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==Regisseurin==
 
==Regisseurin==
Ildikó Enyedi wurde 1955 in Budapest geboren. In ihrem ersten Spielfilm ''Mein 20. Jahrhundert'' (''Az én XX. századom'', 1989) widmete sie sich zwei Menschen – es sind Schwestern – die getrennt werden. Ihr fünfter Spielfilm ''Körper und Seele'' wird häufig als umgekehrter Plot des Erstlings beschrieben, nämlich als Film über zwei einander entfernte Menschen, die zusammenfinden. 1989 gewann sie für ''Mein 20. Jahrhundert'' die Caméra d'Or in Cannes. Ihre nächsten Filme ''Der Freischütz – The Magic Hunter'' (''Bűvös vadász'', 1994), ''Winterliebe – Tamas and Juli'' (''Tamás és Juli'', 1997) und ''Simon the Magician'' (''Simon mágus'', 1999) liefen in Wettbewerben in Venedig oder Locarno, wurden aber nicht prämiert. Nach zwei Kurzfilmen wandte sie sich dem Fernsehen zu und war von 2012 bis 2014 Regisseurin von ''Terápia'', der ungarischen Version der HBO Serie ''In Treatment''. Mit ''Körper und Seele'' schloss sie an den Erfolg des ersten Filmes an. Sie gewann dafür den Goldenen Bären der Berlinale 2017. Im selben Jahr ging der Europäische Filmpreis für die Beste Darstellerin an Alexandra Borbély, die die weibliche Hauptrolle spielt. Bei der Oscarverleihung 2018 war ''Körper und Seele'' für den Besten fremdsprachigen Film nominiert.
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Ildikó Enyedi wurde 1955 in Budapest geboren. In ihrem ersten Spielfilm ''Mein 20. Jahrhundert'' (''Az én XX. századom'', 1989) widmete sie sich zwei Menschen – es sind Schwestern – die getrennt werden. Ihr fünfter Spielfilm ''Körper und Seele'' wird häufig als umgekehrter Plot dieses Erstlings beschrieben, nämlich als Film über zwei einander entfernte Menschen, die zusammenfinden. 1989 gewann sie für ''Mein 20. Jahrhundert'' die Caméra d'Or in Cannes. Ihre nächsten Filme ''Der Freischütz – The Magic Hunter'' (''Bűvös vadász'', 1994), ''Winterliebe – Tamas and Juli'' (''Tamás és Juli'', 1997) und ''Simon the Magician'' (''Simon mágus'', 1999) liefen in Wettbewerben in Venedig oder Locarno, wurden aber nicht prämiert. Nach zwei Kurzfilmen wandte sie sich dem Fernsehen zu und war von 2012 bis 2014 Regisseurin von ''Terápia'' (2012-2014), der ungarischen Version der HBO Serie ''In Treatment'' (2008-2021), die ihrerseits wiederum auf der israelischen Serie ''Be Tipul'' (2005-2008) beruht. Mit ''Körper und Seele'' konnte sie an den Erfolg ihres ersten Filmes anschließen. Sie gewann dafür den Goldenen Bären der Berlinale 2017. Im selben Jahr ging der Europäische Filmpreis für die Beste Darstellerin an Alexandra Borbély, die die weibliche Hauptrolle spielt. Bei der Oscarverleihung 2018 war ''Körper und Seele'' für den Besten fremdsprachigen Film nominiert.
       
==Werkentstehung==
 
==Werkentstehung==
Das Drehbuch schrieb die Regisseurin 2005 innerhalb weniger Wochen. Bis zur filmischen Umsetzung aber vergingen zehn Jahre, weil Probleme bei der Finanzierung überwunden werden mussten (Filmclip Cineuropa, 25.9.2017). Auf dem Portal Cineuropa heißt es, dass die Dreharbeiten vom 13. April bis zum 14. Juni 2015 in Budapest und Hajdúnánás stattfanden (ebd.). Einige Drehtage, vermutlich die der Traumsequenzen, waren für den folgenden Winter geplant. Im Sommer wurde eine Woche lang in einem Schlachthof gefilmt, was bedeutet, dass die Szenen, in denen eingepferchte Kühe, ihre Tötung und das Zerteilen ihres Fleisches gezeigt werden, authentisch und dokumentierend sind. Den Schlachthof versteht die Regisseurin als Ort der Ehrlichkeit (Peitz 2017). An anderer Stelle spricht sie vom Schlachthof als einem Ort des Alltags, der in unserer Gesellschaft dennoch versteckt wird (Katzenberger 2017). Die Dreharbeiten für die Traumsequenzen nahmen ebenfalls eine Woche in Anspruch. Gedreht wurden diese im Bükk-Gebirge (Tilla 2016). Enyedi berichtet, dass sie mit ihrer Crew von der Morgen- bis zur Abenddämmerung filmte, unter anderem um das blaue Dämmerlicht nutzen zu können.<ref>Interview mit Ildikó Enyedi im Bonusmaterial der DVD, 0:26:39-0:28:43</ref> Es war ihr wichtig, in einem echten Wald mit echten Tieren zu drehen, um eine „traumhafte Verzerrung“ zu vermeiden (Katzenberger 2017). Dennoch erscheinen, wie sie sagt, diese Sequenzen märchenhaft schön, weil die Natur selbst so ist (ebd.). Nach Meinung der Regisseurin gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen Menschen und Tieren, und beide haben eine Seele (ebd.). Dazu, dass sie Hirsche auswählte, um Wildtiere zu repräsentieren, meinte sie, diese seien quasi die Entsprechung zu den Kühen, es bestehe ein beinahe geschwisterliches Verhältnis zwischen den domestizierten Kühen und den freien Hirschen. Beides seien Tiere, mit denen die Menschen seit langer Zeit zusammenleben (Burg/Wellinski 2017).
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Das Drehbuch schrieb die Regisseurin 2005 innerhalb weniger Wochen. Bis zur filmischen Umsetzung aber vergingen zehn Jahre, weil Probleme bei der Finanzierung überwunden werden mussten (Cineuropa 2017). Die Dreharbeiten fanden vom 13. April bis zum 14. Juni 2015 in Budapest und Hajdúnánás statt (ebd.). Einige Drehtage, vermutlich die der Traumsequenzen, waren für den folgenden Winter geplant. Im Sommer wurde eine Woche lang in einem Schlachthof gefilmt, was bedeutet, dass die Szenen, in denen eingepferchte Kühe, ihre Tötung und das Zerteilen ihres Fleisches gezeigt werden, authentisch und dokumentierend sind. Den Schlachthof versteht die Regisseurin als Ort der Ehrlichkeit (Peitz 2017). An anderer Stelle spricht sie vom Schlachthof als einem Ort des Alltags, der in unserer Gesellschaft dennoch versteckt wird (Katzenberger 2017). Die Dreharbeiten für die Traumsequenzen nahmen ebenfalls eine Woche in Anspruch. Gedreht wurden diese im Bükk-Gebirge (Tilla 2016). Enyedi berichtet, dass sie mit ihrer Crew von der Morgen- bis zur Abenddämmerung filmte, unter anderem um das blaue Dämmerlicht nutzen zu können.<ref>Interview mit Ildikó Enyedi im Bonusmaterial der DVD, 0:26:39-0:28:43</ref> Es war ihr wichtig, in einem echten Wald mit echten Tieren zu drehen, um eine „traumhafte Verzerrung“ zu vermeiden (Katzenberger 2017). Dennoch erscheinen, wie sie sagt, diese Sequenzen märchenhaft schön, weil die Natur selbst so ist (ebd.). Nach Meinung der Regisseurin gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen Menschen und Tieren, und beide haben eine Seele (ebd.). Dazu, dass sie Hirsche auswählte, um Wildtiere zu repräsentieren, meinte sie, diese seien quasi die Entsprechung zu den Kühen, es bestehe ein beinahe geschwisterliches Verhältnis zwischen den domestizierten Kühen und den freien Hirschen. Beides seien Tiere, mit denen die Menschen seit langer Zeit zusammenleben (Burg/Wellinski 2017).
    
==Der Traum==
 
==Der Traum==
Im Grunde handelt es sich um einen einzigen Traum, an dem allerdings in verschiedenen Nächten weitergeträumt wird. Das Traumpersonal ist immer dasselbe, ebenso wie die Umgebung gleich bleibt. In einem winterlichen Wald begegnen sich eine Hirschkuh und ein Hirsch. Es herrscht ausschließlich natürliches Tageslicht sowie eine Geräuschkulisse, die aus einem gleichmäßigen, leisen Rauschen besteht, das keine unmittelbar erkennbare Quelle hat. Es scheint vielmehr der akustische Beitrag, um einen weiten, ruhigen Naturraum anzuzeigen. Hinzu kommen natürliche Geräusche wie der Ruf eines Vogels oder das Gurgeln eines Baches. Dieser fortlaufende Traum wird parallel zu den Tageserlebnissen in der Realwelt erzählt, wobei sowohl ein übergreifender Bogen in der rein linearen Erzählung erkennbar ist, als auch die Praxis, kleine Geschehnisse einzelner Tage in verwandelter Form aufzugreifen.
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Im Grunde handelt es sich um einen einzigen Traum, an dem allerdings in verschiedenen Nächten weitergeträumt wird. Das Traumpersonal ist immer dasselbe, ebenso wie die Umgebung immer gleich bleibt. In einem winterlichen Wald begegnen sich eine Hirschkuh und ein Hirsch. Es herrscht ausschließlich natürliches Tageslicht sowie eine Geräuschkulisse, die aus einem gleichmäßigen, leisen Rauschen besteht, das keine unmittelbar erkennbare Quelle hat. Es scheint vielmehr der akustische Beitrag, um einen weiten, ruhigen Naturraum anzuzeigen. Hinzu kommen natürliche Geräusche wie der Ruf eines Vogels oder das Gurgeln eines Baches. Dieser fortlaufende Traum wird parallel zu den Tageserlebnissen in der Realwelt erzählt, wobei sowohl ein übergreifender Bogen in der rein linearen Erzählung erkennbar ist, als auch die Praxis, kleine Geschehnisse einzelner Tage in verwandelter Form aufzugreifen.
    
Um diese Montagen übersichtlich darzustellen, wurden die Traumsequenzen nummeriert und zu dramaturgischen Gruppen zusammengefasst. Bei der folgenden Beschreibung und Analyse der Traumsequenzen ist berücksichtigt, wie diese in Szenen der Wachwelt eingebettet sind.  
 
Um diese Montagen übersichtlich darzustellen, wurden die Traumsequenzen nummeriert und zu dramaturgischen Gruppen zusammengefasst. Bei der folgenden Beschreibung und Analyse der Traumsequenzen ist berücksichtigt, wie diese in Szenen der Wachwelt eingebettet sind.  
 
   
 
   
 
===Beschreibung der Traumsequenz I: Eröffnung (KS #:##-#:#:#)===
 
===Beschreibung der Traumsequenz I: Eröffnung (KS #:##-#:#:#)===
Der Film beginnt mit einem Schwarzfilm, Musik setzt ein, die aber bald endet, als aufgeblendet wird und ein winterlicher Laubwald zu sehen ist. Das bläuliche Licht, in das er getaucht ist, greift das Motiv einer klaren Kälte auf, zugleich kann es die Zeit der Dämmerung anzeigen, jene Zeit, die wegen ihrer außergewöhnlichen Farbigkeit auch blaue Stunde genannt wird. Schnee fällt und unter den hohen, kahlen Bäumen gehen zwei Tiere. Ein Hirsch schreitet voraus, eine Hirschkuh folgt. Nachdem sie stehen geblieben ist, geht er noch ein Stück weiter, wendet sich aber bald nach ihr um und kommt zurück. Während sie reglos mit abgewandtem Kopf verharrt, nähert er sich ihr und legt schließlich seinen Kopf auf ihren Rücken. Sie verweilen kurz und gehen anschließend nach rechts aus dem Bild.
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Der Film beginnt mit einem Schwarzfilm; Musik setzt ein, die aber bald endet, als aufgeblendet wird und ein winterlicher Laubwald zu sehen ist. Das bläuliche Licht, in das er getaucht ist, greift das Motiv einer klaren Kälte auf, zugleich kann es die Zeit der Dämmerung anzeigen - jene Zeit, die wegen ihrer außergewöhnlichen Farbigkeit auch 'blaue Stunde' genannt wird. Schnee fällt, und unter den hohen, kahlen Bäumen gehen zwei Tiere. Ein Hirsch schreitet voraus, eine Hirschkuh folgt. Nachdem sie stehen geblieben ist, geht er noch ein Stück weiter, wendet sich aber bald nach ihr um und kommt zurück. Während sie reglos mit abgewandtem Kopf verharrt, nähert er sich ihr und legt schließlich seinen Kopf auf ihren Rücken. Sie verweilen kurz und gehen anschließend nach rechts aus dem Bild.
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Nach einem Schnitt wird eine dem Gesehenen entgegengesetzte Welt gezeigt, die sich bald als Wachwelt herausstellt. Beschmutzte Hufe stehen auf ebenfalls schmutzigen Fliesen. Eine eingesperrte Kuh schaut nach oben zur Sonne, die von diesigen Wolken verschleiert ist. Gleich im Anschluss werden mehrere Personen gezeigt, die sich, ebenso wie das Tier, der Sonne zuwenden. Das sind, nacheinander, eine Putzfrau, die weibliche Hauptfigur Maria und schließlich die männliche Hauptfigur Endre. Als eine Glocke ertönt, bezeichnet sie das Ende jener versonnenen Untätigkeit, die gerade zu beobachten war. Eine tote Kuh rollt aus einer Schlachtvorrichtung und wird zu ihrer Verarbeitung aufgehangen.
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Nach einem Schnitt wird eine dem Gesehenen entgegengesetzte Welt gezeigt, die sich bald als Wachwelt herausstellt. Beschmutzte Hufe stehen auf ebenfalls schmutzigen Fliesen. Eine eingesperrte Kuh schaut nach oben zur Sonne, die von diesigen Wolken verschleiert ist. Gleich im Anschluss sehen wir mehrere Personen, die sich, ebenso wie das Tier, der Sonne zuwenden; es sind, nacheinander, eine Putzfrau, die weibliche Hauptfigur Maria und schließlich die männliche Hauptfigur Endre. Als eine Glocke ertönt, bezeichnet sie das Ende jener versonnenen Untätigkeit, die gerade zu beobachten war. Eine tote Kuh rollt aus einer Schlachtvorrichtung und wird zu ihrer Verarbeitung aufgehangen.
    
===Analyse I===
 
===Analyse I===
Die Eröffnungsszene ist nicht als Traum markiert. Weder formal noch inhaltlich gibt es Hinweise, dass die Szene im Wald ein Traumerlebnis bezeichnet. Traum- und folgende Realwelt werden in der Art der Darstellung gleich behandelt. Beide sind in Bildern und Geräuschen auf eine feine Beobachtung und einen langsamen Rhythmus hin ausgerichtet. Auffällig aber ist der Kontrast zwischen der Welt im Wald, welche sich deutlich später als die eines Schlaftraums herausstellt, und der Welt im Schlachthof. Während die Welt des Waldes kalt, menschenlos und von zwei freien, ungefährdeten Tieren bewohnt ist, liegt die menschenbelebte Realwelt in einer sommerlichen Stadt und ist mit einem Schlachthof verbunden, in dem domestizierte Tiere getötet und verarbeitet werden. Zugleich wird nach der eröffnenden Sequenz der eklatante Spalt zwischen Traum- und Realwelt für einen Übergang genutzt, der in eine Art von Tagtraum führt. Die todgeweihte Kuh wendet sich der Sonne zu, ist ebenso von ihr angezogen wie die Menschen, bevor mit einem Signal diese Pause in ihrer aller Leben beendet wird. Die Glocke ist Signal- und Weckton und nach dem Erwachen aus der genussvollen Versonnenheit werden die Tagesgeschäfte aufgenommen. Anders als beim Schlaftraum bleibt der konkrete Inhalt der möglichen Tagträume ungeklärt, jedoch sind deren Umrisse kontextuell zu bestimmen. In ihrer gleichartigen Reaktion auf die Sonne als einer natürlichen licht- und wärmespendenden Kraft, werden Menschen und Kuh zu sich ähnelnden Lebewesen, während mit dem Signal- und Weckton ein existentiell bedeutsamer Antagonismus in Gang kommt, durch den sie geschieden werden. Darum und aus der unmittelbaren Verbindung zur vorausgegangenen Szene im Wald, erscheint die Waldszene als Wunschtraum eines freien, ungefährdeten Lebens.
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Die Eröffnungsszene ist nicht als Traum markiert. Weder formal noch inhaltlich gibt es Hinweise, dass die Szene im Wald ein Traumerlebnis darstellt. Traum- und folgende Realwelt werden in der Art der Darstellung gleich behandelt; beide sind in Bildern und Geräuschen auf eine feine Beobachtung und einen langsamen Rhythmus hin ausgerichtet. Auffällig aber ist der Kontrast zwischen der Welt im Wald, die sich deutlich später als die eines Schlaftraums herausstellt, und der Welt im Schlachthof. Während die Welt des Waldes kalt, menschenlos und von zwei freien, ungefährdeten Tieren bewohnt ist, liegt die menschenbelebte Realwelt in einer sommerlichen Stadt und ist mit einem Schlachthof verbunden, in dem domestizierte Tiere getötet und verarbeitet werden. Nach der eröffnenden Sequenz wird der eklatante Spalt zwischen Traum- und Realwelt für einen Übergang genutzt, der in eine Art von Tagtraum führt. Die todgeweihte Kuh wendet sich der Sonne zu, ist ebenso von ihr angezogen wie die Menschen, bevor mit einem Signal die Pause in ihrer aller Leben beendet wird. Die Glocke ist Signal- und Weckton; nach dem Erwachen aus der genussvollen Versonnenheit werden die Tagesgeschäfte aufgenommen. Anders als beim Schlaftraum bleibt der konkrete Inhalt der möglichen Tagträume ungeklärt, jedoch sind deren Umrisse kontextuell zu bestimmen. In ihrer gleichartigen Reaktion auf die Sonne als einer natürlichen licht- und wärmespendenden Kraft, werden Menschen und Kuh zu sich ähnelnden Lebewesen, während mit dem Signal- und Weckton ein existentiell bedeutsamer Antagonismus in Gang kommt, durch den sie geschieden werden. Darum und aus der unmittelbaren Verbindung zur vorausgegangenen Szene im Wald, erscheint die Waldszene als Wunschtraum eines freien, ungefährdeten Lebens.
    
===Beschreibung der Traumsequenzen II (KS #:#:#-#:#:), III (KS #:#:#-#:#:) und IV (KS #:#:#-#:#:): Zweisamkeit als individuelle Imagination===
 
===Beschreibung der Traumsequenzen II (KS #:#:#-#:#:), III (KS #:#:#-#:#:) und IV (KS #:#:#-#:#:): Zweisamkeit als individuelle Imagination===
Bevor nach dem Tagtraum der zweite Schlaftraum beginnt, sieht Endre Maria zum ersten Mal in der Realwelt und wird sogleich auf sie aufmerksam. Maria erlebt ihren ersten Arbeitstag im Schlachthof. Endre versucht Kontakt aufzunehmen, um ihr die Ankunft zu erleichtern. Zuhause spielt Maria die erste Begegnung nach, wobei sich erkennen lässt, wie schwer es ihr fällt mit Endre zu sprechen, obwohl sie es gern möchte. Maria und Endre sind abends in ihren jeweiligen Wohnungen zu sehen. Bei beiden läuft im Fernseher ein alter schwarz-weißer Film. Während Maria zuschaut, ist Endre eingeschlafen. Von ihm wird in den bekannten winterlichen Wald geschnitten. Dort ist die unbestimmte, leise rauschende Tonkulisse genau wie in der ersten Traumsequenz zu hören. Der Baumbestand aber ist optisch weniger durchlässig. Ein Hirsch steht auf einer Lichtung und blickt zu einer dunkelgrünen Wand aus Nadelbäumen, wo sich nach einer Weile die Hirschkuh zeigt. Sie zögert, läuft dann, ein wenig vom Hirsch entfernt, über die Lichtung, um am Rand des nächsten Dickichts stehen zu bleiben und sich zu dem männlichen Tier umzudrehen.
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Bevor nach dem Tagtraum der zweite Schlaftraum beginnt, sieht Endre Maria zum ersten Mal in der Realwelt und wird sogleich auf sie aufmerksam. Maria erlebt ihren ersten Arbeitstag im Schlachthof. Endre versucht Kontakt aufzunehmen, um ihr die Ankunft zu erleichtern. Zuhause spielt Maria die erste Begegnung nach, wobei sich erkennen lässt, wie schwer es ihr fällt, mit Endre zu sprechen, obwohl sie es gern möchte. Maria und Endre sind abends in ihren jeweiligen Wohnungen zu sehen. Bei beiden läuft im Fernseher ein alter schwarz-weißer Film. Während Maria zuschaut, ist Endre eingeschlafen. Von ihm wird in den bekannten winterlichen Wald geschnitten. Dort ist die unbestimmte, leise rauschende Tonkulisse genau wie in der ersten Traumsequenz zu hören, der Baumbestand aber ist optisch weniger durchlässig. Ein Hirsch steht auf einer Lichtung und blickt zu einer dunkelgrünen Wand aus Nadelbäumen, wo sich nach einer Weile die Hirschkuh zeigt. Sie zögert, läuft dann, ein wenig vom Hirsch entfernt, über die Lichtung, um am Rand des nächsten Dickichts stehen zu bleiben und sich zu dem männlichen Tier umzudrehen.
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Während in der Realwelt wie in der Traumwelt die Perspektiven von Maria und Endre ausgewogen sind, wird bei diesem wie den beiden folgenden Träumen jeweils von Endre zum Traumgeschehen geschnitten. Im nächsten Schlaftraum, Nummer III, scheinen die Tiere vertrauter miteinander. Hirschkuh und Hirsch liegen ruhig Seite an Seite im Schnee. Schneekristalle zeichnen sich weiß in ihrem Fell ab. Im Traum Nummer IV lässt sich eine Reaktion auf den Tag ausmachen, an dem Endre vom Fenster aus beobachtete, wie Maria wegen ihres steifen Verhaltens von anderen verspottet wurde. Im Traum scharren beide Tiere zwischen alten Blättern, als ein Vogelruf die Hirschkuh ablenkt und aufblicken lässt. Schnee rieselt von einem Ast, wo der Vogel offenbar aufgeflogen ist. Daraufhin schauen sich beide Tiere an, die Hirschkuh mahlt mit ihren Zähnen, das Gluckern eines Baches ist zu hören, ein Huf im Wasser ist zu sehen, bevor sie und der Hirsch gemeinsam über den Bach hinweg davon gehen.
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Während in der Realwelt wie in der Traumwelt die Perspektiven von Maria und Endre ausgewogen sind, wird bei diesem wie den beiden folgenden Träumen jeweils von Endre zum Traumgeschehen geschnitten. Im nächsten Schlaftraum, Nummer III, scheinen die Tiere vertrauter miteinander. Hirschkuh und Hirsch liegen ruhig Seite an Seite im Schnee. Schneekristalle zeichnen sich weiß in ihrem Fell ab. Im Traum Nummer IV lässt sich eine Reaktion auf den Tag ausmachen, an dem Endre vom Fenster aus beobachtete, wie Maria wegen ihres steifen Verhaltens von anderen verspottet wurde. Im Traum scharren beide Tiere zwischen alten Blättern, als ein Vogelruf die Hirschkuh ablenkt und aufblicken lässt. Schnee rieselt von einem Ast, von dem der Vogel offenbar aufgeflogen ist. Daraufhin schauen sich beide Tiere an, die Hirschkuh mahlt mit ihren Zähnen, das Gluckern eines Baches ist zu hören, ein Huf im Wasser ist zu sehen, bevor sie und der Hirsch gemeinsam über den Bach hinweg davon gehen.
    
===Analyse zu II, III und IV===
 
===Analyse zu II, III und IV===
Dass vom schlafenden Endre wieder auf eine Waldszene geschnitten wurde, ist ein erster Hinweis darauf, dass sie einen Traum bezeichnet, der an dieser Stelle scheinbar von Endre allein geträumt wird. Die Begegnung der Tiere lässt sich als metaphorische Umarbeitung seiner Begegnung mit Maria verstehen. Durch die Traum-Metamorphosen wird ein Moment des Wunderbaren eingeführt, denn, wie das Publikum aus der ersten Filmszene schließen kann, waren beide Tiere gemeinsam im Wald unterwegs, bevor Maria und Endre sich trafen. Darum erschient der Traum nicht nur als die gestaltete Sehnsucht des Mannes, deren mögliche reale Erfüllung sich ihm am Tag gezeigt hat, sondern auch als ein bereits vorbestimmtes Treffen mit dieser einen Frau.
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Dass vom schlafenden Endre wieder auf eine Waldszene geschnitten wurde, ist ein erster Hinweis darauf, dass diese einen Traum darstellt, der hier scheinbar von Endre allein geträumt wird. Die Begegnung der Tiere lässt sich als metaphorische Verarbeitung seiner Begegnung mit Maria verstehen. Durch die Traum-Metamorphosen wird ein Moment des Wunderbaren eingeführt, denn, wie das Publikum aus der ersten Filmszene schließen kann, waren beide Tiere schon gemeinsam im Wald unterwegs, bevor Maria und Endre sich trafen. Darum erschient der Traum nicht nur als die gestaltete Sehnsucht des Mannes, deren mögliche reale Erfüllung sich ihm am Tag gezeigt hat, sondern auch als ein bereits vorbestimmtes Treffen mit dieser einen Frau.
    
Obwohl die Träume, eingebettet in das Geschehen der Realwelt, metaphorisch, also funktional lesbar sind, erscheinen sie, für sich genommen, auch hyperreal. In den ruhigen Bildern und Geräuschen wird das Leben zweier Waldtiere gezeigt, wie es tatsächlich sein könnte. Die Unaufgeregtheit lässt fast darüber hinwegsehen, dass ästhetisch und semantisch bewusst Bildausschnitte gewählt und zusammengesetzt wurden. Weit entfernt von den beinahe rituellen inhaltlichen und visuellen Wiederholungen in filmischen Tierdokumentationen, fällt allerdings auf, dass die gewöhnlich in gleichgeschlechtlichen Gruppen und nur zur Brunftzeit in Harems lebenden Tiere hier ein einzelnes Paar bilden aus einem Hirsch und einer Hirschkuh. So dass eine einerseits äußerst realistische, zugleich aber auf etwas anderes hin idealisierte Aussage erzeugt wird, das heißt, eine die Realität zu diesem Zweck verfälschende Kommunikation.
 
Obwohl die Träume, eingebettet in das Geschehen der Realwelt, metaphorisch, also funktional lesbar sind, erscheinen sie, für sich genommen, auch hyperreal. In den ruhigen Bildern und Geräuschen wird das Leben zweier Waldtiere gezeigt, wie es tatsächlich sein könnte. Die Unaufgeregtheit lässt fast darüber hinwegsehen, dass ästhetisch und semantisch bewusst Bildausschnitte gewählt und zusammengesetzt wurden. Weit entfernt von den beinahe rituellen inhaltlichen und visuellen Wiederholungen in filmischen Tierdokumentationen, fällt allerdings auf, dass die gewöhnlich in gleichgeschlechtlichen Gruppen und nur zur Brunftzeit in Harems lebenden Tiere hier ein einzelnes Paar bilden aus einem Hirsch und einer Hirschkuh. So dass eine einerseits äußerst realistische, zugleich aber auf etwas anderes hin idealisierte Aussage erzeugt wird, das heißt, eine die Realität zu diesem Zweck verfälschende Kommunikation.

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