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''8 ½'' beginnt mit der Darstellung eines Angsttraums (00:00:10 – 00:02:45). Unterlegt von dumpfen Paukenschlägen wird der Protagonist Guido Anselmi gezeigt, der sich mit seinem Wagen in einem Verkehrsstau kurz vor dem Ausgang eines Tunnels befindet. Die Insassen der anderen Fahrzeuge taxieren Guido mit starren Blicken. Wie sich später herausstellt, handelt es sich um allerlei Personen aus seinem sozialen und beruflichen Umfeld. Guidos Wagen füllt sich allmählich mit Rauch. Nach einigen panischen Fluchtversuchen gelingt es dem Träumenden schließlich, fliegend durch die Dachluke zu entkommen. Hoch in den Wolken erspäht er die monumentale Kulisse seines gegenwärtigen Filmprojekts, woraufhin die Szenerie jäh an einen Strand wechselt. Lachend navigiert Claudias Pressemanager den von einer um seinen Fuß geschlungenen Schnur gehaltenen Guido wie einen Papierdrachen. Ein neuerlicher Befreiungsversuch seinerseits misslingt. Claudias Agent, geschmückt mit Löwenkopfemblem und auf einem Pferd sitzend, blättert wütend in einem dünnen Skript und urteilt: „Giú, definitivamente!“ (dt. „Endgültig runter!“). Aus seinem freien Fall erwacht Guido schließlich hyperventilierend, desorientiert und von Ärzten bedrängt in seinem Bett im Kurort.
 
''8 ½'' beginnt mit der Darstellung eines Angsttraums (00:00:10 – 00:02:45). Unterlegt von dumpfen Paukenschlägen wird der Protagonist Guido Anselmi gezeigt, der sich mit seinem Wagen in einem Verkehrsstau kurz vor dem Ausgang eines Tunnels befindet. Die Insassen der anderen Fahrzeuge taxieren Guido mit starren Blicken. Wie sich später herausstellt, handelt es sich um allerlei Personen aus seinem sozialen und beruflichen Umfeld. Guidos Wagen füllt sich allmählich mit Rauch. Nach einigen panischen Fluchtversuchen gelingt es dem Träumenden schließlich, fliegend durch die Dachluke zu entkommen. Hoch in den Wolken erspäht er die monumentale Kulisse seines gegenwärtigen Filmprojekts, woraufhin die Szenerie jäh an einen Strand wechselt. Lachend navigiert Claudias Pressemanager den von einer um seinen Fuß geschlungenen Schnur gehaltenen Guido wie einen Papierdrachen. Ein neuerlicher Befreiungsversuch seinerseits misslingt. Claudias Agent, geschmückt mit Löwenkopfemblem und auf einem Pferd sitzend, blättert wütend in einem dünnen Skript und urteilt: „Giú, definitivamente!“ (dt. „Endgültig runter!“). Aus seinem freien Fall erwacht Guido schließlich hyperventilierend, desorientiert und von Ärzten bedrängt in seinem Bett im Kurort.
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Die Kameraführung ist vom Flugerlebnis abgesehen, welches als rasanter Point of View-Shot umgesetzt wird, nicht an den Blick der Hauptfigur gebunden, aber dennoch subjektiviert. Guidos Angst vor dem Ersticken etwa wird mittels unruhig umherschweifender Kamerafahrten und Zitterschwenks emphatisiert. Seine verzweifelten Schläge gegen die Windschutzscheibe bringen den Bildausschnitt zum Beben. Während der gesamten Traumsequenz bis noch deutlich nach dem Erwachen der Hauptfigur ist ihr Gesicht nicht zu sehen.
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Die Kameraführung ist vom Flugerlebnis abgesehen, welches als rasanter ''Point of View Shot'' umgesetzt wird, nicht an den Blick der Hauptfigur gebunden, aber dennoch subjektiviert. Guidos Angst vor dem Ersticken etwa wird mittels unruhig umherschweifender Kamerafahrten und Zitterschwenks emphatisiert. Seine verzweifelten Schläge gegen die Windschutzscheibe bringen den Bildausschnitt zum Beben. Während der gesamten Traumsequenz bis noch deutlich nach dem Erwachen der Hauptfigur ist ihr Gesicht nicht zu sehen.
    
====Traumhaftigkeit====
 
====Traumhaftigkeit====
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==Filmgeschichtliche Einordnung==
 
==Filmgeschichtliche Einordnung==
Federico Fellini gilt gemeinhin als Autorenfilmer. ''8 ½'' wurde von der Kritik enthusiastisch aufgenommen und galt für viele als Beweis, dass die Filmkunst dazu in der Lage war, anspruchsvoller und komplexer als die modernsten Werke der modernen Literatur zu sein (Quilliot 2014, 121f). Nach Peter Wuss lässt sich der Film einem transnationalen Gruppenstil der frühen 1960er Jahre zurechnen, der sich durch einen Bedeutungszuwachs der Darstellung von mentalem Geschehen in der Filmkunst auszeichnete und dem neben Fellini u.a. Regisseure wie Alain Resnais, Ingmar Bergman, Luis Buñuel und Nagisa Okushima angehörten (Wuss 1998, 94). Thomas Koebner schlägt in diesem Zusammenhang den Begriff des „Zweiten Surrealismus“ vor, für den eine entgrenzte Realitätsauffassung charakteristisch sei, „die sowohl die Wahrnehmung einer von Dritten überprüfbaren, einer äußeren Wirklichkeit, und die Vorstellungen einer aus Einbildungskraft hervorgebrachten inneren Welt in gleicher Weise wertet, die also Träumen, Halluzinationen und Visionen […] dieselbe Gültigkeit zuspricht wie Aufzeichnungen der Außenwelt“ (Koebner 2010, 208). Vor 8 ½ sah man in Fellini hingegen einen Hauptvertreter des Italienischen Neo-Realismus (ebd., 207).
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Federico Fellini gilt gemeinhin als Autorenfilmer. ''8 ½'' wurde von der Kritik enthusiastisch aufgenommen und galt für viele als Beweis, dass die Filmkunst dazu in der Lage war, anspruchsvoller und komplexer als die modernsten Werke der modernen Literatur zu sein (Quilliot 2014, 121 f). Nach Peter Wuss lässt sich der Film einem transnationalen Gruppenstil der frühen 1960er Jahre zurechnen, der sich durch einen Bedeutungszuwachs der Darstellung von mentalem Geschehen in der Filmkunst auszeichnete und dem neben Fellini u.a. Regisseure wie Alain Resnais, Ingmar Bergman, Luis Buñuel und Nagisa Okushima angehörten (Wuss 1998, 94). Thomas Koebner schlägt in diesem Zusammenhang den Begriff des „Zweiten Surrealismus“ vor, für den eine entgrenzte Realitätsauffassung charakteristisch sei, „die sowohl die Wahrnehmung einer von Dritten überprüfbaren, einer äußeren Wirklichkeit, und die Vorstellungen einer aus Einbildungskraft hervorgebrachten inneren Welt in gleicher Weise wertet, die also Träumen, Halluzinationen und Visionen […] dieselbe Gültigkeit zuspricht wie Aufzeichnungen der Außenwelt“ (Koebner 2010, 208). Vor ''8 ½'' sah man in Fellini hingegen einen Hauptvertreter des Italienischen Neo-Realismus (ebd., 207).
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Es muss hervorgehoben werden, dass die surrealistischen Anleihen des Films keine völlige Abkehr vom Realismus bedeuten. Wenn Fellini die subjektiven Bewusstseinszustände seines Protagonisten in der Art eines ''Stream of Consciousness''-Narrativs zeigt (Bondanella 2002, 98), bemüht er sich durchaus um eine realistische und psychologisch nachvollziehbare Darstellungsweise, die nichts mit dem Verfahren der ''Écriture automatique'' gemein hat und im Unterschied zum surrealistischen Grundgedanken das Vorhandensein einer objektiv gegebenen äußeren Wirklichkeit nicht negiert.
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Es muss hervorgehoben werden, dass die surrealistischen Anleihen des Films keine völlige Abkehr vom Realismus bedeuten. Wenn Fellini die subjektiven Bewusstseinszustände seines Protagonisten in der Art eines ''Stream of Consciousness''-Narrativs zeigt (Bondanella 2002, 98), bemüht er sich durchaus um eine realistische und psychologisch nachvollziehbare Darstellungsweise, die nichts mit dem Verfahren der ''Écriture automatique'' gemein hat und im Unterschied zum surrealistischen Grundgedanken das Vorhandensein einer objektiv gegebenen äußeren Wirklichkeit nicht negiert.
    
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