"Die Brüder Löwenherz" (Lindgren, Astrid): Unterschied zwischen den Versionen

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===Nangijala als universelles Traumreich===
===Nangijala als universelles Traumreich===
<br />Der Eindruck, dass Nangijala ein Traumreich ist, wird vor allem durch Krümels subjektive Perspektive erweckt. In seiner Wahrnehmung kommt dem Protagonisten und Ich-Erzähler das sagenumwobene Universum Nangijalas oft unwirklich vor. Zweimal sucht er in seiner Erzählung den expliziten Vergleich zwischen dem Erlebten und einer traumhaften Erfahrung. Als er vom Kirsch- ins Heckenrosental reitet, um seinen älteren Bruder zu finden, kommt ihm die schauerlich schöne Landschaft wie aus einem Traum vor:<br />''Denn hier gab es Steilhänge und Abgründe, dass einem schwindelte vor so viel schrecklicher Schönheit. Es war, als reite man in einem Traum, ja, diese ganze Mondscheinlandschaft kann es nur in einem schönen und wilden Traum geben, dachte ich und sagte zu Fjalar: „Wer, glaubst du, träumt dies wohl? Ich jedenfalls nicht. Es muss jemand anders sein, der sich so übernatürlich Schreckliches und Schönes zusammengeträumt hat […]''<ref>Ebd., S. 78.</ref><br />Während die Geschichte einen klaren Gegensatz zwischen Gut und Böse entwirft, schwangt die von Krümel beschriebene Atmosphäre zwischen erhabener Schönheit und bedrohlichem Schrecken. Noch wichtiger ist, dass Krümel sich dabei von der Traumerfahrung zu distanzieren scheint, was auf eine Unterscheidung zwischen dem bewussten Selbst und dem unbewussten Es hindeutet. Später in der Geschichte, als die beiden Brüder aufbrechen, um Orwar, den Anführer der Rebellen, zu befreien, verweist Krümel erneut auf die traumhafte Dimensions Nangijalas: <br />''Es war ein fürchterlicher Platz, schrecklich und schön wie kein anderer im Himmel oder auf Erden, glaub ich. Die Berge und der Fluss und der Wasserfall, alles war so riesig und überwältigend. Wieder war mir wie in einem Traum, und ich sagte zu Jonathan: „Glaub nicht, dass dies Wirklichkeit ist! Es muss ein Stück aus einem Urzeittraum sein, ganz bestimmt!''<ref>Ebd., S. 164.</ref><br />Erneut distanziert sich Krümel vom träumenden Subjekt und beschreibt die Landschaft wie das Resultat eines kollektiven Traums aus der Urzeit. Nangijala wird so im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Traumreich. Die Anspielung auf die mythische Vergangenheit hilft auch, eine Verbindung zwischen der traumhaften Stimmung und dem Monster Katla herzustellen. Um Orwar zu befreien, müssen die beiden Brüder in den Berg hinabsteigen, der von Katla bewohnt wird und dessen Windungen so zahlreich sind wie die der menschlichen Psyche. Tatsächlich erklärt Krümel: „In dieses schwarze Loch hineinzukriechen, das war wie in einen bösen schwarzen Traum einzutauchen<ref>Ebd., S. 181.</ref>“. Erneut erscheint die Figur der Katla als Metapher der Ängste, die den Jungen in den Tiefen seines Unbewussten erwarten und Nangijala wie ein Reich des universellen Träumens.<br /><br />
<br />Der Eindruck, dass Nangijala ein Traumreich ist, wird vor allem durch Krümels subjektive Perspektive erweckt. In seiner Wahrnehmung kommt dem Protagonisten und Ich-Erzähler das sagenumwobene Universum Nangijalas oft unwirklich vor. Zweimal sucht er in seiner Erzählung den expliziten Vergleich zwischen dem Erlebten und einer traumhaften Erfahrung. Als er vom Kirsch- ins Heckenrosental reitet, um seinen älteren Bruder zu finden, kommt ihm die schauerlich schöne Landschaft wie aus einem Traum vor:<br />''
: Denn hier gab es Steilhänge und Abgründe, dass einem schwindelte vor so viel schrecklicher Schönheit. Es war, als reite man in einem Traum, ja, diese ganze Mondscheinlandschaft kann es nur in einem schönen und wilden Traum geben, dachte ich und sagte zu Fjalar: „Wer, glaubst du, träumt dies wohl? Ich jedenfalls nicht. Es muss jemand anders sein, der sich so übernatürlich Schreckliches und Schönes zusammengeträumt hat […]''<ref>Ebd., S. 78.</ref><br />
Während die Geschichte einen klaren Gegensatz zwischen Gut und Böse entwirft, schwangt die von Krümel beschriebene Atmosphäre zwischen erhabener Schönheit und bedrohlichem Schrecken. Noch wichtiger ist, dass Krümel sich dabei von der Traumerfahrung zu distanzieren scheint, was auf eine Unterscheidung zwischen dem bewussten Selbst und dem unbewussten Es hindeutet. Später in der Geschichte, als die beiden Brüder aufbrechen, um Orwar, den Anführer der Rebellen, zu befreien, verweist Krümel erneut auf die traumhafte Dimensions Nangijalas: <br />
: ''Es war ein fürchterlicher Platz, schrecklich und schön wie kein anderer im Himmel oder auf Erden, glaub ich. Die Berge und der Fluss und der Wasserfall, alles war so riesig und überwältigend. Wieder war mir wie in einem Traum, und ich sagte zu Jonathan: „Glaub nicht, dass dies Wirklichkeit ist! Es muss ein Stück aus einem Urzeittraum sein, ganz bestimmt!''<ref>Ebd., S. 164.</ref><br />
Erneut distanziert sich Krümel vom träumenden Subjekt und beschreibt die Landschaft wie das Resultat eines kollektiven Traums aus der Urzeit. Nangijala wird so im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Traumreich. Die Anspielung auf die mythische Vergangenheit hilft auch, eine Verbindung zwischen der traumhaften Stimmung und dem Monster Katla herzustellen. Um Orwar zu befreien, müssen die beiden Brüder in den Berg hinabsteigen, der von Katla bewohnt wird und dessen Windungen so zahlreich sind wie die der menschlichen Psyche. Tatsächlich erklärt Krümel: „In dieses schwarze Loch hineinzukriechen, das war wie in einen bösen schwarzen Traum einzutauchen<ref>Ebd., S. 181.</ref>“. Erneut erscheint die Figur der Katla als Metapher der Ängste, die den Jungen in den Tiefen seines Unbewussten erwarten und Nangijala wie ein Reich des universellen Träumens.<br /><br />


<div style="text-align: right;">[[Autoren|Sophia Mehrbrey]]</div>
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Sophia Mehrbrey]]</div>
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