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==Einordnung==
 
==Einordnung==
Das Verhältnis der Protagonisten zu den Träumen kann zunächst dem Bernhardschen Figurentypus des Geistesmenschen zugeordnet werden. So stellt auch Bozzi fest, dass für diese Figuren „das dem Geist verpflichtete Leben als höchste Stufe des Daseins dargestellt“ (Bozzi 2002, 128) wird und die Verwendung des Traummotivs den Autor in die Lage versetze, „die Zwanghaftigkeit des Geistigen in Frage zu stellen und letztlich ad absurdum zu führen“ (ebd., 131). Ihre psychoanalytische Deutung der Traumszenen folgt daher der Annahme, dass sich „Bernhards negatives Verständnis von Körperlichkeit“ (ebd., 128) in einem Dualismus von Körperlichkeit und Geist niederschlage, der bei den Figuren zu einer Verbannung des Körperlichen ins Unter- und Unbewusste führe, was eine Verselbständigung des Körpers und der Triebe im Traum begünstige: „Der Nachttraum ist der andere Diskurs im Werk Thomas Bernhards: das subversive Potential, die anarchische Dimension, die durch die Vernunftform ersetzt worden ist, aber schattenhaft weiterlebt“ (ebd., 137). Dieser Deutung ist insofern zu widersprechen, dass der Dualismus von Körper und Geist, wie auch der Antagonismus von Verstand und Phantasie, in ''Frost'' nicht aufrechterhalten wird. Durch die Motivik des Schmerzes, des Verfalls und der Ich-Auflösung wird immer wieder deutlich, dass der Sieg des Körpers unausweichlich ist. Die stete Thematisierung des Schmerzes und der körperlichen Leiden des Malers widerspricht einer Verbannung des Körperlichen ins Unterbewusste. Vergänglichkeit und Tod bedeuten für ihn einerseits die Auslöschung des Geistes, stellen aber andererseits keine Bedrohung, sondern eine Erlösung dar: „Der Tod kann nur das Aufhören aller Schmerzen sein. Der Tod bedeutet Freisein von allem; vor allem von mir selbst“ (F 90).
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Das Verhältnis der Protagonisten zu den Träumen kann zunächst dem Bernhardschen Figurentypus des 'Geistesmenschen' zugeordnet werden. So stellt auch Bozzi fest, dass für diese Figuren „das dem Geist verpflichtete Leben als höchste Stufe des Daseins dargestellt“ wird (Bozzi 2002, 128) und die Verwendung des Traummotivs den Autor in die Lage versetze, „die Zwanghaftigkeit des Geistigen in Frage zu stellen und letztlich ad absurdum zu führen“ (ebd., 131). Ihre psychoanalytische Deutung der Traumszenen folgt daher der Annahme, dass sich „Bernhards negatives Verständnis von Körperlichkeit“ (ebd., 128) in einem Dualismus von Körperlichkeit und Geist niederschlage, der bei den Figuren zu einer Verbannung des Körperlichen ins Unter- und Unbewusste führe, was eine Verselbständigung des Körpers und der Triebe im Traum begünstige: „Der Nachttraum ist der andere Diskurs im Werk Thomas Bernhards: das subversive Potential, die anarchische Dimension, die durch die Vernunftform ersetzt worden ist, aber schattenhaft weiterlebt“ (ebd., 137). Dieser Deutung ist insofern zu widersprechen, als der Dualismus von Körper und Geist, wie auch der Antagonismus von Verstand und Phantasie, in ''Frost'' nicht aufrechterhalten wird. Durch die Motivik des Schmerzes, des Verfalls und der Ich-Auflösung wird immer wieder deutlich, dass der Sieg des Körpers unausweichlich ist. Die stete Thematisierung des Schmerzes und der körperlichen Leiden des Malers widerspricht einer Verbannung des Körperlichen ins Unterbewusste. Vergänglichkeit und Tod bedeuten für ihn einerseits die Auslöschung des Geistes, stellen aber andererseits keine Bedrohung, sondern eine Erlösung dar: „Der Tod kann nur das Aufhören aller Schmerzen sein. Der Tod bedeutet Freisein von allem; vor allem von mir selbst“ (F 90).
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Die Träume zeigen zwar eine radikalisierte Körperlichkeit in grotesken oder bedrohlichen Szenarien, symbolisieren jedoch hauptsächlich das Verhältnis des Ichs zu seiner Umwelt beziehungsweise im Falle des Studenten zu seinem Beobachtungsobjekt, und deuten seinen Kontrollverlust an. Hierbei ist wichtig, dass die Traumwelten zwar albtraumhaft übersteigert sind, aber in ihrer Bedrohlichkeit kaum einen Unterschied zur Wirklichkeit der Protagonisten ausmachen. Sie greifen zentrale Motive der Narration, wie beispielsweise die Schlachthausmetaphorik, die Präsenz von körperlicher Versehrtheit und Tod, die empfundene Hilflosigkeit sowie den Kontrollverlust, auf. Gößling bezeichnet daher ''Frost'' in Gänze „als Alptraum der ,Auflösung‘“ (Gößling 1987, 15) und deutet die fiktive Welt in Anlehnung an Freudsche Traumkategorien, indem „die objektivierte Landschaft zugleich als Bewußtseinslandschaft erkennbar [wird], d.h. als Traum- oder Wunschtraumwelt, in der sich – in verdichteten, überdeterminierten Zeichen – die psychische Problematik des imaginierenden Subjekts niederschlägt“ (Gößling 1987, 11).
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Die Träume zeigen zwar eine radikalisierte Körperlichkeit in grotesken oder bedrohlichen Szenarien, symbolisieren jedoch hauptsächlich das Verhältnis des Ichs zu seiner Umwelt - beziehungsweise, im Falle des Studenten, zu seinem Beobachtungsobjekt - und deuten seinen Kontrollverlust an. Hierbei ist wichtig, dass die Traumwelten zwar alptraumhaft übersteigert sind, aber in ihrer Bedrohlichkeit kaum einen Unterschied zur Wirklichkeit der Protagonisten ausmachen. Sie greifen zentrale Motive der Narration auf, wie beispielsweise die Schlachthausmetaphorik, die Präsenz von körperlicher Versehrtheit und Tod, die empfundene Hilflosigkeit sowie den Kontrollverlust. Gößling bezeichnet daher ''Frost'' in Gänze „als Alptraum der ,Auflösung‘“ (Gößling 1987, 15) und deutet die fiktive Welt in Anlehnung an Freudsche Traumkategorien, indem „die objektivierte Landschaft zugleich als Bewußtseinslandschaft erkennbar [wird], d.h. als Traum- oder Wunschtraumwelt, in der sich – in verdichteten, überdeterminierten Zeichen – die psychische Problematik des imaginierenden Subjekts niederschlägt“ (Gößling 1987, 11).
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Nicht die Trennung zwischen Körper und Geist, sondern andere Prozesse sind es, die eine Interpretation der Träume mit dem Figurentypus des Geistesmenschen nahelegen. So definiert sich dieser über eine ständige Reflexion, die sich jedoch verselbständigt: „Der Geist bzw. die Geistigkeit manifestieren sich dabei in einem permanenten Reflexionsprozess, der sich verabsolutiert hat und der auch von dem Subjekt, das ihn trägt, nicht mehr zu kontrollieren ist“ (Jahraus 2018, 368). Die für den Geistesmenschen bestimmende Reflexion folgt also einer Traumlogik, indem sie dem Verstand und seiner Kontrolle entgleitet. Dies zeigt sich im Roman an der bereits erwähnten Präsenz von Themen und Motiven der vorherigen Reflexion im Traum. Der Übergang zwischen Traum und Reflexion wirkt fließend, ihre Elemente werden im Traum aufgegriffen, weiterentwickelt, abstrahiert und radikalisiert. Dabei erweist sich auch die Nähe zum Wahnsinn als bereits im Figurentypus des Geistesmenschen angelegt: „Permanent droht ihn der geistige Prozess von Reflexion und Autoreflexion zu überfordern, konkret in Form des Verrücktwerdens [...] und der endgültigen A-Sozialisierung insbesondere durch Gewalt entweder gegen sich selbst im Selbstmord oder gegen andere im Mord“ (Jahraus 2018, 369).
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Nicht die Trennung zwischen Körper und Geist, sondern andere Prozesse sind es, die eine Interpretation der Träume mit dem Figurentypus des Geistesmenschen nahelegen. So definiert sich dieser über eine ständige Reflexion, die sich jedoch verselbständigt: „Der Geist bzw. die Geistigkeit manifestieren sich [...] in einem permanenten Reflexionsprozess, der sich verabsolutiert hat und der auch von dem Subjekt, das ihn trägt, nicht mehr zu kontrollieren ist“ (Jahraus 2018, 368). Die für den Geistesmenschen bestimmende Reflexion folgt also einer Traumlogik, indem sie dem Verstand und seiner Kontrolle entgleitet. Dies zeigt sich im Roman an der bereits erwähnten Präsenz von Themen und Motiven der vorherigen Reflexion im Traum. Der Übergang zwischen Traum und Reflexion wirkt fließend, ihre Elemente werden im Traum aufgegriffen, weiterentwickelt, abstrahiert und radikalisiert. Dabei erweist sich auch die Nähe zum Wahnsinn als bereits im Figurentypus des Geistesmenschen angelegt: „Permanent droht ihn der geistige Prozess von Reflexion und Autoreflexion zu überfordern, konkret in Form des Verrücktwerdens [...] und der endgültigen A-Sozialisierung insbesondere durch Gewalt entweder gegen sich selbst im Selbstmord oder gegen andere im Mord“ (Jahraus 2018, 369).
 
   
 
   
Der Maler Strauch entspricht also diesem Grundtypus der Bernhardschen Prosa, in dessen Wahrnehmung die Grenzen zwischen Traum und dem (Wieder-)Erleben traumatischer Erlebnisse verschwimmen (Bombitz 2012, 58). Gleichzeitig ist sein Ringen mit sich und der Welt, das sich in seinen Träumen manifestiert und auch zunehmend die Reflexionen des Studenten bestimmt, exemplarisch für das Weltverhältnis vieler Protagonisten Bernhards: „Die jeweiligen Lebensgeschichte des besonderen Subjektes ist ein Sinnbild für allgemein-existenzielle Schrecknisse, die sich in Alpträumen wie traumatisierten Situationen wiederholen“ (ebd., 59). Allerdings ist die für Bernhards Prosa ebenfalls typische Komik der Übertreibung in ''Frost'' weniger präsent als in den späteren Prosatexten. In den Traumerzählungen des Malers sind zwar groteske Elemente vorhanden, diese tragen jedoch eher zur beklemmend ausweglosen Szenerie bei. Ebenso scheint es, als nehme der narrative Einsatz von Träumen in den späteren Prosatexten Bernhards tendenziell ab. Bozzi verweist auf einzelne Traumszenen in ''Verstörung'' (1967) sowie ''Auslöschung'' (1986) (Bozzi 2002, ###), aber Bennholdt-Thomsen konstatiert in ihrer Untersuchung der gleichen, autobiographisch lesbaren, Traumszene in ''Auslöschung'', dass die Traumerzählung in Bernhards Romanwerk „selten und von auffälliger Relevanz“ (Bennholdt-Thomsen 2001, 44) sei. Die dichte Verknüpfung von Narration und Traumerzählungen, die auf thematischer und motivischer Ebene ineinander übergehen und von der albtraumhaften Kulisse potenziert werden, macht die besondere Atmosphäre von ''Frost'' aus.
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Der Maler Strauch entspricht also diesem Grundtypus der Bernhardschen Prosa, in dessen Wahrnehmung die Grenzen zwischen Traum und dem (Wieder-)Erleben traumatischer Erlebnisse verschwimmen (Bombitz 2012, 58). Gleichzeitig ist sein Ringen mit sich und der Welt, das sich in seinen Träumen manifestiert und auch zunehmend die Reflexionen des Studenten bestimmt, exemplarisch für das Weltverhältnis vieler Protagonisten Bernhards: „Die jeweiligen Lebensgeschichte des besonderen Subjektes ist ein Sinnbild für allgemein-existenzielle Schrecknisse, die sich in Alpträumen wie traumatisierten Situationen wiederholen“ (ebd., 59). Allerdings ist die für Bernhards Prosa ebenfalls typische Komik der Übertreibung in ''Frost'' noch weniger präsent als in den späteren Prosatexten. In den Traumerzählungen des Malers sind zwar groteske Elemente vorhanden, diese tragen jedoch eher zur beklemmend ausweglosen Szenerie bei. Ebenso scheint es, als nehme der narrative Einsatz von Träumen in den späteren Prosatexten Bernhards tendenziell ab. Bozzi verweist auf einzelne Traumszenen in ''Verstörung'' (1967) sowie ''Auslöschung'' (1986) (Bozzi 2002, ###), aber Bennholdt-Thomsen konstatiert in ihrer Untersuchung der gleichen, autobiographisch lesbaren, Traumszene in ''Auslöschung'', dass die Traumerzählung in Bernhards Romanwerk „selten und von auffälliger Relevanz“ (Bennholdt-Thomsen 2001, 44) sei. Die dichte Verknüpfung von Narration und Traumerzählungen, die auf thematischer und motivischer Ebene ineinander übergehen und von der albtraumhaften Kulisse potenziert werden, macht die besondere Atmosphäre von ''Frost'' aus.
       
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Stephanie Blum]]</div>
 
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==Literatur==
 
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