"Traumprotokolle" (Theodor W. Adorno): Unterschied zwischen den Versionen
"Traumprotokolle" (Theodor W. Adorno) (Quelltext anzeigen)
Version vom 22. Februar 2022, 22:21 Uhr
, 22. Februar 2022keine Bearbeitungszusammenfassung
KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 2: | Zeile 2: | ||
==Entstehung und | ==Entstehung und erste Veröffentlichungen== | ||
Adornos philosophisches und soziologisches Werk schließt, wie auch die Arbeiten anderer Vertreter der sogenannten ''Frankfurter Schule'', an die Tradition Georg Wilhelm Friedrich Hegels, Karl Marx‘ und Sigmund Freuds an. Adorno maß vor dem Hintergrund der Denktradition Freuds dem Träumen und den Trauminhalten besondere Bedeutung bei. Pläne, seine Traumaufzeichnungen zu veröffentlichen, insbesondere drei „Träume in Amerika“ (vom 30.12.1940, vom 22.05.1941 und aus dem Januar 1942) hielt Adorno im Laufe des Jahres 1942 fest (Reemtsma in Adorno 2018, 91). Publiziert wurden die drei amerikanischen Traumprotokolle dann bereits im Oktober 1942 in der in New York erscheinenden deutschsprachigen Wochenzeitschrift ''Aufbau'', welche vor allem die Gemeinschaft der in die USA immigrierten Deutschsprechenden adressierte (Halley 1997, 60; Müller-Doohm 2019, 19). Adorno notierte zur Bedeutung von Träumen und dem Vorhaben, seine eigenen Träume umfassend zu dokumentieren und ausgewählte Träume in einer umfangreicheren Sammlung zu publizieren, Anfang Januar 1956 folgende Gedanken (Gödde und Lonitz in Adorno 2018, 88): | Adornos philosophisches und soziologisches Werk schließt, wie auch die Arbeiten anderer Vertreter der sogenannten ''Frankfurter Schule'', an die Tradition Georg Wilhelm Friedrich Hegels, Karl Marx‘ und Sigmund Freuds an. Adorno maß vor dem Hintergrund der Denktradition Freuds dem Träumen und den Trauminhalten besondere Bedeutung bei. Pläne, seine Traumaufzeichnungen zu veröffentlichen, insbesondere drei „Träume in Amerika“ (vom 30.12.1940, vom 22.05.1941 und aus dem Januar 1942) hielt Adorno im Laufe des Jahres 1942 fest (Reemtsma in Adorno 2018, 91). Publiziert wurden die drei amerikanischen Traumprotokolle dann bereits im Oktober 1942 in der in New York erscheinenden deutschsprachigen Wochenzeitschrift ''Aufbau'', welche vor allem die Gemeinschaft der in die USA immigrierten Deutschsprechenden adressierte (Halley 1997, 60; Müller-Doohm 2019, 19). Adorno notierte zur Bedeutung von Träumen und dem Vorhaben, seine eigenen Träume umfassend zu dokumentieren und ausgewählte Träume in einer umfangreicheren Sammlung zu publizieren, Anfang Januar 1956 folgende Gedanken (Gödde und Lonitz in Adorno 2018, 88): | ||
„Gewisse Traumerfahrungen geben mir Anlaß zu vermuten, daß das Individuum den eigenen Tod als kosmische Katastrophe erlebt.“ (Adorno 2018, 88) | „Gewisse Traumerfahrungen geben mir Anlaß zu vermuten, daß das Individuum den eigenen Tod als kosmische Katastrophe erlebt.“ (Adorno 2018, 88) | ||
Zeile 12: | Zeile 11: | ||
„Unsere Träume sind nicht nur als >unsere< untereinander verbunden, sondern bilden auch ein Kontinuum, gehören einer einheitlichen Welt an, so etwa wie alle Erzählungen von Kafka in >Demselben< spielen. Je enger aber Träume untereinander zusammenhängen oder sich wiederholen, um so größer die Gefahr, daß wir sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können.“ (Adorno 2018, 88). | „Unsere Träume sind nicht nur als >unsere< untereinander verbunden, sondern bilden auch ein Kontinuum, gehören einer einheitlichen Welt an, so etwa wie alle Erzählungen von Kafka in >Demselben< spielen. Je enger aber Träume untereinander zusammenhängen oder sich wiederholen, um so größer die Gefahr, daß wir sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können.“ (Adorno 2018, 88). | ||
Eine erste größere Sammlung und Auswahl von neunzehn Traumprotokollen aus dem Zeitraum 1937 bis 1967 wurde postum und erst im Jahre 1986 in den von Rolf Tiedemann herausgegebenen ''Gesammelten Schriften'' im zweiten Teil des 20. Bandes (''Vermischte Schriften II. Aesthetica Miscellanea'') veröffentlicht. Diese Auswahl traf Adorno allerdings selbst bereits im Jahr 1968 und wählte die neunzehn Traumprotokolle „aus einem umfangreichen Typoskriptkonvolut für eine Publikation [.], die dann nicht zustande kam“ aus (Reemtsma in Adorno 2018, 91). Die Freigabe zur Publikation der ausgewählten Traumprotokolle hatte Adorno seinem Verleger Siegfried Unseld 1968 erteilt (Müller-Doohm 2019, 19). Seine Auswahlkriterien für die Traumprotokolle, die in den ''Gesammelten Schriften'' erschienen, hat Adorno nicht expliziert (Halley 1997, 61). Halley stellt bezüglich der nicht erläuterten Auswahlkriterien folgende spannenden Fragen, die in großen Teilen leider offenbleiben müssen bzw. nur rein spekulativ adressiert werden können (Halley 1997, 61): „were these dreams typical, for instance, or representative of the others? Or might they have been livelier, more literary, clearer in visual imagery, less or more revealing, possibly even more or less embarrassing than those he chose to omit? Did the chosen dreams seem to him penetrable – their latent as well as manifest content available to an analyst? to an ordinary reader? to his friends and colleagues?“ | Eine erste größere Sammlung und Auswahl von neunzehn Traumprotokollen aus dem Zeitraum 1937 bis 1967 wurde postum und erst im Jahre 1986 in den von Rolf Tiedemann herausgegebenen ''Gesammelten Schriften'' im zweiten Teil des 20. Bandes (''Vermischte Schriften II. Aesthetica Miscellanea'') veröffentlicht. Diese Auswahl traf Adorno allerdings selbst bereits im Jahr 1968 und wählte die neunzehn Traumprotokolle „aus einem umfangreichen Typoskriptkonvolut für eine Publikation [.], die dann nicht zustande kam“ aus (Reemtsma in Adorno 2018, 91). Die Freigabe zur Publikation der ausgewählten Traumprotokolle hatte Adorno seinem Verleger Siegfried Unseld 1968 erteilt (Müller-Doohm 2019, 19). Seine Auswahlkriterien für die Traumprotokolle, die in den ''Gesammelten Schriften'' erschienen, hat Adorno nicht expliziert (Halley 1997, 61). Halley stellt bezüglich der nicht erläuterten Auswahlkriterien folgende spannenden Fragen, die in großen Teilen leider offenbleiben müssen bzw. nur rein spekulativ adressiert werden können (Halley 1997, 61): „were these dreams typical, for instance, or representative of the others? Or might they have been livelier, more literary, clearer in visual imagery, less or more revealing, possibly even more or less embarrassing than those he chose to omit? Did the chosen dreams seem to him penetrable – their latent as well as manifest content available to an analyst? to an ordinary reader? to his friends and colleagues?“ | ||
Als Vorbemerkung zu der Auswahl der neunzehn Traumprotokolle formulierte Adorno selbst noch folgenden Hinweis, welcher den Protokollen in den Gesammelten Schriften vorangestellt wurde (Adorno 2003, 572; Adorno 2018, 88): | Als Vorbemerkung zu der Auswahl der neunzehn Traumprotokolle formulierte Adorno selbst noch folgenden Hinweis, welcher den Protokollen in den Gesammelten Schriften vorangestellt wurde (Adorno 2003, 572; Adorno 2018, 88): | ||
„Die Traumprotokolle, aus einem umfangreichen Bestand ausgewählt, sind authentisch. Ich habe sie jeweils gleich beim Erwachen niedergeschrieben und für die Publikation nur die empfindlichsten sprachlichen Mängel korrigiert. T.W.A.“ | „Die Traumprotokolle, aus einem umfangreichen Bestand ausgewählt, sind authentisch. Ich habe sie jeweils gleich beim Erwachen niedergeschrieben und für die Publikation nur die empfindlichsten sprachlichen Mängel korrigiert. T.W.A.“ | ||
Bezüglich des „umfangreichen“ Bestandes notieren Gödde und Lonitz in der „Editorischen Nachbemerkung“ zur Separatausgabe von 2005 folgendes: „‘Ein umfangreicher Bestand‘ meint nicht nur die große Zahl der in den Notizbüchern aufbewahrten Träume, sondern auch ein Konvolut, das aus diesen von Gretel Adorno diplomatisch getreu abgeschrieben wurde.“ (Gödde und Lonitz in Adorno 2018, 88). Das hier erwähnte „Konvolut“ bzw. die von Reemtsma als umfangreiches „Typoskriptkonvolut“ bezeichnete Sammlung von mehr als einhundert Traumaufzeichnungen (Reemtsma in Adorno 2018, 91, siehe oben) ist die Grundlage der 2005 erstmals erschienenen Separatausgabe der Traumprotokolle. Müller-Doohm spricht auch bezüglich der dort publizierten größeren Auswahl, zu der Adorno ebenso keine Auswahlkriterien expliziert hat, nur von einem „geringen Teil“ der von Adorno tatsächlich notierten Träume (Müller-Doohm 2019, 19). | Bezüglich des „umfangreichen“ Bestandes notieren Gödde und Lonitz in der „Editorischen Nachbemerkung“ zur Separatausgabe von 2005 folgendes: „‘Ein umfangreicher Bestand‘ meint nicht nur die große Zahl der in den Notizbüchern aufbewahrten Träume, sondern auch ein Konvolut, das aus diesen von Gretel Adorno diplomatisch getreu abgeschrieben wurde.“ (Gödde und Lonitz in Adorno 2018, 88). Das hier erwähnte „Konvolut“ bzw. die von Reemtsma als umfangreiches „Typoskriptkonvolut“ bezeichnete Sammlung von mehr als einhundert Traumaufzeichnungen (Reemtsma in Adorno 2018, 91, siehe oben) ist die Grundlage der 2005 erstmals erschienenen Separatausgabe der Traumprotokolle. Müller-Doohm spricht auch bezüglich der dort publizierten größeren Auswahl, zu der Adorno ebenso keine Auswahlkriterien expliziert hat, nur von einem „geringen Teil“ der von Adorno tatsächlich notierten Träume (Müller-Doohm 2019, 19). | ||
Zur Entwicklung des Typoskriptkonvoluts ist bekannt, dass Gretel Adorno die ausgewählten handschriftlichen Notizen Adornos maschinenschriftlich erfasst hat, bevor Adorno die erwähnten geringfügigen Korrekturen angebracht hat (Reemtsma in Adorno 2018, 91). Gödde und Lonitz weisen auf zwei Transkriptionsfehler in der Ausgabe der Traumprotokolle in den ''Gesammelten Schriften'' hin (Gödde und Lonitz in Adorno 2018, 89). Durch diese Transkriptionsfehler sind chronologische Verschiebungen bzw. eine leicht abweichende Reihenfolge in den ''Gesammelten Schriften'' im Vergleich zur Separatausgabe entstanden. | Zur Entwicklung des Typoskriptkonvoluts ist bekannt, dass Gretel Adorno die ausgewählten handschriftlichen Notizen Adornos maschinenschriftlich erfasst hat, bevor Adorno die erwähnten geringfügigen Korrekturen angebracht hat (Reemtsma in Adorno 2018, 91). Gödde und Lonitz weisen auf zwei Transkriptionsfehler in der Ausgabe der Traumprotokolle in den ''Gesammelten Schriften'' hin (Gödde und Lonitz in Adorno 2018, 89). Durch diese Transkriptionsfehler sind chronologische Verschiebungen bzw. eine leicht abweichende Reihenfolge in den ''Gesammelten Schriften'' im Vergleich zur Separatausgabe entstanden. | ||
Zeile 628: | Zeile 623: | ||
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div> | <div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div> | ||
==Literatur== | ==Literatur== |