"Immer noch Sturm" (Peter Handke): Unterschied zwischen den Versionen

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Der Höhepunkt des Traumgeschehens ist ein Gespräch des ‚Ich‘ mit seinem Onkel und Taufpaten Gregor. Diese Figur erinnert an viele weitere Gregor-Figuren im Werk Handkes und ist wie diese nach dem Vorbild des Gregor Suitz, dem tatsächlichen Onkel und Taufpaten Handkes, angelegt, der 1943 in Russland an der Front ums Leben kam. In einem Brief, den Handke 1963 an seine Mutter schickte, berichtet er von einem Traum, in dem er selbst sich in der Gestalt seines Onkels Gregor im Krieg befindet und als dieser desertiert: „Er wollte desertieren, das begriff ich, denn ich war an seiner Stelle, und es war kein Unterschied zwischen uns“ (Höller 2007, 7). Das in diesem Brief geschilderte Traumszenario scheint in ''Immer noch Sturm'' für einen kurzen Moment zur ‚Wirklichkeit‘ zu werden, als sich Gregor – wenn auch abermals nur im Traum – an einem bestimmten Punkt entscheidet, nicht mehr an die Front zurückzukehren und sich stattdessen dem Partisanenkampf anschließt. Wenn das ‚Ich‘ und Gregor am Ende aufeinandertreffen und dieser vom ‚Ich‘ als „der Überlebende der drei Brüder meiner Mutter“ (InS 134) bezeichnet wird, widerspricht dies der Aussage eines anderen Bruders, Valentin, der sich zu Beginn vorstellt als „der einzige Sohn, der den Krieg überlebt hat“ (InS 14), sodass sich der Traum auch als ein Mittel erweist, Geschichte anders zu erzählen und zu schreiben.
Der Höhepunkt des Traumgeschehens ist ein Gespräch des ‚Ich‘ mit seinem Onkel und Taufpaten Gregor. Diese Figur erinnert an viele weitere Gregor-Figuren im Werk Handkes und ist wie diese nach dem Vorbild des Gregor Suitz, dem tatsächlichen Onkel und Taufpaten Handkes, angelegt, der 1943 in Russland an der Front ums Leben kam. In einem Brief, den Handke 1963 an seine Mutter schickte, berichtet er von einem Traum, in dem er selbst sich in der Gestalt seines Onkels Gregor im Krieg befindet und als dieser desertiert: „Er wollte desertieren, das begriff ich, denn ich war an seiner Stelle, und es war kein Unterschied zwischen uns“ (Höller 2007, 7). Das in diesem Brief geschilderte Traumszenario scheint in ''Immer noch Sturm'' für einen kurzen Moment zur ‚Wirklichkeit‘ zu werden, als sich Gregor – wenn auch abermals nur im Traum – an einem bestimmten Punkt entscheidet, nicht mehr an die Front zurückzukehren und sich stattdessen dem Partisanenkampf anschließt. Wenn das ‚Ich‘ und Gregor am Ende aufeinandertreffen und dieser vom ‚Ich‘ als „der Überlebende der drei Brüder meiner Mutter“ (InS 134) bezeichnet wird, widerspricht dies der Aussage eines anderen Bruders, Valentin, der sich zu Beginn vorstellt als „der einzige Sohn, der den Krieg überlebt hat“ (InS 14), sodass sich der Traum auch als ein Mittel erweist, Geschichte anders zu erzählen und zu schreiben.


==Einordnung==
==Einordnung==
''Immer noch Sturm ''ist ein sogenanntes Traumspiel. Als dramatisches Genre wurde das Traumspiel von August Strindberg mit seinem gleichnamigen Drama ''Ett drömspel'' (Ein Traumspiel, 1902) etabliert, das erstmals als Ganzes einen Traum darstellt. Ob der Ko-Präsenz von narrativem und dramatischem Darstellungsmodus verfügt ''Immer noch Sturm'' jedoch über eine Ebene, die in Strindbergs Stück selbst fehlt, in Strindbergs Vorbemerkung zu ''Ett drömspel ''gleichwohl besonders hervorgehoben wird: „Aber ein Bewußtsein steht über allen, das ist das des Träumers“ (Strindberg 1920, 144). Im Unterschied zu Strindbergs Stück, das ausschließlich aus der szenischen Darstellung des Traumgeschehens besteht, wird in ''Immer noch Sturm'' mit der Figur des träumenden Erzähler-‚Ich‘ das Bewusstsein des Träumers im Stück immer präsent gehalten. Aufgrund der Gleichzeitigkeit von Erzählen und Spielen kann ''Immer noch Sturm'' – in Anlehnung an Strindberg und gleichzeitig dessen Konzeption des Traumspiels weiterentwickelnd – als ein unmittelbar erzähltes Traumspiel bezeichnet werden.
''Immer noch Sturm ''ist ein sogenanntes Traumspiel. Als dramatisches Genre wurde das Traumspiel von August Strindberg mit seinem gleichnamigen Drama ''Ett drömspel'' (Ein Traumspiel, 1902) etabliert, das erstmals als Ganzes einen Traum darstellt. Ob der Ko-Präsenz von narrativem und dramatischem Darstellungsmodus verfügt ''Immer noch Sturm'' jedoch über eine Ebene, die in Strindbergs Stück selbst fehlt, in Strindbergs Vorbemerkung zu ''Ett drömspel ''gleichwohl besonders hervorgehoben wird: „Aber ein Bewußtsein steht über allen, das ist das des Träumers“ (Strindberg 1920, 144). Im Unterschied zu Strindbergs Stück, das ausschließlich aus der szenischen Darstellung des Traumgeschehens besteht, wird in ''Immer noch Sturm'' mit der Figur des träumenden Erzähler-‚Ich‘ das Bewusstsein des Träumers im Stück immer präsent gehalten. Aufgrund der Gleichzeitigkeit von Erzählen und Spielen kann ''Immer noch Sturm'' – in Anlehnung an Strindberg und gleichzeitig dessen Konzeption des Traumspiels weiterentwickelnd – als ein unmittelbar erzähltes Traumspiel bezeichnet werden.


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