"La vida es sueño" (Pedro Calderón de la Barca)

Aus Lexikon Traumkultur
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Das Theaterstück La vida es sueño von Pedro Calderón de la Barca (1600-1681) entstand um 1630 und wurde 1636 erstmals publiziert. Es gilt als eines der wichtigsten von geschätzten 10.000 bis 30.000 Theaterstücke der spanischen Barockzeit. Wie kaum ein anderes verknüpft es unterhaltendes Spiel mit philosophisch-theologischer Reflexion. Vor dem Hintergrund des christlichen Jenseitsglaubens befasst sich Calderón hier mit der Metapher, das diesseitige Leben sei aufgrund der unergründlichen göttlichen Vorsehung nicht mehr als ein Traum, aus dem man erst im Tode, der zum ewigen Leben führe, erwache. Die titelgebende Traummetapher wurde Sinnbild für die gesamte spanische Epoche, die durch stark kontrastierende Realitäten bestimmt war. 1676 verfasst Calderón unter dem gleichen Titel ein Fronleichnamsspiel (auto sacramental), das sich auf religiöse Themen konzentriert. Das auto scaramental ist nicht Gegenstand dieses Artikels.

Autor

Calderón, mit vollem Namen Pedro Calderón de la Barca y Barreda González de Henao Ruiz de Blasco y Riaño, lebte von 1600 bis 1681 in Madrid. Er stammte aus dem hohen spanischen Adel, verlor seine Eltern früh und wurde im Jesuitenkolleg von Madrid erzogen. Nach einem späteren Jurastudium und einer Zeit als Marinesoldat wurde er straffällig, als er den Duelltod seines Bruders rächen wollte. Ab 1620 zunächst für seine Lyrik bekannt, feierte er seine größten Erfolge mit seinen Theaterstücken, so dass ihm 1635 die Nachfolge des Hofdramatikers Félix Lope de Vega y Carpio übertragen wurden. 1650 trat Calderón in den Franziskanerorden ein und blieb als solcher für die Verfassung der Fronleichnamsfestspiele Madrids verantwortlich. Sein Dramenwerk umfasst 120 comedias (Dramen), 80 autos sacramentales (Fronleichnamsspiele), 15 fiestas (opernhafte Festspiele) und ca. 20 theatrale Kurzformen aus dem sog. teatro menor (entremeses, jácaras, mojigangas). Calderóns Werk gilt als Höhepunkt und Abschluss der barocken Bühnendichtung.

La vida es sueño

Entstehungsgeschichte

Zur Frage der zeitlichen Entstehung von La vida es sueño, das erstmals 1636 publiziert wurde, gibt es eine kontroverse Debatte (vgl. Cueto 1994). Der Nachweis der frühesten Aufführung stammt von López-Vázquez (2002), der für die Madrider Spielzeit von 1630-1631 eine Präsentation unter diesem Titel nennt. Demnach wäre die Entstehung des Dramas auf die Jahre 1629-1630 zu datieren. Diesem Zeitraum widerspricht jedoch die Tatsache, dass kein Dramentext zu dieser Erstaufführung überliefert ist und zudem das Stück einem anderen Autor zugesprochen wurde. Die Handlung der gedruckten, gesichert von Calderón stammenden Version von 1636 scheint auf astrologiekritische Werke Bezug zu nehmen, wie sie die Jesuiten Alexander de Angelis und Benedictus Pererius Anfang des 17. Jahrhundert auf Lateinisch publizierten (vgl. Ludwig 2005, 50). Sehr viel größer jedoch ist die Nähe des Dramas zu einer päpstlichen Bulle von 1631, in der Papst Urban VIII die Traum- und Sternendeutung unter Strafe stellt. Sie macht die Entstehung von Calderóns Stück ab 1631 wahrscheinlich.

Zukunftsdeutung in der spanischen Barockzeit

Die Zukunftsdeutung war auch im Barock eine weit verbreitete Praxis. Zur Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert wird geschätzt, dass es in Spanien trotz strikter Verbote mehr als 10.000 Traum- und Sternendeuter gab, mehrheitlich waren hier Frauen tätig (vgl. Kagan 1990, 37). Dem Aberglauben und dem Einfluss der Wahrsagerei versuchte die christliche Kirche mit großem Aufwand entgegenzuwirken. Es entstanden traumskeptische theologische Schriften wie Somnium Et Vigilia in Somnium Scipionis von Juan Luis Vives (1520), Tratado en el qual se repruevan todas las supersticiones y hechizerías: muy util y necessario a todos los buenos christianos zelosos de su salvacion von Pedro Ciruelo (1530) und Primera parte de los treynta y cinco dialogos familiares de la agricultura christiana des Franziskaners Juan Pérez de Pineda (1589) (vgl. Gantet 2005). Die spanische Inquisition stellte 1559, 1564 und 1571 in ihren Indices auctorum et librorum prohibitorum den Besitz und Vertrieb von Traumdeutungsbüchern unter Strafe. Der Vatikan veröffentliche innerhalb einer Zeitspanne von weniger als 50 Jahren (1586 und 1631) Bullen, die „gewisse Arten der Zukunftsdeutung und des Schadenzaubers wie Nekromatie, Wahrsagerei unter Anrufung von Dämonen, maleficium, veneficium von Hexen und Zauberern sowie astrologische Partikularprognostik“ (Mahlmann-Bauer 2005, 158) als Ketzerei und Häresie deklarierten und den Straffälligen mit Exkommunikation drohten. Doch nicht einmal die gefürchtete Inquisition konnte die proliferierende Oneirologie unterbinden. Auch trug die Religion selbst dazu bei, die Bedeutung der Träume zu unterstreichen. Zum einen liefert die Heilige Schrift den Gläubigen Beweise für die Existenz von Gott gesandter Träume, zum anderen wies die Kirche auch noch in der Barockzeit unter erneuter Verbreitung von Schriften wie De distinctione verarum visionum a falsis und De probatione spirituum von Jean Gerson (Anfang 14. Jh.) ihre Priester an, gebeichtete Träume zu analysieren (vgl. Kagan 1990, 36-43).

Inhalt

La vida es sueño behandelt das Schicksal des polnischen Prinzen Segismundo, der seit seiner Geburt in strenger Gefangenschaft lebt. Grund hierfür sind Träume, die seine Schlechtigkeit verkündeten. So träumte seine Mutter während der Schwangerschaft von einem Untier in ihrem Bauch, das sie zerreißen werde. Tatsächlich stirbt die Königin stirbt bei der Geburt des Sohnes. Das Geburtshoroskop des Kindes sagt weitere Untaten voraus, etwa den Vater von seinem Thron zu stürzen. Viele Jahre später, Segismundo ist bereits erwachsen geworden, steht die Übergabe der Monarchie an. Nur um sicher zu gehen, lässt Basilio seinen Sohn in den Palast bringen und einen Tag zur Probe regieren. Die düsteren Zukunftszeichen der Vergangenheit scheinen sich zu bewahrheiten: Der Prinz ist unbeherrscht, beleidigend, aufbrausend, brutal. Er tötet einen Diener, vergewaltigt fast eine Frau und bedroht den eigenen Vater. Segismundo wird überwältigt, betäubt und zurück ins Verlies gebracht. Und doch scheint die Vorbestimmung ihren Lauf zu nehmen: Der Prinz wird vom aufständischen Volk befreit und es gelingt ihm, die Truppen Basilios zu besiegen. Erst in der letzten Szene des letzten Aktes kommt es zur entscheidenden Wende. Als der Monarch sich dem Sohn unterwerfen will, zeigt sich Segismundo als geläuterter, guter Herrscher. Er versöhnt sich mit dem Vater und sorgt mit kluger, selbstloser Heiratspolitik für den legitimen Fortbestand seiner Dynastie.

Analyse

Das Drama umfasst drei Akte und 3319 Verse. Es enthält sowohl tragische als auch komische Elemente. Menschliches Träumen wird in drei verschiedenen Formen inszeniert; im Zentrum der Aussage steht die Leben-als-Traum-Metapher.

Traumbericht und Weissagungstraum

Ein Traumbericht findet sich in der 6. Szene des ersten Akts, in dem der König über lang zurückliegende Alpträume der Königin spricht. In diesen Träumen sei der Monarchin ein „Monster in Menschengestalt“ [1] („un monstruo en forma de hombre“; VS, V. 625) erschienen, das in ihrem Bauch lebe. Diese „Menschenschlange des Jahrhunderts“ („víbora humana del siglo“; (VS, V. 675), so die Träume, werde die Frau zerreißen. Als die Königin die Geburt Segismundos nicht überlebt, habe sich, so der König, die onirische Weissagung erfüllt („los presagios cumplidos“; VS, V. 677). Zudem sei die Geburt von weiteren, eine apokalyptische Zukunft andeutenden Ereignissen begleitet worden: eine totale Sonnenfinsternis, verheerende Erdbeben, Steinregen und blutige Flüsse (VS, V. 680-699). Die nachfolgende Befragung der Sterne durch den König habe ergeben, dass das Kind zu einem skrupellosen, grausamen und gottlosen Mann heranwachse, der den Vater unterwerfen und ein Reich des Lasters und des Verrats errichten werde (VS, V. 708-722). Basilio habe deshalb sein Kind für tot erklärt und es heimlich in Einsamkeit christlich erziehen lassen. Die Dramenhandlung setzt zwei Jahrzehnte später ein und präsentiert den König in einem tiefen Konflikt. Basilio möchte sein Land vor Schaden bewahren und den tyrannischen Sohn vom Thron fernhalten, sieht jedoch auch das Recht seiner Linie auf den Thron. Zudem will er prüfen, ob es ein Irrtum wahr, den Träumen und Sternbildern Glauben zu schenken – schließlich könnten schlechte Vorzeichen und Konstellationen auf den Willen eines Menschen zwar einwirken, sie müssten es aber nicht: „el ver cuánto yerro ha sido/ dar crédito fácilmente/ a los sucesos previstos;/ pues aunque su inclinación/ le dicte sus precipicios,/ quizá no le vencerán,/ porque el hado más esquivo,/ la inclinación más villena,/ el planeta más impío,/ sólo el albedrío inclinan, no fuerzan el albedrío.“ (VS, V. 781-791; „[Ich hole Segismundo,] um zu sehen, wie sehr es ein Irrtum war, den vorhergesehenen Ereignissen leichten Glauben zu schenken; denn obwohl seine Veranlagungen/ ihm [dem Menschen] Abstürze diktieren, werden sie ihn vielleicht nicht überwältigen, denn das flüchtige Schicksal, die niederträchtigste Neigung, der gottloseste Planet, können den Wille nur beugen, bezwingen müssen sie ihn jedoch nicht“). Mit dem ersten Monolog des Monarchen setzt das Drama seine zwei wesentlichen, tief im religiösen Diskurs wurzelnden Themen: die Frage nach der Wahrheit der Träume (und weiterer Zukunftsdeutungen wie von Horoskopen oder geomantischen Zeichen) auf der einen Seite sowie die Frage nach der Möglichkeit des Menschen, der Vorbestimmung durch eigenes Handeln entgegenzuwirken, auf der anderen.

Gespielter Traum; Legitimations- und Zukunftstraum

Neben dem Bericht vom Traum der Königin findet sich in der 18. Szene des 2. Akts ein auf der Bühne gespielter Traum. Nach seiner gescheiterten Probeherrschaft betäubt und erneut in den Turm gebracht, träumt Segismundo vor den Augen von Basilio und Clotado von Rache: „Segis[mundo] (en sueños.) Piadoso príncipe es/ el que castiga tiranos:/ muera Clotaldo a mis manos,/ bese mi padre mis pies. […] Salga a la anchurosa plaza/ del gran teatro del mundo/ este valor sin segundo. Porque mi venganza cuadre, vean triunfar de su padre/ al príncipe Segismundo.“ (VS, V. 2064–2077; „Ein frommer Fürst ist der, der Tyrannen straft: Clotaldo sterbe durch meine Hand, mein Vater küsse mir die Füße. [...] Auf den großen Platz des Welttheaters trete [meine] Tapferkeit unverzüglich. Und meine Rache hat sich erfüllt, wenn ihr den Prinzen Segismundo über seinen Vater triumphieren seht“). Auch im Schlaf erweist sich so die Schlechtigkeit der Prinzen. Der gespielte Traum hat eine doppelte analeptische Funktion – die Somniloquie verweist zunächst auf das unmittelbar vorausgehende Wüten des Prinzen, das sich im Schlaf verlängert. Darüber hinaus deutet sie auf den lang zurückliegenden mütterlichen Traum und das väterliche Horoskop zurück, deren Zeichen sich in der Gegenwart zu bestätigen scheinen. Damit wirkt Basilios Entscheidung, den Sohn gefangen zu halten, zweifach durch Träume legitimiert, den früheren Traum der Königin und den aktuellen Hass-Traum des Prinzen. Zur analeptischen Funktion des gespielten Traums kommt eine proleptische Dimension, die in der blutigen Zukunft liegt, die Segismundo den Männern androht: „CLOTALDO. Con la muerte me amenaza./ BASILIO. A mí con rigor y afrenta./ CLOTALDO. Quitarme la vida intenta./ BASILIO. Rendirme a sus plantas traza.“ (VS, V. 2068-2071; „CLOTALDO. Er droht mir mit dem Tod. BASILIO. Mir mit Strenge und Beleidigung. CLOTALDO. Das Leben will er mir nehmen. BASILIO. Mich will er mit Füßen treten“). Die Szene verweist auch auf die verbreitete Divinationspraxis in den Herrscherhäusern der Zeit (König und Berater deuten gemeinsam den Traum) und die Relevanz der Traumdeutung für zukunftsorientierte Handlungen: König und Berater beschließen, den Prinzen weiter im Kerker zu halten.

Traumspiel im Spiel, Leben als Traum-Metapher

Nach dem Gewalttraum des Prinzen, induziert durch einen Betäubungstrank, wechselt das Drama seine Traumkonzeption: Nicht der Glaube an die Weissagungskraft der von Menschen geträumten Träume soll zukunftsbezogene Handlungen leiten, sondern das Wissen, das ganze Leben sei nichts anderes als ein langer Traum, aus dem man erst im Tode – vor Gott – erwache. Diesen Umschwung führt eine nachträgliche Umdeutung des Geschehens herbei. Als Segismundo im Turm wieder zu sich kommt, behauptet sein Erzieher Clotaldo, er habe die Ereignisse im Palast nur geträumt. Damit wird der Auftritt des Prinzen und ein Großteil der Handlung in der segunda jornada nachträglich zu einem gespielten, inszenierten Traum, die Palast-Episode zu einem Traumspiel im Spiel. Fortan kann Segismundo nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden, erscheint ihm doch die Welt des Turms so real wie die des Palasts, welchen er ja nur geträumt haben soll: „Y no estoy muy engañado;/ porque si ha sido soñado,/ lo que vi palpable y cierto,/ lo que veo será incierto;/ y no es mucho que rendido,/ pues veo estando dormido,/ que sueñe estando despierto.“ (VS, V. 2100–2107; „Und wurde ich nicht sehr getäuscht; denn wenn es geträumt war, was ich sah, greifbar und gewiss, muss sein, was ich sehe, ungewiss; und es ist nicht viel, was sich hieraus ergibt, denn ich sehe schlafend, dass ich träume, da ich wach bin“). Die metaphysische Verwirrung Segismundos nutzt Clotaldo für die Überbringung der zentralen Lehre des Dramas: „tus sueños imperios han sido,/ mas en sueños fuera bien/ entonces, honrar a quien/ te crió en tantos empeños,/ Segismundo, que aún en sueños/ no se pierde el hacer bien.“ (VS, V. 2146–2157; „Träume waren Deine Königreiche, aber doch wäre es richtig, auch in Träumen den zu ehren, der Dich so sorgfältig erzog, Segismundo, denn sogar in Träumen darf man nicht vergessen, gut zu handeln“). Es folgt der wohl bekannteste Monolog des spanischen Theaters. In achtsilbigen Dezimen verkündet der Prinz die ‚Wahrheit von der Welt als Traum‘, wonach der Mensch seine Existenz auf Erden lediglich träume. Der König, der Reiche, der Arme, alle träumten nur, ohne es zu wissen: „en el mundo, en conclusión,/ todos sueñan lo que son, aunque ninguno lo entiende.“ (VS, V. 2175-2177). Dieses Irrtums werde man sich erst durch den Tod bewusst, was Calderón mit dem Oxymoron des „Erwachens im Traum des Todes“ fasst.

La vida es sueño Das Leben ist ein Traum
Es verdad; pues reprimamos

esta fiera condición, […] que el vivir sólo es soñar; y la experiencia me enseña, que el hombre que vive, sueña lo que es, hasta despertar […] en el sueño de la muerte!

Sueña el rico en su riqueza, que más cuidados le ofrece; sueña el pobre que padece su miseria y su pobreza; […].

¿Qué es la vida? Un frenesí. ¿Qué es la vida? Una ilusión, una sombra, una ficción, y el mayor bien es pequeño: que toda la vida es sueño, y los sueños, sueños son.

(VS, V. 2149–2187)

Wahr ist es; es gilt zu zäumen

Meines Mutes jähes Beben [...] Wo das Leben Traum nur heißt. Was mir selbst geschah, beweist, Daß wir unser Sein nur träumen [...] Bis man uns dem Schlaf entreißt. [Sieht er, daß er erst erwacht,] Wenn er schläft in Todesnacht?

Vom Reichtum träumt der Reiche, Der ihm stets nur Sorgen schickt. Und der Arme, leidbedrückt, Träumt, daß seine Not nie weiche. [...]


Was ist das Leben? Irrwahn bloß! Was ist das Leben? Eitler Schaum, Truggebild, ein Schatten kaum, Und das größte Glück ist klein; Denn ein Traum ist alles Sein, und die Träume selbst sind Traum.

(LT, 62–63)

Mit der These, der Mensch könne nicht zwischen (Wach)Leben und Traum unterscheiden, greift Calderón auf das bereits in der Antike existente Wissen über die „Verwechselbarkeit der sinnlichen Wachwelt mit der Sinnlichkeit der Traumwelt“ (Gehring 2008, 21) zurück. Wie etwa Platon und Aristoteles feststellten, existiert aus philosophischer Sicht „[l]ogisch gesehen […] kein Ort, von dem her Traumerleben und Wachwirklichkeit […] objektiv unterscheidbar sind“ (Gehring 2008, 19). Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ein Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des obrar bien, das der libre albedrío, die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. La vida es sueño ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des Siglo de oro u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von passio zu ratio“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240). Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado/ del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS, V. 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel [...]; so viele blaue Seiten [...], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS, V. 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT, 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005: 40). Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte.

Fazit

Das spanische Barocktheater hatte eine wichtige didaktische, wenn man so will, propagandistische Funktion. Mit der in nuce vorgeführten Wandlung des Prinzen zum Guten soll auch das Publikum zu einem besseren Handeln und der Kontrolle seiner Affekte geführt werden. Zugleich ergeht die Mahnung an die Herrschenden, sich nicht durch falsche Zukunftsdeutung zu falschem Handeln bewegen zu lassen (vgl. Schmidt/Weber 2008, 23). Calderón de la Barca setzt zur Übermittlung seiner religiös motivierten Lehre verschiedene Formen der theatralen Traumrepräsentation ein: den Traumbericht, den gespielten Traum und ein nachträglich als Traum deklariertes Geschehen, welches so zu einem Traumspiel im Spiel wird. Die Träume bereichern die Inszenierung, haben analeptische und proleptische Funktion und werden mehrfach zur Legitimation von Handlungen herangezogen. Alle drei Träume zeigen aber auch, dass Träume keine gesicherte Zukunftsaussage geben. Das bedeutet nicht, dass Sterne oder Träume keine Zukunftszeichen enthielten. Im Gegenteil: In den Sternen steht Gottes Wille geschrieben, nur können wir ihn nicht lesen. Und es gibt wahre, sich erfüllende Zukunftsträume (der Todestraum der Königin), sowie Träume, die sich als falsch erweisen (Segismundos Rachetraum). Die wichtigste philosophische Botschaft des Dramas ist ebenfalls auf den Traum bezogen: das Sinnbild vom irdischen Leben als trügerische Traum-Täuschung, aus dem man erst in der Wahrheit des Todes erwacht. Mit dieser Leben-als-Traum-Metapher verknüpft Calderón die Kontroverse um die Divinationspraktiken mit der seinerzeit insbesondere von Jesuiten debattierte Frage, wie sich göttliche Determination und freier Willen zueinander verhalten. Angesichts der Ununterscheidbarkeit zwischen Traum und Wachwelt gelte, im Wachen wie im Träumen Gutes zu tun, denn letztlich seien beide Sphären vor Gott gleich.

Der Möglichkeit, über Sternenkonstellationen oder Träume die Zukunft erkennen und diese durch präventive Handlungen beeinflussen zu können, wird in Calderóns Drama eine sehr klare Absage erteilt, wodurch ein direkter Bezug des Dramas zu einer päpstlichen Bulle gegen weltliche Formen der Zukunftsdeutung aus dem Jahr 1631 erkennbar ist. Gleichwohl kommt in Calderóns Drama dem Traum, anders als der Astrologie, eine besondere Bedeutung zu. Als Metapher der conditio humana darf und muss der Traum den Menschen beeinflussen, ihn von der Tragweite seines Handelns und der Notwendigkeit, das Tun auf ›gute‹ Prinzipien zu stellen, überzeugen. Das Drama über das Leben als/im Traum-Modell vereint damit die konträrsten Strömungen seiner Zeit: Es vollführt die „Diskursrenovatio“ (Küpper 1990) der mittelalterlichen Handlungsmoral des Christentums und öffnet über die Option der Willensfreiheit zugleich einen Aktionsspielraum für das neuzeitliche Subjekt. Und nicht zuletzt zeigt sich hier bereits das ästhetische Potential des Traums, das erst ab der Aufklärung volle Entfaltung findet: Es ist der Traum, mit dem Pedro Calderón de la Barca in seinem meisterhaften Drama La vida es sueño ein „Erprobungsfeld poetischer Selbstreferenz“ (Alt 2011, 108) öffnet, es ist die (Theater)kunst, die allein „die Traumlogik des Lebens wahrhaft zutage [fördert]“ (Alt 2011, 110).

Janett Reinstädler

Literatur

Ausgaben

  • Calderón de la Barca, Pedro: La vida es sueño. Hg. von Ciriaco Morón. Madrid: Cátedra 312008 (= zitierte Ausgabe, Sigle: VS).
  • Calderón, D. Pedro: La vida es sueño. In: Parte treynta de comedias famosas de varios autores. En Çaragoça: en el Hospital Real y General de Nuestra Señora de Gracia 1636, 127-173 (= Erstausgabe).

Übersetzung

  • Calderón de la Barca, Pedro: Das Leben ist ein Traum. Schauspiel in drei Akten. Nachdichtung u. Nachwort v. Eugen Gürster. Stuttgart: Reclam 21998 (= Sigle LT).

Forschungsliteratur

  • Alt, Peter-André: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München: Beck 2002.
  • Bannasch, Bettina, Butzer, Günter: Das Verschwinden des Anderen im Ich: Affektregulierung und Gedächtnisprägung in Mediation und Emblematik. In: Ina Schabert u. Michaela Boenke (Hrsg.): Imaginationen des Anderen im 16. und 17. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 2002. S. 159–181.
  • Berger, Wilhelm Richard: Der träumende Held. Untersuchungen zum Traum in der Literatur. Aus dem Nachlass herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Norbert Lennartz. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. S. 7–41.
  • Ciruelo, Pedro: Tratado en el qual se repruevan todas las supersticiones y hechizerías: muy util y necessario a todos los buenos christianos zelosos de su salvacion. Barcola: o. V. 1530.
  • Cueto, Ronald: Quimeras y sueños. Los profetas y la Monarquía Catolica de Felipe IV. Valladolid: Universidad de Valladolid 1994.
  • Gantet, Claire: Der Traum in der Frühen Neuzeit. Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte. Berlin: de Gruyter 2010.
  • Gehring, Petra: Traum und Wirklichkeit. Zur Geschichte einer Unterscheidung. Frankfurt am Main: Campus 2008.
  • Kagan, Richard L.: Lucrecia’s dreams. Politics and Prophecy in Sixteenth-Century Spain. Berkeley u. a.: University of California Press 1990.
  • Küpper, Joachim: Diskurs-Renovatio bei Lope de Vega und Calderón: Untersuchungen zum spanischen Barockdrama; mit e. Skizze zur Evolution der Diskurse in Mittelalter, Renaissance u. Manierismus. Tübingen: Narr 1990.
  • Ludwig, Walther: Zukunftsvoraussagen in der Antike, der frühen Neuzeit und heute. In: Klaus Bergdolt u. Walther Ludwig (Hrsg.): Zukunftsvoraussagen in der Renaissance. Wiesbaden: Harrassowitz 2005. S. 9–64.
  • Mahlmann-Bauer, Barbara: Die Bulle contra astologiam iudicariam von Sixtus V., das astrologische Schrifttum protestantischer Autoren und die Astrologiekritik der Jesuiten. Thesen über einen vermuteten Zusammenhang. In: Klaus Bergdolt u. * Walther Ludwig (Hrsg.): Zukunftsvoraussagen in der Renaissance. Wiesbaden: Harrassowitz 2005. S. 142–222.
  • Pérez de Pineda, Juan: Primera parte de los treynta y cinco dialogos familiares de la agricultura christiana. Salamanca: o. V. 1589.
  • Rodríguez López-Vázquez, Alfredo: La fecha de „La vida es sueño“. Composición y estreno de „La vida es sueño“ y el entremés „La maestra de Gracias“, atribuido a Belmonte: 1630–31 por la compañía de Cristóbal de Avendaño. In: Kurt u. Theo Reichenberger (Hrsg.): Calderón: protagonista eminente del barroco europeo. Bd. 2. Kassel: Reichenberger 2002. S. 1–17.
  • Schmidt, Peer: Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertät“. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart: Metzler 2001.
  • Schmidt, Peer/Gregor Weber: Traumkulturen in den frühneuzeitlichen Gesellschaften. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Traum und res publica. Traumkulturen in den frühneuzeitlichen Gesellschaften im Europa von Renaissance und Barock. Berlin: Akademie 2008. S. 9–25.
  • Seybold, Klaus: Der Traum in der Bibel. In: Therese Wagner-Simon u. Gaetano Benedetti (Hrsg.): Traum und Träumen. Traumanalysen in Wissenschaft, Religion und Kunst. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984. S. 32–54.
  • Teuber, Bernhard: La vida es sueño. In: Volker Roloff u. Harald Wentzlaff-Eggebert (Hrsg.): Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Düsseldorf: Schwann Bagel 1988. S. 146–162.
  • Vives, Juan Luis: Somnium et Vigilia in Somnium Scipionis [1520]. Edition, Einführung und Übersetzung von Edward v. George. Greenwood SC: Attic Press 1989.
  • Weber, Gregor: Träume und ihre Deutung. Kontinuitäten und Rezeptionen von der Antike zur Renaissance. In: Peer Schmidt u. Gregor Weber (Hrsg.): Traum und res publica. Traumkulturen in den frühneuzeitlichen Gesellschaften im Europa von Renaissance und Barock. Berlin: Akademie Verlag 2008. S. 27–56.
  • Xuan, Jing: Geträumtes Leben, gespielte Macht. La vida es sueño von Pedro Calderón de la Barca als Allegorie der frühneuzeitlichen Legitimationskrise. In: Mark Föcking u. Bernhard Huss (Hrsg.): Varietas und Ordo. Stuttgart: Franz Steiner 2003. S. 239–251.


Anmerkungen

  1. Die Übersetzungen stammen, sofern nicht anders angegeben von der Autorin.


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Reinstädler, Janett: „La vida es sueño“ (Pedro Calderón de la Barca). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2024; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22La_vida_es_sue%C3%B1o%22_(Pedro_Calder%C3%B3n_de_la_Barca).