greifen zentrale Motive der Narration auf, wie beispielsweise die Schlachthausmetaphorik, die Präsenz von körperlicher Versehrtheit und Tod, die empfundene Hilflosigkeit sowie den Kontrollverlust. Gößling bezeichnet daher Frost in Gänze „als Alptraum der ,Auflösung‘“ (Gößling 1987, 15) und deutet die fiktive Welt in Anlehnung an Freudsche Traumkategorien, indem „die objektivierte Landschaft zugleich als Bewußtseinslandschaft erkennbar [wird], d.h. als Traum- oder Wunschtraumwelt, in der sich – in verdichteten, überdeterminierten Zeichen – die psychische Problematik des imaginierenden Subjekts niederschlägt“ (Gößling 1987, 11).

Nicht die Trennung zwischen Körper und Geist, sondern andere Prozesse sind es, die eine Interpretation der Träume mit dem Figurentypus des Geistesmenschen nahelegen. So definiert sich dieser über eine ständige Reflexion, die sich jedoch verselbständigt: „Der Geist bzw. die Geistigkeit manifestieren sich […] in einem permanenten Reflexionsprozess, der sich verabsolutiert hat und der auch von dem Subjekt, das ihn trägt, nicht mehr zu kontrollieren ist“ (Jahraus 2018, 368). Die für den Geistesmenschen bestimmende Reflexion folgt also einer Traumlogik, indem sie dem Verstand und seiner Kontrolle entgleitet. Dies zeigt sich im Roman an der bereits erwähnten Präsenz von Themen und Motiven der vorherigen Reflexion im Traum. Der Übergang zwischen Traum und Reflexion wirkt fließend, ihre Elemente werden im Traum aufgegriffen, weiterentwickelt, abstrahiert und radikalisiert. Dabei erweist sich auch die Nähe zum Wahnsinn als bereits im Figurentypus des Geistesmenschen angelegt: „Permanent droht ihn der geistige Prozess von Reflexion und Autoreflexion zu überfordern, konkret in Form des Verrücktwerdens […] und der endgültigen A-Sozialisierung insbesondere durch Gewalt entweder gegen sich selbst im Selbstmord oder gegen andere im Mord“ (Jahraus 2018, 369).

Der Maler Strauch entspricht also diesem Grundtypus der Bernhardschen Prosa, in dessen Wahrnehmung die Grenzen zwischen Traum und dem (Wieder-)Erleben traumatischer Erlebnisse verschwimmen (Bombitz 2012, 58). Gleichzeitig ist sein Ringen mit sich und der Welt, das sich in seinen Träumen manifestiert und auch zunehmend die Reflexionen des Studenten bestimmt, exemplarisch für das Weltverhältnis vieler Protagonisten Bernhards: „Die jeweiligen Lebensgeschichte des besonderen Subjektes ist ein Sinnbild für allgemein-existenzielle Schrecknisse, die sich in Alpträumen wie traumatisierten Situationen wiederholen“ (ebd., 59). Allerdings ist die für Bernhards Prosa ebenfalls typische Komik der Übertreibung in Frost noch weniger präsent als in den späteren Prosatexten. In den Traumerzählungen des Malers sind zwar groteske Elemente vorhanden, diese tragen jedoch eher zur beklemmend ausweglosen Szenerie bei. Ebenso scheint es, als nehme der narrative Einsatz von Träumen in den späteren Prosatexten Bernhards tendenziell ab. Bozzi verweist auf einzelne Traumszenen in Verstörung (1967) sowie Auslöschung (1986) (Bozzi 2002, ###), aber Bennholdt-Thomsen konstatiert in ihrer Untersuchung der gleichen, autobiographisch lesbaren, Traumszene in Auslöschung, dass die Traumerzählung in Bernhards Romanwerk „selten und von auffälliger Relevanz“ (Bennholdt-Thomsen 2001, 44) sei. Die dichte Verknüpfung von Narration und Traumerzählungen, die auf thematischer und motivischer Ebene ineinander übergehen und von der albtraumhaften Kulisse potenziert werden, macht die besondere Atmosphäre von Frost aus.



Literatur

Primärliteratur

  • Bernhard, Thomas: Frost. Frankfurt/M.: Insel 1963.
  • Bernhard, Thomas: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972 (Suhrkamp Taschenbuch 47).
  • Bernhard, Thomas: Werke in 22 Bänden. Hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Band 1: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003; zitiert als F.

Forschungsliteratur

  • Bennholdt-Thomsen, Anke: Das Traum-Zitat als Medium imaginärer Biographik bei Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann. In: Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 6 (2001), 43-54.
  • Bombitz, Attila: Ist es ein Traum? Ist es ein Trauma? Beispielhaftes im Werk von Bachmann, Bernhard, Handke, Ransmayr und Kehlmann. In: Arnulf Knafl (Hg.): Traum und Trauma. Kulturelle Figurationen in der österreichischen Literatur. Wien: Praesens 2012, 56-64.
  • Bozzi, Paola: Der Traum als Wiederkehr des Körpers. Zum anderen Diskurs im Werk Thomas Bernhards. In: Hanne Castein/Rüdiger Görner (Hg.): Dream Images in German, Austrian and Swiss Literature and Culture. München: iudicium 2002, 128-148.
  • Gößling, Andreas: Thomas Bernhards frühe Prosakunst. Entfaltung und Zerfall seines ästhetischen Verfahrens in den Romanen Frost, Verstörung, Korrektur. Berlin: de Gruyter 1987.
  • Gößling, Andreas: Frost. In: Martin Huber/Manfred Mittermayer (Hg.): Bernhard-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart: Metzler 2018, 37-46.
  • Jahraus, Oliver: Geistesmensch. In: Martin Huber/Manfred Mittermayer (Hg.): Bernhard-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart: Metzler 2018, 368-372.
  • Klug, Christian: Thomas Bernhards Theaterstücke. Stuttgart: Metzler 1991.
  • Mittermayer, Manfred: Thomas Bernhard. Stuttgart: Metzler 1995.


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Blum, Stephanie: "Frost" (Thomas Bernhard). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2022; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Frost%22_(Thomas_Bernhard).