Martin Luther: Traumtheorie: Unterschied zwischen den Versionen
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Die Geschichte des Traumes in der reformatorisch geprägten Frömmigkeit des frühneuzeitlichen Deutschland ist nicht ohne das Nebeneinander unterschiedlicher Bewertungen des Traums durch die Reformatoren zu verstehen (vgl. Weiß 2008, Gantet 2010). Zugleich ist auf die Attraktivität des Traumwissens der Griechen für die gelehrten Humanisten zu verweisen (Alt 2002, 55), sodass im 16. Jh. Unterschiede zwischen den Konfessionen wie auch zwischen den Bildungsschichten nicht von vornherein entscheidend sind. Traumdeutung und Traumkritik blühten bekanntlich schon vor der Reformationszeit. Sebastian Brant hatte in seinem ''Narrenschiff'' (1494) im 65. Kapitel die Blüte magischer Praktiken wie auch der Astrologie und der Traumdeutung als Zeichen für Unglauben angesehen, drang damit aber nicht wirklich durch, | Die Geschichte des Traumes in der reformatorisch geprägten Frömmigkeit des frühneuzeitlichen Deutschland ist nicht ohne das Nebeneinander unterschiedlicher Bewertungen des Traums durch die Reformatoren zu verstehen (vgl. Weiß 2008, Gantet 2010). Zugleich ist auf die Attraktivität des Traumwissens der Griechen für die gelehrten Humanisten zu verweisen (Alt 2002, 55), sodass im 16. Jh. Unterschiede zwischen den Konfessionen wie auch zwischen den Bildungsschichten nicht von vornherein entscheidend sind. Traumdeutung und Traumkritik blühten bekanntlich schon vor der Reformationszeit. Sebastian Brant hatte in seinem ''Narrenschiff'' (1494) im 65. Kapitel die Blüte magischer Praktiken wie auch der Astrologie und der Traumdeutung als Zeichen für Unglauben angesehen, drang damit aber nicht wirklich durch, ebensowenig die Kritik des Florentiners Savonarola an solchen Praktiken <ref>Oliver Bernhardt: Gestalt und Geschichte Savonarolas in der deutschsprachigen Literatur. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Würzburg: Königshausen & Neumann 2016, 33 mit Anm. 45</ref>, wie auch die Wirkung der Traumkritik Ciceros (Cicero 1991, II, 121–135) beschränkt blieb. | ||
Martin Luther (1483-1546) hat teil an voraufklärerischen theologischen Voraussetzzungen für das Reden von Träumen: Traumerzählungen der Bibel werden vorbehaltlos als wahr anerkannt und nicht als literarische Einkleidung des jeweiligen Verfassers für ihre Ideen verstanden. Zu beachten ist allerdings: Auf alttestamentliche Traumszenen wird im Neuen Testament nicht Bezug genommen. Jesus und die Apostel werden nicht durch Träume oder Traumdeutung legitimiert; zur antiken Traumtheorie trägt das Neue Testament nichts bei. Wohl aber hat das Neue Testament teil an dem traumkritischen Diskurs klassisch-biblischer Prophetie (vgl. Jeremia 23,9–40): Gegnerische Lehren werden schon in einer Spätschrift des Neuen Testaments, im Judasbrief (Vers 8) als "Träume" bezeichnet. | Martin Luther (1483-1546) hat teil an voraufklärerischen theologischen Voraussetzzungen für das Reden von Träumen: Traumerzählungen der Bibel werden vorbehaltlos als wahr anerkannt und nicht als literarische Einkleidung des jeweiligen Verfassers für ihre Ideen verstanden. Zu beachten ist allerdings: Auf alttestamentliche Traumszenen wird im Neuen Testament nicht Bezug genommen. Jesus und die Apostel werden nicht durch Träume oder Traumdeutung legitimiert; zur antiken Traumtheorie trägt das Neue Testament nichts bei. Wohl aber hat das Neue Testament teil an dem traumkritischen Diskurs klassisch-biblischer Prophetie (vgl. Jeremia 23,9–40): Gegnerische Lehren werden schon in einer Spätschrift des Neuen Testaments, im Judasbrief (Vers 8) als "Träume" bezeichnet. | ||
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==Luthers Auslegungen biblischer Traumerzählungen== | ==Luthers Auslegungen biblischer Traumerzählungen== | ||
An vier Stellen in Luthers Gesamtwerk, jeweils in der Behandlung traumbejahender Passagen in der Bibel, nämlich zu Apostelgeschichte 16,9 f. (WA 15, 619–622), Genesis 40 (WA 24, 640–644); Genesis 28 ([[Traum von der Jakobsleiter (Bibel, AT, Genesis 28,10–22)| Der Traum mit der Jakobsleiter]]; WA 43, 591–594) und Genesis 37 (die Träume Josephs; WA 44, 246–251), finden sich längere Ausführungen Luthers zum Thema Traum. Auch sie sind von der generellen Skepsis des Reformators gegenüber dem Traum geprägt. Kritik wird an Jakob nicht wegen seines Betrugsverhaltens, an Joseph nicht wegen seines Hochmutes geübt; es geht um die fehlende Verlässlichkeit eines Traumes. | An vier Stellen in Luthers Gesamtwerk, jeweils in der Behandlung traumbejahender Passagen in der Bibel, nämlich zu Apostelgeschichte 16,9 f. (WA 15, 619–622), Genesis 40 (WA 24, 640–644); Genesis 28 ([[Traum von der Jakobsleiter (Bibel, AT, Genesis 28,10–22) | Der Traum mit der Jakobsleiter]]; WA 43, 591–594) und Genesis 37 (die Träume Josephs; WA 44, 246–251), finden sich längere Ausführungen Luthers zum Thema Traum. Auch sie sind von der generellen Skepsis des Reformators gegenüber dem Traum geprägt. Kritik wird an Jakob nicht wegen seines Betrugsverhaltens, an Joseph nicht wegen seines Hochmutes geübt; es geht um die fehlende Verlässlichkeit eines Traumes. | ||
Wie in Ansätzen bereits Johannes Chrysostomus (Homiliae in Matthaeum 4,5, PG 57, 45) ordnet Luther den Traum ein in eine dreifach gestufte Hierarchie dessen, wie sich Gott mitteilen kann: durch Weissagung, durch Vision und durch Träume (WA 29, 375,31–376,15; 42, 555,18–40; 44, 247,8–13). Weissagung ergeht in klaren Worten; Visionen bedürfen der Deutung; Träume bedürfen darüber hinaus der Klärung ihrer Herkunft. Anlass zu dieser dreifachen Stufung geben Numeri 12,6 ("Wenn unter euch ein Prophet ist, dann will ich, der Herr, mich ihm kundmachen in Gesichten oder mit ihm reden in Träumen") und Joel 3,1 ("Und nach diesem will ich meinem Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen"). Allerdings hält Luther auch in der Auslegung der genannten traumbejahenden Passagen fest, dass Träume auch vom Teufel stammen können; er kann nicht nur falsche, sondern auch wahre Träume schicken, d.h. Träume, die in Erfüllung gehen (WA 44, 247,25–248,24; die in antiker römischer Literatur erwähnten Träume [Luther kommt auf Hannibals Traum bei Livius, 21,22 zu sprechen] sind vom Teufel geschickt). Deshalb enthält die Bibel neben den traumbejahenden auch traumkritische Passagen wie Deuteronomium 13,2–6; Sirach 34; Kohelet 5,6 etc. | Wie in Ansätzen bereits Johannes Chrysostomus (Homiliae in Matthaeum 4,5, PG 57, 45) ordnet Luther den Traum ein in eine dreifach gestufte Hierarchie dessen, wie sich Gott mitteilen kann: durch Weissagung, durch Vision und durch Träume (WA 29, 375,31–376,15; 42, 555,18–40; 44, 247,8–13). Weissagung ergeht in klaren Worten; Visionen bedürfen der Deutung; Träume bedürfen darüber hinaus der Klärung ihrer Herkunft. Anlass zu dieser dreifachen Stufung geben Numeri 12,6 ("Wenn unter euch ein Prophet ist, dann will ich, der Herr, mich ihm kundmachen in Gesichten oder mit ihm reden in Träumen") und Joel 3,1 ("Und nach diesem will ich meinem Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen"). Allerdings hält Luther auch in der Auslegung der genannten traumbejahenden Passagen fest, dass Träume auch vom Teufel stammen können; er kann nicht nur falsche, sondern auch wahre Träume schicken, d.h. Träume, die in Erfüllung gehen (WA 44, 247,25–248,24; die in antiker römischer Literatur erwähnten Träume [Luther kommt auf Hannibals Traum bei Livius, 21,22 zu sprechen] sind vom Teufel geschickt). Deshalb enthält die Bibel neben den traumbejahenden auch traumkritische Passagen wie Deuteronomium 13,2–6; Sirach 34; Kohelet 5,6 etc. | ||
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