"Mao" (Friedrich Huch): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. August 2022, 02:34 Uhr
, 14. August 2022→Aufbau und Thematik
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Der Roman umfasst 12 Kapitel, in denen Kindheit und Jugend des träumerischen Protagonisten Thomas geschildert werden. Verwoben ist die Entwicklung des Jungen mit dem hochherrschaftlichen, aber schon im Verfall begriffenen Elternhaus, das schließlich verkauft und abgerissen wird. Diese symbiotische Beziehung kommt in folgender Passage besonders deutlich zum Ausdruck: „Mehr und mehr versank er in Träumerei, es zerlöste sich sein Denken, das Bewußtsein seiner selbst ging auf in dem Raume um ihn, in den Mauern, die er fühlte und nicht sah, in dem ganzen ungeheuren Bauwerk, das träumend die Jahrhunderte vorüberziehen ließ“ (M 61 f.). Den schmerzlichen Verlust des alten Hauses, das in Thomas' Wahrnehmung beseelt ist und von der Doppelgängerimago Mao bewohnt wird, verkraftet der im letzten Kapitel etwa 15jährige Protagonist nicht, weshalb er sich in die Ruinen des Hauses stürzt.<ref>Zwar lässt in der Druckfassung eine bewusste Leerstelle die Leserschaft im Ungewissen darüber, ob es sich um einen Suizid oder um einen tragischen Unfall handelt; im Manuskript ist hingegen noch ein Satz enthalten, der keine Zweifel offenlässt: „und im selben Augenblick warf er sich mit ausgebreiteten Armen in den Abgrund“ (zit. nach Wucherpfennig 1980, 26).</ref> | Der Roman umfasst 12 Kapitel, in denen Kindheit und Jugend des träumerischen Protagonisten Thomas geschildert werden. Verwoben ist die Entwicklung des Jungen mit dem hochherrschaftlichen, aber schon im Verfall begriffenen Elternhaus, das schließlich verkauft und abgerissen wird. Diese symbiotische Beziehung kommt in folgender Passage besonders deutlich zum Ausdruck: „Mehr und mehr versank er [Thomas] in Träumerei, es zerlöste sich sein Denken, das Bewußtsein seiner selbst ging auf in dem Raume um ihn, in den Mauern, die er fühlte und nicht sah, in dem ganzen ungeheuren Bauwerk, das träumend die Jahrhunderte vorüberziehen ließ“ (M 61 f.). Den schmerzlichen Verlust des alten Hauses, das in Thomas' Wahrnehmung beseelt ist und von der Doppelgängerimago Mao bewohnt wird, verkraftet der im letzten Kapitel etwa 15jährige Protagonist nicht, weshalb er sich in die Ruinen des Hauses stürzt.<ref>Zwar lässt in der Druckfassung eine bewusste Leerstelle die Leserschaft im Ungewissen darüber, ob es sich um einen Suizid oder um einen tragischen Unfall handelt; im Manuskript ist hingegen noch ein Satz enthalten, der keine Zweifel offenlässt: „und im selben Augenblick warf er sich mit ausgebreiteten Armen in den Abgrund“ (zit. nach Wucherpfennig 1980, 26).</ref> | ||
Da der Roman um einen fantasievollen, träumerischen Jungen kreist, der in der Schule nicht durchweg die vom Vater erhofften Erfolge erzielt und schließlich Selbstmord begeht, weist er eine gewisse Nähe zu den Schul- und Kadettenromanen der Zeit um 1900 auf, wie ''Freund Hein'', ''Unterm Rad'', oder ''Turnstunde''. Im Unterschied zu diesen sind hier jedoch Motive aus der (Schauer-)Romantik dominant. So bilden die Symbolik und Ästhetik des Doppelgängermotivs, des alten Hauses und schließlich der Ruine den Roten Faden des Romans. Überdies wird die Schilderung eines sensiblen Kindes, das am schulischen Leistungsdruck leidet, nicht als Anklage an das herrschende Schulsystem formuliert, wie es etwa in ''Unterm Rad'' der Fall ist; der Fokus auf die mystische und träumerische Wahrnehmung dieser Figur dient viel eher der Veranschaulichung eines psychologischen Sonderfalls. | Da der Roman um einen fantasievollen, träumerischen Jungen kreist, der in der Schule nicht durchweg die vom Vater erhofften Erfolge erzielt und schließlich Selbstmord begeht, weist er eine gewisse Nähe zu den Schul- und Kadettenromanen der Zeit um 1900 auf, wie ''Freund Hein'', ''Unterm Rad'', oder ''Turnstunde''. Im Unterschied zu diesen sind hier jedoch Motive aus der (Schauer-)Romantik dominant. So bilden die Symbolik und Ästhetik des Doppelgängermotivs, des alten Hauses und schließlich der Ruine den Roten Faden des Romans. Überdies wird die Schilderung eines sensiblen Kindes, das am schulischen Leistungsdruck leidet, nicht als Anklage an das herrschende Schulsystem formuliert, wie es etwa in ''Unterm Rad'' der Fall ist; der Fokus auf die mystische und träumerische Wahrnehmung dieser Figur dient viel eher der Veranschaulichung eines psychologischen Sonderfalls. | ||
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Die innige Liebe zu dem Elternhaus, das die Familie im Jahr 1887 nach verlustreichen Spekulationen aufgeben musste, ist die wohl auffälligste Parallele zur Hauptfigur, die auch seiner Mutter, Marie Huch, bei der Lektüre von Mao unmittelbar auffiel, woraufhin sie in einem Brief Selbstvorwürfe zum Ausdruck bringt: „wenn wir damals hätten ahnen können, wie unlöslich seine Seele mit dem alten Haus verwachsen, wir [hätten] es wohl doch vielleicht ermöglicht haben können, es zu erhalten“ (zit. nach Greuner 1983, 154). | Die innige Liebe zu dem Elternhaus, das die Familie im Jahr 1887 nach verlustreichen Spekulationen aufgeben musste, ist die wohl auffälligste Parallele zur Hauptfigur, die auch seiner Mutter, Marie Huch, bei der Lektüre von Mao unmittelbar auffiel, woraufhin sie in einem Brief Selbstvorwürfe zum Ausdruck bringt: „wenn wir damals hätten ahnen können, wie unlöslich seine Seele mit dem alten Haus verwachsen, wir [hätten] es wohl doch vielleicht ermöglicht haben können, es zu erhalten“ (zit. nach Greuner 1983, 154). | ||
== Die Träume == | == Die Träume == |