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Neben einigen im Stück vorkommenden traumhaft-surrealen Elementen (das prägnanteste von ihnen ist das wachsende Schloss, vor dem Agnes ihre Reise beginnt und in das sie am Ende ihrer Reise wieder eintritt, während dieses in Flammen aufgeht), verweisen vor allem der Titel sowie eine dem Stück vorangestellte und mit ‚Erinran‘ (Erinnerung) überschriebene Vorbemerkung auf den Traumcharakter des Stückes. Der erste Satz dieser Vorbemerkung macht auf die Programmatik aufmerksam, die dem Stück zugrunde liegt: „Im Anschluß an sein früheres Traumspiel ''Nach Damaskus'' hat der Verfasser in diesem Traumspiel versucht, die unzusammenhängende, doch scheinbar logische Form des Traumes nachzubilden“ (TS 7). Diese Traumform spiegelt sich in der Form des Stationendramas wider, das sich auf formaler Ebene durch die lose, nicht zwangsläufig kausale Aneinanderreihung einzelner Szenen und Bilder auszeichnet und so die für einen Traum typischen Handlungsinkohärenzen, abrupten Ortswechsel und auch seine besondere Zeitlichkeit zu repräsentieren vermag.
 
Neben einigen im Stück vorkommenden traumhaft-surrealen Elementen (das prägnanteste von ihnen ist das wachsende Schloss, vor dem Agnes ihre Reise beginnt und in das sie am Ende ihrer Reise wieder eintritt, während dieses in Flammen aufgeht), verweisen vor allem der Titel sowie eine dem Stück vorangestellte und mit ‚Erinran‘ (Erinnerung) überschriebene Vorbemerkung auf den Traumcharakter des Stückes. Der erste Satz dieser Vorbemerkung macht auf die Programmatik aufmerksam, die dem Stück zugrunde liegt: „Im Anschluß an sein früheres Traumspiel ''Nach Damaskus'' hat der Verfasser in diesem Traumspiel versucht, die unzusammenhängende, doch scheinbar logische Form des Traumes nachzubilden“ (TS 7). Diese Traumform spiegelt sich in der Form des Stationendramas wider, das sich auf formaler Ebene durch die lose, nicht zwangsläufig kausale Aneinanderreihung einzelner Szenen und Bilder auszeichnet und so die für einen Traum typischen Handlungsinkohärenzen, abrupten Ortswechsel und auch seine besondere Zeitlichkeit zu repräsentieren vermag.
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===Analyse und Interpretation der raum-zeitlichen Struktur===
 
===Analyse und Interpretation der raum-zeitlichen Struktur===
Die Funktionsweise der Traumform lassen sich besonders gut an den Analysekategorien von Zeit und Raum verdeutlichen, über die es in der Vorbemerkung heißt: „Zeit und Raum existieren nicht“ (TS 7). Wie im Traum sind auch in ''Ett drömspel'' die Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt und einer Traumlogik unterworfen. So kann weder ein konkreter Zeitpunkt der Handlung eindeutig bestimmt werden, noch lässt sich ermessen, wie viel Zeit überhaupt vergeht. Dass die Zeit nicht ihren gewohnten Gang nimmt, ist allerdings offensichtlich: Jahreszeiten existieren nicht, und Tage, Nächte und Jahre vergehen wie im Flug. Auf Figurenebene steht für dieses besondere Zeitvergehen exemplarisch die Figur des Offiziers, der zuerst sieben Jahre lang auf seine Angebetete, die Schauspielerin Victoria, wartet und unterdessen innerhalb kürzester Zeit zum Greis wird, während alle anderen Figuren keinem derartigen Alterungsprozess ausgesetzt sind. Wie im Traum selbst hat Zeit in ''Ett drömspel'' also ihre sinn- und ordnungsstiftende Funktion verloren.
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Die Funktionsweise der Traumform lässt sich besonders gut an den Analysekategorien von Zeit und Raum verdeutlichen, über die es in der Vorbemerkung heißt: „Zeit und Raum existieren nicht“ (TS 7). Wie im Traum sind auch in ''Ett drömspel'' die Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt und einer Traumlogik unterworfen. So kann weder ein konkreter Zeitpunkt der Handlung eindeutig bestimmt werden, noch lässt sich ermessen, wie viel Zeit überhaupt vergeht. Dass die Zeit nicht ihren gewohnten Gang nimmt, ist allerdings offensichtlich: Jahreszeiten existieren nicht, und Tage, Nächte und Jahre vergehen wie im Flug. Auf Figurenebene steht für dieses besondere Zeitvergehen exemplarisch die Figur des Offiziers, der zuerst sieben Jahre lang auf seine Angebetete, die Schauspielerin Victoria, wartet und unterdessen innerhalb kürzester Zeit zum Greis wird, während alle anderen Figuren keinem derartigen Alterungsprozess ausgesetzt sind. Wie im Traum selbst hat Zeit in ''Ett drömspel'' also ihre sinn- und ordnungsstiftende Funktion verloren.
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Neben der Zeit unterliegt auch der Raum anderen, ganz eigenen Gesetzen. Durch den Verzichts auf Kausalität und Kontinuität erlaubt die innovative Form des Stationendramas viele plötzliche Ortswechsel zwischen den einzelnen Szenen. Scheinbar übergangslos verwandeln sich Räume von einer Szene zur nächsten. So wird z.B. eine Kirchenorgel durch einen Beleuchtungswechsel zur schottischen Basalthöhle Fingal’s Cave oder ein Theatervorplatz zum Anwaltsbüro, was im Nebentext wie folgt beschrieben wird: „''Offene Verwandlung in das Büro des Advokaten: die Gittertür bleibt stehen und dient als Tür einer Schranke, die sich über die ganze Breite der Bühne erstreckt. Die Loge der Pförtnerin öffnet sich vorn und wird zur Schreibstube des Advokaten. Die entlaubte Linde ist Hut- und Kleiderständer; die Anschlagtafel ist mit Kundmachungen und Prozeßentscheidungen behängt; die Tür mit dem Kleeblatt gehört jetzt zu einem Aktenschrank''“ (TS 32). Im Traumkontext ist hervorzuheben, dass sich der Raum nicht durch einen verdeckten Umbau oder Kulissenwechsel ändert, sondern stattdessen die sich in ihm befindenden Gegenstände bei offenem Vorhang von einer Szene zur nächsten neue Funktionen erhalten (Rokem 1988). Wie das Beispiel der Linde zeigt, die zum Hut- und Kleiderständer wird (und sich von diesem in der darauffolgenden Szene in einen Kandelaber weiterverwandelt), sind diese neuen Funktionen den Gegenständen weder zwangsläufig inhärent, noch erscheinen sie unbedingt zweckgemäß. An solchen Übergängen zwischen Räumen wirkt die dem Stück zugrundeliegende Traumlogik: Auf den ersten Blick willkürlich und zufällig erscheinende Verwandlungen erweisen sich aus der Perspektive des Traums als assoziativ. Dabei sind die Verwandtschaften, die zwischen den einzelnen Gegenständen bestehen, keine funktionalen. Besonders das Bild der Kirchenorgel, die zu Fingal’s Cave wird, demonstriert, dass es sich um strukturelle und optisch-visuelle Verwandtschaften handelt, die auf Ähnlichkeiten von Form und Gestalt beruhen.
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Neben der Zeit unterliegt auch der Raum anderen, ganz eigenen Gesetzen. Durch den Verzichts auf Kausalität und Kontinuität erlaubt die innovative Form des Stationendramas viele plötzliche Ortswechsel zwischen den einzelnen Szenen. Scheinbar übergangslos verwandeln sich Räume von einer Szene zur nächsten. So wird z.B. eine Kirchenorgel durch einen Beleuchtungswechsel zur schottischen Basalthöhle Fingal’s Cave oder  ein Theatervorplatz zum Anwaltsbüro, was im Nebentext wie folgt beschrieben wird: „''Offene Verwandlung in das Büro des Advokaten: die Gittertür bleibt stehen und dient als Tür einer Schranke, die sich über die ganze Breite der Bühne erstreckt. Die Loge der Pförtnerin öffnet sich vorn und wird zur Schreibstube des Advokaten. Die entlaubte Linde ist Hut- und Kleiderständer; die Anschlagtafel ist mit Kundmachungen und Prozeßentscheidungen behängt; die Tür mit dem Kleeblatt gehört jetzt zu einem Aktenschrank''“ (TS 32). Im Traumkontext ist hervorzuheben, dass sich der Raum nicht durch einen verdeckten Umbau oder Kulissenwechsel ändert, sondern stattdessen die sich in ihm befindenden Gegenstände bei offenem Vorhang von einer Szene zur nächsten neue Funktionen erhalten (Rokem 1988). Wie das Beispiel der Linde zeigt, die zum Hut- und Kleiderständer wird (und sich von diesem in der darauffolgenden Szene in einen Kandelaber weiterverwandelt), sind diese neuen Funktionen den Gegenständen weder zwangsläufig inhärent, noch erscheinen sie unbedingt zweckgemäß. An solchen Übergängen zwischen Räumen wirkt die dem Stück zugrundeliegende Traumlogik: Auf den ersten Blick willkürlich und zufällig erscheinende Verwandlungen erweisen sich aus der Perspektive des Traums als assoziativ. Dabei sind die Verwandtschaften, die zwischen den einzelnen Gegenständen bestehen, keine funktionalen. Besonders das Bild der Kirchenorgel, die zu Fingal’s Cave wird, demonstriert, dass es sich um strukturelle und optisch-visuelle Verwandtschaften handelt, die auf Ähnlichkeiten von Form und Gestalt beruhen.
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<div style="text-align: right;">[[Autoren|KH]]</div>
 
<div style="text-align: right;">[[Autoren|KH]]</div>
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* Strindberg, August: Ein Traumspiel. Übers. von Peter Weiss. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1963. (= zitierte Ausgabe, Sigle: TS)
 
* Strindberg, August: Ein Traumspiel. Übers. von Peter Weiss. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1963. (= zitierte Ausgabe, Sigle: TS)
 
* Strindberg, August: Ein Traumspiel. Übers. von Christl Hildebrandt, Nachwort von Joachim Grage. Stuttgart: Reclam 2013.
 
* Strindberg, August: Ein Traumspiel. Übers. von Christl Hildebrandt, Nachwort von Joachim Grage. Stuttgart: Reclam 2013.
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