"La Boutique obscure" (Georges Perec): Unterschied zwischen den Versionen

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: (Ich glaubte die Träume, die ich machte, zu notieren: Sehr schnell wurde mir klar, dass ich längst schon nur noch träumte, um von meinen Träumen zu schreiben. Was konnte ich mit diesen zu sehr geträumten, zu oft wieder gelesenen, zu sehr geschriebenen Träumen jetzt noch anderes anfangen als Texte aus ihnen zu machen, ein Textgebinde, eine Opfergabe, niedergelegt an der Pforte zu jenem ‚Königsweg‘, den ich noch zu durchlaufen habe, und dies offenen Auges? (dK, Vorwort))
: (Ich glaubte die Träume, die ich machte, zu notieren: Sehr schnell wurde mir klar, dass ich längst schon nur noch träumte, um von meinen Träumen zu schreiben. Was konnte ich mit diesen zu sehr geträumten, zu oft wieder gelesenen, zu sehr geschriebenen Träumen jetzt noch anderes anfangen als Texte aus ihnen zu machen, ein Textgebinde, eine Opfergabe, niedergelegt an der Pforte zu jenem ‚Königsweg‘, den ich noch zu durchlaufen habe, und dies offenen Auges? (dK, Vorwort))


Perecs Traumtexte – oder Textträume – stammen nicht mehr unmittelbar aus einem Unbewussten und sind infolgedessen auch nicht mehr als Freudscher „Königsweg“ analysierbar. Die Träume werden durch den Schreibprozess, den Prozess des écrire, geformt und sind in erster Linie eine ästhetische, weniger aber eine psychologische Erfahrung.
Perecs Traumtexte – oder Textträume – stammen nicht mehr unmittelbar aus einem Unbewussten und sind infolgedessen auch nicht mehr als Freudscher „Königsweg“ analysierbar. Die Träume werden durch den Schreibprozess, den Prozess des ''écrire'', geformt und sind in erster Linie eine ästhetische, weniger aber eine psychologische Erfahrung.




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: Je sais ce qui nous attend. Je n’ai pas d’espoir. En finir au plus tôt. Ou alors, un miracle… Un jour, apprendre à survivre? (BO 124)
: Je sais ce qui nous attend. Je n’ai pas d’espoir. En finir au plus tôt. Ou alors, un miracle… Un jour, apprendre à survivre? (BO 124)
: (Ich weiß, was uns erwartet. Ich habe keinerlei Hoffnung. Je schneller es zu Ende ist, desto besser. Es sei denn, ein Wunder… Eines Tages überleben lernen? (dK 124)</span><span style="color: #7b879e;">)
: (Ich weiß, was uns erwartet. Ich habe keinerlei Hoffnung. Je schneller es zu Ende ist, desto besser. Es sei denn, ein Wunder… Eines Tages überleben lernen? (dK 124)


Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.
Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.
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* La Boutique obscure. 124 Dreams. Übers. von Daniel Levin Becker. Brooklyn: Melville House 2012.
* La Boutique obscure. 124 Dreams. Übers. von Daniel Levin Becker. Brooklyn: Melville House 2012.
* Dominique Bertelli/Mireille Ribière (Hg.), Entretiens et conférences (Bd. I: 1965–1978 und II: 1979–1981) [EeC]. Nantes: Joseph K. 2003.
* Dominique Bertelli/Mireille Ribière (Hg.), Entretiens et conférences (Bd. I: 1965–1978 und II: 1979–1981) [EeC]. Nantes: Joseph K. 2003.


===Forschung===
===Forschung===
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* Françoise Rouffiat, Le rêve et le texte dans ''La Boutique obscure'' de Georges Perec. In: Recherche & travaux. Revue de l’UFR de Lettres Classiques et Modernes 63 (2003), 91–118.
* Françoise Rouffiat, Le rêve et le texte dans ''La Boutique obscure'' de Georges Perec. In: Recherche & travaux. Revue de l’UFR de Lettres Classiques et Modernes 63 (2003), 91–118.
* Daphné Schnitzer, Entrer dans la ''Boutique obscure'' (sans se heurter à la table). In: Steen Bille Jørgensen (Hg.), Georges Perec et l’Histoire. Actes du colloque international de l’Institut de Littérature Comparée, Université de Copenhague, du 30 avril au 1er mai 1998. Kopenhagen: Tusculanum 2000, 183–200.
* Daphné Schnitzer, Entrer dans la ''Boutique obscure'' (sans se heurter à la table). In: Steen Bille Jørgensen (Hg.), Georges Perec et l’Histoire. Actes du colloque international de l’Institut de Littérature Comparée, Université de Copenhague, du 30 avril au 1er mai 1998. Kopenhagen: Tusculanum 2000, 183–200.


==Weblinks==
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