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In der Bibel finden sich zahlreiche Manifestationen des Übernatürlichen, die von göttlichem Eingreifen zeugen. Unter diesen Erscheinungen nimmt der Traum einen besonderen Platz ein, denn er gilt als das bevorzugte Medium des Herrn, um seinen Willen kundzutun. <ref>Zu Traumdarstellungen in der Bibel vgl. etwa: Hayes/Tiemeyer 2014, Lanckau 2017, Meiser 2017; speziell im Neuen Testament: Poplutz 2013.</ref> Als Verbildlichung des Wunderbaren, das sich im Geist des Gläubigen manifestiert, steht der Traum im Mittelpunkt der künstlerischen und theoretischen Auseinandersetzungen des christlichen Abendlandes.
 
In der Bibel finden sich zahlreiche Manifestationen des Übernatürlichen, die von göttlichem Eingreifen zeugen. Unter diesen Erscheinungen nimmt der Traum einen besonderen Platz ein, denn er gilt als das bevorzugte Medium des Herrn, um seinen Willen kundzutun. <ref>Zu Traumdarstellungen in der Bibel vgl. etwa: Hayes/Tiemeyer 2014, Lanckau 2017, Meiser 2017; speziell im Neuen Testament: Poplutz 2013.</ref> Als Verbildlichung des Wunderbaren, das sich im Geist des Gläubigen manifestiert, steht der Traum im Mittelpunkt der künstlerischen und theoretischen Auseinandersetzungen des christlichen Abendlandes.
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In theologischen Schriften des Abendlandes kommt regelmäßig die Unfähigkeit des Menschen, ja die Unmöglichkeit zum Ausdruck, diese Begegnung mit dem Allmächtigen in Worte zu fassen. Obwohl dieser Gedanke von Theologen selten explizit ausgesprochen wird, spiegelt er sich in den terminologischen Ambivalenzen wider, die viele ihrer Schriften kennzeichnen. Dabei beschreiben Mystiker, die ihre persönlichen Erfahrungen zu Papier bringen, das Träumen als ein multisensorisches Erlebnis, bei dem der Träumende ''sieht'', ''hört'' und im Allgemeinen ''fühlt'', wie er auch gesehen, gehört oder gefühlt hätte, wenn er wach gewesen wäre.<ref>Vgl. Foligno (14 Jh.)&nbsp;; De Cues (1453)&nbsp;; Cellini (1556-1558). Man könnte hier ebenso die zahlreichen Visionen, Träume und wunderbaren Erscheinungen in ''La Légende Dorée ''von Jacques de Voragine anführen. Vgl. auch die weit verbreiteten Berichte über diese göttlichen Wunder: ''Come aparse a Chioza la beata Vergine Maria intitolata la Madonna della Navicella, et comme fece molto miracoli et gratie'';'' Copia delle stupende et horribile cose che ne’ boschi di Bergamo sono a questi giorni ''apparse [1517], in: Niccoli&nbsp;(1985), S. 253-273.</ref>
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In theologischen Schriften des Abendlandes kommt regelmäßig die Unfähigkeit des Menschen, ja die Unmöglichkeit zum Ausdruck, diese Begegnung mit dem Allmächtigen in Worte zu fassen. Obwohl dieser Gedanke von Theologen selten explizit ausgesprochen wird, spiegelt er sich in den terminologischen Ambivalenzen wider, die viele ihrer Schriften kennzeichnen. Dabei beschreiben Mystiker, die ihre persönlichen Erfahrungen zu Papier bringen, das Träumen als ein multisensorisches Erlebnis, bei dem der Träumende ''sieht'', ''hört'' und im Allgemeinen ''fühlt'', wie er auch gesehen, gehört oder gefühlt hätte, wenn er wach gewesen wäre.<ref>Vgl. Foligno (14 Jh.)&nbsp;; De Cues (1453)&nbsp;; Cellini (1556-1558). Man könnte hier ebenso die zahlreichen Visionen, Träume und wunderbaren Erscheinungen in der ''Legenda aurea'' des Jacobus de Voragine (1228/9-1298) anführen. Vgl. auch die weit verbreiteten Berichte über diese göttlichen Wunder: ''Come aparse a Chioza la beata Vergine Maria intitolata la Madonna della Navicella, et comme fece molto miracoli et gratie'';'' Copia delle stupende et horribile cose che ne’ boschi di Bergamo sono a questi giorni ''apparse [1517], in: Niccoli&nbsp;(1985), S. 253-273.</ref>
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Im zwölften Buch seines Werkes ''Über den Wortlaut der Genesis ''begründet Augustinus seine Theorie der mystischen Erfahrung, die sich als Norm etablieren wird. Er definiert diese als dreistufige Vision. Dabei unterscheidet er zwischen einer leiblichen oder sensorischen Schauweise, die »durch die Körpersinne [erfolgt]«, einer spirituellen Schauweise, »durch die wir uns in Gedanken mit abwesenden körperhaften Dingen befassen« – und die den Traum betrifft – und einer intellektuellen Schauweise, »mit der die (dem Verstand) einsichtig gewordene Liebe erblickt wird [und die] jene Dinge [umfasst], die keine Bilder haben, die ihnen ähnlich und nicht das sind, was sie selbst sind« (1964, Bd. 2, Buch XII, Kap. VI, 15). Auch wenn Augustinus zu Beginn seines Werks Definitionen der Begriffe »körperlich«, »empfindlich«, »geistig« und »intellektuell« (Ebd., Kap. VII-VIII) anführt, setzt er sich nicht dezidiert mit den erfahrungsspezifischen Eigenheiten göttlicher Manifestationen auseinander. Darüber hinaus bleibt seine Terminologie sehr vage. Oft benutzt er die eigentlich zur Differenzierung der unterschiedlichen visionären Erscheinungen eingeführten Termini zur Beschreibung ein und derselben übernatürlichen Erfahrung, manchmal innerhalb desselben Satzes und erweckt so den Eindruck, dass der Gebrauch unterschiedlicher Begriffe eher einem Anspruch an rhetorische Abwechslung geschuldet ist.<ref>Zur Traum und Visionstheorie von Augustinus vgl. Seit 2018 (mit zahlreichen wieteren Literaturhinweisen)</ref>
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Im zwölften Buch seines Werkes ''Über den Wortlaut der Genesis ''begründet Augustinus seine Theorie der mystischen Erfahrung, die sich als Norm etablieren wird. Er definiert diese als dreistufige Vision. Dabei unterscheidet er zwischen einer leiblichen oder sensorischen Schauweise, die »durch die Körpersinne [erfolgt]«, einer spirituellen Schauweise, »durch die wir uns in Gedanken mit abwesenden körperhaften Dingen befassen« – und die den Traum betrifft – und einer intellektuellen Schauweise, »mit der die (dem Verstand) einsichtig gewordene Liebe erblickt wird [und die] jene Dinge [umfasst], die keine Bilder haben, die ihnen ähnlich und nicht das sind, was sie selbst sind« (1964, Bd. 2, Buch XII, Kap. VI, 15). Auch wenn Augustinus zu Beginn seines Werks Definitionen der Begriffe »körperlich«, »empfindlich«, »geistig« und »intellektuell« (Ebd., Kap. VII-VIII) anführt, setzt er sich nicht dezidiert mit den erfahrungsspezifischen Eigenheiten göttlicher Manifestationen auseinander. Darüber hinaus bleibt seine Terminologie sehr vage. Oft benutzt er die eigentlich zur Differenzierung der unterschiedlichen visionären Erscheinungen eingeführten Termini zur Beschreibung ein und derselben übernatürlichen Erfahrung, manchmal innerhalb desselben Satzes und erweckt so den Eindruck, dass der Gebrauch unterschiedlicher Begriffe eher einem Anspruch an rhetorische Abwechslung geschuldet ist.<ref>Zur Traum und Visionstheorie von Augustinus vgl. Seit 2018 (mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen)</ref>
    
Die durch das sensorische Vokabular induzierte Mehrdeutigkeit beeinträchtigt jedoch nicht das Verständnis der erzählten göttlichen Erscheinung: Die vom Textmedium getragene narrative Kontinuität der Erzählung erlaubt es dem Autor, die Entfaltung eines Ereignisses als Ganzes zu beschreiben. Für den Christen der frühen Moderne ist der Mensch zudem mit ›inneren‹ Sinnen ausgestattet, die im Zusammenspiel mit den ›äußeren‹, kognitiven Sinnen operieren, und die in der Lage sind, die von den Sinnesorganen erfassten Eindrücke zu interpretieren. Auf die fünf körperlichen Sinne, die die materielle Welt wahrnehmen, reagieren demnach die geistigen Sinne, die in der Lage sind, göttliche und immaterielle Wirklichkeiten wahrzunehmen - und es ist diese Sensorik, mit der der Träumende operiert.<ref>Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten setzen sich mit der Frage der Sinnlichkeit und der sinnlichen Wahrnehmung im religiösen, theologischen und liturgischen Kontext auseinander (z.B. Palazzo 2014). Zur Frage der inneren Wahrnehmung als Schlüssel zum Göttlichen vgl. Gavrilyuk/Coakeley (2011). Für einen interdisziplinären, Théologie, Natur- und Literaturwissenschaft verbindenden Ansatz vgl. Duhl/ Fritz (2016). Bezüglich der Rolle der sinnlichen Wahrnehmung in religiösen Praktiken im Europa der Moderne vgl. Boer/Göttler (2013). Zur Frage der Sensorik im Kontext des Konzils von Trient vgl. Hall/Cooper (2013.)</ref>
 
Die durch das sensorische Vokabular induzierte Mehrdeutigkeit beeinträchtigt jedoch nicht das Verständnis der erzählten göttlichen Erscheinung: Die vom Textmedium getragene narrative Kontinuität der Erzählung erlaubt es dem Autor, die Entfaltung eines Ereignisses als Ganzes zu beschreiben. Für den Christen der frühen Moderne ist der Mensch zudem mit ›inneren‹ Sinnen ausgestattet, die im Zusammenspiel mit den ›äußeren‹, kognitiven Sinnen operieren, und die in der Lage sind, die von den Sinnesorganen erfassten Eindrücke zu interpretieren. Auf die fünf körperlichen Sinne, die die materielle Welt wahrnehmen, reagieren demnach die geistigen Sinne, die in der Lage sind, göttliche und immaterielle Wirklichkeiten wahrzunehmen - und es ist diese Sensorik, mit der der Träumende operiert.<ref>Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten setzen sich mit der Frage der Sinnlichkeit und der sinnlichen Wahrnehmung im religiösen, theologischen und liturgischen Kontext auseinander (z.B. Palazzo 2014). Zur Frage der inneren Wahrnehmung als Schlüssel zum Göttlichen vgl. Gavrilyuk/Coakeley (2011). Für einen interdisziplinären, Théologie, Natur- und Literaturwissenschaft verbindenden Ansatz vgl. Duhl/ Fritz (2016). Bezüglich der Rolle der sinnlichen Wahrnehmung in religiösen Praktiken im Europa der Moderne vgl. Boer/Göttler (2013). Zur Frage der Sensorik im Kontext des Konzils von Trient vgl. Hall/Cooper (2013.)</ref>

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