"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner): Unterschied zwischen den Versionen
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:''<span style="color: #7b879e;">owê des raben, owê der krân!“'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 620–631) | :''<span style="color: #7b879e;">owê des raben, owê der krân!“'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 620–631) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Du standest auf einem Baum; von deinen Füßen bis zum Gras waren es wohl anderthalb Klafter; auf einem Zweig über deinem Kopf saß ein Rabe und neben ihm eine Krähe. Dein Haar war ganz struppig. Da kämmte dir dein Haupt auf der rechten Seite jener Rabe, und auf der Linken scheitelte es dir die Krähe. Weh, Sohn, über den Traum. Weh, Sohn, über den Baum. Weh über die Raben, weh über die Krähe.“) | :<span style="color: #7b879e;">(Du standest auf einem Baum; von deinen Füßen bis zum Gras waren es wohl anderthalb Klafter; auf einem Zweig über deinem Kopf saß ein Rabe und neben ihm eine Krähe. Dein Haar war ganz struppig. Da kämmte dir dein Haupt auf der rechten Seite jener Rabe, und auf der Linken scheitelte es dir die Krähe. Weh, Sohn, über den Traum. Weh, Sohn, über den Baum. Weh über die Raben, weh über die Krähe.“) | ||
|}Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks ''owê'' ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, ''„nu hüete der hûben, Helmbreht!“'' (H V. 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H V. 26–106) <ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H V. 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H V. 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da ''siteche und galander, sparwære und turteltûben'' (H V. 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | |}Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks ''owê'' ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, ''„nu hüete der hûben, Helmbreht!“'' (H V. 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H V. 26–106)<ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H V. 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H V. 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da ''siteche und galander, sparwære und turteltûben'' (H V. 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | ||
Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, ''„ob die troume drî an iu sint bewæret?“'' (H V. 1786 f., „ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben“). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, ''„ê der vierde troum ergê“'' (H V. 1790, „bevor der vierte Traum in Erfüllung geht“). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, ''„ob die troume drî an iu sint bewæret?“'' (H V. 1786 f., „ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben“). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, ''„ê der vierde troum ergê“'' (H V. 1790, „bevor der vierte Traum in Erfüllung geht“). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | ||
''ich wæne, des vater troum'' | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
daz er sich hie bewære. | |- | ||
hie endet sich das mære.'' (H V. 1910–1912) | || | ||
(Ich glaube, dass sich der Traum des Vaters damit erfüllte. Hier ist die Geschichte zuende.) | :''<span style="color: #7b879e;">ich wæne, des vater troum'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">daz er sich hie bewære.'' | |||
:''<span style="color: #7b879e;">hie endet sich das mære.'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 1910–1912) | |||
:<span style="color: #7b879e;">(Ich glaube, dass sich der Traum des Vaters damit erfüllte. Hier ist die Geschichte zuende.) | |||
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===Die Funktionen der Träume=== | ===Die Funktionen der Träume=== | ||
Die Träume haben eine essenzielle Bedeutung für den Handlungsverlauf und fungieren als Kernmotive der Erzählung. Angelehnt an die antike Auffassung, Träume könnten Vorausdeutungen auf zukünftige Ereignisse geben, spielt auch Wernhers Helmbrecht mit den Träumen als Stilmittel (Wittmer-Butsch 1990; Weber 2008; Haubrichs 1979; Haag 2003). Indem im Helmbrecht alle Vorausdeutungen wahr werden, verwendet Wernher sie in Übereinstimmung mit Macrobius’ dreiteiliger Klassifikation der „prognostischen, divinatorisch relevanten Gesichte“ (Haubrichs 1979, 246) in ''oracula'', ''visiones'' und ''somnia'' (Haubrichs 1979, 245 f.). Der Text steht einer vom frühen bis späten Mittelalter parallel verbreiteten Skepsis gegenüber prognostischen Träumen entgegen. „[I]m Licht der antiken und christlichen Auffassungen“ (Seelbach 1987, 99) fungieren die Traumnarrative als prognostische Warnungen innerhalb der Erzählung und tragen aufgrund ihrer voraussagenden Charakteristik eine proleptische Funktion auf der narrativen Ebene. Erzählerische Spannung wird aufgebaut, indem die Folgen des Raubrittertums für Helmbrecht zwar durch die Träume angekündigt werden, aber unklar bleibt, ob, wann und durch welche Instanzen sich die Träume erfüllen. Durch die detaillierte anfängliche Beschreibung der ritterlichen Statussymbole, die im Kontrast zu den wertenden, negativen Erzählerkommentaren stehen, werden sie zu sichtbaren Zeichen von Helmbrechts superbia; mit den anschließenden prognostischen Warnträumen wird so „Spannung zwischen der Ausgangssituation und den Folgen“ (Sowinski 1968, 226) geschaffen (Menke 1993, 24, 61 f.). Unterstützend bringt der Erzähler mehrmals proleptische Kommentare im Einklang mit den Warnträumen ein (H V. 680–683), wodurch sie „zu einem Motor der erzählerischen Spannung“ werden (Haubrichs 1979, 256). | Die Träume haben eine essenzielle Bedeutung für den Handlungsverlauf und fungieren als Kernmotive der Erzählung. Angelehnt an die antike Auffassung, Träume könnten Vorausdeutungen auf zukünftige Ereignisse geben, spielt auch Wernhers Helmbrecht mit den Träumen als Stilmittel (Wittmer-Butsch 1990; Weber 2008; Haubrichs 1979; Haag 2003). Indem im Helmbrecht alle Vorausdeutungen wahr werden, verwendet Wernher sie in Übereinstimmung mit Macrobius’ dreiteiliger Klassifikation der „prognostischen, divinatorisch relevanten Gesichte“ (Haubrichs 1979, 246) in ''oracula'', ''visiones'' und ''somnia'' (Haubrichs 1979, 245 f.). Der Text steht einer vom frühen bis späten Mittelalter parallel verbreiteten Skepsis gegenüber prognostischen Träumen entgegen. „[I]m Licht der antiken und christlichen Auffassungen“ (Seelbach 1987, 99) fungieren die Traumnarrative als prognostische Warnungen innerhalb der Erzählung und tragen aufgrund ihrer voraussagenden Charakteristik eine proleptische Funktion auf der narrativen Ebene. Erzählerische Spannung wird aufgebaut, indem die Folgen des Raubrittertums für Helmbrecht zwar durch die Träume angekündigt werden, aber unklar bleibt, ob, wann und durch welche Instanzen sich die Träume erfüllen. Durch die detaillierte anfängliche Beschreibung der ritterlichen Statussymbole, die im Kontrast zu den wertenden, negativen Erzählerkommentaren stehen, werden sie zu sichtbaren Zeichen von Helmbrechts ''superbia''; mit den anschließenden prognostischen Warnträumen wird so „Spannung zwischen der Ausgangssituation und den Folgen“ (Sowinski 1968, 226) geschaffen (Menke 1993, 24, 61 f.). Unterstützend bringt der Erzähler mehrmals proleptische Kommentare im Einklang mit den Warnträumen ein (H V. 680–683), wodurch sie „zu einem Motor der erzählerischen Spannung“ werden (Haubrichs 1979, 256). | ||
Des Weiteren erhöhen die Träume die didaktische Relevanz , da der Text durch die vierfache Warnung aufzeigt, dass Helmbrecht seine Strafen hätte abwenden können, wenn er seinem Vater und dessen Träumen vertraut hätte. So erhalten die Träume einen Belehrungscharakter. Dies wird verstärkt, wenn die Traumbilder als gottgesandte Warnungen aufgefasst werden, was u.a. die Bestrafung durch den Schergen andeutet, der als „Vollstrecker des göttlichen Willens“ (Menke 1993, 222) auftritt. Denn bevor der Scherge die Strafen vollzieht, kündigt der Erzähler an: | Des Weiteren erhöhen die Träume die didaktische Relevanz , da der Text durch die vierfache Warnung aufzeigt, dass Helmbrecht seine Strafen hätte abwenden können, wenn er seinem Vater und dessen Träumen vertraut hätte. So erhalten die Träume einen Belehrungscharakter. Dies wird verstärkt, wenn die Traumbilder als gottgesandte Warnungen aufgefasst werden, was u.a. die Bestrafung durch den Schergen andeutet, der als „Vollstrecker des göttlichen Willens“ (Menke 1993, 222) auftritt. Denn bevor der Scherge die Strafen vollzieht, kündigt der Erzähler an: | ||
''swaz geschehen sol, daz geschiht.'' | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
got dem vil selten übersiht, | |- | ||
der tuot, des er niht tuon sol.'' (H V. 1683–1685) | || | ||
(Was geschehen muss, das geschieht auch. Niemals verzeiht Gott dem, der Unrecht tut.) | :''<span style="color: #7b879e;">swaz geschehen sol, daz geschiht.'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">got dem vil selten übersiht,'' | |||
Fritz-Peter Knapp bezeichnet die Konsequenzen sogar als ein „Strafgericht Gottes“, das Helmbrecht im Diesseits ereilt (Knapp 2001, 11). Der Text zeichnet subsidiär das Bild der gottgewollten, gerechten Strafe: So leitet der Erzähler die Bestrafung der Raubritter mit den Worten ''got ist ein wunderære, / daz hœret an dem mære'' (H V. 1639 f., Gott tut Wunder – das kann man in dieser Geschichte sehen.) und ''sô got der râche wil selbe phlegen'' (H V. 1650, wenn Gott selbst Rache üben will) ein. Weiterhin fügt er hinzu, dass niemand für Helmbrecht fürsprechen solle, denn wer sich für solche Menschen einsetze, dem solle von Gott das eigene Leben verkürzt werden (H V. 1669–1672). Untermauert wird dies zusätzlich durch die sorgfältige Aufzählung der Taten, die für die jeweiligen Strafen ursächlich sind und explizit zeigen, dass er sich unrechtmäßig gegen seinen ehemaligen Stand gerichtet hat (erste Bestrafung: H V. 1686–1700, zweite Bestrafung: H V. 1825–1873). Hierdurch legitimiert der Erzähler den Ausgang der Handlung, der ab dem Zeitpunkt, an dem Helmbrecht die Träume abweist, unausweichlich ist. Er verdeutlicht, dass die Strafen auf Helmbrechts „Fehlhaltungen und falsches Handeln […] unabhängig von ständischen Konflikten“ (Sowinski 1968, 227) zurückzuführen sind und dementsprechend verurteilt werden. Der Vater versucht zuvor Helmbrecht vergeblich vor Augen zu führen, dass ein sozialer Aufstieg und dafür unabdingbare gesellschaftliche Anerkennung auf einem entsprechend adeligen Benehmen basieren würden: | :''<span style="color: #7b879e;">der tuot, des er niht tuon sol.'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 1683–1685) | ||
''„sun, und wilt dû edel sîn, '' | :<span style="color: #7b879e;">(Was geschehen muss, das geschieht auch. Niemals verzeiht Gott dem, der Unrecht tut.) | ||
daz rât ich ûf die triuwe mîn, | |}Fritz-Peter Knapp bezeichnet die Konsequenzen sogar als ein „Strafgericht Gottes“, das Helmbrecht im Diesseits ereilt (Knapp 2001, 11). Der Text zeichnet subsidiär das Bild der gottgewollten, gerechten Strafe: So leitet der Erzähler die Bestrafung der Raubritter mit den Worten ''got ist ein wunderære, / daz hœret an dem mære'' (H V. 1639 f., Gott tut Wunder – das kann man in dieser Geschichte sehen.) und ''sô got der râche wil selbe phlegen'' (H V. 1650, wenn Gott selbst Rache üben will) ein. Weiterhin fügt er hinzu, dass niemand für Helmbrecht fürsprechen solle, denn wer sich für solche Menschen einsetze, dem solle von Gott das eigene Leben verkürzt werden (H V. 1669–1672). Untermauert wird dies zusätzlich durch die sorgfältige Aufzählung der Taten, die für die jeweiligen Strafen ursächlich sind und explizit zeigen, dass er sich unrechtmäßig gegen seinen ehemaligen Stand gerichtet hat (erste Bestrafung: H V. 1686–1700, zweite Bestrafung: H V. 1825–1873). Hierdurch legitimiert der Erzähler den Ausgang der Handlung, der ab dem Zeitpunkt, an dem Helmbrecht die Träume abweist, unausweichlich ist. Er verdeutlicht, dass die Strafen auf Helmbrechts „Fehlhaltungen und falsches Handeln […] unabhängig von ständischen Konflikten“ (Sowinski 1968, 227) zurückzuführen sind und dementsprechend verurteilt werden. Der Vater versucht zuvor Helmbrecht vergeblich vor Augen zu führen, dass ein sozialer Aufstieg und dafür unabdingbare gesellschaftliche Anerkennung auf einem entsprechend adeligen Benehmen basieren würden: | ||
sô tuo vil edellîche: | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
guot zuht ist sicherlîche | |- | ||
ein krône ob aller edelkeit […].“'' (H V. | || | ||
(„Sohn, wenn du adlig sein willst, dann rate ich dir bei meiner Treu, edel zu handeln. Wirklich feine Gesittung ist das Höchste an Adligkeit.“) | :''<span style="color: #7b879e;">„sun, und wilt dû edel sîn,'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">daz rât ich ûf die triuwe mîn,'' | |||
Doch im Gegensatz zu seinem Vater, der das alte, tugendhafte Rittertum und den Tugendadel als wahren Adel vorstellt sowie den Verfall dieser Lebensweise beklagt (H. V. 974–983), verficht Helmbrecht eine „völlige[] Umkehrung aller Werte“ (Honemann 2001, 36; H V. 264–278, 303–328, 375–379, 471–479, 571–576) und die Ausübung von Gewalt (H V. 1007 f., 1023–1036; Honemann 2001, 31 f., 36 f.). Nach seinem rasanten Aufstieg in das als falsch markierte Raubrittertum muss Helmbrecht einen drastischen gesellschaftlichen Abstieg erfahren. Indem die Bauern, die durch Helmbrecht als Raubritter Leid erfahren haben, die endgültige Strafe – Tod durch Erhängen – vollziehen, wird dieser Aspekt besonders hervorgehoben. | :''<span style="color: #7b879e;">sô tuo vil edellîche:'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">guot zuht ist sicherlîche'' | |||
:''<span style="color: #7b879e;">ein krône ob aller edelkeit […].“'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 503–507) | |||
:<span style="color: #7b879e;">(„Sohn, wenn du adlig sein willst, dann rate ich dir bei meiner Treu, edel zu handeln. Wirklich feine Gesittung ist das Höchste an Adligkeit.“) | |||
|}Doch im Gegensatz zu seinem Vater, der das alte, tugendhafte Rittertum und den Tugendadel als wahren Adel vorstellt sowie den Verfall dieser Lebensweise beklagt (H. V. 974–983), verficht Helmbrecht eine „völlige[] Umkehrung aller Werte“ (Honemann 2001, 36; H V. 264–278, 303–328, 375–379, 471–479, 571–576) und die Ausübung von Gewalt (H V. 1007 f., 1023–1036; Honemann 2001, 31 f., 36 f.). Nach seinem rasanten Aufstieg in das als falsch markierte Raubrittertum muss Helmbrecht einen drastischen gesellschaftlichen Abstieg erfahren. Indem die Bauern, die durch Helmbrecht als Raubritter Leid erfahren haben, die endgültige Strafe – Tod durch Erhängen – vollziehen, wird dieser Aspekt besonders hervorgehoben. | |||
Aufgrund des Dialogs über die Träume werden „die Überredungsversuche des Vaters und die Unbelehrbarkeit des Sohnes sichtbar“ (Sowinski 1968, 231). Sie sind zudem Teil einer Wertethik, „die ihre Verbindlichkeit am negativen Beispiel des jungen Helmbrecht und an seinem Ende erweist.“ (Sowinski 1968, 231) Sie agieren innerhalb der literarischen Darstellung als Strukturelemente (Schmidt-Hannisa 2007, 676 f.), die aufgrund ihrer vorausdeutenden Eigenschaft zur Rezeptionslenkung beitragen. Die Träume bilden so eine Art Metaebene der Handlung, während sie zugleich einen wichtigen Teil der Handlung selbst darstellen (Barthel 2019, 46). | Aufgrund des Dialogs über die Träume werden „die Überredungsversuche des Vaters und die Unbelehrbarkeit des Sohnes sichtbar“ (Sowinski 1968, 231). Sie sind zudem Teil einer Wertethik, „die ihre Verbindlichkeit am negativen Beispiel des jungen Helmbrecht und an seinem Ende erweist.“ (Sowinski 1968, 231) Sie agieren innerhalb der literarischen Darstellung als Strukturelemente (Schmidt-Hannisa 2007, 676 f.), die aufgrund ihrer vorausdeutenden Eigenschaft zur Rezeptionslenkung beitragen. Die Träume bilden so eine Art Metaebene der Handlung, während sie zugleich einen wichtigen Teil der Handlung selbst darstellen (Barthel 2019, 46). | ||
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Im Gegensatz dazu wird Helmbrecht wiederholt negativ dargestellt als ''der narre und der gouch'' (H V. 83, der törichte Narr), ''der gotes tumbe'' (H V. 85, der unverständige Tor) oder ''der tumbe[] ræze[] knehte'' (H V. 106, der dumme, aufgeblasene Bursche). Ebenso betont der Erzähler anfangs mehrfach, dass er eine solch prächtige Ausstattung nicht besitzen sollte (H V. 38–40, 54–56), womit er einen negativen Helden vorführt, „der sich etwas anmaßt, was ihm nicht zusteht“ (Seelbach 1987, 33). Diese stark negative Skizzierung der Figur Helmbrecht kulminiert in seinem schlechten Verhalten gegenüber seiner Familie, seiner abweisenden Reaktion auf die Warnträume des Vaters und in den Verbrechen gegenüber den sonstigen Bauern. Der Erzähler steuert die Leser*innen bzw. Hörer*innen dadurch, dass Helmbrecht als unwürdig wahrgenommen wird: So betont der Vater, dass Helmbrecht die Trauminhalte von weisen Leuten deuten lassen müsse, wenn er einen Nutzen daraus ziehen wolle. Aufgrund der relativen Eindeutigkeit der Traumbilder kann dieser Verweis zum einen eine weitere Bekräftigung ihrer Bedeutung sein (Sowinski 1968, 236); zum anderen zeigt dies, dass symbolhaltige Träume aus zeitgenössischer Sicht einen erfahrenen Deuter verlangen, um den womöglich „verborgenen Willen Gottes“ (Haubrichs 1979, 249) erkennen zu können. Dass Helmbrecht eigenständig diese Träume als eine Vorausdeutung auf Glück, Heil und große Freude interpretiert (''„daz ist sælde unde heil / und aller freuden teil.“'' (H V. 601 f., „Er [der Traum] bedeutet Heil und Segen vom Himmel und irdisches Glück in Fülle.“)), zeigt, dass er die Tragweite der Warnungen nicht begreift. Er sieht ausschließlich diese Fehldeutung, da sie zu seinem persönlichen Traum des | Im Gegensatz dazu wird Helmbrecht wiederholt negativ dargestellt als ''der narre und der gouch'' (H V. 83, der törichte Narr), ''der gotes tumbe'' (H V. 85, der unverständige Tor) oder ''der tumbe[] ræze[] knehte'' (H V. 106, der dumme, aufgeblasene Bursche). Ebenso betont der Erzähler anfangs mehrfach, dass er eine solch prächtige Ausstattung nicht besitzen sollte (H V. 38–40, 54–56), womit er einen negativen Helden vorführt, „der sich etwas anmaßt, was ihm nicht zusteht“ (Seelbach 1987, 33). Diese stark negative Skizzierung der Figur Helmbrecht kulminiert in seinem schlechten Verhalten gegenüber seiner Familie, seiner abweisenden Reaktion auf die Warnträume des Vaters und in den Verbrechen gegenüber den sonstigen Bauern. Der Erzähler steuert die Leser*innen bzw. Hörer*innen dadurch, dass Helmbrecht als unwürdig wahrgenommen wird: So betont der Vater, dass Helmbrecht die Trauminhalte von weisen Leuten deuten lassen müsse, wenn er einen Nutzen daraus ziehen wolle. Aufgrund der relativen Eindeutigkeit der Traumbilder kann dieser Verweis zum einen eine weitere Bekräftigung ihrer Bedeutung sein (Sowinski 1968, 236); zum anderen zeigt dies, dass symbolhaltige Träume aus zeitgenössischer Sicht einen erfahrenen Deuter verlangen, um den womöglich „verborgenen Willen Gottes“ (Haubrichs 1979, 249) erkennen zu können. Dass Helmbrecht eigenständig diese Träume als eine Vorausdeutung auf Glück, Heil und große Freude interpretiert (''„daz ist sælde unde heil / und aller freuden teil.“'' (H V. 601 f., „Er [der Traum] bedeutet Heil und Segen vom Himmel und irdisches Glück in Fülle.“)), zeigt, dass er die Tragweite der Warnungen nicht begreift. Er sieht ausschließlich diese Fehldeutung, da sie zu seinem persönlichen Traum des | ||
(Raub-)Ritterseins passt. Dies bestätigt die Aussage, alle anderen Träume würden ebenfalls im Zeichen des Glücks stehen: | (Raub-)Ritterseins passt. Dies bestätigt die Aussage, alle anderen Träume würden ebenfalls im Zeichen des Glücks stehen: | ||
''„vater, al di tröume dîn'' | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
sint vil gar diu sælde mîn“'' (H V. 611 f.) | |- | ||
(„Vater, alle deine Träume bedeuten Glück für mich“) | || | ||
:''<span style="color: #7b879e;">„vater, al di tröume dîn'' | |||
Weiterhin wertet er sie als Träumereien (H V. 589) ab und betont, dass diese ihn nicht von seinem Vorsatz abhalten könnten. So hat Helmbrechts Reaktion auf die Träume die Verstärkung seiner negativen Figurencharakterisierung zur Folge, da er zunehmend als Narr gekennzeichnet wird. Die spätere Erfüllung der Träume bestätigt dies erneut. | :''<span style="color: #7b879e;">sint vil gar diu sælde mîn“'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 611 f.) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(„Vater, alle deine Träume bedeuten Glück für mich“) | |||
|}Weiterhin wertet er sie als Träumereien (H V. 589) ab und betont, dass diese ihn nicht von seinem Vorsatz abhalten könnten. So hat Helmbrechts Reaktion auf die Träume die Verstärkung seiner negativen Figurencharakterisierung zur Folge, da er zunehmend als Narr gekennzeichnet wird. Die spätere Erfüllung der Träume bestätigt dies erneut. | |||
== Fazit== | == Fazit== |