"Der Traum" (Friedrich Hebbel): Unterschied zwischen den Versionen
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==Autor== | ==Autor== | ||
Der deutsche Dramatiker Christian Friedrich Hebbel wird 1813 als Sohn eines Tagelöhners und Maurers in Wesselburen (Dithmarschen) geboren, das zu dieser Zeit noch unter dänischer Herrschaft stand. Er besucht die Volksschule und absolviert eine Maurerlehre. Nach dem Tod des Vaters 1827 ist Hebbel in Wesselburen zunächst als Laufbursche, später als Schreiber des Vogts beschäftigt und erhält Zugang zu dessen Bibliothek. Durch erste Veröffentlichungen in Zeitschriften (Gedichte und Kurzprosa) in den folgenden Jahren wird die Schriftstellerin Amalie Schoppe (1791-1858) auf ihn | Der deutsche Dramatiker Christian Friedrich Hebbel wird 1813 als Sohn eines Tagelöhners und Maurers in Wesselburen (Dithmarschen) geboren, das zu dieser Zeit noch unter dänischer Herrschaft stand. Er besucht die Volksschule und absolviert eine Maurerlehre. Nach dem Tod des Vaters 1827 ist Hebbel in Wesselburen zunächst als Laufbursche, später als Schreiber des Vogts beschäftigt und erhält Zugang zu dessen Bibliothek. Durch erste Veröffentlichungen in Zeitschriften (Gedichte und Kurzprosa) in den folgenden Jahren wird die Schriftstellerin Amalie Schoppe (1791-1858) auf ihn aufmerksam. Sie ermöglicht ihm, nach Hamburg umzusiedeln. Dank eines Stipendiums und durch die | ||
aufmerksam. Sie ermöglicht ihm, nach Hamburg umzusiedeln. Dank eines Stipendiums und durch die | |||
finanzielle Unterstützung der Hamburger Näherin und Putzmacherin Elise Lensing kann Hebbel 1836 | finanzielle Unterstützung der Hamburger Näherin und Putzmacherin Elise Lensing kann Hebbel 1836 | ||
in Heidelberg studieren und sich bis 1839 in München autodidaktisch bilden. Elise Lensing wird auch | in Heidelberg studieren und sich bis 1839 in München autodidaktisch bilden. Elise Lensing wird auch | ||
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==Entstehungs- und Druckgeschichte== | ==Entstehungs- und Druckgeschichte== | ||
''Der Traum'' wurde erstmals am 12. Februar 1829 im ''Ditmarser und Eiderstedter Boten'' anonym veröffentlicht. Sah die Forschung in dem Prosastück zunächst nur ein Vorbild für Hebbels Traumerzählung ''Holion'', so wurde es später Hebbel zugeschrieben und hat beispielsweise Eingang in die kritische Werkausgabe der 1960er-Jahre gefunden. Diese Entscheidung wird v.a. mit einem Aufsatz von Wolfgang Liepe begründet, der in ''Der Traum'' ein Frühwerk Hebbels zu erkennen glaubte(Liepe 1953). Da dessen Argumentation aber teilweise nicht schlüssig ist, bleibt die Autorschaft des | ''Der Traum'' wurde erstmals am 12. Februar 1829 im ''Ditmarser und Eiderstedter Boten'' anonym veröffentlicht. Sah die Forschung in dem Prosastück zunächst nur ein Vorbild für Hebbels Traumerzählung ''Holion'', so wurde es später Hebbel zugeschrieben und hat beispielsweise Eingang in die kritische Werkausgabe der 1960er-Jahre gefunden. Diese Entscheidung wird v.a. mit einem Aufsatz von Wolfgang Liepe begründet, der in ''Der Traum'' ein Frühwerk Hebbels zu erkennen glaubte(Liepe 1953). Da dessen Argumentation aber teilweise nicht schlüssig ist, bleibt die Autorschaft des Texts letztlich zweifelhaft. | ||
Texts letztlich zweifelhaft. | |||
==Der Traum== | ==Der Traum== | ||
===Beschreibung=== ''Der Traum'' beginnt unvermittelt mit einer nächtlichen Wanderung durch eine wie ausgestorben erscheinende Winterlandschaft, in der sich der namenlose Ich-Erzähler allmählich in einen Schneemann verwandelt: "Ich meine, ich sollte einen schwarzen Rock anhaben; ich wußte gewiß, er war schwarz gewesen, ja gewesen! – nun aber ganz übersilbert von Reif und Schnee!" (233). In | ===Beschreibung=== | ||
Analogie zur Schneewüste und äußerlichen Vereisung gestaltet sich auch sein Inneres: "und in mir | ''Der Traum'' beginnt unvermittelt mit einer nächtlichen Wanderung durch eine wie ausgestorben erscheinende Winterlandschaft, in der sich der namenlose Ich-Erzähler allmählich in einen Schneemann verwandelt: "Ich meine, ich sollte einen schwarzen Rock anhaben; ich wußte gewiß, er war schwarz gewesen, ja gewesen! – nun aber ganz übersilbert von Reif und Schnee!" (233). In Analogie zur Schneewüste und äußerlichen Vereisung gestaltet sich auch sein Inneres: "und in mir | ||
alles so öde, so leer, die Glieder so kalt, das Herz erfroren, das Gehirn Eis" (233). Sucht der Erzähler | alles so öde, so leer, die Glieder so kalt, das Herz erfroren, das Gehirn Eis" (233). Sucht der Erzähler | ||
zunächst noch nach anderem Leben, erkennt er bald: "Sie schlafen ja alle, alle Tiere, alle Menschen | zunächst noch nach anderem Leben, erkennt er bald: "Sie schlafen ja alle, alle Tiere, alle Menschen | ||
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===Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit=== | ===Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit=== | ||
Da eine einleitende Rahmung mit Zubettgehen oder Einschlafen fehlt, erlaubt erst die Aufwachszene kurz vor Textschluss eine Deutung der vorangegangenen Handlung als Traum. Die Rezeptionssituation ähnelt somit der eines Träumenden: Wer träumt, weiß nicht, dass er träumt. Das Traumgeschehen ereignet sich, ohne skeptisch hinterfragt zu werden. "[I]ch bin nicht Ich, bin kein Mensch mehr, ich bin ein wandelnder Schneemann." (233). Die Plausibilität dieser Metamorphose zweifelt der Erzähler nicht an. Auch die Veränderung der Erzählperspektive bzw. der Fokalisierung | Da eine einleitende Rahmung mit Zubettgehen oder Einschlafen fehlt, erlaubt erst die Aufwachszene kurz vor Textschluss eine Deutung der vorangegangenen Handlung als Traum. Die Rezeptionssituation ähnelt somit der eines Träumenden: Wer träumt, weiß nicht, dass er träumt. Das Traumgeschehen ereignet sich, ohne skeptisch hinterfragt zu werden. "[I]ch bin nicht Ich, bin kein Mensch mehr, ich bin ein wandelnder Schneemann." (233). Die Plausibilität dieser Metamorphose zweifelt der Erzähler nicht an. Auch die Veränderung der Erzählperspektive bzw. der Fokalisierung unterstreicht die sich auflösende Identität des Erzählers: Mal überblickt er die gesamte Welt, mal | ||
unterstreicht die sich auflösende Identität des Erzählers: Mal überblickt er die gesamte Welt, mal | |||
betrachtet er sich selbst in Außensicht und fürchtet sich vor der fremdartigen Gestalt: "Hu! mir | betrachtet er sich selbst in Außensicht und fürchtet sich vor der fremdartigen Gestalt: "Hu! mir | ||
graust vor dem Schneemann, der ja so wunderlich vor mir her tanzt. Ich bin ja selber dieser | graust vor dem Schneemann, der ja so wunderlich vor mir her tanzt. Ich bin ja selber dieser | ||
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===Interpretation=== | ===Interpretation=== | ||
Anders als beispielsweise ''Des Greises Traum'' oder Hebbels autobiographische Traumberichte in seinen Tagebüchern wurde ''Der Traum'' von der Forschung kaum beachtet.Wolfgang Liepe vermutet in Der Traum zahlreiche intertextuelle Verweise, u.a. auf Schuberts [["Die Symbolik des Traumes" (Gotthilf Heinrich Schubert)|''Die Symbolik des Traumes'']] und seine Naturphilosophie, auf Tagebuchaufzeichnungen Hebbels und auf sein Gedicht ''Winterlandschaft'' (Liepe 1953). Seine Belege halten einer Überprüfung allerdings überwiegend nicht stand. Lediglich der Bezug auf das christliche Glaubenssystem mit der sündhaften Eitelkeit und den Tag des Jüngsten Gerichts sind gesichert. Er wird allerdings ebenso wie der Verweis | Anders als beispielsweise ''Des Greises Traum'' oder Hebbels autobiographische Traumberichte in seinen Tagebüchern wurde ''Der Traum'' von der Forschung kaum beachtet.Wolfgang Liepe vermutet in Der Traum zahlreiche intertextuelle Verweise, u.a. auf Schuberts [["Die Symbolik des Traumes" (Gotthilf Heinrich Schubert)|''Die Symbolik des Traumes'']] und seine Naturphilosophie, auf Tagebuchaufzeichnungen Hebbels und auf sein Gedicht ''Winterlandschaft'' (Liepe 1953). Seine Belege halten einer Überprüfung allerdings überwiegend nicht stand. Lediglich der Bezug auf das christliche Glaubenssystem mit der sündhaften Eitelkeit und den Tag des Jüngsten Gerichts sind gesichert. Er wird allerdings ebenso wie der Verweis auf den Tod als letzte Ruhe in ''Der Traum'' nicht weiter ausgestaltet. Auch die Sentenz vom Leben als Traum drückt in diesem Text nicht mehr aus als die Erleichterung über das Erwachen aus einem | ||
auf den Tod als letzte Ruhe in ''Der Traum'' nicht weiter ausgestaltet. Auch die Sentenz vom Leben als | |||
Traum drückt in diesem Text nicht mehr aus als die Erleichterung über das Erwachen aus einem | |||
Alptraum. | Alptraum. | ||