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====Flughafentraum vom vertauschten Pass====
 
====Flughafentraum vom vertauschten Pass====
Fichtes Roman beginnt mit einer mehrseitigen komplexen Traumdarstellung, die sich erst nachträglich als markiert klassifizieren lässt. Der Ich-Erzähler vermischt dabei Tagesreste mit seinen Ängsten, Wünschen und den Erinnerungen an andere vor einigen Tagen geträumte Träume. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, lässt sich die Traumdarstellung in drei thematische Teile gliedern, für die sich unterschiedliche Aspekte des im Traum Verhandelten herausarbeiten lassen: (a) ein erster Teil thematisiert die Reisevorbereitungen nach Marakech, auf den mit (b) der Traum einer Passkontrolle am Flughafen folgt. Der dritte Teil (c) ist ein Intertext zu früheren Romane Fichtes, der die werkübergreifende Spezifik des Traums als Teil der Fichte'schen Poetologie in den Fokus rückt.
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Fichtes Roman beginnt mit einer mehrseitigen komplexen Traumdarstellung, die sich erst nachträglich als markiert klassifizieren lässt. Der Ich-Erzähler vermischt dabei Tagesreste mit seinen Ängsten, Wünschen und den Erinnerungen an andere vor einigen Tagen geträumte Träume. Die Traumdarstellung lässt sich in drei thematische Teile gliedern, für die sich unterschiedliche Aspekte des im Traum Verhandelten herausarbeiten lassen: (a) ein erster Teil thematisiert die Reisevorbereitungen nach Marakech, auf den mit (b) der Traum einer Passkontrolle am Flughafen folgt. Der dritte Teil (c) ist ein Intertext zu einem früheren Romane Fichtes, der die werkübergreifende Spezifik des Traums als Teil der Fichteschen Poetologie in den Fokus rückt.
    
=====Reisevorbereitungen=====
 
=====Reisevorbereitungen=====
 
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: Ich war allein und konnte meine Reise nach Marrakech vorbereiten.
 
: Ich war allein und konnte meine Reise nach Marrakech vorbereiten.
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Der Roman ''Der Platz der Gehenkten'' beginnt mit den Reisevorbereitungen Jäckis und Irmas. Während Irma den Nachtbus nach Fez nimmt, ist Jäcki das erste Mal seit langem allein und bereitet seine Reise nach Marrakesch vor. Dass es sich bei diesen Zeilen um eine Traumdarstellung handelt, ist auf den ersten Blick nicht direkt ersichtlich, da Fichte Dinge beschreibt, die, wenngleich protokollartig, nicht an der Wirklichkeit der dargestellten Sachverhalte zweifeln lassen.  
 
Der Roman ''Der Platz der Gehenkten'' beginnt mit den Reisevorbereitungen Jäckis und Irmas. Während Irma den Nachtbus nach Fez nimmt, ist Jäcki das erste Mal seit langem allein und bereitet seine Reise nach Marrakesch vor. Dass es sich bei diesen Zeilen um eine Traumdarstellung handelt, ist auf den ersten Blick nicht direkt ersichtlich, da Fichte Dinge beschreibt, die, wenngleich protokollartig, nicht an der Wirklichkeit der dargestellten Sachverhalte zweifeln lassen.  
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Auch Manfred Weinberg verweist darauf, dass die ersten Sätze des Romans ''Der Platz der Gehenkten'' sich auf den ersten Blick wie eine für Fichte typische "Wirklichkeits-Schreibung" (Weinberg 1993, 126) lesen. Eine genauere Betrachtung des dritten Satzes "Ich hatte Irma zum Schlafwagen gebracht und bereitete meine Reise nach Meknes vor, nach Rabat, nach Fez" (Fichte 1989b, 9). führt jedoch eine Inkongruenz in das Geschehen ein. Weinberg macht diese Inkongruenz daran fest, dass einerseits die Reisevorbereitungen mit anderen Zielen wiederholt werden und andererseits, dass die narrative Instanz Irma zum Schlafwagen des Busses bringt, obwohl "Busse dergleichen gewöhnlich nicht besitzen" (Weinberg 1993, 126).  
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Auch Manfred Weinberg verweist darauf, dass die ersten Sätze des Romans ''Der Platz der Gehenkten'' sich auf den ersten Blick wie eine für Fichte typische "Wirklichkeits-Schreibung" (Weinberg 1993, 126) lesen. Eine genauere Betrachtung des dritten Satzes "Ich hatte Irma zum Schlafwagen gebracht und bereitete meine Reise nach Meknes vor, nach Rabat, nach Fez" (PG 9). führt jedoch Inkongruenzen in das Geschehen ein: zum einen werden die Reisevorbereitungen mit anderen Zielen wiederholt, zum anderen bringt die narrative Instanz Irma zum Schlafwagen des Busses, obwohl "Busse dergleichen gewöhnlich nicht besitzen" (Weinberg 1993, 126).  
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Die Traumdarstellung stoße Weinberg zufolge daher einen dreiteiligen reflexiven Prozess an, der den Lesenden über die Relation zwischen Traum und Wirklichkeit nachdenken lasse. So lese man in einem ersten Schritt Sätze über Irma, die eine scheinbar wirkliche Situation einer Reisevorbereitung beschreiben. Das Irritationsmoment des Schlafwagens im Nachtbus lasse die Situation als Traumdarstellung erscheinen. Man sei reflexiv nun nicht mehr davon überzeugt, dass die Sätze über Irma und die Reisevorbereitungen eine Beschreibung der Wirklichkeit sind, sondern zum Traumgeschehen gehören. Als reflexiven dritten Schritt kehre man nun aber zur Anfangsthese, dass es sich bei den Sätzen um Beschreibungen einer wirklichen Situation handelt, zurück, denke aber nun grundlegend über das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit nach.
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Weinberg zufolge stößt die Traumdarstellung einen dreiteiligen reflexiven Prozess an, der den Lesenden über die Relation zwischen Traum und Wirklichkeit nachdenken lässt. So lese man in einem ersten Schritt Sätze über Irma, die eine scheinbar wirkliche Situation einer Reisevorbereitung beschreiben. Das Irritationsmoment des Schlafwagens im Nachtbus lasse dann die Situation als Traumdarstellung erscheinen. Man sei reflexiv nun nicht mehr davon überzeugt, dass die Sätze über Irma und die Reisevorbereitungen eine Beschreibung der Wirklichkeit sind, sondern glaube, dass sie zum Traumgeschehen gehören. In einem reflexiven dritten Schritt kehre man zwar zur Anfangsthese zurück, dass es sich bei den Sätzen um Beschreibungen einer wirklichen Situation handelt, denke aber nun grundlegend über das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit nach.
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Ist man jedoch nicht davon überzeugt, dass die von Weinberg beschriebene Irritation schon eindeutig für die Traumhaftigkeit des geschilderten Geschehens steht, so lässt sich dennoch einige Zeilen später mit dem Satz "Es folgen trübe Stellen in der Erinnerung an meinen Traum, Ungereimtheiten, Schnitte." (Fichte 1989b, 9) die vorangegangenen Ereignisse als überraschende Traumauflösungen im Sinne Stephanie Kreuzers verstehen (vgl. Kreuzer 2014, 225). Für Kreuzer lassen sich markierte Traumdarstellungen – um die es sich hier durch die Thematisierung des Traums handelt – in Erzählungen in zwei Kategorien unterteilen: (1) Erzählungen, in denen Traumdarstellungen von vorneherein diegetisch von der Wachwelt unterschieden sind. Die Voraussetzung für diese Art der Traumdarstellung setzt eine klare und bereits vorangegangenes Etablierung der Wachwelt und Wissen über diese voraus. (2) Eine zweite Kategorie fasst Traumdarstellungen, die erst retrospektiv als solche zu erkennen sind. Für Kreuzer sind Texte, die diese Traumdarstellungen enthalten "rezeptionsästhetisch immer mit einer Umdeutung der Diegese oder auch einer überraschenden Traum(auf)lösung verbunden" (Kreuzer 2014, 225). Die Schilderungen Fichtes in ''Der Platz der Gehenkten'', die sich erst als tatsächliche Schilderung der Ereignisse lesen lassen, können demnach als solche überraschende Traum(auf)lösung verstanden werden, die durchaus in Relation zur Wachwelt steht, da sie Tagesreste der Wachwirklichkeit verarbeitet.
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Selbst wenn man jedoch nicht davon überzeugt ist, dass die von Weinberg beschriebene Irritation schon eindeutig für die Traumhaftigkeit des geschilderten Geschehens spricht, lassen sich einige Zeilen später mit dem Satz "Es folgen trübe Stellen in der Erinnerung an meinen Traum, Ungereimtheiten, Schnitte" (PG 9) die vorangegangenen Ereignisse als überraschende Traumauflösungen im Sinne Stefanie Kreuzers verstehen (Kreuzer 2014, 225). Für Kreuzer lassen sich markierte Traumdarstellungen – um die es sich hier durch die Thematisierung des Traums handelt – in zwei Kategorien unterteilen: (1) Erzählungen, in denen Traumdarstellungen von vorneherein diegetisch von der Wachwelt unterschieden sind. Die Voraussetzung für diese Art der Traumdarstellung setzt eine klare und bereits vorangegangenes Etablierung der Wachwelt und ein Wissen über diese voraus. (2) Eine zweite Kategorie fasst Traumdarstellungen, die erst retrospektiv als solche zu erkennen sind. Für Kreuzer sind solche Texte "rezeptionsästhetisch immer mit einer Umdeutung der Diegese oder auch einer überraschenden Traum(auf)lösung verbunden" (Kreuzer 2014, 225). Die Schilderungen Fichtes in ''Der Platz der Gehenkten'', die sich erst als tatsächliche Schilderung der Ereignisse lesen lassen, können demnach als eine durch solche überraschende Traum(auf)lösung geprägte Traumdarstellung verstanden werden, die durchaus in Relation zur Wachwelt steht, da sie Tagesreste der Wachwirklichkeit verarbeitet.
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Für Torsten Teichert, der zwar nicht an der Traumhaftigkeit der Schilderungen zweifelt, aber diese nicht in den Fokus seiner Betrachtungen rückt, trifft der Romananfang vielmehr eine poetologische Aussage über Bauplan des gesamten Romans. So beginne der Text zwar mit der Schilderung eines Traums, in die ein weiterer Traum verschachtelt wird. Wichtig ist für Teichert dabei nicht das Spezifikum der onirischen Darstellung, sondern welche Wirkung die verschachtelte Traumdarstellung hat: "Völlige Identitätsverwirrung" (Teichert 1987, 304). Auch ob es sich bei der Traumdarstellung um eine geträumte Erinnerung oder einen erinnerten Traum handelt, will Teichert nicht festlegen. Es gilt für ihn jedoch, dass die Identität des Ichs dadurch, dass der Roman mit einem Traum beginnt, "schon auf der ersten Seite [...] infrage gestellt" (Teichert 1987, 304) wird. Es soll hier contra Teichert jedoch dafür argumentiert werden, dass die Identität der narrativen Instanz nicht infrage gestellt wird, sondern ein selbstreflexives Moment in den Text einführt und die Relation verschiedener Träume aufeinander thematisiert. Weitaus näher an dieser Überlegung der Selbstreflexivität des Textes ist Teichert, wenn er sich fragt
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Für Torsten Teichert, der zwar nicht an der Traumhaftigkeit der Schilderungen zweifelt, aber diese nicht in den Fokus seiner Betrachtungen rückt, trifft der Romananfang eine poetologische Aussage über Bauplan des gesamten Romans. So beginne der Text zwar mit der Schilderung eines Traums, in die ein weiterer Traum verschachtelt wird. Wichtig ist für Teichert dabei aber nicht das Spezifikum der onirischen Darstellung, sondern die Wirkung der verschachtelte Traumdarstellung: "völlige Identitätsverwirrung" (Teichert 1987, 304). Ob es sich bei der Traumdarstellung um eine geträumte Erinnerung oder einen erinnerten Traum handelt, will Teichert nicht festlegen. Es gilt für ihn jedoch, dass die Identität des Ichs dadurch, dass der Roman mit einem Traum beginnt, "schon auf der ersten Seite [...] infrage gestellt" (Teichert 1987, 304) wird.  
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In diesem Artikel soll gegen Teichert dafür argumentiert werden, dass nicht die Identität der narrativen Instanz infrage gestellt, sondern ein selbstreflexives Moment in den Text einführt und die Relation verschiedener Träume aufeinander thematisiert wird. Weitaus näher an dieser Überlegung zur Selbstreflexivität des Textes ist Teichert, wenn er sich fragt: "Redet Fichte hier nur von einem Traum? Nicht in Wahrheit von dem Bauplan des Romans, den wir durchschreiten, indem wir die trüben Stellen und Leerflächen, die Schnitte und abrupten Wechsel mitlesen?" (Teichert 1987, 304). Es wird gezeigt werden, dass die Schreibsituation in ''Der Platz der Gehenkten'' keine der absoluten Identitätsverwirrung ist, sondern eine komplexe Vermischung tagespolitischer Themen, Erinnerungen und Ängste der narrativen Instanz.
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=====Der vertauschte Pass=====
 
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Im weiteren Verlauf der Traumdarstellung verbinden sich mehrere Erzählebenen und Erinnerungen. Die narrative Instanz träumt davon, dass sie in einem Café im Flughafen sitzt und der Kellner sie nach dem Studentenausweis fragt. Als sich das träumende Ich weigert, den Ausweis vorzuzeigen, gesellt sich ein Geheimpolizist dazu, der erneut dazu auffordert, sich auszuweisen:
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: Redet Fichte hier nur von einem Traum? Nicht in Wahrheit von dem Bauplan des Romans, den wir durchschreiten, indem wir die trüben Stellen und Leerflächen, die Schnitte und abrupten Wechsel mitlesen? (Teichert 1987, 304)
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Es kann jedoch gezeigt werden, dass die Schreibsituation in ''Der Platz der Gehenkten'' keine der absoluten Identitätsverwirrung ist, sondern die komplexe Vermischung tagespolitischer Themen, Erinnerungen und Ängste der narrativen Instanz. Dazu weiter unten mehr.
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=====Der Traum=====
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Im weiteren Verlauf der Traumdarstellung vermischen sich mehrere Erzählebenen und Erinnerungen. Die narrative Instanz träumt davon, dass sie in einem Café im Flughafen sitzt und der Kellner nach dem Studentenausweis fragt. Als sich das träumende Ich weigert, den Ausweis vorzuzeigen, gesellt sich ein Geheimpolizist dazu, der erneut dazu auffordert, sich auszuweisen:
      
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: Otto Habermann brachte mich mit Richard zum Flugplatz.
 
: Otto Habermann brachte mich mit Richard zum Flugplatz.

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