"Historia de los dos que soñaron" (Jorge Luis Borges)

Aus Lexikon Traumkultur
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Historia de los dos que soñaron (dt. "Geschichte von den zweien, die träumten") ist der Titel einer ca. eine DIN-A4 Seite umfassenden Kurzgeschichte (span. "cuento") des berühmten argentinischen Autors Jorge Luis Borges (1899-1986). Sie erschien 1935 in der Erzählungssammlung Historia universal de la infamia (dt. "Universelle Geschichte der Infamie"). Es handelt sich um eine Adaptation der Erzählung von Nacht 351 aus der traditionellen arabischen Erzählungssammlung 1001 Nacht.


Inhalt des Cuentos

Das Cuento handelt von einem Mann in Kairo, dem im Traum ein Mann erscheint mit der Botschaft, sein Glück/Schicksal/Vermögen (span. "fortuna") sei in Isfaján in Persien und er solle es suchen. Nach einer gefahrenreichen Reise wird er in Isfaján gar fälschlicherweise für einen Räuber gehalten und verprügelt. Der Hauptmann fragt ihn schließlich nach dem Grund seines Aufenthaltes. Als er vom Traum des Ägypters hört, lacht er ihn aus und erzählt seinen eigenen Traum von einem Schatz unter einem Haus in Kairo. Der Mann kehrt zu seinem Haus zurück und findet den Schatz.

Analyse und Interpretation

In der kurzen Erzählung finden sich einige interessante und kontrastierende traumtheoretische Elemente:

Dem Mann aus Kairo erscheint im Traum ein Mann, der ihm eine Botschaft in Form einer prophetischen Information von einem weit entfernten Ort übermittelt, verbunden mit einer konkreten Handlungsanweisung: "Tú fortuna está en Persia, en Isfaján; vete a buscarla". (dt. "Dein Glück/Schicksal/Vermögen ist in Persien, in Isfaján; geh und such es".)
Die Form der direkten Rede steht hier in Kontrast zur nullfokalisierten heterodiegetischen Erzählweise zu Beginn des Cuentos. Der Traumtypus ist hier klar als Botschaftstraum zu identifizieren, wie man sie auch häufig im Kontext der griechisch-römischen antiken Literatur findet, etwa in den homerischen Epen (vgl. Engel 2016). Neben der Übermittlung einer zentralen, für die Wachrealität handlungsleitenden Botschaft, findet sich das gemeinsame Element, dass diese von einer konkret manifestierten, teils auch dem Träumer bekannten, Person oder gar einer göttlichen Gestalt übermittelt wird. Zudem fällt sie rhetorisch-sprachlich sehr klar und kohärent aus, nicht etwa traumtypisch bizarr wie es in der Literatur etwa des 20. Jahrhunderts mit dem Surrealismus gerne in der Literatur umgesetzt wird.
Die Folgen für die Wachrealität treten auch in diesem Cuento unmittelbar ein bzw. werden vom Protagonisten umgesetzt. Ohne weitere Erwähnung einer Reflexion oder gar eines Zweifelns an der Wahrheit dieser Traumbotschaft tritt die Figur nach dem Aufwachen sogleich ihre lange und darüber hinaus überaus beschwerliche Reise an. Es lauern zahlreiche Gefahren: Wüsten, Piraten, Flüsse, wilde Tiere und, interessanterweise, Menschen.
Und es wird ihm noch schlimmer ergehen: Da es bei seiner Ankunft Nacht ist, legt er sich auf dem Gelände einer Moschee zum Schlafen nieder. In der Nacht brechen Räuber in der Nachbarschaft ein und fliehen. Als Wächter die Moschee durchsuchen, finden sie nur den Mann aus Kairo und schlagen ihn bis er dem Tode nahe ist. Zwei Tage später erwacht er im Gefängnis.
Nach so viel Handlung innerhalb von wenig Text, wie es durchaus auch typisch für die literarische narrative Kurzform des Cuentos ist, folgt eine Unterhaltung mit dem Hauptmann, wieder in direkter Rede. Der Ägypter sagt die Wahrheit über seinen Traum und identifiziert das ihm prophezeite Glück/Schicksal/Vermögen ironisch mit den Peitschenhieben, die er erhielt.
Die Reaktion des Hauptmanns wird damit beschrieben, dass er den Ägypter intensiv auslacht und schließlich in einer verhältnismäßig langen Rede einen eigenen Traum detailliert beschreibt, dem er selbst jedoch explizit nicht den geringsten Wahrheitsgehalt zuschreibt:
"Hombre destinado y crédulo, tres veces he soñado con una casa en la ciudad de El Cairo, en cuyo fondo hay un jardín, un reloj de sol y después del reloj de sol una higuera y luego de la higuera una fuente y bajo la fuente un tesoro. No he dado el menor crédito a esa mentira. Tú, sin embargo, has ido de ciudad en ciudad, bajo la sola fe de tu sueño. Que no te vuelva a ver en Isfaján. Toma estas monedas y vete". (dt. "Berufener und leichtgläubiger Mann, drei Mal habe ich von einem Haus in der Stadt Kairo geträumt, in dessen Innern es einen Garten gibt, eine Sonnenuhr und nach der Sonnenuhr einen Feigenbaum und nach dem Feigenbaum einen Brunnen und unter dem Brunnen einen Schatz. Ich habe dieser Lüge nicht den geringsten Glauben geschenkt. Du jedoch bist von Stadt zu Stadt gegangen, allein unter dem Glauben an deinen Traum. Dass ich dich nicht mehr sehe in Isfaján. Nimm diese Münzen und geh".)
Bereits in der Anrede wird zunächst eine gewisse Ironie und dann der Vorwurf der Naivität erhoben. Bei dem Traum des Hauptmanns handelt es sich gar um einen dreifach wiederholten, quasi insistierenden Traum. Inhaltlich ist er parallel angelegt zu dem Traum des Ägypters zu Beginn der Geschichte: Er träumt ebenfalls von einem Schatz, nur umgekehrt in der Stadt des Anderen, in Kairo. Die Angaben zum genauen Aufenthaltsort des Schatzes sind dabei noch sehr viel konkreter. Bei der Nennung der Stadt Kairo horcht der Leser wohl bereits auf, das wäre arg viel des Zufalls. Spätestens aber bei der Nennung des Feigenbaums, der zu Beginn des Cuentos beiläufig erwähnt wurde als der Ort, wo der Ägypter eingeschlafen ist vor seinem Traum, mag sich die Ahnung entwickeln, dass in diesem Traum des persischen Hauptmanns das eigene Haus des Protagonisten erschien.
Die Traumkonzepte der beiden Figuren stehen sich diametral gegenüber: Auf der einen Seite steht der Ägypter, der felsenfest an den Wahrheitsgehalt seines Traums glaubt und in diesem Zusammenhang nicht zögert, einen langen beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen. Auf der anderen Seite steht der persische Hauptmann, der seinen Trauminhalt explizit als "Lüge" ("mentira") bezeichnet und Träumen folglich keinerlei Wahrheitsgehalt oder Verbindung mit der Wachrealität zugesteht. Geringschätzig und von oben herab behandelt er folglich auch die für ihn irrige Haltung des Ägypters. Dennoch ist er freundlich, gibt ihm Geld und lässt ihn gehen.
Dieses – hier zunächst von dem dominant auftretenden Hauptmann gegenüber dem verprügelten Inhaftierten auch dominant präsentierte – Konzept von Träumen wird sich jedoch letztlich fiktionsimmanent als falsch herausstellen und der Wahrheitsgehalt von Träumen wird unterstrichen. Denn es wird mit dem letzten Satz des Cuentos ganz lapidar festgestellt: "Debajo de la fuente de su jardín (que era la del sueño del capitán) desenterró el tesoro." (dt. "Unter dem Brunnen seines Gartens (der der aus dem Traum des Hauptmanns war) grub er den Schatz aus.")
Wie es auch für den Autor Borges typisch ist, wird hier nicht weiter kommentiert oder erklärt. Das bleibt dem Leser überlassen. Die Botschaft ist jedoch recht klar: Der Traum des Ägypters wies recht enigmatisch mit der Polysemie des Wortes "fortuna" auf Persien. Sein Glück/Schicksal/Vermögen sei dort. Nun war es in der Tat nicht direkt der Schatz, der dort verborgen war, sondern vielmehr mittelbar der Weg bzw. entscheidende Hinweis zum Schatz, der die ganze Zeit in seinem eigenen Garten lag. Nun kann man daraus im Sinne einer philosophisch-didaktischen Funktion von Literatur zwei Lehren ziehen: Einerseits die Aufforderung, das eigene Glück nicht immer an einem anderen Ort oder in einem anderen Menschen zu suchen, sondern im eigenen Umfeld und in sich selbst bzw. zufrieden sein mit dem, was man schon hat. Das erinnert an den populären Aphorismus: "Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah." Andererseits wäre der Ägypter wohl aber auch ohne diesen Traum und diese Reise nicht zum Schatz gelangt, nicht auf die Idee gekommen, unter dem eigenen Brunnen zu graben. Folglich waren diese Schritte notwendig auf dem Weg zum Ziel, eine gewisse Entwicklung. Was an einen weiteren Aphorismus erinnert: "Der Weg ist das Ziel." (s. auch den Artikel zu einem weiteren Cuento von Borges, das den Traum als Motiv verarbeitet, El Etnógrafo).

Fazit


Die Geschichte des Ägypters, der seinem Traum folgt, zunächst scheinbar scheitert und dann am Ende doch genau dadurch, dass er an den Wahrheitsgehalt des Traums geglaubt hat, über Umwege an sein Ziel bzw. an das prophezeite Glück/Vermögen gelangt, plädiert für eine Aufwertung von Trauminhalten und auch für den Weg zu einem Ziel. Der zunächst dominant erscheinende Hauptmann, der die Gegenauffassung vertritt – Träume als bloße Lügengebilde – und keine Anstrengung unternimmt, seinem Traum zu folgen, ist letztendlich der ignorante Ungläubige, dem der Schatz entgeht.


Nicole Häffner


Literatur

Ausgaben

  • Borges, Jorge Luis: Historia universal de la infamia. Buenos Aires: Ed. Tor 1935.
  • Borges, Jorge Luis: Historia de los dos que soñaron. In: Ders.: Obras completas. Bd. 2: 1923-1972. Buenos Aires: Emecé 1974, 338 f.

Engl. Übersetzung:

  • Borges, Jorge Luis: ###. In:Ders.: Collected Fictions. Übers. von Andrew Hurley. London: Penguin 1999, ###.

Dt. Übersetzungen:

  • Borges, Jorge Luis: ####. In: Ders.: Der Schwarze Spiegel. Übers. von Karl August Horst. München: Hanser 1961, ###.
  • Borges, Jorge Luis: Geschichte von den zweien, die träumten. In: Ders.: Gesammelte Werke. Hg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold. Bd. 5: Der Erzählungen erster Teil: Universalgeschichte der Niedertracht - Fiktionen - Das Aleph. Übers. von Karl August Horst, Wolfgang Luchting und Gisbert Haefs. München: Hanser 1991, 80 f.

Weitere Primärliteratur

Forschungsliteratur