ist ein Spielfilm des italienischen Regisseurs Federico Fellini aus dem Jahr 1963, welcher drei Traumdarstellungen und mehrere Tagtraum- und Erinnerungssequenzen beinhaltet. Der Titel bezieht sich selbstreflexiv auf Fellinis bisheriges Filmwerk, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sechs Langfilme, zwei Kurzfilme und einen Film in Co-Regie umfasste.

Filmdaten
Deutscher Titel Achteinhalb
Originaltitel
Produktionsland Italien, Frankreich
Originalsprache Italienisch
Erscheinungsjahr 1963
Länge 138 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Federico Fellini
Drehbuch

Federico Fellini / Ennio Flaiano

Produktion Angelo Rizzoli
Kamera Gianni di Venanzo
Schnitt Leo Cattozzo
Besetzung
* Marcello Mastroianni: Guido Anselmi
* Claudia Cardinale: Claudia
* Anouk Aimée: Luisa Anselmi
* Sandra Milo: Carla

Regisseur

Federico Fellini (* 20. Januar 1920 in Rimini, † 31. Oktober 1993 in Rom) begann seine künstlerische Karriere als Karikaturist, Journalist und Gagschreiber für Film und Radio, bevor er 1944 von Roberto Rossellini, einem Mitbegründer des Italienischen Neo-Realismus, für das Autorenkollektiv des Resistenza-Dramas Roma, città aperta (1945) angeworben wurde (Kezich 1989, 174 f). Nach weiteren Gemeinschaftsprojekten gelang ihm 1953 der erste internationale Erfolg als Regisseur mit der Kleinstadt-Millieustudie I vitelloni. Auch die im selben Jahrzehnt folgenden Filme setzten sich mit den Alltagsrealitäten gesellschaftlicher Außenseiter auseinander – dem harschen Leben umherziehender Schausteller in La strada (1954), der unschuldigen Sehnsucht einer Prostituierten in Le notti di Cabiria (1957) oder der trostlosen Dekadenz der römischen Schickeria in La dolce vita (1960). Anfang der 1960er Jahre freundete sich Fellini mit einem in Rom ansässig gewordenen ehemaligen Schüler des Schweizer Psychoanalytikers Carl Gustav Jung an, der ihm mit großem Erfolg u. a. die traumtheoretischen Schriften seines Lehrers vermittelte (Bondanella 2002, 94). Davon offenbar tief beeindruckt, begann Fellini mit der Niederschrift von eigenen Traumberichten (Fellini 2008) und besuchte 1962 Jungs Turm bei Bollingen am Zürichsee, wo er von dessen Enkel empfangen wurde. Tullio Kezich und viele andere Autoren heben den Zusammenhang zwischen der intensiven Jung-Rezeption und einer Wende hin zur Darstellung subjektiver Bewusstseinszustände im Fellinianischen Kino hervor (Kezich 1989, 445). Sein Werk ab 8 ½ wurde als „primarily oneiric“ beschrieben (Kezich 2006, 227). Bis zu seinem Tod führte Fellini bei 18 Kinofilmen mit selbst verfassten Drehbüchern Regie, die vielfach ausgezeichnet wurden. Er gilt als einer der wichtigsten Regisseure des 20. Jahrhunderts.

Inhaltlicher Überblick

Der weltbekannte Filmregisseur Guido Anselmi hat überraschend den Drehbeginn für sein aktuelles Projekt aufgeschoben und sich an einen Kurort zurückgezogen. Während er weiterhin von seinem Filmteam und Produzenten bedrängt wird, setzt er sich mit den an ihn gerichteten intellektuellen und kreativen Ansprüchen, seiner katholischen Erziehung und seinen ehelichen und außerehelichen Liebesbeziehungen auseinander. Diese Reflexionen finden in Guidos Träumen und Fantasien statt und weniger im Dialog mit anderen Menschen, wo er sich passiv, unnahbar und konfliktscheu zeigt. Bei dem Film, den Guido drehen möchte, handelt es sich um 8 ½ selbst. Mit der Ankunft der Schauspielerin Claudia am Set gegen Ende des Films lässt sich nicht mehr eindeutig zwischen objektiver und subjektiver Realität unterscheiden. Guidos Selbstmordfantasie während einer demütigenden und gleichfalls irreal anmutenden Pressekonferenz scheint in weitere Imaginationen zu münden. Er bricht das Filmprojekt endgültig ab, spricht sich auf offenbar telepathischem Wege mit seiner Ehefrau aus und führt schließlich doch noch Regie bei einer einträchtigen Massenszene mit allen bisher aufgetretenen Figuren.


Die Träume

Da 8 ½ als „film by a filmmaker making a film about a filmmaker trying to make a film about himself as a man and as a filmmaker“ (Perry 1975, 59) – wie Fellini selbst wiederholt betonte (Bondanella 2002, 97 f) – stark autobiographische Züge trägt, neigt auch die Forschungsliteratur dazu, die Biographie des Regisseurs zur Interpretation des Films heranzuziehen. Das spektakuläre Narrativ eines Star-Regisseurs, der in der Mitte seines Lebens in eine Schaffenskrise stürzt, um dann in Auseinandersetzung mit Jung einen Film über sich selbst zu drehen, weckte auch das Interesse von Anhängern der psychoanalytischen Theorien, die sowohl den Film jungianisch interpretierten (Conti 1972, Benderson 1974), als auch anhand des Films psychoanalytische Profile seines Urhebers erstellten (Conti/McCornick 1984, Fredericksen 2014). Diese Ansätze sind als problematisch anzusehen, wenn sie den Konstruktionscharakter des Gezeigten zugunsten einer Anwendung oder Bestätigung von Elementen der psychoanalytischen Theorie vernachlässigen. Jedoch ist die Lesart, Guidos Krise als Individuationsprozess und die Frauen der Erzählung als Facetten seines weiblichen Seelenanteils (Conti 1972b, 130-134) – Anima in der Terminologie Jungs; ein Arbeitstitel des Films war der in den Kindheitserinnerungen Guidos vorkommende Reim „Asa Nisi Masa“ – durchaus schlüssig und legt eine Berücksichtigung entsprechender jungianischer Modelle bei der Konzeption des Drehbuchs von 8 ½ nahe.


Eröffnungssequenz

Beschreibung

8 ½ beginnt mit der Darstellung eines Angsttraums (00:00:10 – 00:02:45). Unterlegt von dumpfen Paukenschlägen wird der Protagonist Guido Anselmi gezeigt, der sich mit seinem Wagen in einem Verkehrsstau kurz vor dem Ausgang eines Tunnels befindet. Die Insassen der anderen Fahrzeuge taxieren Guido mit starren Blicken. Wie sich später herausstellt, handelt es sich um allerlei Personen aus seinem sozialen und beruflichen Umfeld. Guidos Wagen füllt sich allmählich mit Rauch. Nach einigen panischen Fluchtversuchen gelingt es dem Träumenden schließlich, fliegend durch die Dachluke zu entkommen. Hoch in den Wolken erspäht er die monumentale Kulisse seines gegenwärtigen Filmprojekts, woraufhin die Szenerie jäh an einen Strand wechselt. Lachend navigiert Claudias Pressemanager den von einer um seinen Fuß geschlungenen Schnur gehaltenen Guido wie einen Papierdrachen. Ein neuerlicher Befreiungsversuch seinerseits misslingt. Claudias Agent, geschmückt mit Löwenkopfemblem und auf einem Pferd sitzend, blättert wütend in einem dünnen Skript und urteilt: „Giú, definitivamente!“ (dt. „Endgültig runter!“). Aus seinem freien Fall erwacht Guido schließlich hyperventilierend, desorientiert und von Ärzten bedrängt in seinem Bett im Kurort.

Die Kameraführung ist vom Flugerlebnis abgesehen, welches als rasanter Point of View Shot umgesetzt wird, nicht an den Blick der Hauptfigur gebunden, aber dennoch subjektiviert. Guidos Angst vor dem Ersticken etwa wird mittels unruhig umherschweifender Kamerafahrten und Zitterschwenks emphatisiert. Seine verzweifelten Schläge gegen die Windschutzscheibe bringen den Bildausschnitt zum Beben. Während der gesamten Traumsequenz bis noch deutlich nach dem Erwachen der Hauptfigur ist ihr Gesicht nicht zu sehen.

Traumhaftigkeit

Der Traum wird zwar erst im Moment des Erwachens eindeutig als solcher ausgewiesen, beinhaltet jedoch zahlreiche traumhafte Elemente. Guido ist der Fokus allen Geschehens. So ist die langsame Choreographie der sich ihm zuwendenden, entmenschlicht wirkenden Gesichter von einer unheimlichen Wirklichkeitsferne geprägt und erzeugt den Eindruck von Bedrohlichkeit. Vom Paukenschlag abgesehen gehen in der ersten Hälfte des Traums alle Geräusche von Guido selbst aus. Die Fahrer haben trotz des allgemeinen Stillstands ihre Hände fest um das Lenkrad geschlossen und recken ihre Köpfe krampfartig nach vorne. Auch Guidos eigene Bewegungen scheinen zunächst unnatürlich verlangsamt und verkrampft, etwa wenn er mit einem Tuch über die Frontscheibe seines Wagens wischt. Teilweise erinnern die Körperhaltungen der Figuren an fremde, aber assoziativ verknüpfbare Kontexte. Fahrgäste eines Busses werden als nebeneinander aufgereihte Gehängte inszeniert. Kurz bevor Guido gen Himmel fährt, nimmt er die Haltung des ans Kreuz geschlagenen Christus ein.Weiterhin verhalten sich die anwesenden und agierenden Personen aus Guidos Leben auf eine Weise, die in der objektiven Filmrealität schwer erklärbar wäre, somit ebenfalls als realitätsfern gelten kann. Zwischen den einzelnen Segmenten ist zudem auf den ersten Blick kein kausaler oder sonstiger Zusammenhang ersichtlich. Das Naturgesetz der Schwerkraft scheint von Menschen kontrollierbar zu sein. Mit dem plötzlichen Erscheinen des Seils wird die Objektkonstanz gebrochen.

Systematisierend lässt sich davon sprechen, dass narrative Elemente, Figuren und Naturgesetze der objektiven Filmrealität in Guidos Traum verzerrt, deplatziert, neu kontextualisiert und mit ebenso seltsamen wie kurzen Erzählfäden verknüpft werden. Hierdurch erhalten sie auf assoziativem Wege eine zusätzliche oder veränderte – zumeist symbolische oder metaphorische – Bedeutung für die Charakterisierung von Guidos Persönlichkeit und seiner Lebensumstände.
Freilich lernt der Zuschauer die objektive Filmrealität erst nach dieser Traumszene kennen, so dass er diese Bezüge erst nachträglich erkennen kann.

Interpretation

Thomas Koebner deutet das Gefangensein im Auto als metaphorisierte Lebenskrise (Koebner 2010, 74). Bezogen auf den Einbettungskontext lässt sich die gesamte Stau-Szene als kreativer Stillstand eines Mannes begreifen, von dessen Kreativität nicht nur eine große Anzahl von Personen, repräsentiert durch die Masse der mit ihm im Stau Steckenden, sondern auch seine eigene Legitimation als Mitglied der Gesellschaft abhängig sind. Dieser Stillstand wird deutlich verknüpft mit extremen und endgültigen Formen der gesellschaftlichen Verurteilung eines Individuums, dem Erhängen und dem Vergasen. Auch dass Guidos Gesicht nicht zu sehen ist, deutet darauf hin, dass er sich mit dem Verlust seines öffentlichen Ansehens konfrontiert sieht. Mit Jung ließe sich sogar davon sprechen, dass seine Persona, also sein äußerer bewusster Charakter, in Auflösung begriffen ist. Der Traum vom Fliegen und Fallen kann in diesem Zusammenhang verschiedentlich interpretiert werden. Nach Jung träumen „Menschen, die unrealistische Ideen oder eine zu hohe Meinung von sich selbst haben oder allzu große Pläne machen, die außerhalb ihrer Möglichkeiten liegen, oft vom Fliegen oder Fallen. Der Traum kompensiert die Mängel ihrer Persönlichkeit und warnt sie gleichzeitig vor den Gefahren ihres gegenwärtigen Kurses“ (Jung 1998, 45). Passenderweise fliegt Guido, dem Ikarus aus der griechischen Mythologie gleich, direkt auf die Sonne zu. Allerdings muss nicht zwangsläufig Jung bemüht werden, um die Traumbilder als kompensatorisches Wechselspiel von Wünschen und Ängsten verstehbar zu machen. Möglicherweise wird mit der Szene ein herbeigesehnter kreativer Höhenflug plakativ umgesetzt, angesichts des überdimensionierten Projekts jedoch ausgerechnet von den pragmatisch agierenden Handlangern eben der Schauspielerin Claudia beendet, auf die Guido als idealisierte Lösung seiner Probleme alle Hoffnung richtet. Dass es bei dem Projekt um mehr als nur einen weiteren Film geht, wird aus einem Interpretationsansatz von John C. Stubbs ersichtlich, der die Bedeutung der Raketenrampe als Kulisse für den Film im Film hervorhebt. Diese repräsentiere für die Hauptfigur die Sehnsucht nach einem völligen Neuanfang, nachdem ihr altes Leben durch fragwürdige Entscheidungen, restriktive Erziehung und gesellschaftliche Zwänge – im fiktiven Drehbuch versinnbildlicht als nukleare Verseuchung des Planeten – unbewohnbar geworden ist (Stubbs 1978, 29 f). Somit würde sich der Traum nicht primär auf die Angst vor dem Scheitern als Regisseur beziehen, sondern auf die tiefer liegende Angst, dass alles so weitergehen könnte wie bisher, also dass keine persönliche Entwicklung mehr stattfindet.

Es wird deutlich, dass der Eröffnungstraum wie auch die folgenden Träume zur Erforschung des Unbewussten der Hauptfigur anregen. Der rätselhafte und – in Abgrenzung zum Paradigma psychoanalytischer Traumtheorien – bisweilen mehrdeutige Charakter der Trauminhalte spiegelt die in der Rahmenerzählung immer wieder thematisierte Verwirrung des Protagonisten wider und macht sie für den Zuschauer nachfühlbar, dem ebenso wenig wie Guido Hilfestellungen bei der Interpretation des Erlebten angeboten werden.

Traumbegegnung mit den Eltern

Beschreibung

Nachdem er mit seiner Geliebten Clara geschlafen hat, träumt Guido von seinen Eltern (00:19:50 – 00:23:00). Zu Beginn sind sowohl der Schlafende, als auch die Traumgestalt seiner Mutter und die in der objektiven Filmwirklichkeit ein Comic lesende Geliebte des Protagonisten zu sehen. Die Mutter öffnet im Schlafzimmer ein Portal zur Traumwelt, indem sie durch eine Handbewegung die Wand verschwinden lässt. Auf der anderen Seite befindet sich das Mausoleum des Vaters. Es entfalten sich verschiedene kurze Gespräche zwischen Guido und seinen Eltern, seiner Frau und einem Ordensmeister.

Während Guido in der Darstellung der objektiven narrativen Wirklichkeit durch den begrenzenden Rahmen der ihm stets folgenden Kamera geradezu gefangen gesetzt wird (Bondanella 2002, 102), dominieren in diesem Traum erstmals Point of View-Strukturen. Die Traumgestalten blicken in den entsprechenden Einstellungen entweder direkt in das topologisch mit der Hauptfigur und letztlich auch dem Filmzuschauer identische Kameraobjektiv oder knapp an ihm vorbei.
Wie Conti feststellt, ist die Tür des Fahrstuhls, hinter der Guido in der unmittelbar anschließenden Szene erstmals dem Kardinal begegnet, mit der Tür des geträumten Mausoleums identisch (Conti 1972b, 135 f). Guidos perplexe Reaktion beim Anblick der Tür deutet darauf hin, dass auch er sich dieses Umstands bewusst wird.

Traumhaftigkeit

Besonders auffällig sind die unklaren Raumstrukturen, die durch plötzliche, den Konventionen der Kameraführung widerstrebende Achsensprünge des Blickwinkels, bewusste Anschlussfehler, willkürliche Kamerafahrten und physisch aneinander vorbei redende Figuren realisiert werden. Teils scheinen sich die Traumgestalten somit an mehreren Orten gleichzeitig zu befinden. Bei den Dialogen handelt es sich eher um aneinandergereihte Gesprächsfragmente, die untereinander wieder allenfalls assoziativ bzw. thematisch verknüpft werden können. Stellenweise scheint die Bedeutung der gesprochenen Sätze leicht verschoben zu sein. So fragt der Vater den Ordensmeister, ob es seinem Sohn schlecht gehe. Sinnvoll wäre der kurze Dialog jedoch nur, wenn der Vater fragen würde, wie sich sein Sohn macht bzw. ob er sich schlecht benimmt.
Wie auch im Eröffnungstraum, sind Naturgesetze der objektiven Filmrealität außer Kraft gesetzt: Tote teilen sich aus dem Jenseits mit, Objekte und Figuren lösen sich in Nichts auf und Metamorphosen vollziehen sich.Außerdem wird der Ort zwar als Friedhof ausgewiesen, wirkt jedoch eher wie eine antike Festungsanlage mit einer enormen Mauer.

Interpretation

Der Traum beginnt ungewöhnlich, indem er objektive mit subjektiven Wirklichkeitselementen in einer Einstellung vermengt. Dieser Umstand ist bedeutsam, da so die in Guidos Kindheitserinnerung als strenge Katholikin beschriebene Mutter ihn am Ort des vollzogenen Ehebruchs geradezu heimsucht und ihren Sohn prompt an das Grab des verstorbenen Vaters versetzt, als hätte er etwas ausgefressen und es müssten nun erzieherische Maßnahmen getroffen werden. Guidos Schuld ist auch ansonsten das dominante Motiv dieser Traumsequenz. Als Sünder ist er schuld am Leid seiner Mutter, die als gebrechliche Mater Dolorosa, dem in der Marienverehrung gebräuchlichen Bild der schmerzensreichen Mutter, erscheint („Quante lacrime, figlio mio, quante lacrime!“; dt.: „So viele Tränen, mein Sohn, so viele Tränen!“) und trotz selbstloser Aufopferung ihren Sohn doch nicht hat retten können. Als Versager ist er schuld am Leid seines Vaters, der beklagt, die Decke seines Mausoleums sei viel niedriger als er sie sich vorgestellt habe, worum Guido sich hätte kümmern sollen. Guido selbst trägt das Gewand eines katholischen Priesters, was nach Jung als Entwurf eines gegenweltlichen Ichs gedeutet werden könnte, der seine schlüpfrige und disziplinlose Lebensführung kompensiert. Da Guidos sexuelle Gefühle für Frauen mit dem körperbetonten Auftreten der Saraghina, der durch die katholische Erziehung mit Sünde, Verdorbenheit und Schande konnotierten Prostituierten aus seiner Kindheit, reserviert sind, soll die abschließende Metamorphose der Mutter zu seiner Frau Luisa vermutlich keinen Ödipus-Komplex andeuten. Vielmehr handelt es sich um eine Projektion der mütterlichen Charaktereigenschaften auf seine Frau, die sich in Guidos Vorstellungswelt gleichfalls für ihn aufzuopfern hat, wie später aus dem Schluss der Haremsfantasie ersichtlich wird (01:40:30 – 01:41:55). Dafür spricht auch, dass sie allein auf dem Friedhof zurückbleibt.

Insgesamt wird in dem Traum Guidos Beziehung zu seiner Familie verhandelt, wobei die Verhaltensweisen der einzelnen Figuren Aussagen darüber erlauben, was sie für den Protagonisten bedeuten. So wird sein Vater als sanft, gütig und ruhig, also generell positiv dargestellt. Der Auftritt des arroganten Ordensmeisters als Fremdkörper allerdings versetzt den Vater in helle Aufregung und veranlasst ihn zu Demutsgesten. Wie schon der Rechtsanwalt im Eröffnungstraum setzt der Würdenträger zu einem vernichtenden Urteil über Guido an. Somit wird angedeutet, dass auch dieser Aspekt in Guidos Leben – das Vater-Sohn-Verhältnis – einer Störung durch die Kirche unterlag.


Traumaudienz beim Kardinal

Beschreibung

Ein optisch zwischen kafkaesker Bürokratie-Hölle, antikem Badehaus und unterirdischem Gespenstertreff angelegter Salz-Inhalationsraum des Kurortes dient als Schauplatz des dritten Traums (01:07:35 – 01:10:40). Von den heilsamen Dämpfen benebelt, schläft Guido zusammen mit anderen Gästen ein. Eine Lautsprecher-Durchsage zitiert den Träumer zu seiner Eminenz, dem Kardinal. Guidos Freunde betrachten den Geistlichen als Garanten für dies- und jenseitiges Wohlbefinden, dem es nur zu gefallen gelte. Dementsprechend beschwören sie ihn auf dem Weg durch die labyrinthischen Gänge des Gewölbes, dass er sich demütig verhalten und sich für sie einsetzen solle. Der Kardinal, der von seinen Dienern auf ein Schlammbad vorbereitet wird, erscheint zunächst als Schatten mit klar erkennbarem Segnungsgestus. Auf Guidos Bekenntnis hin, unglücklich zu sein, erhält er die Antwort, es sei auch nicht seine Aufgabe glücklich zu sein. Sentenziöse Verweise auf die alleinseligmachende Eigenschaft der Kirche („Extrae ecclesiam nulla salus.“) beenden den Traum.

Traumhaftigkeit

Von allen Träumen ist dieser der kohärenteste und zeichnet sich vor allem durch das Vorkommen diverser sogenannter Tagesreste aus, also Versatzstücken von Eindrücken und Erlebnissen aus der nahen Vergangenheit. Das Setting ändert sich kaum und es werden scheinbar unbedeutende Elemente vorheriger Szenen wiederverwendet – wie die Lautsprecherdurchsage, die Scheidung in Mexiko, der geküsste Ring, das Schlammbad und der Dampf. Möglicherweise liegt der Konstruktion dieser Darstellung eine Differenzierung zwischen dem nächtlichen Traum und einem kurzen Wegdämmern, wie es im Inhalationsraum gezeigt wird, zugrunde.

Interpretation

Guido erlebt das Treffen mit dem Kardinal, das auf der objektiven Realitätsebene höchst unbefriedigend verlaufen war, von Neuem, diesmal allerdings in abgewandelter und symbolisch angereicherter Form.
Angesichts der in weiße Tücher gehüllten und im dichten Nebel des Inhalationsraums umherirrenden Gestalten drängen sich Assoziationen mit dem Hades auf. Das Motiv setzt sich in der Traumsequenz fort, wo der Kardinal als halb skelettiertes und von bereits in der Eröffnungssequenz mit dem Tod konnotierten Gasen umhülltes Orakel dargestellt wird. Entgegen der Weisungen seiner Freunde begegnet Guido dem Kardinal zwar respektvoll, aber auf Augenhöhe. Dieser Sachverhalt allein signalisiert, dass er nicht mehr bereit ist, sich der kirchlichen Autorität zu unterwerfen. Die symbolhafte Schließung der Klappe, die Guido an diesen mystischen Ort geführt hatte, markiert auch den Abschluss seiner Reflexionen über Religiosität. Tatsächlich spielt die Kirche im Rest des Films keine Rolle mehr. Es steht demnach zu vermuten, dass Guido durch die Traumaudienz endgültig akzeptiert hat, der civitas dei nicht anzugehören und – in direktem Widerspruch zu den Worten des Kardinals – sein Seelenheil außerhalb der Kirche suchen zu müssen.

Andere Imaginationsformen

Im Unterschied zu den Träumen zeichnen sich die Fantasien und Erinnerungen Guidos durch ihre grundsätzlich kohärente Erzählform aus. Obwohl stark subjektiv gefärbt, handelt es sich doch um zusammenhängende Geschichten. Die Erinnerungssequenzen erscheinen auf realistische Weise vage und lückenhaft, geprägt von aus der kindlichen Perspektive überdimensionierten Raum- und Größenverhältnissen sowie sich mit der Intensität der erinnerten Emotionen verselbständigenden und ausufernden Details. Die Fantasien hingegen sind sprunghaft, voller Wendungen, welche die Prozesshaftigkeit der Reflexionen Guidos widerspiegeln. So beginnt etwa die Haremsfantasie (01:28:45 – 01:42:00) als verspielt eskapistischer Tagtraum, wird plötzlich überlagert von sexistischer Häme und mündet schließlich in Selbstkritik und Schamgefühl.

Einbettung in den Gesamtkontext

Guido wird eingeführt als ein angesehener Lebemann im Alter von 43 Jahren, der sich plötzlich nicht mehr in der Lage sieht, seinem Beruf nachzugehen und dem es auch sonst zunehmend schwer zu fallen scheint, seine bisherige Rolle in der Gesellschaft weiter zu spielen. Da er sich in der objektiven Filmrealität hierzu kaum äußert, stellen sich die Gründe für diese Krise nur in den subjektiven Filmsequenzen dar. Eine erzählerische Funktion der Träume ist somit evident: die Charakterisierung der Figur und die Darstellung ihrer Bewusstseinsinhalte (Wulff 1998, 56). Die Motive in den Träumen verweisen auf ausgesprochen existenzielle Themen (Tod, Scheitern, gesellschaftlicher Zwang, Religion, Erziehung, usw.), die in scharfem Kontrast zur jugendlich unbeschwerten Lebensweise des Protagonisten im Wachzustand stehen. In der Terminologie Jungs steht Guido an der Schwelle zur Lebenswende, der sichtbar werdenden Inkongruenz „zwischen den Anfängen des biologischen Alterns […] und dem Drang und der Möglichkeit weiterer seelisch-geistiger Entfaltung“ (Jacobi 1971, 31), an welche die sogenannte Individuation in der zweiten Lebenshälfte anschließt. Deren Ziel ist die näherungsweise Erkenntnis des wahren Selbst im Unterschied zur unter dem Einfluss von Erziehung und gesellschaftlichen Erfordernissen in der ersten Lebenshälfte ausgebildeten Persona. Jungs Traumtheorie zufolge haben Träume die allgemeine Funktion, das psychische Gleichgewicht des Träumers wiederherzustellen, indem ihm dort von seinem Unbewussten diejenigen Perspektiven eröffnet werden, die dem Bewusstsein zu einem vollständigen Erleben und einer besseren Beurteilung der Situation fehlen (Jung 1998, 45). Dementsprechend setzt sich in 8 ½ in bereits auf die Ebene des Bewusstseins gehobenen Tagträumen und Erinnerungen fort, was mit den Träumen begonnen hat, nämlich Guidos Auseinandersetzung mit seiner eigenen Verwirrung unter dem Licht einer Rückbesinnung auf seine Kindheit, in der das Selbst noch nicht von der konstruierten Persona verdeckt ist. Claudia repräsentiert in diesem Zusammenhang für Guido ein Seinsideal, das Kind und Erwachsene vereint, maskenlos authentisch und heiter ist und diese Eigenschaften auf magische Weise auf ihn übertragen soll. Mit dieser Vorstellung in der Szenerie eines Autokinos (01:54:30 – 01:55:15) konfrontiert, wird sie jedoch von der vermeintlich wahren Claudia, bei der es sich letztendlich ebenfalls um die Personifikation eines tiefer gehenden Gedankens Guidos zu handeln scheint, als unwirklich, kitschig und oberflächlich – eben ganz wie die nach allgemeiner Ansicht typischerweise in Autokinos gezeigten Filme – enttarnt.

Tatsächlich geht die Figur des Guido aus ihren Träumen und Imaginationen am Ende des Films verändert, mit einer neuen, weiseren Einstellung zu sich und ihrer Umgebung hervor. Durch den Auftritt Rosellas als sprechende Grille in der Haremsfantasie (01:31:55) wird diese Entwicklung mit dem Reifungsprozess des Pinocchio von Carlo Collidi parallelisiert, der sich von einer immerzu lügenden menschengemachten Puppe schließlich in einen ehrlichen und verantwortungsbewussten Jungen aus Fleisch und Blut verwandelt. Als Wendepunkt kann die Selbstmordfantasie auf der Pressekonferenz gelten, welche den Tod jenes alten, zu stark seiner Persona verhafteten Guidos repräsentiert, der nicht zu sich selbst und der seinem Selbst inhärenten und natürlichen Verwirrung stehen kann. Sie markiert nicht nur das Ende des Filmprojekts und damit des Fluchtversuchs, um den es darin gehen sollte, sondern eine Auflösung des inneren Konflikts, der schließlich explizit als Widerspruch zwischen unbewusstem Selbst und bewusstem Ich ausgewiesen wird: „Mi sento come liberato. […] Ma cuesta confusione sono io. Io come sono, non come vorrei essere. E non mi fa più paura dire la verità: quello che non so, che cerco, che non ho ancora trovato.“ (dt. „Ich fühle mich wie befreit. […] Diese Verwirrung bin ich, so wie ich bin und nicht so wie ich sein will. Und es macht mir keine Angst mehr die Wahrheit zu sagen: was ich nicht bin, was ich suche, was ich noch nicht gefunden habe.“ 02:05:10 – 02:05:40). Durch diese Synthese von Bewusstsein und Unbewusstem, die auch filmisch mittels einer unauflösbaren Vermengung von objektiver und subjektiver Filmrealität umgesetzt wird, erlangt Guido schließlich die Fähigkeit zu lieben, sich mit der Welt zu versöhnen, seine Unzulänglichkeiten einzugestehen und sich bei seiner Frau Luisa zu entschuldigen. Symbolisch wird dieses vorläufige Ergebnis des Individuationsprozesses als Hochzeitsfeier dargestellt, bei der Guido als ein neuer Mensch, der seine Angst- und Schuldgefühle überwunden hat, wieder seiner Leidenschaft nachgehen und Regie führen kann.


Filmgeschichtliche Einordnung

Federico Fellini gilt gemeinhin als Autorenfilmer. 8 ½ wurde von der Kritik enthusiastisch aufgenommen und galt für viele als Beweis, dass die Filmkunst dazu in der Lage war, anspruchsvoller und komplexer als die modernsten Werke der modernen Literatur zu sein (Quilliot 2014, 121 f). Nach Peter Wuss lässt sich der Film einem transnationalen Gruppenstil der frühen 1960er Jahre zurechnen, der sich durch einen Bedeutungszuwachs der Darstellung von mentalem Geschehen in der Filmkunst auszeichnete und dem neben Fellini u.a. Regisseure wie Alain Resnais, Ingmar Bergman, Luis Buñuel und Nagisa Okushima angehörten (Wuss 1998, 94). Thomas Koebner schlägt in diesem Zusammenhang den Begriff des „Zweiten Surrealismus“ vor, für den eine entgrenzte Realitätsauffassung charakteristisch sei, „die sowohl die Wahrnehmung einer von Dritten überprüfbaren, einer äußeren Wirklichkeit, und die Vorstellungen einer aus Einbildungskraft hervorgebrachten inneren Welt in gleicher Weise wertet, die also Träumen, Halluzinationen und Visionen […] dieselbe Gültigkeit zuspricht wie Aufzeichnungen der Außenwelt“ (Koebner 2010, 208). Vor 8 ½ sah man in Fellini hingegen einen Hauptvertreter des Italienischen Neo-Realismus (ebd., 207).

Es muss hervorgehoben werden, dass die surrealistischen Anleihen des Films keine völlige Abkehr vom Realismus bedeuten. Wenn Fellini die subjektiven Bewusstseinszustände seines Protagonisten in der Art eines Stream of Consciousness-Narrativs zeigt (Bondanella 2002, 98), bemüht er sich durchaus um eine realistische und psychologisch nachvollziehbare Darstellungsweise, die nichts mit dem Verfahren der Écriture automatique gemein hat und im Unterschied zum surrealistischen Grundgedanken das Vorhandensein einer objektiv gegebenen äußeren Wirklichkeit nicht negiert. Letzteres wird beispielsweise in einer Szene deutlich, in der Guido Anselmi im Innenhof des Kurorts für ein Glas Brunnenwasser ansteht. Eine subjektivierte Einstellung zeigt seinen Tagtraum, in dem Claudia als Lichtgestalt heranschwebt und ihm lächelnd das Wasser reicht. In der nächsten Einstellung stellt sich die Thekendame als überarbeitet, ungeduldig und Claudia ganz und gar unähnlich heraus (00:07:25-00:07:50). Die beiden Einstellungen stehen zwar möglicherweise gleichberechtigt nebeneinander, indem sie jeweils Realitäten - eine äußere und eine innere - abbilden, sind aber modal scharf voneinander abgegrenzt.


DVD-Veröffentlichung

Die für diesen Artikel verwendeten Time-Code-Angaben beziehen sich auf die DVD-Edition von StudioCanal (2007).



Literatur

  • Affron, Charles: Eight and One Half. Rutgers 1987.
  • Benderson, Albert: Critical Approaches to Federico Fellini's 8 ½. New York 1974.
  • Bondanella, Peter E.: The Films of Federico Fellini. Cambridge, MA 2002.
  • Burke, Frank: Federico Fellini. Reality/Representation/Signification. In: Frank Burke/Marguerite R. Waller (Hg.), *Federico Fellini. Contemporary Perspectives. Toronto 2002, 26-45.
  • Conti, Isabella: Fellini 8 ½ (A Jungian Analysis). Parte Prima. In: Ikon. Revue Internationale de Filmologie 80 (1972), 43-76.
  • Conti, Isabella: Fellini 8 ½ (A Jungian Analysis). Parte Seconda. In: Ikon. Revue Internationale de filmologie 82-83 (1972), 123-170.
  • Conti, Isabella / McCornick, William A.: Federico Fellini. Artist in Search of Self. In: Biography 7 (1984) 4, 292-308.
  • Costello, Donald P.: Layers of Reality. 8 ½ as Spiritual Autobiography. In: Notre Dame English Journal 13 (1981) 2, 1-12.
  • Fellini, Federico: Das Buch der Träume. Übers. von Christel Galliani. München 2008.
  • Fredericksen, Don: Fellini's 8 ½ and Jung. Narcissism and Creativity in Midlife. In: International Journal of *Jungian Studies 6 (2014) 2, 133-142.
  • Jung, Carl G.: Symbole und Traumdeutung. Ein erster Zugang zum Unbewußten. Düsseldorf 1998.
  • Kezich, Tullio: Fellini. Eine Biographie. Zürich 1989.
  • Kezich, Tullio: Federico Fellini. His Life and His Work. New York 2006.
  • Koebner, Thomas: Federico Fellini. Der Zauberspiegel seiner Filme. München 2010.
  • Perry, Ted: Filmguide to 8 ½. Bloomington 1975.
  • Quilliot, Roland: L'âge d'or du cinéma d'auteur européen. Bergman, Buñuel, Fellini, Moretti, Scola, Truffaut. Dijon 2014.
  • Stubbs, John C.: Federico Fellini. A Guide to References and Resources. London 1978.
  • Stubbs, John C.: Federico Fellini as Auteur. Illinois 2006.
  • Wulff, Hans J.: Intentionalität, Modalität, Subjektivität. Der Filmtraum. In: Bernard Dieterle (Hg.), Träumungen. Traumerzählung in Film und Literatur. St. Augustin 1998, 53-69.
  • Wuss, Peter: Träume als filmische Topiks und Stereotypen. In: B. Dieterle (Hg.), Träumungen. 1998, 93-116.

Weblinks