"Heinrich von Ofterdingen" (Novalis): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 1. Juli 2022, 09:40 Uhr
, 1. Juli 2022→Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit
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Die Konstruktion der Träume folgt, ebenso wie die der anderen Einlagen im | Die Konstruktion der Träume folgt, ebenso wie die der anderen Einlagen im Roman, dem Prinzip des mise en abyme, das aus der Heraldik stammt. Diese verkürzte Darstellung der Geschichte in der Geschichte, immer leicht variiert und alles miteinander verbindend, funktioniert vor allem aufgrund der dichten Symbolik und Motivik des Textes: Wassersymbole wie der Strahl, der Strom und die Quelle, die beiden Farben Blau, Gold, Natursymbole wie der Wald, die Blume, der Mond, um nur einige Beispiele zu nennen, durchziehen den ganzen Roman und erfüllen damit den Anspruch, den Allzusammenhang der Dinge zu zeigen. Obwohl der Roman aus zahlreichen unterschiedlichen Einlagen, wie Märchen, Träumen, Sagen und Geschichten besteht, die immer wieder durch Reflexionen unterbrochen werden, hängt aufgrund der all diesen Einlagen gemeinsamen Symbolik alles miteinander zusammen. In den Träumen treten diese Symbole in besonderer Dichte auf. | ||
Die Neuerung von Novalis’ Werk liegt nun nicht in der Idee, dass Träume Symbole verwenden (dieser Ansatz findet sich bereits in der Antike), sondern vielmehr darin, den Symbolen einen neuen Unterbau zu geben. Weil diese den Ideen der idealistischen Philosophie folgen oder bekannte Symbole in einen neuen Sinnzusammenhang bringen (Neue Mythologie), sind sie für den Leser entschlüsselbar. Dieser Konstruktionscharakter steht nun den Eigenschaften entgegen, welche gemeinhin mit Träumen assoziiert werden. Zu nennen wären etwa: Zusammenhangslosigkeit, fehlende Logik, Aufhebung der Ordnung von Raum und Zeit. Novalis gleicht diesen Mangel an Traumeigenschaften jedoch durch sein Poesiekonzept aus. Mythen- und Märchenelemente verleihen den literarischen Träumen eine andere, „sekundäre“ Art der Traumhaftigkeit (Engel 2017, 40 f.): Dies äußert sich etwa durch das Auftreten von legendären Figuren (Heinrichs Vater trifft Friedrich Barbarossa im Traum), durch das Einbinden religiöser Elemente (Heinrich erlebt ein „unendlich buntes Leben“ (HvO 196) und stirbt, steht aber wie Jesus Christus von den Toten auf) oder durch den Rückgriff auf die alte Mythologie (Mathilde sitzt in einer Barke auf dem Strom wie Charon). Dies sind nur drei von zahlreichen Beispielen im Text. | Die Neuerung von Novalis’ Werk liegt nun nicht in der Idee, dass Träume Symbole verwenden (dieser Ansatz findet sich bereits in der Antike), sondern vielmehr darin, den Symbolen einen neuen Unterbau zu geben. Weil diese den Ideen der idealistischen Philosophie folgen oder bekannte Symbole in einen neuen Sinnzusammenhang bringen (Neue Mythologie), sind sie für den Leser entschlüsselbar. Dieser Konstruktionscharakter steht nun den Eigenschaften entgegen, welche gemeinhin mit Träumen assoziiert werden. Zu nennen wären etwa: Zusammenhangslosigkeit, fehlende Logik, Aufhebung der Ordnung von Raum und Zeit. Novalis gleicht diesen Mangel an Traumeigenschaften jedoch durch sein Poesiekonzept aus. Mythen- und Märchenelemente verleihen den literarischen Träumen eine andere, „sekundäre“ Art der Traumhaftigkeit (Engel 2017, 40 f.): Dies äußert sich etwa durch das Auftreten von legendären Figuren (Heinrichs Vater trifft Friedrich Barbarossa im Traum), durch das Einbinden religiöser Elemente (Heinrich erlebt ein „unendlich buntes Leben“ (HvO 196) und stirbt, steht aber wie Jesus Christus von den Toten auf) oder durch den Rückgriff auf die alte Mythologie (Mathilde sitzt in einer Barke auf dem Strom wie Charon). Dies sind nur drei von zahlreichen Beispielen im Text. | ||