"Traumsymbole des Individuationsprozesses" (Carl Gustav Jung): Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff des Individuationsprozesses nimmt in Kombination mit den Begriffen des kollektiven Unbewussten sowie des Archetypus eine zentrale Stellung in der Konzeption der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs ein (vgl. Roesler/ Vogel 2016, 16). Träume repräsentieren dabei laut Jung einerseits die individuellen und persönlichen Aspekte dieses Individuationsprozesses. Andererseits stellt Jung in seinen späten Werken zunehmend mythische Spekulationen über die sich in Traumsymbolen widerspiegelnden Motive der Alchemie an, welche den menschlichen Individuationsprozess maßgeblich mitprägen würden. In ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' (1944) knüpft Jung an seine bereits zuvor konzipierte Individuationstheorie (vgl. Jung GW 9/1 (1939), 293) an und führt seine paradox anmutende Definition des „Selbst“, das er zugleich »als Zentrum der Person [wie auch] als auch als deren Ganzheit« auffasst, weiter aus, indem er eine Auswahl von 400 Träumen des Physiknobelpreisträgers (1932) Wolfgang E. Pauli analysiert (vgl. Roesler (2016), 30-31; Lindorff (1995, 555-557). Insgesamt beinhaltet Paulis Traumserie ca. 1000 Träume, die in weiten Teilen nicht von Jung selbst, sondern von dessen Schülerin Erna Rosenbaum dokumentiert wurden, um die Reinheit und Authentizität der Träume nicht zu gefährden (vgl. Enz (2002), 243).
Der Begriff des Individuationsprozesses nimmt in Kombination mit den Begriffen des kollektiven Unbewussten sowie des Archetypus eine zentrale Stellung in der Konzeption der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs ein (vgl. Roesler/ Vogel 2016, 16). Träume repräsentieren dabei laut Jung einerseits die individuellen und persönlichen Aspekte dieses Individuationsprozesses. Andererseits stellt Jung in seinen späten Werken zunehmend mythische Spekulationen über die sich in Traumsymbolen widerspiegelnden Motive der Alchemie an, welche den menschlichen Individuationsprozess maßgeblich mitprägen würden. In ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' (1944) knüpft Jung an seine bereits zuvor konzipierte Individuationstheorie (vgl. Jung GW 9/1 (1939), 293) an und führt seine paradox anmutende Definition des „Selbst“, das er zugleich »als Zentrum der Person [wie auch] als auch als deren Ganzheit« auffasst, weiter aus, indem er eine Auswahl von 400 Träumen des Physiknobelpreisträgers (1932) Wolfgang E. Pauli analysiert (vgl. Roesler 2016, 30-31; Lindorff 1995, 555-557). Insgesamt beinhaltet Paulis Traumserie ca. 1000 Träume, die in weiten Teilen nicht von Jung selbst, sondern von dessen Schülerin Erna Rosenbaum dokumentiert wurden, um die Reinheit und Authentizität der Träume nicht zu gefährden (vgl. Enz 2002, 243).


==Werkentstehung und Werkstruktur==
==Werkentstehung und Werkstruktur==
Jungs ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' entstand nach einem langen Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit Traumsymbolen, der nach dem Bruch mit seinem ehemaligen Mentor Freud im Jahr 1914 einsetzte und bis in die 1930er Jahre andauerte. Zwischen 1914 und 1930 arbeitete Jung insgesamt 16 Jahre an seinen eigenen, inneren Bildern, die schließlich – nach seinem Tod – im Roten Buch kulminierten. Jung verfügte zu Lebzeiten, dass seine eigenen Träume und Visionen nicht veröffentlicht werden sollten, möglicherweise auch deshalb, weil er sich durch die Beschäftigung mit den eigenen Träumen auch von einer depressiven Verstimmungen zu lösen versuchte (vgl. Greene (2018), 2). Erst im Jahr 2009 konnten deshalb diese lange geheim gebliebenen Ego-Dokumente der Öffentlichkeit mit der Publikation des Roten Buches zugänglich gemacht. Im Ergebnis grenzt sich der von Jung konstruierte Konnex von Traum und Individuation in vielen wesentlichen Punkten von Freuds Diktum des Wunscherfüllungstraums sowie von Adlers »Wille zur Macht«- Prinzip ab (Jung GW 7 (1916), 41-42). Bei dieser Abgrenzung spielen neben eigenen Traumerfahrungen auch zahlreiche spirituelle, religiöse oder aus anderen Symbolquellen stammende, individuationsrelevante Traumerfahrungen, die ihm von Patienten und anderen Versuchspersonen mitgeteilt wurden, eine wichtige Rolle. Je länger Jung anhand von Traumbeobachtungen an seiner Individuationstheorie forschte, desto stärker wuchs sein Interesse an überindividuellen Einflussfaktoren auf das menschliche Traumerleben (vgl. u.a. Etheber 1998, 82-86; Roesler/ Vogel 2016, 36). In seiner Privatpraxis in Küsnacht entwickelte Jung die Beschäftigung mit Patiententräumen die Technik der sogenannten »aktiven Imagination«, auf deren Grundlage er in einem zweiten Schritt das persönliche und kollektive Unbewusste zu erforschen und auf archetypische Bilder zurückzuführen versuchte (vgl. Graf-Nold 2014). Bereits als junger Arzt in der Psychiatrie kam Jung auf die Idee, dass es sich bei den Wahrnehmungen von vielen psychisch erkrankten Menschen keineswegs um simple mentale Irreleitungen handele, sondern darin sehr viel häufiger rational verdrängtes, archetypisches Denken zum Ausdruck komme. Vor allem aber seine jahrelange Auseinandersetzung mit antiken Werken, der Astrologie, der Alchemie und nicht zuletzt seinen eigenen Träumen, welche Bilder im Grenzbereich von Halbschlafbildern, Halluzinationen und Visionen produziert hätten (vgl. Kluger 2011, 225-227), habe ihn in seinem Glauben an überindividuellen und überzeitlichen Traumstrukturen bestärkt. (vgl. Greene (2018), 2-5).  
Jungs ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' entstand nach einem langen Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit Traumsymbolen, der nach dem Bruch mit seinem ehemaligen Mentor Freud im Jahr 1914 einsetzte und bis in die 1930er Jahre andauerte. Zwischen 1914 und 1930 arbeitete Jung insgesamt 16 Jahre an seinen eigenen, inneren Bildern, die schließlich – nach seinem Tod – im Roten Buch kulminierten. Jung verfügte zu Lebzeiten, dass seine eigenen Träume und Visionen nicht veröffentlicht werden sollten, möglicherweise auch deshalb, weil er sich durch die Beschäftigung mit den eigenen Träumen auch von einer depressiven Verstimmungen zu lösen versuchte (vgl. Greene 2018, 2). Erst im Jahr 2009 konnten deshalb diese lange geheim gebliebenen Ego-Dokumente der Öffentlichkeit mit der Publikation des Roten Buches zugänglich gemacht. Im Ergebnis grenzt sich der von Jung konstruierte Konnex von Traum und Individuation in vielen wesentlichen Punkten von Freuds Diktum des Wunscherfüllungstraums sowie von Adlers »Wille zur Macht«- Prinzip ab (Jung GW 7, 41-42). Bei dieser Abgrenzung spielen neben eigenen Traumerfahrungen auch zahlreiche spirituelle, religiöse oder aus anderen Symbolquellen stammende, individuationsrelevante Traumerfahrungen, die ihm von Patienten und anderen Versuchspersonen mitgeteilt wurden, eine wichtige Rolle. Je länger Jung anhand von Traumbeobachtungen an seiner Individuationstheorie forschte, desto stärker wuchs sein Interesse an überindividuellen Einflussfaktoren auf das menschliche Traumerleben (vgl. u.a. Etheber 1998, 82-86; Roesler/ Vogel 2016, 36). In seiner Privatpraxis in Küsnacht entwickelte Jung die Beschäftigung mit Patiententräumen die Technik der sogenannten »aktiven Imagination«, auf deren Grundlage er in einem zweiten Schritt das persönliche und kollektive Unbewusste zu erforschen und auf archetypische Bilder zurückzuführen versuchte (vgl. Graf-Nold 2014). Bereits als junger Arzt in der Psychiatrie kam Jung auf die Idee, dass es sich bei den Wahrnehmungen von vielen psychisch erkrankten Menschen keineswegs um simple mentale Irreleitungen handele, sondern darin sehr viel häufiger rational verdrängtes, archetypisches Denken zum Ausdruck komme. Vor allem aber seine jahrelange Auseinandersetzung mit antiken Werken, der Astrologie, der Alchemie und nicht zuletzt seinen eigenen Träumen, welche Bilder im Grenzbereich von Halbschlafbildern, Halluzinationen und Visionen produziert hätten (vgl. Kluger 2011, 225-227), habe ihn in seinem Glauben an überindividuellen und überzeitlichen Traumstrukturen bestärkt. (vgl. Greene 2018, 2-5).  
Bereits während des ersten Weltkriegs, in dem er bereits als Arzt tätig war, stellte sich Jung die Frage, »warum Menschen lieber ihre Brüder töten, als in sich selbst nach ihren Schatten zu suchen« (Sadigh 2011). In den 1920er Jahren unternahm Jung ausgedehnte Reisen, die ihn zu den Pueblo-Indianern nach Nordamerika sowie nach Nord- und Ostafrika führten. Während dieser Zeit gelangte Jung zunehmend zu der Überzeugung, dass die Analyse von Symbolen, die der eigenen imaginativen Erfahrung entspringen, in einem dialektischen Prozess zu einer Integration des Unbewussten ins Bewusstsein führen müsste, indem das Ich selbst in die Träume oder die Imagination eindringt und in einen Dialog mit den dort agierenden, unbewussten Figuren tritt (vgl. Kast 2014, 38).  
Bereits während des ersten Weltkriegs, in dem er bereits als Arzt tätig war, stellte sich Jung die Frage, »warum Menschen lieber ihre Brüder töten, als in sich selbst nach ihren Schatten zu suchen« (Sadigh 2011). In den 1920er Jahren unternahm Jung ausgedehnte Reisen, die ihn zu den Pueblo-Indianern nach Nordamerika sowie nach Nord- und Ostafrika führten. Während dieser Zeit gelangte Jung zunehmend zu der Überzeugung, dass die Analyse von Symbolen, die der eigenen imaginativen Erfahrung entspringen, in einem dialektischen Prozess zu einer Integration des Unbewussten ins Bewusstsein führen müsste, indem das Ich selbst in die Träume oder die Imagination eindringt und in einen Dialog mit den dort agierenden, unbewussten Figuren tritt (vgl. Kast 2014, 38).  
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel Jung in den Jahren 1933 und 1934 mehrfach mit problematischen, öffentlichen Äußerungen auf, die antisemitisch gedeutet wer-den können. Mit zeitlichem Voranschreiten des Bestehens der nationalsozialistischen Diktatur änderte Jung seine Rhetorik und öffentliche Handlungsweise jedenfalls immer deutlicher: Nicht nur verbal, sondern auch mit Taten stellte Jung sich während der 1930er Jahre zusehends gegen jedwede nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuche (vgl. u.a. Jungs »persönliche Gleichung«: Jung GW 10 (1933), 25-26; für die allgemeine Einordnung seiner Haltung nationalsozialistischem Gedankengut: Grunert (1984) Gess (1994), Adler und Jaffé 2001 (1973), Bair (2005), Kirsch (2012), Sorge (2016)). So bemühte sich Jung als Präsident der 1934 neugeschaffenen Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP) um die Einhaltung von elementaren, rechtlichen Strukturen der bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Zürich ansässigen Gesellschaft. Diese sollte von Deutschland unabhängig und politisch neutral bleiben sowie darüber hinaus dezidiert auch jüdischen Psychotherapeuten, die von der deutschen Landesgruppe ausgeschlossen worden waren, zu einer individuellen Gesellschaftsmitgliedschaft verhelfen (vgl. Bair 2005, 638-639).  
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel Jung in den Jahren 1933 und 1934 mehrfach mit problematischen, öffentlichen Äußerungen auf, die antisemitisch gedeutet wer-den können. Mit zeitlichem Voranschreiten des Bestehens der nationalsozialistischen Diktatur änderte Jung seine Rhetorik und öffentliche Handlungsweise jedenfalls immer deutlicher: Nicht nur verbal, sondern auch mit Taten stellte Jung sich während der 1930er Jahre zusehends gegen jedwede nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuche (vgl. u.a. Jungs »persönliche Gleichung«: Jung GW 10 (1933), 25-26; für die allgemeine Einordnung seiner Haltung nationalsozialistischem Gedankengut: Grunert (1984) Gess (1994), Adler und Jaffé 2001 (1973), Bair (2005), Kirsch (2012), Sorge (2016)). So bemühte sich Jung als Präsident der 1934 neugeschaffenen Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP) um die Einhaltung von elementaren, rechtlichen Strukturen der bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Zürich ansässigen Gesellschaft. Diese sollte von Deutschland unabhängig und politisch neutral bleiben sowie darüber hinaus dezidiert auch jüdischen Psychotherapeuten, die von der deutschen Landesgruppe ausgeschlossen worden waren, zu einer individuellen Gesellschaftsmitgliedschaft verhelfen (vgl. Bair 2005, 638-639).