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Hubert Fichte wurde am 21. März 1935 in Perleberg geboren. Seinen Vater, der als Jude nach Schweden emigrierte, um vor den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten sicher zu sein, lernt er nie kennen. Von seiner Mutter Dora mit Hilfe ihrer Großeltern in Lokstedt großgezogen, verbringt Fichte als Kind ein Jahr (1942/43) im Waisenhaus der Stadt Schrobenhausen. Bereits in seiner Jugend ist Fichte als Kinderdarsteller aktiv. 1949 lernt der damals vierzehnjährige den Hamburger Schriftsteller Hans Henny Jahnn (1894-1959) kennen. Ein Jahr danach trifft er die Fotografin Leonore Mau (1916-2013). Nach einer Landwirtschaftslehre in Holstein verbringt Fichte ein Jahr in einem Heim für schwererziehbare Kinder in Järna, Schweden. Durch einen Aufenthalt in Frankreich, lernt er den Maler Serge Fioro kennen, mit dem er einige Zeit zusammenlebt. Ab 1962 arbeitet er als freier Schriftsteller und zieht 1963 mit Leonore Mau in eine Wohngemeinschaft nach Othmarschen. Im Jahr 1968 erscheint Fichtes Roman ''Die Palette''. In den folgenden Jahren reisen Fichte und Mau zum Studium der afrobrasilianischen Religionen nach Bahia des Todos os Santos und nach Haiti, um den Vadou zu studieren. Die kommenden Jahrzehnte sind von weiteren ethnologischen Forschungsreisen bestimmt, die Fichte zum Material für seine Bücher werden. Als unheimlich produktiver Autor war er nicht nur als Verfasser von Büchern und Artikeln für Zeitschriften und Zeitungen tätig; er zeichnet auch als Radioautor (in Kooperation mit Peter Michael Ladiges) für die Texte einer Vielzahl von Hörspielen und Features verantwortlich.
 
Hubert Fichte wurde am 21. März 1935 in Perleberg geboren. Seinen Vater, der als Jude nach Schweden emigrierte, um vor den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten sicher zu sein, lernt er nie kennen. Von seiner Mutter Dora mit Hilfe ihrer Großeltern in Lokstedt großgezogen, verbringt Fichte als Kind ein Jahr (1942/43) im Waisenhaus der Stadt Schrobenhausen. Bereits in seiner Jugend ist Fichte als Kinderdarsteller aktiv. 1949 lernt der damals vierzehnjährige den Hamburger Schriftsteller Hans Henny Jahnn (1894-1959) kennen. Ein Jahr danach trifft er die Fotografin Leonore Mau (1916-2013). Nach einer Landwirtschaftslehre in Holstein verbringt Fichte ein Jahr in einem Heim für schwererziehbare Kinder in Järna, Schweden. Durch einen Aufenthalt in Frankreich, lernt er den Maler Serge Fioro kennen, mit dem er einige Zeit zusammenlebt. Ab 1962 arbeitet er als freier Schriftsteller und zieht 1963 mit Leonore Mau in eine Wohngemeinschaft nach Othmarschen. Im Jahr 1968 erscheint Fichtes Roman ''Die Palette''. In den folgenden Jahren reisen Fichte und Mau zum Studium der afrobrasilianischen Religionen nach Bahia des Todos os Santos und nach Haiti, um den Vadou zu studieren. Die kommenden Jahrzehnte sind von weiteren ethnologischen Forschungsreisen bestimmt, die Fichte zum Material für seine Bücher werden. Als unheimlich produktiver Autor war er nicht nur als Verfasser von Büchern und Artikeln für Zeitschriften und Zeitungen tätig; er zeichnet auch als Radioautor (in Kooperation mit Peter Michael Ladiges) für die Texte einer Vielzahl von Hörspielen und Features verantwortlich.
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Hubert Fichte starb am 8. März 1986 im Alter von 51 Jahren im Hafenkrankenhaus in Hamburg an den Folgen einer AIDS-Erkrankung.
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Hubert Fichte stirbt am 8. März 1986 im Alter von 51 Jahren im Hafenkrankenhaus in Hamburg an den Folgen einer AIDS-Erkrankung.
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Der Roman ist in seinem formalen Aufbau somit eine Gegenthese zum "Gesetz der schrumpfenden Glieder" des Korans. Dass sich dieses Anschreiben gegen den Koran auch auf inhaltlicher Ebene wiederfinden lässt, soll nicht Teil dieses Artikels sein, lässt sich aber im gesamten Text belegen.<ref>Nicht nur übersetzt Jäcki den Koran aus der französischen Pléiade-Ausgabe ins Deutsche und montiert einige der übersetzten Suren in den Romantext. Der Koran als Symbol für den aufkommenden religiösen Konservatismus Marokkos macht das Anschreiben gegen den Koran damit auch zu einem Anschreiben und Protest gegen die soziopolitischen Veränderungen Marokkos; vgl. zu den Koran-Übersetzungen GP 14, 46, 207, zum Koran als Symbol für soziopolitische Veränderungen GP 66, 217 f. Mit den im Romantext verstreuten Koranübersetzungen setzt sich Hartmut Böhme intensiver auseinander (Böhme 1992). </ref>
 
Der Roman ist in seinem formalen Aufbau somit eine Gegenthese zum "Gesetz der schrumpfenden Glieder" des Korans. Dass sich dieses Anschreiben gegen den Koran auch auf inhaltlicher Ebene wiederfinden lässt, soll nicht Teil dieses Artikels sein, lässt sich aber im gesamten Text belegen.<ref>Nicht nur übersetzt Jäcki den Koran aus der französischen Pléiade-Ausgabe ins Deutsche und montiert einige der übersetzten Suren in den Romantext. Der Koran als Symbol für den aufkommenden religiösen Konservatismus Marokkos macht das Anschreiben gegen den Koran damit auch zu einem Anschreiben und Protest gegen die soziopolitischen Veränderungen Marokkos; vgl. zu den Koran-Übersetzungen GP 14, 46, 207, zum Koran als Symbol für soziopolitische Veränderungen GP 66, 217 f. Mit den im Romantext verstreuten Koranübersetzungen setzt sich Hartmut Böhme intensiver auseinander (Böhme 1992). </ref>
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Für Teichert kann ''Der Platz der Gehenkten'' als "Höhepunkt jener kompositorischer Prinzipien" (Teichert 1987, 277) gesehen werden, die Fichte in früheren Werken bereits entwickelt und erprobt hat. Dass es sich dabei um musikalische und kompositorische Prinzipien handeln könnte, legt Teichert in seinen weiteren Ausführungen zwar nahe, führt es aber nicht weiter aus. Der ''Der Platz der Gehenkten'' weist zwar eine ganz eindeutige Form auf, orientiert sich jedoch weniger an den von Teichert nur vage angedeuteten kompositorischen Prinzipien, sondern stärker an der Suren-Struktur des Korans, als dessen formale Antithese sich der Roman versteht.
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Für Teichert kann ''Der Platz der Gehenkten'' als "Höhepunkt jener kompositorischer Prinzipien" (Teichert 1987, 277) gesehen werden, die Fichte in früheren Werken bereits entwickelt und erprobt hat. Dass es sich dabei um musikalische und kompositorische Prinzipien handeln könnte, legt er in seinen weiteren Ausführungen zwar nahe, führt es aber nicht weiter aus. Der ''Der Platz der Gehenkten'' weist zwar eine ganz eindeutige Form auf, orientiert sich jedoch weniger an den von Teichert nur vage angedeuteten kompositorischen Prinzipien, sondern stärker an der Suren-Struktur des Korans, als dessen formale Antithese sich der Roman versteht.
 
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Dieser Lesart entspricht auch die Anmerkung der Herausgeberin des Romans Gisela Lindemann, wenn sie schreibt, dass der Roman "mit deren zentraler literarischer Manifestation: dem Koran" (Lindemann, in: Fichte 1989b, 21) korrespondiere. Die Übersetzung des Koran aus der französischen Pléiade-Ausgabe wird dabei zum Anlass der narrativen Instanz genommen, nicht nur über das Verhältnis der Bibel und des Korans nachzudenken, sondern auch die formale Struktur des Korans in den Fokus zu rücken. Aus der Einsicht, dass die Texte, aus denen der Koran besteht, von Sure zu Sure kürzer werden, stellt Fichte das Strukturprinzip seines eigenen Romans entgegen, der ebenso aus Texten besteht, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen: "Ich möchte das Gesetz der schrumpfenden Glieder durch das Gesetz der wachsenden Glieder ausgleichen" (Fichte 1989b, 13). Verknüpft mit der Frage nach Kürze oder Länge sowohl der Suren als auch der Texte des eigenen Romans steht Fichte aber vor der Frage, wie sich diese Kürze und Länge metrisch bestimmen lasse. Mit einem Verweis auf einem Dr. Bahlmann, erwähnt er zudem, dass "die Wiederholung [...] das poetische Prinzip der Bibel" (Fichte 1989b, 13) sei. Ein Blick in den Roman zeigt, dass dieses hier nur angerissene poetische Prinzip der Wiederholung im Rahmen eines Fünfzeilers einer Traumdarstellung als strukturierendes Element auftaucht.
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== Interpretationen des Romans ==
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Das Forschungsinteresse an Hubert Fichte, der allgemeinhin als Vorreiter postkolonialer Forschung und der Queer Studies in der Bundesrepublik Deutschland gilt, konzentriert sich auf die Themenfelder der Ethnologie und Ethnopoesie (ein Begriff, der von Fichte selbst stammt), der postkolonialen Literatur und dem Pop. Manfred Weinberg zufolge ist es sogar ein auszeichnendes Kriterium der Fichte'schen Texte, dass alles mit allem zusammenhängt oder wenigstens mit allem in Verbindung gebracht werden kann. Das Verständnis der Texte Fichtes lässt sich damit immer schon nur mit Rekurs auf andere Texte Fichtes erlangen. Gleichzeitig, so Weinberg, liegt darin aber bereits eine grundlegende Unmöglichkeit eingeschrieben, denn:
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{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
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: Niemand wird all die Verweisungen, die Fäden, das Geflecht, die Netze der Pfeile und Adern, der Anspielungen in Fichtes Gesamtwerk jemals beschreiben können (ich verwende hier vorsätzlich den Begriff von Fichtes Dementi der ›Verwendbarkeit‹ des Schreiens der Fischer in Cezimbra). Wie geht man also dann interpretierend mit diesen Texten um? (Weinberg 2021, 137)
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Wenn diese These plausibel befunden wird (und das wird sie hier), wie also im Rahmen eines Wikipedia-Artikels mit dem Umstand umgehen, dass Fichtes Roman ''Der Platz der Gehenkten'' als Teil des roman fleuve der Geschichte der Empfindlichkeit immer schon das Verständnis und die Lektüre jedes weiteren Texts voraussetzt? Die pragmatische und hermeneutisch redliche Lösung kann dabei nur sein, transparent zu kommunizieren, inwieweit sich die Interpretation selbst beschneiden muss, um weiterhin verständlich und lesbar zu bleiben.
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Es ist daher aber vielleicht nicht verwunderlich, dass es kaum eine Monografie zu spezifischen Werken Hubert Fichtes gibt. Vollkommen abwesend sind zudem literaturwissenschaftliche Analysen, welche die Fichte'schen Texte auf den Traum und spezifische Traumästhetiken hin befragen.
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Die hier verwendete Sekundärliteratur beschäftigt sich daher nicht ausschließlich mit dem ''Platz der Gehenkten'', sondern bespricht den Text immer im Kontext des gesamten Werks Hubert Fichtes.
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So beschäftigt sich das neunte Kapitel der Dissertation Torsten Teicherts (1987) zwar mit ''Der Platz der Gehenkten''. Da die Dissertation jedoch zwei Jahre vor der Veröffentlichung des Romans erschienen ist, basiert seine Analyse nicht auf der Druckausgabe, die als Grundlage für diesen Artikel herangezogen wird, sondern auf dem Typoskript des Romans, das er als Freund Hubert Fichtes bereits vor der Veröffentlichung einsehen konnte. Das stellt vor einige Probleme: einerseits kann Teichert zwar aus dem Text zitieren, tut dies aber der Sache geschuldet ohne Quellen- und Seitenangaben. Gibt sich sein Text mitunter thetisch ohne angeschnittene Gedankengänge weiter zu verfolgen, so ist sich Teichert dennoch sicher, dass das Wagnis über einen noch nicht veröffentlichten Text zu reden "vielleicht schon allein deshalb zum jetzigen Zeitpunkt legitim [ist], weil eine jede Interpretation auch Lust machen sollte aufs Lesen des Besprochenen" (Teichert 1987, 276).
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Teicherts Interpretation versteht Fichtes ethnopoetisches Schreiben jedoch analog zur Form des Haiku und damit nicht als sinnvolle Beschreibung eines Sachverhalts, sondern als dezidiert anti-deskriptive Momentaufnahme. Teicherts Haiku-Verständnis basiert dabei jedoch auf Barthes Interpretation, die ihrerseits nicht unproblematisch ist. <ref> Wenngleich interessant, kann hier en detail nicht darauf eingegangen werden. Zu einer historischen Analyse der Textform Haiku und wie diese mit dem haikai verknüpft ist, vgl. Shirane 1998, der ausgehend von Bashō für die Sinnhaftigkeit und den hohen Formcharakter des Haiku argumentiert.</ref>
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Hans-Jürgen Heinrichs Studie (1991) andererseits erweckt aufgrund ihres Titels, der ein direktes Zitat aus Fichtes Roman darstellt ("Die Djemma el-Fna geht durch mich hindurch"), im ersten Moment den Eindruck, dass es sich dabei hauptsächlich um die Lektüre des ''Platz der Gehenkten'' handelt. Allerdings widmet er sich dem Roman tatsächlich nur in einem Kapitel am Ende des Buchs, das größtenteils einen anderen Roman Fichtes, nämlich ''Forschungsbericht'', bespricht (der Vollständigkeit halber soll Heinrichs Buch hier trotzdem erwähnt werden).
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Bewusst abseits der Fichte-Forschung, die sich wie oben erwähnt vorrangig mit der Frage der Verortung des Fichte'schen Werks in den Kontext der Disziplinen Postcolonial Studies und Queer Studies und dem autobiographischen Gehalt der Fichte‘schen Texte beschäftigt (ein Themenfeld, das sich in zeitgenössischen ethnologischen und kulturanthropologischen Debatten unter dem Stichwort life writing wiederfinden lässt), findet sich Manfred Weinbergs Dissertation (1993), der den Synkretismus des Gesamtwerks Fichtes als den Versuch versteht eine Sprachkonzeption
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zu entwickeln, welche Weinberg mit Rückgriff auf vorsokratische Überlegungen zum Mimesis-Begriff plausibilisiert.
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Der Fokus dieses Artikels soll es nun sein, vor dem Hintergrund der obigen Literatur und mit Rückgriff auf diese, eine Lesart auf den Text zu eröffnen, die sich mit der spezifischen Frage onirischer Darstellungen auseinandersetzt. Zu diesem Zweck lohnt es sich, einen kurzen Blick auf das folgend verwendete theoretische Instrumentarium zu werfen.
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Dieser Lesart entspricht auch die Anmerkung der Herausgeberin des Romans Gisela Lindemann, wenn sie schreibt, dass der Roman "mit deren [###] zentraler literarischer Manifestation: dem Koran" (PG 21) korrespondiere. Die Übersetzung des Koran aus der französischen Pléiade-Ausgabe wird in der oben zitierten Passage von der narrativen Instanz dabei zum Anlass  genommen, nicht nur über dessen Verhältnis zur Bibel nachzudenken, sondern auch die formale Struktur des Korans in den Fokus zu rücken. Aus der Einsicht, dass die Texte, aus denen der Koran besteht, von Sure zu Sure kürzer werden, entwickelt Fichte das Strukturprinzip seines eigenen Romans, der aus Texten besteht, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen: "Ich möchte das Gesetz der schrumpfenden Glieder durch das Gesetz der wachsenden Glieder ausgleichen" (PG 13). Mit einem Verweis auf einem Dr. Bahlmann, erwähnt er zudem, dass "die Wiederholung [...] das poetische Prinzip der Bibel" (Fichte 1989b, 13) sei. ES wird sich zeigen, dass dieses poetische Prinzip der Wiederholung im Rahmen eines Fünfzeilers sowohl im Roman als auch in einer Traumdarstellung als strukturierendes Element auftaucht.
    
== Traumdarstellungen in ''Der Platz der Gehenkten'' ==
 
== Traumdarstellungen in ''Der Platz der Gehenkten'' ==
    
=== Intensitäten des Traumhaften: Markierte Träume ===
 
=== Intensitäten des Traumhaften: Markierte Träume ===
Um die Traumdarstellungen in ''Der Platz der Gehenkten'' klassifizieren zu können, wird auf Stefanie Kreuzers entwickelte Traumtypologie zurückgegriffen, welche Traumdarstellungen nach ihrer Markiertheit sortiert.
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Um die Traumdarstellungen in ''Der Platz der Gehenkten'' klassifizieren zu können, wird auf eine von Stefanie Kreuzer entwickelte Traumtypologie zurückgegriffen, welche Traumdarstellungen nach ihrer Markiertheit sortiert. Kreuzer arbeitet drei verschiedene Darstellungsarten heraus, die sie wertfrei als Intensivierungen des traumhaften Erzählens und damit als "Wegfall jeglicher Markierung des Traumzustandes" (Kreuzer 2014, 90) versteht.
Kreuzer arbeitet dabei drei verschiedene Darstellungsarten traumhaften Erzählens heraus, die sie wertfrei als Intensivierungen des traumhaften Erzählens und damit als "Wegfall jeglicher Markierung des Traumzustandes" (Kreuzer 2014, 90) versteht.
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(1) Markierte Traumdarstellungen bilden den eindeutigsten Fall traumhaften Erzählens, da hier die Abgrenzung verschiedener diegetischer Ebenen der Wach- und Traumwelt textlich klar kommuniziert wird. Im Rahmen dieses Artikels interessiert nur diese erste Intensität onirischen Erzählens.
(1) Dabei beschreiben markierte Traumdarstellungen den eindeutigsten Fall traumhaften Erzählens durch die textlich klar kommunizierte Abgrenzbarkeit verschiedener diegetischer Ebenen der Wach- und Traumwelt. Im Rahmen dieses Artikels interessiert nur diese erste Intensität onirischen Erzählens.
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(2) Als unsichere Grenzen zwischen Traum- und Wacherleben bezeichnet Kreuzer Traumdarstellungen, bei denen sich keine eindeutigen Grenzen zwischen Traumdarstellung und Wachwirklichkeit ziehen lassen und eine klare Trennung und Hierarchisierung verschiedener diegetischer Ebenen nicht möglich ist. Um Darstellungen als onirische Darstellungen dieser Art klassifizieren zu können, arbeitet Kreuzer weitere Aspekte des Onirischen heraus, die zur Interpretation herangezogen werden können.
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(2) Durch "unsichere Grenzen" sind Traumdarstellungen charakterisiert, bei denen sich keine eindeutige UnterschiedungGrenzen zwischen Traumdarstellung und Wachwirklichkeit treffen lässt und eine klare Trennung und Hierarchisierung verschiedener diegetischer Ebenen unmöglich ist. Um Texte als Darstellungen dieser Art klassifizieren zu können, arbeitet Kreuzer Merkmale des Onirischen heraus, die zur Interpretation herangezogen werden können.
(3) Der Wegfall jeglicher onirischer Markierung charakterisiert die höchste Intensität des Traumhaften, die Kreuzer als unmarkierte, autonome Traumdarstellungen charakterisiert. Solche Arten der Traumdarstellungen als genuin onirisch zu klassifizieren und von "im eigentlichen Sinne zu verstehenden antimimetischen [...] uneigentlich-parabolischen" (Kreuzer 2014, 91) Interpretationen zu unterscheiden, bedarf es weiterer Merkmale, um die Lesart zu plausibilisieren.  
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Jede Intensität traumhaften Erzählens, lässt sich zudem binnendifferenzieren. Da für die weitere Analyse nur markierte Traumdarstellungen betrachtet werden, wird diese Ausdifferenzierung weiter unten vorgenommen.
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(3) Der Wegfall jeglicher onirischer Markierung charakterisiert die höchste Intensität des Traumhaften, die Kreuzer als unmarkierte, autonome Traumdarstellungen bezeichnet. Um solche Arten der Traumdarstellungen von einer "im eigentlichen Sinne zu verstehenden antimimetischen Darstellungsweise und einer uneigentlich-parabolischen" Lesart (Kreuzer 2014, 91), bedarf es weiterer Merkmale des Onirischen.  
    
=== Markierte Traumdarstellungen in ''Der Platz der Gehenkten'' ===
 
=== Markierte Traumdarstellungen in ''Der Platz der Gehenkten'' ===
Der Roman beginnt mit einer mehrseitigen komplexen Traumdarstellung, die sich erst nachträglich als markierte Traumdarstellung klassifizieren lässt. Der Ich-Erzähler vermischt dabei Tagesreste mit seinen Ängsten, Wünschen und den Erinnerungen an andere vor einigen Tagen geträumte Träume. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, lässt sich die Traumdarstellung in drei thematische Teile gliedern, die für sich unterschiedliche Aspekte des im Traum verhandelten herausarbeiten lassen: (a) ein erster Teil thematisiert die Reisevorbereitungen nach Marakech, auf den mit (b) der Traum einer Passkontrolle am Flughafen folgt. Der dritte Teil (c) ist ein Intertext auf frühere Romane Fichtes, der die werkübergreifende Spezifik des Traums als Teil der Fichte'schen Poetologie in den Fokus rückt.
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Fichtes Roman beginnt mit einer mehrseitigen komplexen Traumdarstellung, die sich erst nachträglich als markiert klassifizieren lässt. Der Ich-Erzähler vermischt dabei Tagesreste mit seinen Ängsten, Wünschen und den Erinnerungen an andere vor einigen Tagen geträumte Träume. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, lässt sich die Traumdarstellung in drei thematische Teile gliedern, für die sich unterschiedliche Aspekte des im Traum Verhandelten herausarbeiten lassen: (a) ein erster Teil thematisiert die Reisevorbereitungen nach Marakech, auf den mit (b) der Traum einer Passkontrolle am Flughafen folgt. Der dritte Teil (c) ist ein Intertext zu früheren Romane Fichtes, der die werkübergreifende Spezifik des Traums als Teil der Fichte'schen Poetologie in den Fokus rückt.
 
Die zweite markierte Traumdarstellung, die hier betrachtet werden soll, nimmt einen fünfzeiligen Text in den Fokus, der an mehreren Stellen im Romantext auftaucht und diesen durch die ritualhafte Wiederholung strukturiert. Versteht man den Roman in seiner Form und auch inhaltlich als Gegenbewegung zum Koran, lässt sich der fünfzeilige Text als Gegen-Ritual verstehen, das in sich die Gefahr birgt, das zu reproduzieren, gegen das es anschreibt.
 
Die zweite markierte Traumdarstellung, die hier betrachtet werden soll, nimmt einen fünfzeiligen Text in den Fokus, der an mehreren Stellen im Romantext auftaucht und diesen durch die ritualhafte Wiederholung strukturiert. Versteht man den Roman in seiner Form und auch inhaltlich als Gegenbewegung zum Koran, lässt sich der fünfzeilige Text als Gegen-Ritual verstehen, das in sich die Gefahr birgt, das zu reproduzieren, gegen das es anschreibt.
 
Eine dritte Traumdarstellung thematisiert den Traum in seinem selbstreflexiven Gehalt und wie dieser im Verhältnis zu Wirklichkeit, Zeitlichkeit und dem Schreibprozess an sich steht.
 
Eine dritte Traumdarstellung thematisiert den Traum in seinem selbstreflexiven Gehalt und wie dieser im Verhältnis zu Wirklichkeit, Zeitlichkeit und dem Schreibprozess an sich steht.
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Zitiervorschlag für diesen Artikel:
 
Zitiervorschlag für diesen Artikel:
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Kerber, Alexander: "Der Platz des Gehenkten" (Hubert Fichte). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2023; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Der_Platz_der_Gehenkten%22_(Hubert_Fichte).
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Kerber, Alexander: "Der Platz der Gehenkten" (Hubert Fichte). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2023; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Der_Platz_der_Gehenkten%22_(Hubert_Fichte).
    
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