"La vida es sueño" (Pedro Calderón de la Barca): Unterschied zwischen den Versionen

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====Traumbericht und Weissagungstraum====
====Traumbericht und Weissagungstraum====
Ein Traumbericht findet sich in der 6. Szene des ersten Akts, in dem der König über lang zurückliegende Alpträume der Königin spricht. In diesen Träumen sei der Monarchin ein „Monster in Menschengestalt“ <ref>Die Übersetzungen stammen, sofern nicht anders angegeben von der Autorin.</ref> („un monstruo en forma de hombre“; VS, V. 625) erschienen, das in ihrem Bauch lebe. Diese „Menschenschlange des Jahrhunderts“ („víbora humana del siglo“; (VS, V. 675), so die Träume, werde die Frau zerreißen. Als die Königin die Geburt Segismundos nicht überlebt, habe sich, so der König, die onirische Weissagung erfüllt („los presagios cumplidos“; VS, V. 677). Zudem sei die Geburt von weiteren, eine apokalyptische Zukunft andeutenden Ereignissen begleitet worden: eine totale Sonnenfinsternis, verheerende Erdbeben, Steinregen und blutige Flüsse (VS, V. 680-699). Die nachfolgende Befragung der Sterne durch den König habe ergeben, dass das Kind zu einem skrupellosen, grausamen und gottlosen Mann heranwachse, der den Vater unterwerfen und ein Reich des Lasters und des Verrats errichten werde (VS, V. 708-722). Basilio habe deshalb sein Kind für tot erklärt und es heimlich in Einsamkeit christlich erziehen lassen.  
Ein Traumbericht findet sich in der 6. Szene des ersten Akts, in dem der König über lang zurückliegende Alpträume der Königin spricht. In diesen Träumen sei der Monarchin ein „Monster in Menschengestalt“ <ref>Die Übersetzungen stammen, sofern nicht anders angegeben von der Autorin.</ref> („un monstruo en forma de hombre“; VS, V. 625) erschienen, das in ihrem Bauch lebe. Diese „Menschenschlange des Jahrhunderts“ („víbora humana del siglo“; (VS, V. 675), so die Träume, werde die Frau zerreißen. Als die Königin die Geburt Segismundos nicht überlebt, habe sich, so der König, die onirische Weissagung erfüllt („los presagios cumplidos“; VS, V. 677). Zudem sei die Geburt von weiteren, eine apokalyptische Zukunft andeutenden Ereignissen begleitet worden: eine totale Sonnenfinsternis, verheerende Erdbeben, Steinregen und blutige Flüsse (VS, V. 680-699). Die nachfolgende Befragung der Sterne durch den König habe ergeben, dass das Kind zu einem skrupellosen, grausamen und gottlosen Mann heranwachse, der den Vater unterwerfen und ein Reich des Lasters und des Verrats errichten werde (VS, V. 708-722). Basilio habe deshalb sein Kind für tot erklärt und es heimlich in Einsamkeit christlich erziehen lassen.  
Die Dramenhandlung setzt zwei Jahrzehnte später ein und präsentiert den König in einem tiefen Konflikt. Basilio möchte sein Land vor Schaden bewahren und den tyrannischen Sohn vom Thron fernhalten, sieht jedoch auch das Recht seiner Linie auf den Thron. Zudem will er prüfen, ob es ein Irrtum wahr, den Träumen und Sternbildern Glauben zu schenken – schließlich könnten schlechte Vorzeichen und Konstellationen auf den Willen eines Menschen zwar einwirken, sie müssten es aber nicht: „el ver cuánto yerro ha sido/ dar crédito fácilmente/ a los sucesos previstos;/ pues aunque su inclinación/ le dicte sus precipicios,/ quizá no le vencerán,/ porque el hado más esquivo,/ la inclinación más villena,/ el planeta más impío,/ sólo el albedrío inclinan, no fuerzan el albedrío.“ (VS, V. 781-791; „[Ich hole Segismundo,] um zu sehen, wie sehr es ein Irrtum war, den vorhergesehenen Ereignissen leichten Glauben zu schenken; denn obwohl seine Veranlagungen/ ihm [dem Menschen] Abstürze diktieren,/ werden sie ihn vielleicht nicht überwältigen,/ denn das flüchtige Schicksal,/ die niederträchtigste Neigung,/ der gottloseste Planet,/ können den Wille nur beugen,/ bezwingen müssen sie ihn jedoch nicht“). Mit dem ersten Monolog des Monarchen setzt das Drama seine zwei wesentlichen, tief im religiösen Diskurs wurzelnden Themen: die Frage nach der Wahrheit der Träume (und weiterer Zukunftsdeutungen wie von Horoskopen oder geomantischen Zeichen) auf der einen Seite sowie die Frage nach der Möglichkeit des Menschen, der Vorbestimmung durch eigenes Handeln entgegenzuwirken, auf der anderen.  
Die Dramenhandlung setzt zwei Jahrzehnte später ein und präsentiert den König in einem tiefen Konflikt. Basilio möchte sein Land vor Schaden bewahren und den tyrannischen Sohn vom Thron fernhalten, sieht jedoch auch das Recht seiner Linie auf den Thron. Zudem will er prüfen, ob es ein Irrtum wahr, den Träumen und Sternbildern Glauben zu schenken – schließlich könnten schlechte Vorzeichen und Konstellationen auf den Willen eines Menschen zwar einwirken, sie müssten es aber nicht: „el ver cuánto yerro ha sido/ dar crédito fácilmente/ a los sucesos previstos;/ pues aunque su inclinación/ le dicte sus precipicios,/ quizá no le vencerán,/ porque el hado más esquivo,/ la inclinación más villena,/ el planeta más impío,/ sólo el albedrío inclinan, no fuerzan el albedrío.“ (VS, V. 781-791; „[Ich hole Segismundo,] um zu sehen, wie sehr es ein Irrtum war, den vorhergesehenen Ereignissen leichten Glauben zu schenken; denn obwohl seine Veranlagungen/ ihm [dem Menschen] Abstürze diktieren, werden sie ihn vielleicht nicht überwältigen, denn das flüchtige Schicksal, die niederträchtigste Neigung, der gottloseste Planet, können den Wille nur beugen, bezwingen müssen sie ihn jedoch nicht“). Mit dem ersten Monolog des Monarchen setzt das Drama seine zwei wesentlichen, tief im religiösen Diskurs wurzelnden Themen: die Frage nach der Wahrheit der Träume (und weiterer Zukunftsdeutungen wie von Horoskopen oder geomantischen Zeichen) auf der einen Seite sowie die Frage nach der Möglichkeit des Menschen, der Vorbestimmung durch eigenes Handeln entgegenzuwirken, auf der anderen.  


====Gespielter Traum; Legitimations- und Zukunftstraum====
====Gespielter Traum; Legitimations- und Zukunftstraum====
Neben dem Bericht vom Traum der Königin findet sich in der 18. Szene des 2. Akts ein auf der Bühne ''gespielter Traum''. Nach seiner gescheiterten Probeherrschaft betäubt und erneut in den Turm gebracht, träumt Segismundo vor den Augen von Basilio und Clotado von Rache: „Segis[mundo] (''en sueños''.) Piadoso príncipe es/ el que castiga tiranos:/ muera Clotaldo a mis manos,/ bese mi padre mis pies. […] Salga a la anchurosa plaza/ del gran teatro del mundo/ este valor sin segundo. Porque mi venganza cuadre, vean triunfar de su padre/ al príncipe Segismundo.“ (VS, V. 2064–2077; „Ein frommer Fürst ist der, der Tyrannen straft: Clotaldo sterbe durch meine Hand, mein Vater küsse mir die Füße. [...] Auf den großen Platz des Welttheaters trete [meine] Tapferkeit unverzüglich. Und meine Rache hat sich erfüllt, wenn ihr den Prinzen Segismundo über seinen Vater triumphieren seht“). Auch im Schlaf erweist sich so die Schlechtigkeit der Prinzen.  
Neben dem Bericht vom Traum der Königin findet sich in der 18. Szene des 2. Akts ein auf der Bühne ''gespielter Traum''. Nach seiner gescheiterten Probeherrschaft betäubt und erneut in den Turm gebracht, träumt Segismundo vor den Augen von Basilio und Clotado von Rache: „Segis[mundo] (''en sueños''.) Piadoso príncipe es/ el que castiga tiranos:/ muera Clotaldo a mis manos,/ bese mi padre mis pies. […] Salga a la anchurosa plaza/ del gran teatro del mundo/ este valor sin segundo. Porque mi venganza cuadre, vean triunfar de su padre/ al príncipe Segismundo.“ (VS, V. 2064–2077; „Ein frommer Fürst ist der, der Tyrannen straft: Clotaldo sterbe durch meine Hand, mein Vater küsse mir die Füße. [...] Auf den großen Platz des Welttheaters trete [meine] Tapferkeit unverzüglich. Und meine Rache hat sich erfüllt, wenn ihr den Prinzen Segismundo über seinen Vater triumphieren seht“). Auch im Schlaf erweist sich so die Schlechtigkeit der Prinzen.  
Der gespielte Traum hat eine doppelte analeptische Funktion – die Somniloquie verweist zunächst auf das unmittelbar vorausgehende Wüten des Prinzen, das sich im Schlaf verlängert. Darüber hinaus deutet sie auf den lang zurückliegenden mütterlichen Traum und das väterliche Horoskop zurück, deren Zeichen sich in der Gegenwart zu bestätigen scheinen. Damit scheint Basilios Entscheidung, den Sohn gefangen zu halten, zweifach durch Träume legitimiert, den früheren Traum der Königin und den aktuellen Hass-Traum des Prinzen. Zur analeptischen Funktion des gespielten Traums kommt eine proleptische Dimension, die in der blutigen Zukunft liegt, die Segismundo den Männern androht: „CLOTALDO. Con la muerte me amenaza./ BASILIO. A mí con rigor y afrenta./ CLOTALDO. Quitarme la vida intenta./ BASILIO. Rendirme a sus plantas traza.“ (VS, V. 2068-2071; „CLOTALDO. Er droht mir mit dem Tod. BASILIO. Mir mit Strenge und Beleidigung. CLOTALDO. Das Leben will er mir nehmen. BASILIO. Mich will er mit Füßen treten“). Die Szene verweist auch auf die verbreitete Divinationspraxis in den Herrscherhäusern der Zeit (König und Berater deuten gemeinsam den Traum) und die Relevanz der Traumdeutung für zukunftsorientierte Handlungen: König und Berater beschließen, den Prinzen weiter im Kerker zu halten.  
Der gespielte Traum hat eine doppelte analeptische Funktion – die Somniloquie verweist zunächst auf das unmittelbar vorausgehende Wüten des Prinzen, das sich im Schlaf verlängert. Darüber hinaus deutet sie auf den lang zurückliegenden mütterlichen Traum und das väterliche Horoskop zurück, deren Zeichen sich in der Gegenwart zu bestätigen scheinen. Damit wirkt Basilios Entscheidung, den Sohn gefangen zu halten, zweifach durch Träume legitimiert, den früheren Traum der Königin und den aktuellen Hass-Traum des Prinzen. Zur analeptischen Funktion des gespielten Traums kommt eine proleptische Dimension, die in der blutigen Zukunft liegt, die Segismundo den Männern androht: „CLOTALDO. Con la muerte me amenaza./ BASILIO. A mí con rigor y afrenta./ CLOTALDO. Quitarme la vida intenta./ BASILIO. Rendirme a sus plantas traza.“ (VS, V. 2068-2071; „CLOTALDO. Er droht mir mit dem Tod. BASILIO. Mir mit Strenge und Beleidigung. CLOTALDO. Das Leben will er mir nehmen. BASILIO. Mich will er mit Füßen treten“). Die Szene verweist auch auf die verbreitete Divinationspraxis in den Herrscherhäusern der Zeit (König und Berater deuten gemeinsam den Traum) und die Relevanz der Traumdeutung für zukunftsorientierte Handlungen: König und Berater beschließen, den Prinzen weiter im Kerker zu halten.  


====Traumspiel im Spiel, Leben als Traum-Metapher====
====Traumspiel im Spiel, Leben als Traum-Metapher====
Nach dem Gewalttraum des Prinzen, induziert durch einen Betäubungstrank, wechselt das Drama seine Traumkonzeption: Nicht der Glaube an die Weissagungskraft der von Menschen geträumten Träume soll zukunftsbezogene Handlungen leiten, sondern das Wissen, das ganze Leben sei nichts anderes als ein langer Traum, aus dem man erst im Tode – vor Gott – erwache.  
Nach dem Gewalttraum des Prinzen, induziert durch einen Betäubungstrank, wechselt das Drama seine Traumkonzeption: Nicht der Glaube an die Weissagungskraft der von Menschen geträumten Träume soll zukunftsbezogene Handlungen leiten, sondern das Wissen, das ganze Leben sei nichts anderes als ein langer Traum, aus dem man erst im Tode – vor Gott – erwache.  
Diesen Umschwung führt eine nachträgliche Umdeutung des Geschehens herbei. Als Segismundo im Turm wieder zu sich kommt, behauptet sein Erzieher Clotaldo, er habe die Ereignisse im Palast nur geträumt. Damit wird der Auftritt des Prinzen und ein Großteil der Handlung in der ''segunda jornada'' nachträglich zu einem gespielten, inszenierten Traum, die Palast-Episode zu einem Traumspiel im Spiel. Fortan kann Segismundo nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden, erscheint ihm doch die Welt des Turms so real wie die des Palasts, welchen er ja nur geträumt haben soll: „Y no estoy muy engañado;/ porque si ha sido soñado,/ lo que vi palpable y cierto,/ lo que veo será incierto;/ y no es mucho que rendido,/ pues veo estando dormido,/ que sueñe estando despierto.“ (VS, V. 2100–2107; „Und wurde ich nicht sehr getäuscht; denn wenn es geträumt war, was ich sah, greifbar und gewiss, muss sein, was ich sehe, ungewiss; und es ist nicht viel, was sich hieraus ergibt, denn ich sehe schlafend, dass ich träume, da ich wach bin“).  
Diesen Umschwung führt eine nachträgliche Umdeutung des Geschehens herbei. Als Segismundo im Turm wieder zu sich kommt, behauptet sein Erzieher Clotaldo, er habe die Ereignisse im Palast nur geträumt. Damit wird der Auftritt des Prinzen und ein Großteil der Handlung in der ''segunda jornada'' nachträglich zu einem gespielten, inszenierten Traum, die Palast-Episode zu einem Traumspiel im Spiel. Fortan kann Segismundo nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden, erscheint ihm doch die Welt des Turms so real wie die des Palasts, welchen er ja nur geträumt haben soll: „Y no estoy muy engañado;/ porque si ha sido soñado,/ lo que vi palpable y cierto,/ lo que veo será incierto;/ y no es mucho que rendido,/ pues veo estando dormido,/ que sueñe estando despierto.“ (VS, V. 2100–2107; „Und wurde ich nicht sehr getäuscht; denn wenn es geträumt war, was ich sah, greifbar und gewiss, muss sein, was ich sehe, ungewiss; und es ist nicht viel, was sich hieraus ergibt, denn ich sehe schlafend, dass ich träume, da ich wach bin“).  
Die metaphysische Verwirrung Segismundos nutzt Clotaldo für die Überbringung der zentralen Lehre des Dramas: „tus sueños imperios han sido, mas en sueños fuera bien/ entonces, honrar a quien/ te crió en tantos empeños,/ Segismundo, que aún en sueños/ no se pierde el hacer bien.“ (VS, V. 2146–2157; „Träume waren Deine Königreiche, aber doch wäre es richtig, auch in Träumen den zu ehren, der Dich so sorgfältig erzog, Segismundo, denn sogar in Träumen darf man nicht vergessen, gut zu handeln“). Es folgt der wohl bekannteste Monolog des spanischen Theaters. In achtsilbigen Dezimen verkündet der Prinz die ‚Wahrheit von der Welt als Traum‘, wonach der Mensch seine Existenz auf Erden lediglich träume. Der König, der Reiche, der Arme, alle träumten nur, ohne es zu wissen: „en el mundo, en conclusión,/ todos sueñan lo que son, aunque ninguno lo entiende.“ (VS, V. 2175-2177). Dieses Irrtums werde man sich erst durch den Tod bewusst, was Calderón mit dem Oxymoron des „Erwachens im Traum des Todes“ fasst.  
Die metaphysische Verwirrung Segismundos nutzt Clotaldo für die Überbringung der zentralen Lehre des Dramas: „tus sueños imperios han sido,/ mas en sueños fuera bien/ entonces, honrar a quien/ te crió en tantos empeños,/ Segismundo, que aún en sueños/ no se pierde el hacer bien.“ (VS, V. 2146–2157; „Träume waren Deine Königreiche, aber doch wäre es richtig, auch in Träumen den zu ehren, der Dich so sorgfältig erzog, Segismundo, denn sogar in Träumen darf man nicht vergessen, gut zu handeln“). Es folgt der wohl bekannteste Monolog des spanischen Theaters. In achtsilbigen Dezimen verkündet der Prinz die ‚Wahrheit von der Welt als Traum‘, wonach der Mensch seine Existenz auf Erden lediglich träume. Der König, der Reiche, der Arme, alle träumten nur, ohne es zu wissen: „en el mundo, en conclusión,/ todos sueñan lo que son, aunque ninguno lo entiende.“ (VS, V. 2175-2177). Dieses Irrtums werde man sich erst durch den Tod bewusst, was Calderón mit dem Oxymoron des „Erwachens im Traum des Todes“ fasst.  


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Mit der These, der Mensch könne nicht zwischen (Wach)Leben und Traum unterscheiden, greift Calderón auf das bereits in der Antike existente Wissen über die „Verwechselbarkeit der sinnlichen Wachwelt mit der Sinnlichkeit der Traumwelt“ (Gehring 2008, 21) zurück. Wie etwa Platon und Aristoteles feststellten, existiert aus philosophischer Sicht „[l]ogisch gesehen […] kein Ort, von dem her Traumerleben und Wachwirklichkeit […] objektiv unterscheidbar sind“ (Gehring 2008, 19).  
Mit der These, der Mensch könne nicht zwischen (Wach)Leben und Traum unterscheiden, greift Calderón auf das bereits in der Antike existente Wissen über die „Verwechselbarkeit der sinnlichen Wachwelt mit der Sinnlichkeit der Traumwelt“ (Gehring 2008, 21) zurück. Wie etwa Platon und Aristoteles feststellten, existiert aus philosophischer Sicht „[l]ogisch gesehen […] kein Ort, von dem her Traumerleben und Wachwirklichkeit […] objektiv unterscheidbar sind“ (Gehring 2008, 19).  
Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ''ein'' Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des ''obrar bien'', das der ''libre albedrío'', die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. ''La vida es sueño'' ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade ''und'' menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des ''Siglo de oro'' u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von ''passio'' zu ''ratio''“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240).  
Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ''ein'' Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des ''obrar bien'', das der ''libre albedrío'', die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. ''La vida es sueño'' ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade ''und'' menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des ''Siglo de oro'' u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von ''passio'' zu ''ratio''“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240).  
Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS, V. 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel [...]; so viele blaue Seiten [...], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS, V. 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT, 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005: 40).   
Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado/ del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS, V. 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel [...]; so viele blaue Seiten [...], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS, V. 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT, 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005: 40).   
Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte.  
Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte.  


==Fazit==
==Fazit==
Das spanische Barocktheater hatte eine wichtige didaktische, wenn man so will, propagandistische Funktion. Mit der ''in nuce'' vorgeführten Wandlung des Prinzen zum Guten soll auch das Publikum zu einem besseren Handeln und der Kontrolle seiner Affekte geführt werden. Zugleich ergeht die Mahnung an die Herrschenden, sich nicht durch falsche Zukunftsdeutung zu falschem Handeln bewegen zu lassen (vgl. Schmidt/Weber 2008, 23). Calderón de la Barca setzt zur Übermittlung seiner religiös motivierten Lehre verschiedene Formen der theatralen Traumrepräsentation ein: den Traumbericht, den gespielten Traum und ein nachträglich als Traum deklariertes Geschehen, welches so zu einem Traumspiel im Spiel wird. Die Träume bereichern die Inszenierung, haben analeptische und proleptische Funktion und werden mehrfach zur Legitimation von Handlungen herangezogen. Alle drei Träume zeigen aber auch, dass Träume keine gesicherte Zukunftsaussage geben. Das bedeutet nicht, dass Sterne oder Träume keine Zukunftszeichen enthielten. Im Gegenteil: In den Sternen steht Gottes Wille geschrieben, nur können wir ihn nicht lesen. Und es gibt wahre, sich erfüllende Zukunftsträume (der Todestraum der Königin), sowie Träume, die sich als falsch erweisen (Segismundos Rachetraum).  
Das spanische Barocktheater hatte eine wichtige didaktische, wenn man so will, propagandistische Funktion. Mit der ''in nuce'' vorgeführten Wandlung des Prinzen zum Guten soll auch das Publikum zu einem besseren Handeln und der Kontrolle seiner Affekte geführt werden. Zugleich ergeht die Mahnung an die Herrschenden, sich nicht durch falsche Zukunftsdeutung zu falschem Handeln bewegen zu lassen (vgl. Schmidt/Weber 2008, 23). Calderón de la Barca setzt zur Übermittlung seiner religiös motivierten Lehre verschiedene Formen der theatralen Traumrepräsentation ein: den Traumbericht, den gespielten Traum und ein nachträglich als Traum deklariertes Geschehen, welches so zu einem Traumspiel im Spiel wird. Die Träume bereichern die Inszenierung, haben analeptische und proleptische Funktion und werden mehrfach zur Legitimation von Handlungen herangezogen. Alle drei Träume zeigen aber auch, dass Träume keine gesicherte Zukunftsaussage geben. Das bedeutet nicht, dass Sterne oder Träume keine Zukunftszeichen enthielten. Im Gegenteil: In den Sternen steht Gottes Wille geschrieben, nur können wir ihn nicht lesen. Und es gibt wahre, sich erfüllende Zukunftsträume (der Todestraum der Königin), sowie Träume, die sich als falsch erweisen (Segismundos Rachetraum).  
Die wichtige philosophische Botschaft des Dramas ist ebenfalls auf den Traum bezogen: das Sinnbild vom irdischen Leben als trügerische Traum-Täuschung, aus dem man erst in der Wahrheit des Todes erwacht. Mit dieser Leben-als-Traum-Metapher verknüpft Calderón die Kontroverse um die Divinationspraktiken mit der seinerzeit insbesondere von Jesuiten debattierte Frage, wie sich göttliche Determination und freier Willen zueinander verhalten. Angesichts der Ununterscheidbarkeit zwischen Traum und Wachwelt gelte, im Wachen wie im Träumen Gutes zu tun, denn letztlich seien beide Sphären vor Gott gleich.  
Die wichtigste philosophische Botschaft des Dramas ist ebenfalls auf den Traum bezogen: das Sinnbild vom irdischen Leben als trügerische Traum-Täuschung, aus dem man erst in der Wahrheit des Todes erwacht. Mit dieser Leben-als-Traum-Metapher verknüpft Calderón die Kontroverse um die Divinationspraktiken mit der seinerzeit insbesondere von Jesuiten debattierte Frage, wie sich göttliche Determination und freier Willen zueinander verhalten. Angesichts der Ununterscheidbarkeit zwischen Traum und Wachwelt gelte, im Wachen wie im Träumen Gutes zu tun, denn letztlich seien beide Sphären vor Gott gleich.  


Der Möglichkeit, über Sternenkonstellationen oder Träume die Zukunft erkennen und diese durch präventive Handlungen beeinflussen zu können, wird in Calderóns Drama eine sehr klare Absage erteilt, wodurch ein direkter Bezug des Dramas zu einer päpstlichen Bulle gegen weltliche Formen der Zukunftsdeutung aus dem Jahr 1631 erkennbar ist. Gleichwohl kommt in Calderóns Drama dem Traum, anders als der Astrologie, eine besondere Bedeutung zu. Als Metapher der conditio humana darf und muss der Traum den Menschen beeinflussen, ihn von der Tragweite seines Handelns und der Notwendigkeit, das Tun auf ›gute‹ Prinzipien zu stellen, überzeugen. Das Drama über das Leben als/im Traum-Modell vereint damit die konträrsten Strömungen seiner Zeit: Es vollführt die „Diskursrenovatio“ (Küpper 1990) der mittelalterlichen Handlungsmoral des Christentums und öffnet über die Option der Willensfreiheit zugleich einen Aktionsspielraum für das neuzeitliche Subjekt. Und nicht zuletzt zeigt sich hier bereits das ästhetische Potential des Traums, das erst ab der Aufklärung volle Entfaltung findet: Es ist der Traum, mit dem Pedro Calderón de la Barca in seinem meisterhaften Drama ''La vida es sueño'' ein „Erprobungsfeld poetischer Selbstreferenz“ (Alt 2011, 108) öffnet, es ist die (Theater)kunst, die allein „die Traumlogik des Lebens wahrhaft zutage [fördert]“ (Alt 2011, 110).
Der Möglichkeit, über Sternenkonstellationen oder Träume die Zukunft erkennen und diese durch präventive Handlungen beeinflussen zu können, wird in Calderóns Drama eine sehr klare Absage erteilt, wodurch ein direkter Bezug des Dramas zu einer päpstlichen Bulle gegen weltliche Formen der Zukunftsdeutung aus dem Jahr 1631 erkennbar ist. Gleichwohl kommt in Calderóns Drama dem Traum, anders als der Astrologie, eine besondere Bedeutung zu. Als Metapher der conditio humana darf und muss der Traum den Menschen beeinflussen, ihn von der Tragweite seines Handelns und der Notwendigkeit, das Tun auf ›gute‹ Prinzipien zu stellen, überzeugen. Das Drama über das Leben als/im Traum-Modell vereint damit die konträrsten Strömungen seiner Zeit: Es vollführt die „Diskursrenovatio“ (Küpper 1990) der mittelalterlichen Handlungsmoral des Christentums und öffnet über die Option der Willensfreiheit zugleich einen Aktionsspielraum für das neuzeitliche Subjekt. Und nicht zuletzt zeigt sich hier bereits das ästhetische Potential des Traums, das erst ab der Aufklärung volle Entfaltung findet: Es ist der Traum, mit dem Pedro Calderón de la Barca in seinem meisterhaften Drama ''La vida es sueño'' ein „Erprobungsfeld poetischer Selbstreferenz“ (Alt 2011, 108) öffnet, es ist die (Theater)kunst, die allein „die Traumlogik des Lebens wahrhaft zutage [fördert]“ (Alt 2011, 110).