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Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.<br />Auch der Index am Ende des Bandes ist Teil des Interpretationsspiels. Die Nummern der Traumnotate werden unter alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammengefasst. So lassen sich einzelne Motive und Gegenstände zurückverfolgen. Auf den zweiten Blick aber sticht der unsystematische Aufbau des Verzeichnisses ins Auge. Die in den Traumnotaten stark präsenten Figuren P. und Z. erscheinen nicht im Register, während andererseits Motive aufgegriffen werden, die lediglich in einem oder zwei der Texte eine Rolle spielen. Zu den Stichwörtern gehören Personengruppen und Objekte, sowie Farben oder Schauplätze. Im Sinne der hier dargelegten Interpretation ist die größte Zahl der Eintragungen unter „Angoisse“ zu finden (23 Träume), während unter „Bonheur“ nur 13 Träume aufgeführt werden. So stützt das Register quantitativ die These von der Dominanz eines unendlichen Alptraums, die auf formaler (zirkelförmige Kompositionsstruktur) und inhaltlicher Ebene bereits herausgearbeitet wurde.<br />Insgesamt erscheint die Zusammensetzung des Registers willkürlich. Dieses Mal handelt es sich allerdings um eine vom Autor ausgehende Willkür, der so doch noch ein Stück weit die Kontrolle über seine Träume zurückgewinnen kann. Trotz der Hilflosigkeit, mit der er im Traum seiner Vorstellung (der Lagermetapher, dem Lagerbild) ausgesetzt ist, schafft die bewusste Gestaltung nach festgelegten Regeln („contraintes“) die nötige Distanz zur Auseinandersetzung mit dem Trauma des Holocaust. Diese gelingt nur im literarischen Spiel. In dieser Hinsicht lässt sich auch der letzte Satz des ersten Traumnotats interpretieren: „On se sauve (parfois) en jouant…“ (BO 1).
 
Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.<br />Auch der Index am Ende des Bandes ist Teil des Interpretationsspiels. Die Nummern der Traumnotate werden unter alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammengefasst. So lassen sich einzelne Motive und Gegenstände zurückverfolgen. Auf den zweiten Blick aber sticht der unsystematische Aufbau des Verzeichnisses ins Auge. Die in den Traumnotaten stark präsenten Figuren P. und Z. erscheinen nicht im Register, während andererseits Motive aufgegriffen werden, die lediglich in einem oder zwei der Texte eine Rolle spielen. Zu den Stichwörtern gehören Personengruppen und Objekte, sowie Farben oder Schauplätze. Im Sinne der hier dargelegten Interpretation ist die größte Zahl der Eintragungen unter „Angoisse“ zu finden (23 Träume), während unter „Bonheur“ nur 13 Träume aufgeführt werden. So stützt das Register quantitativ die These von der Dominanz eines unendlichen Alptraums, die auf formaler (zirkelförmige Kompositionsstruktur) und inhaltlicher Ebene bereits herausgearbeitet wurde.<br />Insgesamt erscheint die Zusammensetzung des Registers willkürlich. Dieses Mal handelt es sich allerdings um eine vom Autor ausgehende Willkür, der so doch noch ein Stück weit die Kontrolle über seine Träume zurückgewinnen kann. Trotz der Hilflosigkeit, mit der er im Traum seiner Vorstellung (der Lagermetapher, dem Lagerbild) ausgesetzt ist, schafft die bewusste Gestaltung nach festgelegten Regeln („contraintes“) die nötige Distanz zur Auseinandersetzung mit dem Trauma des Holocaust. Diese gelingt nur im literarischen Spiel. In dieser Hinsicht lässt sich auch der letzte Satz des ersten Traumnotats interpretieren: „On se sauve (parfois) en jouant…“ (BO 1).
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<div style="text-align: right;">[[Autoren|Laura Vordermayer]]</div>
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==Literatur==
 
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* David Bellos, Georges Perec. A Life in Words. London: Harvill 1993.
 
* David Bellos, Georges Perec. A Life in Words. London: Harvill 1993.
 
* Camille Bloomfield, Raconter l’Oulipo (1960–2000). Histoire et sociologie d’un groupe. Paris: Champion 2017.
 
* Camille Bloomfield, Raconter l’Oulipo (1960–2000). Histoire et sociologie d’un groupe. Paris: Champion 2017.
* Marie Bonnot, ''La Boutique obscure'': une tentative d’épuisement du récit de rêve? In: Christelle Reggiani (Hrsg.), Relire Perec (Actes du colloque de Cerisy). Poitiers: Licorne 2016, S. 271–284.
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* Marie Bonnot, ''La Boutique obscure'': une tentative d’épuisement du récit de rêve? In: Christelle Reggiani (Hrsg.), Relire Perec (Actes du colloque de Cerisy). Poitiers: Licorne 2016, 271–284.
* Dies., Écriture du rêve et jeux de mots dans ''La Boutique obscure'' de Georges Perec. In: Véronique Montémont/Christelle Reggiani (Hrsg.), Georges Perec, artisan de la langue. Lyon: Presses Universitaires 2012, S. 121–130.
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* Dies., Écriture du rêve et jeux de mots dans ''La Boutique obscure'' de Georges Perec. In: Véronique Montémont/Christelle Reggiani (Hg.), Georges Perec, artisan de la langue. Lyon: Presses Universitaires 2012, 121–130.
 
* Claude Burgelin, Georges Perec (Les Contemporains, Bd. IV). Paris: Seuil 1988.
 
* Claude Burgelin, Georges Perec (Les Contemporains, Bd. IV). Paris: Seuil 1988.
 
* Catherine Dana, Fictions pour mémoire. Camus, Perec et l’écriture de la shoah. Paris: L’Harmattan 1998.
 
* Catherine Dana, Fictions pour mémoire. Camus, Perec et l’écriture de la shoah. Paris: L’Harmattan 1998.
 
* Daiana Dula-Manoury, Queneau, Perec, Butor, Blanchot. Éminences du rêve en fiction. Paris: L’Harmattan 2004.
 
* Daiana Dula-Manoury, Queneau, Perec, Butor, Blanchot. Éminences du rêve en fiction. Paris: L’Harmattan 2004.
* David Gascoigne, The Games of Fiction. Georges Perec and Modern French Ludic Narrative. Bern u.a.: Peter Lang 2006.
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* David Gascoigne, The Games of Fiction. Georges Perec and Modern French Ludic Narrative. Bern u.a.: Lang 2006.
* Éric Lavallade, Lieux Obscurs. Parcours biographiques et autobiographiques dans ''La Boutique Obscure'' entre 1968 et 1972. In: Le Cabinet d’amateur. Revue d’études perecquiennes (avril 2012), online verfügbar unter: URL: http://associationgeorgesperec.fr/IMG/pdf/Eric_Lavallade_Lieux_Obscurs.pdf.
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* Éric Lavallade, Lieux Obscurs. Parcours biographiques et autobiographiques dans ''La Boutique Obscure'' entre 1968 et 1972. In: Le Cabinet d’amateur. Revue d’études perecquiennes (avril 2012); online: http://associationgeorgesperec.fr/IMG/pdf/Eric_Lavallade_Lieux_Obscurs.pdf.
* Bernard Magné, L’autobiotexte perecquien. In: Le Cabinet d’amateur. Revue d’études perecquiennes 5 (Juni 1997), S. 5–42.
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* Bernard Magné, L’autobiotexte perecquien. In: Le Cabinet d’amateur. Revue d’études perecquiennes 5 (Juni 1997), 5–42.
* Yves Reuter, Rêves et littérature. A propos de Georges Perec ''La Boutique obscure''. In: Józef Heistein/Alain Montandon (Hrsg.): Formes littéraires brèves. Actes du colloque organisé par l’Université Blaise Pascal en coopération avec l’Université Clermont -Ferrand, 29 novembre au 2 décembre 1989 (Romanica Wratislaviensia XXXVI). Wrocław: Éd. de l’Univ. Wrocław 1991, S. 67–76.
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* Yves Reuter, Rêves et littérature. A propos de Georges Perec ''La Boutique obscure''. In: Józef Heistein/Alain Montandon (Hg.): Formes littéraires brèves. Actes du colloque organisé par l’Université Blaise Pascal en coopération avec l’Université Clermont-Ferrand, 29 novembre au 2 décembre 1989 (Romanica Wratislaviensia XXXVI). Wrocław: Éd. de l’Univ. Wrocław 1991, 67–76.
* Françoise Rouffiat, Le rêve et le texte dans ''La Boutique obscure'' de Georges Perec. In: Recherche & travaux. Revue de l’UFR de Lettres Classiques et Modernes 63 (2003), S. 91–118.
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* Françoise Rouffiat, Le rêve et le texte dans ''La Boutique obscure'' de Georges Perec. In: Recherche & travaux. Revue de l’UFR de Lettres Classiques et Modernes 63 (2003), 91–118.
* Daphné Schnitzer, Entrer dans la ''Boutique obscure'' (sans se heurter à la table). In: Steen Bille Jørgensen (Hrsg.), Georges Perec et l’Histoire. Actes du colloque international de l’Institut de Littérature Comparée, Université de Copenhague, du 30 avril au 1er mai 1998. Kopenhagen: Tusculanum 2000, S. 183–200.
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* Daphné Schnitzer, Entrer dans la ''Boutique obscure'' (sans se heurter à la table). In: Steen Bille Jørgensen (Hg.), Georges Perec et l’Histoire. Actes du colloque international de l’Institut de Littérature Comparée, Université de Copenhague, du 30 avril au 1er mai 1998. Kopenhagen: Tusculanum 2000, 183–200.
    
==Weblinks==
 
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