"Heinrich von Ofterdingen" (Novalis): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 28. April 2019, 20:47 Uhr
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''Heinrich von Ofterdingen'' ist ein posthum veröffentlichter, unvollendeter Roman von Novalis, dessen Inhalt die Apotheose der Poesie ist, die am Beispiel der Figur Heinrich von Ofterdingen dargestellt wird. Das Werk enthält mit der blauen Blume nicht nur das zentrale Symbol der Romantik, sondern auch drei Traumdarstellungen, die als vorbildhaft empfunden wurden und die romantische Traumpoetik insgesamt prägten. | |||
==Autor== | ==Autor== | ||
Der heute vor allem unter seinem Pseudonym [https://www.deutsche-biographie.de/sfz31783.html#ndbcontent Novalis] bekannte Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg wird am 02. Mai 1772 als zweites von elf Kindern auf dem Gut Oberwiederstedt geboren. 1786 zieht die Familie nach Weißenfels um, ab 1788 sind erste literarische Versuche Friedrichs (so der Rufname) überliefert. 1790 besucht er als Studienvorbereitung das Gymnasium in Eisleben, um sich anschließend in Jena als Student der Jurisprudenz zu immatrikulieren. Hier kommt es zum ersten Kontakt mit Friedrich Schlegel. Später erfolgt der Wechsel nach Leipzig (1791) und Wittenberg (1793), wo Novalis das Studium 1794 mit dem Ersten Staatsexamen abschließt. | Der heute vor allem unter seinem Pseudonym [https://www.deutsche-biographie.de/sfz31783.html#ndbcontent Novalis] bekannte Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg wird am 02. Mai 1772 als zweites von elf Kindern auf dem Gut Oberwiederstedt geboren. 1786 zieht die Familie nach Weißenfels um, ab 1788 sind erste literarische Versuche Friedrichs (so der Rufname) überliefert. 1790 besucht er als Studienvorbereitung das Gymnasium in Eisleben, um sich anschließend in Jena als Student der Jurisprudenz zu immatrikulieren. Hier kommt es zum ersten Kontakt mit Friedrich Schlegel. Später erfolgt der Wechsel nach Leipzig (1791) und Wittenberg (1793), wo Novalis das Studium 1794 mit dem Ersten Staatsexamen abschließt. | ||
Im März 1795 verlobte Novalis sich mit Sophie von Kühn Es folgen Anstellungen im Staatsdienst als Aktuarius (1794, Tennstedt) und Akzessist (1796, Salinendirektorium Weißenfels), nach dem Besuch der Bergakademie in Freiberg (1797–1799) erhält er die erwünschte Ernennung zum Salinen-Asessor. Der frühe Tod der Verlobten (1797) wurde später von Tieck als Ausgangspunkt einer biographischen Leitlinie verwendet, die aus ihm einen schwindsüchtigen, am Grab der verstobenen Geliebten dahinsiechenden, Jüngling machte. Dabei verlobte Novalis sich noch 1798 mit Julie von Charpentier und strebte nach einer beruflichen Position die ihm die Gründung und den Unterhalt einer Familie erlauben würde. Im Dezember 1800 gelingt dies, er wird zum Supernumerar-Amtshauptmann (entspricht dem heutigen Landrat) für den Thüringer Kreis berufen. Im Jahr der Verlobung zeigten sich allerdings bereits erste Anzeichen einer tuberkulösen Erkrankung, die im März 1801 zu seinem Tod führt. | Im März 1795 verlobte Novalis sich mit Sophie von Kühn Es folgen Anstellungen im Staatsdienst als Aktuarius (1794, Tennstedt) und Akzessist (1796, Salinendirektorium Weißenfels), nach dem Besuch der Bergakademie in Freiberg (1797–1799) erhält er die erwünschte Ernennung zum Salinen-Asessor. Der frühe Tod der Verlobten (1797) wurde später von Tieck als Ausgangspunkt einer biographischen Leitlinie verwendet, die aus ihm einen schwindsüchtigen, am Grab der verstobenen Geliebten dahinsiechenden, Jüngling machte. Dabei verlobte Novalis sich noch 1798 mit Julie von Charpentier und strebte nach einer beruflichen Position die ihm die Gründung und den Unterhalt einer Familie erlauben würde. Im Dezember 1800 gelingt dies, er wird zum Supernumerar-Amtshauptmann (entspricht dem heutigen Landrat) für den Thüringer Kreis berufen. Im Jahr der Verlobung zeigten sich allerdings bereits erste Anzeichen einer tuberkulösen Erkrankung, die im März 1801 zu seinem Tod führt. | ||
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Der Roman erscheint, posthum und unvollendet, erstmals 1802 unter dem Titel ''Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman von Novalis. Zwei Theile.'' Herbert Uerlings verweist darauf, dass dieser Titel irreführend ist, da die Ausgabe nur den ersten Teil enthält (vgl. Uerlings, 177). Erst mit den von Schlegel und Tieck Ende 1802 herausgegebenen ''Schriften'' standen einer interessierten Leserschaft der fertige Anfang des zweiten Teils, zahlreiche Paralipomena sowie ein umstrittener Fortsetzungsbericht von Tieck zur Verfügung. Einen ausführlichen Überblick über die zahlreichen Ausgaben der Werke Novalis’ hat Herbert Uerlings erstellt: [http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben]. Textgrundlage der Forschung war jahrzehntelang die historisch-kritische Novalis Ausgabe. Band 1, der den ''Ofterdingen ''enthält, wurde zuletzt 1977 überarbeitet. 2015 hat Alexander Knopf eine neue Ausgabe des Werkes herausgegeben. ''Heinrich von Afterdingen'' ist den editionstechnischen Prinzipien Roland Reuß’ verpflichtet und macht dem Leser alle erhaltenen Handschriften „zum ersten Mal zugänglich“ (Knopf, 111). Knopfs Ausgabe ist von besonderem Interesse was die Erforschung des zweiten, unvollendeten Romanteils angeht. Allerdings baut die Edition im Vergleich zur HKA aber „auf einer nur geringfügig veränderten Materialbasis“ auf (Knopf 112), was insbesondere für den ersten Teil gilt, zu dem keine Handschriften vorliegen, sondern lediglich verschiedene Drucke (vgl. Knopf 113). Die hier besprochenen Träume finden sich alle im ersten Teil des Romans. | Der Roman erscheint, posthum und unvollendet, erstmals 1802 unter dem Titel ''Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman von Novalis. Zwei Theile.'' Herbert Uerlings verweist darauf, dass dieser Titel irreführend ist, da die Ausgabe nur den ersten Teil enthält (vgl. Uerlings, 177). Erst mit den von Schlegel und Tieck Ende 1802 herausgegebenen ''Schriften'' standen einer interessierten Leserschaft der fertige Anfang des zweiten Teils, zahlreiche Paralipomena sowie ein umstrittener Fortsetzungsbericht von Tieck zur Verfügung. Einen ausführlichen Überblick über die zahlreichen Ausgaben der Werke Novalis’ hat Herbert Uerlings erstellt: [http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben]. Textgrundlage der Forschung war jahrzehntelang die historisch-kritische Novalis Ausgabe. Band 1, der den ''Ofterdingen ''enthält, wurde zuletzt 1977 überarbeitet. 2015 hat Alexander Knopf eine neue Ausgabe des Werkes herausgegeben. ''Heinrich von Afterdingen'' ist den editionstechnischen Prinzipien Roland Reuß’ verpflichtet und macht dem Leser alle erhaltenen Handschriften „zum ersten Mal zugänglich“ (Knopf, 111). Knopfs Ausgabe ist von besonderem Interesse was die Erforschung des zweiten, unvollendeten Romanteils angeht. Allerdings baut die Edition im Vergleich zur HKA aber „auf einer nur geringfügig veränderten Materialbasis“ auf (Knopf 112), was insbesondere für den ersten Teil gilt, zu dem keine Handschriften vorliegen, sondern lediglich verschiedene Drucke (vgl. Knopf 113). Die hier besprochenen Träume finden sich alle im ersten Teil des Romans. | ||
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Dem Gedicht Astralis folgen noch einige kleinere Episoden, der zweite Teil bricht dann schließlich während eines Gespräches zwischen Sylvester und Heinrich ab. Die drei Träume sind im ersten Teil des Romans angesiedelt, der berühmte Traum von der blauen Blume (I) und der Traum, den Heinrichs Vater in Italien hat (II), im ersten Kapitel. Dieses beginnt nach kurzen Reflexionen Heinrichs mit Traum I. Unmittelbar daran knüpft das Gespräch über den (Erkenntnis-)Wert von Träumen mit Heinrichs Eltern an. Als Reaktion darauf erzählt der Vater seinen Traum, der dem Heinrichs in vielerlei Hinsicht ähnelt. Somit bilden die beiden Träume einen Rahmen um das Gespräch, sie stehen am Anfang der Handlung. Traum III wird von Heinrich am Ende des sechsten Kapitels geträumt, nachdem die äußere Handlung des ersten Teils, Heinrichs Reise zum Großvater, bereits abgeschlossen ist. Diesem Traum geht ein Fest, auf welchem Heinrich erstmals dem Dichter Klingsohr und Mathilde begegnet, unmittelbar voraus. Reflexionen und Gespräche mit diesen beiden Figuren bilden den Rest der Handlung des ersten Teils, im zweiten Teil gibt es keine Träume. Sowohl I und II, als auch I und III rahmen also Handlungselemente und sind an zentralen Stellen des Romans positioniert. | Dem Gedicht Astralis folgen noch einige kleinere Episoden, der zweite Teil bricht dann schließlich während eines Gespräches zwischen Sylvester und Heinrich ab. Die drei Träume sind im ersten Teil des Romans angesiedelt, der berühmte Traum von der blauen Blume (I) und der Traum, den Heinrichs Vater in Italien hat (II), im ersten Kapitel. Dieses beginnt nach kurzen Reflexionen Heinrichs mit Traum I. Unmittelbar daran knüpft das Gespräch über den (Erkenntnis-)Wert von Träumen mit Heinrichs Eltern an. Als Reaktion darauf erzählt der Vater seinen Traum, der dem Heinrichs in vielerlei Hinsicht ähnelt. Somit bilden die beiden Träume einen Rahmen um das Gespräch, sie stehen am Anfang der Handlung. Traum III wird von Heinrich am Ende des sechsten Kapitels geträumt, nachdem die äußere Handlung des ersten Teils, Heinrichs Reise zum Großvater, bereits abgeschlossen ist. Diesem Traum geht ein Fest, auf welchem Heinrich erstmals dem Dichter Klingsohr und Mathilde begegnet, unmittelbar voraus. Reflexionen und Gespräche mit diesen beiden Figuren bilden den Rest der Handlung des ersten Teils, im zweiten Teil gibt es keine Träume. Sowohl I und II, als auch I und III rahmen also Handlungselemente und sind an zentralen Stellen des Romans positioniert. | ||
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Die literarische Gestaltung der Träume erörtere ich exemplarisch anhand von I. Dieser lässt sich in drei Hauptteile untergliedern: den nur kurz geschilderten, verworrenen Nachttraum und die beiden durch Einschlafen und Erwachen getrennten Partien des Morgentraums. Der Aufbau des Rahmenteils, also Schilderung der Außen- und Innensicht, Vorhandensein eines Tagesrestes, Einschlafen des Protagonisten und anschließende Schilderung des Traumes ist, um Manfred Engel zu zitieren, „eine in der Traumdichtung geradezu prototypische Rahmenkonstruktion“ (Engel, GdpL, 157). Dabei enthält der Traum die gesamte Romanhandlung in nuce. Während der verworrene und unklare Nachttraum auf den noch in weiter Ferne liegenden zweiten Teil des Romans verweist, präfigurieren die beiden Partien des Morgentraumes den Inhalt des ersten Romanteils. Im Nachttraum heißt es etwa, Heinrich sei »bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth« (I, 196). Dies entspricht den Schilderungen, die Tieck in seinem Fortsetzungsbericht für den zweiten Teil des Ofterdingen gibt (I, 357 ff.). Im Morgentraum erreicht Heinrich die blaue Blume: „Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte“ (I, 197). Im sechsten Kapitel trifft er dann Mathilde, die personifizierte Blume: »Ist mir nicht zu Muthe wie in jenem Traume, beym Anblick der blauen Blume? […] Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht« (I, 277). Damit sind Heinrichs Träume insofern prophetisch, als dass sie zu Beginn des Romans die Handlung vorwegnehmen. | Die literarische Gestaltung der Träume erörtere ich exemplarisch anhand von I. Dieser lässt sich in drei Hauptteile untergliedern: den nur kurz geschilderten, verworrenen Nachttraum und die beiden durch Einschlafen und Erwachen getrennten Partien des Morgentraums. Der Aufbau des Rahmenteils, also Schilderung der Außen- und Innensicht, Vorhandensein eines Tagesrestes, Einschlafen des Protagonisten und anschließende Schilderung des Traumes ist, um Manfred Engel zu zitieren, „eine in der Traumdichtung geradezu prototypische Rahmenkonstruktion“ (Engel, GdpL, 157). Dabei enthält der Traum die gesamte Romanhandlung in nuce. Während der verworrene und unklare Nachttraum auf den noch in weiter Ferne liegenden zweiten Teil des Romans verweist, präfigurieren die beiden Partien des Morgentraumes den Inhalt des ersten Romanteils. Im Nachttraum heißt es etwa, Heinrich sei »bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth« (I, 196). Dies entspricht den Schilderungen, die Tieck in seinem Fortsetzungsbericht für den zweiten Teil des Ofterdingen gibt (I, 357 ff.). Im Morgentraum erreicht Heinrich die blaue Blume: „Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte“ (I, 197). Im sechsten Kapitel trifft er dann Mathilde, die personifizierte Blume: »Ist mir nicht zu Muthe wie in jenem Traume, beym Anblick der blauen Blume? […] Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht« (I, 277). Damit sind Heinrichs Träume insofern prophetisch, als dass sie zu Beginn des Romans die Handlung vorwegnehmen. | ||
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folgen oder bekannte Symbole in einen neuen Sinnzusammenhang gebracht werden (Neue Mythologie), sind sie für den Leser entschlüsselbar. Dieser Konstruktionscharakter steht nun den Eigenschaften entgegen, welche gemeinhin mit Träumen assoziiert werden. Zu nennen wären etwa: Zusammenhangslosigkeit, fehlende Logik, Aufhebung der Ordnung von Raum und Zeit, Novalis gleicht diesen Mangel an Traumeigenschaften jedoch durch sein Poesiekonzept aus. Mythen- und Märchenelemente verleihen den literarischen Träumen eine andere Art der Traumhaftigkeit: Dies äußert sich etwa durch das Auftreten von legendären Figuren – Heinrichs Vater trifft Friedrich Barbarossa im Traum –,durch das Einbinden religiöser Elemente, – Heinrich erlebt ein "unendlich buntes Leben" (I, 196) und stirbt, er steht aber wie Jesus Christus von den Toten auf – , oder durch den Rückgriff auf die alte Mythologie; Mathilde sitzt in einer Barke auf dem Strom wie Charon. Dies sind nur drei von zahlreichen Beispielen im Text. | folgen oder bekannte Symbole in einen neuen Sinnzusammenhang gebracht werden (Neue Mythologie), sind sie für den Leser entschlüsselbar. Dieser Konstruktionscharakter steht nun den Eigenschaften entgegen, welche gemeinhin mit Träumen assoziiert werden. Zu nennen wären etwa: Zusammenhangslosigkeit, fehlende Logik, Aufhebung der Ordnung von Raum und Zeit, Novalis gleicht diesen Mangel an Traumeigenschaften jedoch durch sein Poesiekonzept aus. Mythen- und Märchenelemente verleihen den literarischen Träumen eine andere Art der Traumhaftigkeit: Dies äußert sich etwa durch das Auftreten von legendären Figuren – Heinrichs Vater trifft Friedrich Barbarossa im Traum –,durch das Einbinden religiöser Elemente, – Heinrich erlebt ein "unendlich buntes Leben" (I, 196) und stirbt, er steht aber wie Jesus Christus von den Toten auf – , oder durch den Rückgriff auf die alte Mythologie; Mathilde sitzt in einer Barke auf dem Strom wie Charon. Dies sind nur drei von zahlreichen Beispielen im Text. | ||
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Dass der Traum so wenig individuelle Eigenheiten aufweist, ist Novalis’ Märchenkonzept geschuldet. Diejenige Funktion, welche den Traum noch am ehesten als poetisches Verfahren im Text notwendig macht, ist die Verknüpfung mit der Figur Heinrich. Die Märchen, Sagen und Lieder im Text sind entindividualisiert. So lässt Novalis etwa im zweiten Kapitel die Kaufleute die Sage des Arion von Lesbos erzählen. Der Name wird jedoch nicht genannt. Aus dem Dichter Arion wird ein Dichter, denn die Geschichte, die hier erzählt wird, soll auf die Allgemeingültigkeit der Poesie verweisen. Wie sich durch die Gegenüberstellung von Heinrichs Traum und dem Traum seines Vaters zeigt, bleiben die Träume aber, auch wenn sich die Inhalte ähneln mögen, etwas Individuelles. Dabei geht es allerdings nicht darum, Figuren psychologisch glaubhaft zu machen, sondern lediglich ihren Typus zu bestimmen. So ergibt sich aus Traum II, dass Heinrichs Vater Vertreter einer empiristischen Welthaltung ist und deswegen scheitert, obwohl auch er zum Künstler begabt gewesen wäre. Heinrich hingegen ist noch ein unbeschriebenes Blatt und zur Poesie fähig, allerdings ist auch er nur eine mögliche Figur, die ein goldenes Zeitalter wiederbringen kann. | Dass der Traum so wenig individuelle Eigenheiten aufweist, ist Novalis’ Märchenkonzept geschuldet. Diejenige Funktion, welche den Traum noch am ehesten als poetisches Verfahren im Text notwendig macht, ist die Verknüpfung mit der Figur Heinrich. Die Märchen, Sagen und Lieder im Text sind entindividualisiert. So lässt Novalis etwa im zweiten Kapitel die Kaufleute die Sage des Arion von Lesbos erzählen. Der Name wird jedoch nicht genannt. Aus dem Dichter Arion wird ein Dichter, denn die Geschichte, die hier erzählt wird, soll auf die Allgemeingültigkeit der Poesie verweisen. Wie sich durch die Gegenüberstellung von Heinrichs Traum und dem Traum seines Vaters zeigt, bleiben die Träume aber, auch wenn sich die Inhalte ähneln mögen, etwas Individuelles. Dabei geht es allerdings nicht darum, Figuren psychologisch glaubhaft zu machen, sondern lediglich ihren Typus zu bestimmen. So ergibt sich aus Traum II, dass Heinrichs Vater Vertreter einer empiristischen Welthaltung ist und deswegen scheitert, obwohl auch er zum Künstler begabt gewesen wäre. Heinrich hingegen ist noch ein unbeschriebenes Blatt und zur Poesie fähig, allerdings ist auch er nur eine mögliche Figur, die ein goldenes Zeitalter wiederbringen kann. | ||
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NOVALIS: Heinrich von Afterdingen. Textkritische Edition. Hg. von Alexander Knopf. Frankfurt a. M., Basel 2015 [zugl. Diss. Heidelberg 2013]. | NOVALIS: Heinrich von Afterdingen. Textkritische Edition. Hg. von Alexander Knopf. Frankfurt a. M., Basel 2015 [zugl. Diss. Heidelberg 2013]. | ||
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Uerlings, Herbert: Novalis (Friedrich von Hardenberg). Stuttgart: Reclam 1998. | Uerlings, Herbert: Novalis (Friedrich von Hardenberg). Stuttgart: Reclam 1998. | ||