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Seinen literarischen Durchbruch erreichte der junge Autor 1965 mit der Veröffentlichung des Romans ''Les Choses'', der mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später wurde er ein offizielles Mitglied der Avant-Garde-Gruppe OuLiPo und nahm regelmäßig an den Sitzungen teil. OuLiPo ist eine Abkürzung für „Ouvroir de Littérature Potentielle“ (dt.: Werkstatt potentieller Literatur), was bereits die wichtigsten Punkte des poetischen Programms zusammenfasst. Literatur ist die Produktion von Texten, die möglichst innovativ und experimentell sein sollen. Um die vielfältigen Möglichkeiten, also das Potenzial von Literatur auszuschöpfen, definiert der Schriftsteller eine Reihe von formalen Regeln („contraintes“), denen der Text entsprechen muss. Eines der berühmtesten Beispiele ist Perecs leipogrammatischer Roman ''La Disparition'' (1979), in dem der Autor durchgängig auf den Buchstaben E verzichtet. 1987 erhält er für ''La Vie mode d’emploi'' den Prix Médicis, was ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglicht.
 
Seinen literarischen Durchbruch erreichte der junge Autor 1965 mit der Veröffentlichung des Romans ''Les Choses'', der mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später wurde er ein offizielles Mitglied der Avant-Garde-Gruppe OuLiPo und nahm regelmäßig an den Sitzungen teil. OuLiPo ist eine Abkürzung für „Ouvroir de Littérature Potentielle“ (dt.: Werkstatt potentieller Literatur), was bereits die wichtigsten Punkte des poetischen Programms zusammenfasst. Literatur ist die Produktion von Texten, die möglichst innovativ und experimentell sein sollen. Um die vielfältigen Möglichkeiten, also das Potenzial von Literatur auszuschöpfen, definiert der Schriftsteller eine Reihe von formalen Regeln („contraintes“), denen der Text entsprechen muss. Eines der berühmtesten Beispiele ist Perecs leipogrammatischer Roman ''La Disparition'' (1979), in dem der Autor durchgängig auf den Buchstaben E verzichtet. 1987 erhält er für ''La Vie mode d’emploi'' den Prix Médicis, was ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglicht.
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==Entstehung==
 
==Entstehung==
 
Die Texte sind zwischen Mai 1968 und August 1972 entstanden. Lässt sich für eine erste Entstehungsphase ein psychologisches Interesse des Autors belegen – im Mai 1971 begann er eine Therapie bei dem renommierten Psychoanalytiker Jean-Bertrand Pontalis und legte im Zuge der Sitzungen einige der Traumprotokolle vor – dominiert im Laufe der Zeit eine ästhetische Perspektive auf den Traum. Im Vorwort beschreibt Perec die Textgenese als eine zumindest teilweise bewusst ablaufende Entwicklung:
 
Die Texte sind zwischen Mai 1968 und August 1972 entstanden. Lässt sich für eine erste Entstehungsphase ein psychologisches Interesse des Autors belegen – im Mai 1971 begann er eine Therapie bei dem renommierten Psychoanalytiker Jean-Bertrand Pontalis und legte im Zuge der Sitzungen einige der Traumprotokolle vor – dominiert im Laufe der Zeit eine ästhetische Perspektive auf den Traum. Im Vorwort beschreibt Perec die Textgenese als eine zumindest teilweise bewusst ablaufende Entwicklung:
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: Je croyais noter les rêves que je faisais: je me suis rendu compte que, très vite, je ne rêvais déjà plus que pour écrire mes rêves. De ces rêves trop rêvés, trop relus, trop écrits, que pouvais-je désormais attendre, sinon de les faire devenir textes, gerbe de textes déposée en offrande aux portales de cette ‚voie royale‘ qu’il me reste à parcourir – les yeux ouverts? (BO, Vorwort)  
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: (Ich glaubte die Träume, die ich machte, zu notieren: Sehr schnell wurde mir klar, dass ich längst schon nur noch träumte, um von meinen Träumen zu schreiben. Was konnte ich mit diesen zu sehr geträumten, zu oft wieder gelesenen, zu sehr geschriebenen Träumen jetzt noch anderes anfangen als Texte aus ihnen zu machen, ein Textgebinde, eine Opfergabe, niedergelegt an der Pforte zu jenem ‚Königsweg‘, den ich noch zu durchlaufen habe, und dies offenen Auges? (dK, Vorwort))
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: <span style="color: #7b879e;">Je croyais noter les rêves que je faisais: je me suis rendu compte que, très vite, je ne rêvais déjà plus que pour écrire mes rêves. De ces rêves trop rêvés, trop relus, trop écrits, que pouvais-je désormais attendre, sinon de les faire devenir textes, gerbe de textes déposée en offrande aux portales de cette ‚voie royale‘ qu’il me reste à parcourir – les yeux ouverts? (BO, Vorwort) </span>
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: <span style="color: #7b879e;">(Ich glaubte die Träume, die ich machte, zu notieren: Sehr schnell wurde mir klar, dass ich längst schon nur noch träumte, um von meinen Träumen zu schreiben. Was konnte ich mit diesen zu sehr geträumten, zu oft wieder gelesenen, zu sehr geschriebenen Träumen jetzt noch anderes anfangen als Texte aus ihnen zu machen, ein Textgebinde, eine Opfergabe, niedergelegt an der Pforte zu jenem ‚Königsweg‘, den ich noch zu durchlaufen habe, und dies offenen Auges? (dK, Vorwort))</span>
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Perecs Traumtexte – oder Textträume – stammen nicht mehr unmittelbar aus einem Unbewussten und sind infolgedessen auch nicht mehr als Freudscher „Königsweg“ analysierbar. Die Träume werden durch den Schreibprozess, den Prozess des écrire, geformt und sind in erster Linie eine ästhetische, weniger aber eine psychologische Erfahrung.
 
Perecs Traumtexte – oder Textträume – stammen nicht mehr unmittelbar aus einem Unbewussten und sind infolgedessen auch nicht mehr als Freudscher „Königsweg“ analysierbar. Die Träume werden durch den Schreibprozess, den Prozess des écrire, geformt und sind in erster Linie eine ästhetische, weniger aber eine psychologische Erfahrung.

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