"Mao" (Friedrich Huch): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 13. August 2022, 10:34 Uhr
, 13. August 2022→Aufbau und Thematik der Novelle
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Der Protagonist Thomas wird durchweg als (Tag-)Träumer beschrieben, der sich stets auf der Suche nach Idealbildern befindet, um die er einen mystischen Opferkult etabliert. Diese narzisstische Suchbewegung findet ihre Erfüllung in Märchenbüchern, auf einem Gemälde und sogar in den Wolken: | Der Protagonist Thomas wird durchweg als (Tag-)Träumer beschrieben, der sich stets auf der Suche nach Idealbildern befindet, um die er einen mystischen Opferkult etabliert. Diese narzisstische Suchbewegung findet ihre Erfüllung in Märchenbüchern, auf einem Gemälde und sogar in den Wolken: | ||
Und wie er hinauf zu dem Baume sah, sah er auch hinauf zum Himmel, auf dem die weißen Lämmerwolken zogen, und er wurde immer träumerischer. Der Himmel ward zur Halde, und nun sah er auch den Hirtenknaben. Er schloß die Augen: Blond wie er selbst, aber viel, viel schöner. Eine heftige Sehnsucht faßte ihn, das Bedürfnis, irgend etwas für ihn zu tun, etwas, das ihm lieb war, ihm zu | {| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0" | ||
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: <span style="color: #7b879e;">Und wie er hinauf zu dem Baume sah, sah er auch hinauf zum Himmel, auf dem die weißen Lämmerwolken zogen, und er wurde immer träumerischer. Der Himmel ward zur Halde, und nun sah er auch den Hirtenknaben. Er schloß die Augen: Blond wie er selbst, aber viel, viel schöner. Eine heftige Sehnsucht faßte ihn, das Bedürfnis, irgend etwas für ihn zu tun, etwas, das ihm lieb war, ihm zu opfern“ (M 7 f.).</span> | |||
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Derartige Idealvorstellungen überträgt er zuweilen auch auf reale Personen in seinem Bekanntenkreis wie etwa auf seinen Klassenkammeraden Alexander, den er zunächst als Schutzgeist des geliebten Hauses imaginiert. Diese Träumerei wird jedoch jäh enttäusch als sich Alexander keineswegs angetan von den magischen Reizen des Hauses zeigt, sondern allenfalls gelangweilt reagiert. Folglich bindet Thomas seine Sehnsüchte wieder an tote Materie wie etwa an das bereits erwähnte Gemälde, das er Mao nennt und dessen Pulsschlag er zu spüren glaubt. In diesem Zustand empfindet er eine wohltuende Einheit mit den ihn umgebenden Mauern und dem Geist des geliebten Bildes, die jäh zerstört wird als die Familie das Haus verkauft und das Bild während des Umzugs verlorengeht. In dem finalen Sprung in die Ruinen des halb zerstörten Hauses gelangt die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit den geliebten Objekten zur Darstellung. | |||
Charakteristisch sind zudem die autobiografischen Züge des Romans, die etwa in der innigen Beziehung zu dem auch häufig in seinen Traumnotaten als Schauplatz in Erscheinung tretenden Elternhauses (vgl. ''Träume'' und ''Neue Träume'' bzw. Schäfer 2021) zur Darstellung gelangen, aber auch in der träumerischen, stets die Einsamkeit suchenden und von Identitätsunsicherheiten geprägten kindlichen Wahrnehmung sichtbar werden. So schreibt Friedrich Huch rückblickend beispielsweise, dass er sich gerne von anderen Kindern distanzierte, um im Schutz des geliebten Elternhauses, eine Beobachterperspektive einzunehmen. In einer dieser Situationen stellten sich Identitätsunsicherheiten ein, die er folgendermaßen beschreibt: < | Charakteristisch sind zudem die autobiografischen Züge des Romans, die etwa in der innigen Beziehung zu dem auch häufig in seinen Traumnotaten als Schauplatz in Erscheinung tretenden Elternhauses (vgl. ''Träume'' und ''Neue Träume'' bzw. Schäfer 2021) zur Darstellung gelangen, aber auch in der träumerischen, stets die Einsamkeit suchenden und von Identitätsunsicherheiten geprägten kindlichen Wahrnehmung sichtbar werden. So schreibt Friedrich Huch rückblickend beispielsweise, dass er sich gerne von anderen Kindern distanzierte, um im Schutz des geliebten Elternhauses, eine Beobachterperspektive einzunehmen. In einer dieser Situationen stellten sich Identitätsunsicherheiten ein, die er folgendermaßen beschreibt: | ||
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: <span style="color: #7b879e;">Plötzlich durchschauerte mich der Gedanke: bin ich denn eigentlich Fritz Huch? Bin ich dieser Körper, den ich mit mir selbst fühle? – Es war mir plötzlich, als wenn ich neben mir stände, und dann wieder, als ob ich in einem Traum befangen sein müsste, und nun beim Erwachen gewahr werden müsse, daß ich gar nicht existierte (Huller 1974, 41).</span> | |||
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Dieses Gefühl, das er seiner Figur Thomas einschreibt, habe er auch noch als Erwachsener immer wieder verspürt. Die zitierte Szene aus seinen Kindheitserinnerungen findet sich in ''Mao'' gespiegelt, als sich Thomas von der Geburtstagsgesellschaft seiner Schwester distanziert und die Kinder aus einem Hinterhalt heraus beobachtet. | |||
Die innige Liebe zu dem Elternhaus, das die Familie im Jahr 1887 nach verlustreichen Spekulationen aufgeben musste, ist die wohl auffälligste Parallele zur Hauptfigur, die auch seiner Mutter, Marie Huch, bei der Lektüre von Mao unmittelbar auffiel, woraufhin sie in einem Brief Selbstvorwürfe zum Ausdruck bringt: „wenn wir damals hätten ahnen können, wie unlöslich seine Seele mit dem alten Haus verwachsen, wir [hätten] es wohl doch vielleicht ermöglicht haben können, es zu erhalten“ (zit. nach Greuner 1983, 154). | |||
== Die Träume == | == Die Träume == |