"Kassandra" (Christa Wolf): Unterschied zwischen den Versionen

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Abgesehen von den Textimmanenten Interpretationsversuchen anderer Figuren eröffnet der Kampf zwischen Mond und Sonne eine zweite Bedeutungsebene vor dem Hintergrund der Archetypischen Psychologie. Es ist offensichtlich, dass der symbolische Charakter des Traums eine Anspielung auf CG Jungs Traumkonzeption ist. Träume stellen eine umfassende Symbolik dar, die dem kollektiven Unbewussten entspricht. Der Mond und die Sonne verkörpern zwei Prinzipien, nämlich das Weibliche und das Männliche, die sich im Traum gegenüberstehen. Mann und Frau fungieren, in Übereinstimmung mit Jungs Denken, als Wesen, die zur Symbolisierung fähig sind. Die Polarisierung der lunaren Frau und des solaren Gottes oder Mannes entspricht dem Oppositionsprinzip des von Jung geprägten Begriffs des Archetyps, der als universelle Form definiert werden kann. In Jungs Verständnis sind die universellen Formen in der Struktur des menschlichen Geistes verankert, der die Eindrücke und Wahrnehmungen der Welt in Symbole umwandelt. Die Entstehung dieser Symbole unterliegt einem Prozess der sprachlichen, mythischen oder logisch-theoretischen Apperzeption.  In diesem Zusammenhang hat der Rückgriff auf Archetypen eine entwicklungspsychologische Dimension: Durch ihren Transformationsprozess überschreitet Kassandra zu Recht die Grenze ihrer Individualität, so dass sie sich als kollektives und universelles Wesen identifiziert oder identifiziert wird. Darüber hinaus ist die Vorstellung eines entscheidenden Übergangs vom Patriarchat zum Matriarchat offensichtlich. Die im Traum dargestellte Symbolik kann als Anspielung auf die in den 1980er Jahren erfolgte grundlegende Kritik am Konzept von Anima/Animus und den damit verbundenen patriarchalisch geprägten Rollenstereotypen interpretiert werden, die zur Erweiterung von Jungs Konzept des Seelenbildes des anderen Geschlechts geführt hat. In der Tat wurde der Logos dem Männlichen und der Eros der Frau vorbehalten. Die Vorwürfe gegen Jungs zeitbedingtes Frauenbild nahmen große Ausmaße an. Eine seiner Schülerinnen, Ursula Baumgart, warf ihm vor, dass er durch den Einfluss patriarchalischer Klischees daran gehindert worden sei, die weibliche Psyche wirklich zu verstehen. Angesichts der für Männer und Frauen definierten Attribute lautete der Vorschlag, dass die besprochenen Archetypen klar von den Beschreibungen des Verhaltens und Erlebens konkreter Männer und Frauen getrennt werden sollten. Anstelle der Begriffe männlich und weiblich schlugen spätere Autoren wie Schwartz-Salant eher freie Formulierungen für diese abstrakten Prinzipien vor, wie Sol und Luna. Generell ist festzuhalten, dass die Bedeutung dieser Traumsequenz im entscheidenden Übergang vom Patriarchat zum Matriarchat liegt.
Abgesehen von den Textimmanenten Interpretationsversuchen anderer Figuren eröffnet der Kampf zwischen Mond und Sonne eine zweite Bedeutungsebene vor dem Hintergrund der Archetypischen Psychologie. Es ist offensichtlich, dass der symbolische Charakter des Traums eine Anspielung auf CG Jungs Traumkonzeption ist. Träume stellen eine umfassende Symbolik dar, die dem kollektiven Unbewussten entspricht. Der Mond und die Sonne verkörpern zwei Prinzipien, nämlich das Weibliche und das Männliche, die sich im Traum gegenüberstehen. Mann und Frau fungieren, in Übereinstimmung mit Jungs Denken, als Wesen, die zur Symbolisierung fähig sind. Die Polarisierung der lunaren Frau und des solaren Gottes oder Mannes entspricht dem Oppositionsprinzip des von Jung geprägten Begriffs des Archetyps, der als universelle Form definiert werden kann. In Jungs Verständnis sind die universellen Formen in der Struktur des menschlichen Geistes verankert, der die Eindrücke und Wahrnehmungen der Welt in Symbole umwandelt. Die Entstehung dieser Symbole unterliegt einem Prozess der sprachlichen, mythischen oder logisch-theoretischen Apperzeption.  In diesem Zusammenhang hat der Rückgriff auf Archetypen eine entwicklungspsychologische Dimension: Durch ihren Transformationsprozess überschreitet Kassandra zu Recht die Grenze ihrer Individualität, so dass sie sich als kollektives und universelles Wesen identifiziert oder identifiziert wird. Darüber hinaus ist die Vorstellung eines entscheidenden Übergangs vom Patriarchat zum Matriarchat offensichtlich. Die im Traum dargestellte Symbolik kann als Anspielung auf die in den 1980er Jahren erfolgte grundlegende Kritik am Konzept von Anima/Animus und den damit verbundenen patriarchalisch geprägten Rollenstereotypen interpretiert werden, die zur Erweiterung von Jungs Konzept des Seelenbildes des anderen Geschlechts geführt hat. In der Tat wurde der Logos dem Männlichen und der Eros der Frau vorbehalten. Die Vorwürfe gegen Jungs zeitbedingtes Frauenbild nahmen große Ausmaße an. Eine seiner Schülerinnen, Ursula Baumgart, warf ihm vor, dass er durch den Einfluss patriarchalischer Klischees daran gehindert worden sei, die weibliche Psyche wirklich zu verstehen. Angesichts der für Männer und Frauen definierten Attribute lautete der Vorschlag, dass die besprochenen Archetypen klar von den Beschreibungen des Verhaltens und Erlebens konkreter Männer und Frauen getrennt werden sollten. Anstelle der Begriffe männlich und weiblich schlugen spätere Autoren wie Schwartz-Salant eher freie Formulierungen für diese abstrakten Prinzipien vor, wie Sol und Luna. Generell ist festzuhalten, dass die Bedeutung dieser Traumsequenz im entscheidenden Übergang vom Patriarchat zum Matriarchat liegt.


===='''Traum VIII: Alpträume der Schwester Kassandras Polyxena (K 126-127)'''====
=='''Traum VIII: Alpträume der Schwester Kassandras Polyxena (K 126-127)'''==
Kassandras Rivalin um das Priesteramt ist niemand anderes als ihre Schwester Polyxena. Im letzten Teil des Erinnerungsmonologs gesteht Kassandra ihre Schuld gegenüber Polyxena ein. Kassandra wird bei der Entscheidung über die Zulassung zum Priesteramt Polyxena vorgezogen, was zur Folge hat, dass die Schwestern ein Jahr lang nicht mehr miteinander reden. Außerdem leidet Polyxena darunter, dass sie nicht die Lieblingstochter des Königs Priamos ist. Sie erschreckt, als diese zu ihr kommt, um ihr ihre Träume anzuvertrauen. Doch diese werden von Kassandra als »unlösbare Verstrickungen« bezeichnet:
Kassandras Rivalin um das Priesteramt ist niemand anderes als ihre Schwester Polyxena. Im letzten Teil des Erinnerungsmonologs gesteht Kassandra ihre Schuld gegenüber Polyxena ein. Kassandra wird bei der Entscheidung über die Zulassung zum Priesteramt Polyxena vorgezogen, was zur Folge hat, dass die Schwestern ein Jahr lang nicht mehr miteinander reden. Außerdem leidet Polyxena darunter, dass sie nicht die Lieblingstochter des Königs Priamos ist. Sie erschreckt, als diese zu ihr kommt, um ihr ihre Träume anzuvertrauen. Doch diese werden von Kassandra als »unlösbare Verstrickungen« bezeichnet: