"La tregua" (Primo Levi): Unterschied zwischen den Versionen
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Der jüdische Autor Primo Levi studierte trotz der seit 1938 in Italien geltenden faschistischen Rassengesetze Chemie und war die meiste Zeit seines Lebens als Chemiker tätig. Im Herbst 1943 schloss er sich der antifaschistischen Widerstandsbewegung „Giustizia e libertà“ an, wurde kurz darauf verhaftet und musste sich entscheiden, entweder als Partisan erschossen oder als Jude deportiert zu werden. Von Februar 1944 bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Januar 1945 war Levi als Zwangsarbeiter im Konzentrationslager Auschwitz III (Auschwitz-Monowitz) interniert, wo er als Chemiker in den Buna-Werken eingesetzt wurde. Durch eine schwere Krankheit entging er den Todesmärschen im Winter 1944/45 und überlebte das Konzentrationslager. Nach einer knapp zehn-monatigen Rückreise quer durch Osteuropa begann er, seine Erfahrungen als Shoah-Überlebender literarisch zu verarbeiten. Neben zahlreichen Erzählungen verfasste er eine durch die Elemente des chemischen Periodensystems strukturierte Autobiographie ''Il sistema periodico'' ( | Der jüdische Autor Primo Levi studierte trotz der seit 1938 in Italien geltenden faschistischen Rassengesetze Chemie und war die meiste Zeit seines Lebens als Chemiker tätig. Im Herbst 1943 schloss er sich der antifaschistischen Widerstandsbewegung „Giustizia e libertà“ an, wurde kurz darauf verhaftet und musste sich entscheiden, entweder als Partisan erschossen oder als Jude deportiert zu werden. Von Februar 1944 bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Januar 1945 war Levi als Zwangsarbeiter im Konzentrationslager Auschwitz III (Auschwitz-Monowitz) interniert, wo er als Chemiker in den Buna-Werken eingesetzt wurde. Durch eine schwere Krankheit entging er den Todesmärschen im Winter 1944/45 und überlebte das Konzentrationslager. Nach einer knapp zehn-monatigen Rückreise quer durch Osteuropa begann er, seine Erfahrungen als Shoah-Überlebender literarisch zu verarbeiten. Neben zahlreichen Erzählungen verfasste er eine durch die Elemente des chemischen Periodensystems strukturierte Autobiographie ''Il sistema periodico'' (Das periodische System, 1975). Vor allem der Bericht ''Se questo è un uomo'' (Ist das ein Mensch?, 1947), aber auch ''La Tregua'' (Die Atempause, 1963) und sein letztes Buch ''I sommersi e i salvati'' (Die Untergegangenen und die Geretteten, 1986) zählen zu den weltweit bedeutendsten Zeugnissen der Shoah-Literatur. | ||
== | ==''La tregua'' (Überblick)== | ||
Levis zweites Buch, eine „europäische Odyssee zwischen Krieg und Frieden“ (so Italo Calvino in der Erstausgabe), umfasst 17 chronologisch angeordnete Kapitel, in denen die Rückkehr des Autors von der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee im Januar 1945 bis zur Ankunft in der Heimatstadt Turin am 19. Oktober 1945 erzählt wird. Es schließt damit unmittelbar an ''Se questo è un uomo'' an, Levis Bericht über seine Deportation und seine Internierung in Auschwitz. ''La Tregua'' umfasst die einzelnen Stationen dieser Rückreise, die das autobiographischen Ich – zumeist per Zug – durch sieben osteuropäische Länder über Deutschland und Österreich zurück nach Italien führt. Diese literarische Rekonstruktion ist eng verbunden mit den Portraits seiner ehemaligen Mitgefangenen und grundsätzlichen Reflexionen des Erzählers über seine Erfahrung als KZ-Überlebender. Im Zentrum stehen der durch die Shoah verursachte Zivilisationsbruch, Probleme der Differenzierung in Täter und Opfer, die Bedingungen und Konsequenzen des Überlebens, die Notwendigkeit der Zeugenschaft, welche sich aus der Ausnahmesituation als ehemaliger Auschwitz-Häftling ergibt, und schließlich die Frage, ob bzw. wie sich das erlittene individuelle Trauma kollektiv vermitteln lässt, angesichts der Tatsache, dass die eigentlichen Opfer der Shoah keine Stimme haben.Die ersten beiden Kapitel des Werkes wurden bereits 1947 und 1948 verfasst; Kapitel drei und vier stammen von 1961 und die verbleibenden acht aus dem Jahre 1962. Der Bericht wurde 1963 mit dem Premio Campiello ausgezeichnet und 1997 von Francesco Rosi in einer italienisch-deutsch-französisch-schweizerischen Gemeinschaftsproduktion verfilmt. | Levis zweites Buch, eine „europäische Odyssee zwischen Krieg und Frieden“ (so Italo Calvino in der Erstausgabe), umfasst 17 chronologisch angeordnete Kapitel, in denen die Rückkehr des Autors von der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee im Januar 1945 bis zur Ankunft in der Heimatstadt Turin am 19. Oktober 1945 erzählt wird. Es schließt damit unmittelbar an ''Se questo è un uomo'' an, Levis Bericht über seine Deportation und seine Internierung in Auschwitz. ''La Tregua'' umfasst die einzelnen Stationen dieser Rückreise, die das autobiographischen Ich – zumeist per Zug – durch sieben osteuropäische Länder über Deutschland und Österreich zurück nach Italien führt. | ||
Diese literarische Rekonstruktion ist eng verbunden mit den Portraits seiner ehemaligen Mitgefangenen und grundsätzlichen Reflexionen des Erzählers über seine Erfahrung als KZ-Überlebender. Im Zentrum stehen der durch die Shoah verursachte Zivilisationsbruch, Probleme der Differenzierung in Täter und Opfer, die Bedingungen und Konsequenzen des Überlebens, die Notwendigkeit der Zeugenschaft, welche sich aus der Ausnahmesituation als ehemaliger Auschwitz-Häftling ergibt, und schließlich die Frage, ob bzw. wie sich das erlittene individuelle Trauma kollektiv vermitteln lässt, angesichts der Tatsache, dass die eigentlichen Opfer der Shoah keine Stimme haben. | |||
Die ersten beiden Kapitel des Werkes wurden bereits 1947 und 1948 verfasst; Kapitel drei und vier stammen von 1961 und die verbleibenden acht aus dem Jahre 1962. Der Bericht wurde 1963 mit dem Premio Campiello ausgezeichnet und 1997 von Francesco Rosi in einer italienisch-deutsch-französisch-schweizerischen Gemeinschaftsproduktion verfilmt. | |||
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==Die Träume== | ==Die Träume== | ||
Der Text Levis wird in programmatischer Weise durch Träume gerahmt. Dem eigentlichen Bericht ist ein vom Autor verfasstes Gedicht als Motto vorangestellt, das die Träume der KZ-Häftlinge, die von der Rückkehr in die Normalität handeln, mit der Allgegenwart der traumatischen Erfahrung nach dem Krieg verbindet. Das Schusskapitel „Il risveglio" ( | Der Text Levis wird in programmatischer Weise durch Träume gerahmt. Dem eigentlichen Bericht ist ein vom Autor verfasstes Gedicht als Motto vorangestellt, das die Träume der KZ-Häftlinge, die von der Rückkehr in die Normalität handeln, mit der Allgegenwart der traumatischen Erfahrung nach dem Krieg verbindet. Das Schusskapitel „Il risveglio" (Erwachen; Levi 2014, 197-201) endet mit einem immer wiederkehrenden Alptraum des Erzählers, in dem sich der neu gewonnene Alltag des Träumers als trügerische Illusion entpuppt. Das siebte Kapitel „I sognatori" (Die Träumer; Levi 2014, 85-95) hingegen hat nicht tatsächliche (Nacht-)Träume zum Thema, sondern versammelt Geschichten aus dem Leben der ehemaligen Mitgefangenen, die sich in einem unsicheren Status zwischen Faktizität, Fantasie und Wunschtraum bewegen. | ||
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* Kasper, Judith: Der traumatisierte Raum. Insistenz, Inschrift, Montage bei Freud, Levi, Kertész, Sebald und Dante, Berlin: de Gruyter 2016. | * Kasper, Judith: Der traumatisierte Raum. Insistenz, Inschrift, Montage bei Freud, Levi, Kertész, Sebald und Dante, Berlin: de Gruyter 2016. | ||
* Nickenig, Annika: " | * Nickenig, Annika: "Arrach[é] au rêve de la vie". Häftlingsträume und Lagertrauma in literarischen Texten über die Shoah (Levi, Antelme, Semprun). In: Goumegou, Susanne/ Guthmüller, Marie (Hg.): Traumwissen und Traumpoetik. Onirische Schreibweisen von der literarischen Moderne bis zur Gegenwart. Würzburg: Königshausen und Neumann 2011, 285-300. | ||
* Ferrero, Ernesto (Hg.): Primo Levi: un'antologia della critica. Turin: Einaudi 1997. | * Ferrero, Ernesto (Hg.): Primo Levi: un'antologia della critica. Turin: Einaudi 1997. |