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Mit der Neuordnung der deutschen Filmindustrie nach 1945 und der Ausgabe von Lizenzen durch die Alliierten Besatzungsmächte wurden auch die bisherigen Studios und Produktionsfirmen aufgelöst und neue Strukturen etabliert. So entstand beispielsweise der erste Spielfilm der deutschen Nachkriegsgeschichte, ''Die Mörder sind unter uns'' (1946) von Regisseur Wolfgang Staudte (1906–1984), in den Babelsberger Studios durch die im sowjetischen Sektor neu gegründete "Deutsche Film AG" (DEFA). Auch in den anderen Besatzungszonen wurden sogenannte "Trümmerfilme" gedreht, etwa mit ''In jenen Tagen'' (1947) von Helmut Käutner (1908–1980) als erster Spielfilm unter britischer bzw. ''…und über uns der Himmel'' (1947) von Regisseur Josef von Báky (1902–1966) als erster Spielfilm unter amerikanischer Lizenz.
 
Mit der Neuordnung der deutschen Filmindustrie nach 1945 und der Ausgabe von Lizenzen durch die Alliierten Besatzungsmächte wurden auch die bisherigen Studios und Produktionsfirmen aufgelöst und neue Strukturen etabliert. So entstand beispielsweise der erste Spielfilm der deutschen Nachkriegsgeschichte, ''Die Mörder sind unter uns'' (1946) von Regisseur Wolfgang Staudte (1906–1984), in den Babelsberger Studios durch die im sowjetischen Sektor neu gegründete "Deutsche Film AG" (DEFA). Auch in den anderen Besatzungszonen wurden sogenannte "Trümmerfilme" gedreht, etwa mit ''In jenen Tagen'' (1947) von Helmut Käutner (1908–1980) als erster Spielfilm unter britischer bzw. ''…und über uns der Himmel'' (1947) von Regisseur Josef von Báky (1902–1966) als erster Spielfilm unter amerikanischer Lizenz.
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Zu den neuen Produktionsfirmen im britischen Sektor zählt auch die 1946 von Hans Abich (1918–2003) und Rolf Thiele (1918–1994) gegründete "Filmaufbau GmbH Göttingen", deren erstes Vorhaben die filmische Adaption von Borcherts [["Draußen vor der Tür" (Wolfgang Borchert)|''Draußen vor der Tür'']] war – und die auch in späteren Produktionen wie ''Es kommt ein Tag'' (Rudolf Jugert; 1950) und dem zweiteiligen Spielfilm ''Die Buddenbrooks'' (Alfred Weidenmann; 1959) literarische Stoffe für die Leinwand bearbeitete. Die beiden jungen Produzenten hatten dabei klare Vorstellungen, wie mit dem Fokus auf 'Wahrheit' und 'Realität' der deutsche Film nach der nationalsozialistischen Vereinnahmung reformiert werden müsse (vgl. Baer 2012, 76 ff.). Die Adaption eines aktuellen, gesellschaftlich brisanten Stoffs war dementsprechend ein programmatischer Beginn – und so entstand ''Liebe 47'', nach Kurt Joachim Fischers (1911–1979) auf Borcherts [["Draußen vor der Tür" (Wolfgang Borchert)|''Draußen vor der Tür'']] basierendem Drehbuch, von Außenszenen in Hamburg abgesehen, im Sommer 1948 vollständig in Göttingen (unter anderem in drei Ateliers auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens), wo der Film am 7. März 1949 auch seine Uraufführung im "Capitol" hatte (vgl. Spiegel 1948).
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Zu den neuen Produktionsfirmen im britischen Sektor zählt auch die 1946 von Hans Abich (1918–2003) und Rolf Thiele (1918–1994) gegründete "Filmaufbau GmbH Göttingen", deren erstes Vorhaben die filmische Adaption von Borcherts ''Draußen vor der Tür'' war – und die auch in späteren Produktionen wie ''Es kommt ein Tag'' (Rudolf Jugert; 1950) und dem zweiteiligen Spielfilm ''Die Buddenbrooks'' (Alfred Weidenmann; 1959) literarische Stoffe für die Leinwand bearbeitete. Die beiden jungen Produzenten hatten dabei klare Vorstellungen, wie mit dem Fokus auf 'Wahrheit' und 'Realität' der deutsche Film nach der nationalsozialistischen Vereinnahmung reformiert werden müsse (vgl. Baer 2012, 76 ff.). Die Adaption eines aktuellen, gesellschaftlich brisanten Stoffs war dementsprechend ein programmatischer Beginn – und so entstand ''Liebe 47'', nach Kurt Joachim Fischers (1911–1979) auf Borcherts ''Draußen vor der Tür'' basierendem Drehbuch, von Außenszenen in Hamburg abgesehen, im Sommer 1948 vollständig in Göttingen (unter anderem in drei Ateliers auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens), wo der Film am 7. März 1949 auch seine Uraufführung im "Capitol" hatte (vgl. Spiegel 1948).
    
Auch wenn im Feuilleton immer wieder besonders die speziell für die Filmversion konzipierte Figur der Anna mit der "infernalischen Erfahrung ihrer jungen Jahre" (Spiegel 1949, 24) hervorgehoben wurde, war die zeitgenössische Rezeption offenbar recht divers: Die unmittelbaren Reaktionen reichten vom Lob als "der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat […] für die inneren Erlebnisse, die inneren Wandlungen und die durch sie bedingten Lebensgesetze deutscher Menschen jener halbvergessenen Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre" (B.R. 1949, 12) bis hin zu "Mißfallensbekundungen, die namentlich in München die dortige Erstaufführung störten" (Weckel 2003, 155).
 
Auch wenn im Feuilleton immer wieder besonders die speziell für die Filmversion konzipierte Figur der Anna mit der "infernalischen Erfahrung ihrer jungen Jahre" (Spiegel 1949, 24) hervorgehoben wurde, war die zeitgenössische Rezeption offenbar recht divers: Die unmittelbaren Reaktionen reichten vom Lob als "der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat […] für die inneren Erlebnisse, die inneren Wandlungen und die durch sie bedingten Lebensgesetze deutscher Menschen jener halbvergessenen Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre" (B.R. 1949, 12) bis hin zu "Mißfallensbekundungen, die namentlich in München die dortige Erstaufführung störten" (Weckel 2003, 155).
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==Film==
 
==Film==
Der zentrale Unterschied zu [["Draußen vor der Tür" (Wolfgang Borchert)|Borcherts Theaterstück]] – das im Februar 1947 zunächst als Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) gesendet und dann von Liebeneiner im November des gleichen Jahres in Hamburg uraufgeführt wurde, nur wenige Stunden, nachdem der gerade 26-jährige Borchert in einem Krankenhaus in Basel gestorben war (vgl. Calzoni 2013, 210) – dürfte in der Hinzufügung der "gleichwertigen Geschichte einer jungen Kriegswitwe mit gleichen Selbstmordabsichten" (Weckel 2003, 153) bestehen.
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Der zentrale Unterschied zu Borcherts Theaterstück – das im Februar 1947 zunächst als Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) gesendet und dann von Liebeneiner im November des gleichen Jahres in Hamburg uraufgeführt wurde, nur wenige Stunden, nachdem der gerade 26-jährige Borchert in einem Krankenhaus in Basel gestorben war (vgl. Calzoni 2013, 210) – dürfte in der Hinzufügung der "gleichwertigen Geschichte einer jungen Kriegswitwe mit gleichen Selbstmordabsichten" (Weckel 2003, 153) bestehen.
    
===Anna und Beckmann===
 
===Anna und Beckmann===
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In mehreren Rückblenden erzählt sie – immer wieder aus dem Off zu hören – ihr Schicksal: Nachdem ihr Mann Jürgen, mit einer gewissen Begeisterung in Hitlers Krieg gezogen, im Kaukasus gefallen ist, und der Krieg in den letzten Monaten auch immer näher nach Deutschland gerückt ist, beginnt für Anna eine leidvolle Fluchtgeschichte, in deren Verlauf sie ihre Tochter Monika bei einem traumatischen Unglück verliert (00:37:56). In den Wirren der Kriegszeit und den Unordnungen des Nachkriegs als "Objekt" (00:47:21) und "Arbeitstier" (00:56:10) ausgenutzt, hat sie inzwischen alles verloren, inklusive des Lebenswillens.
 
In mehreren Rückblenden erzählt sie – immer wieder aus dem Off zu hören – ihr Schicksal: Nachdem ihr Mann Jürgen, mit einer gewissen Begeisterung in Hitlers Krieg gezogen, im Kaukasus gefallen ist, und der Krieg in den letzten Monaten auch immer näher nach Deutschland gerückt ist, beginnt für Anna eine leidvolle Fluchtgeschichte, in deren Verlauf sie ihre Tochter Monika bei einem traumatischen Unglück verliert (00:37:56). In den Wirren der Kriegszeit und den Unordnungen des Nachkriegs als "Objekt" (00:47:21) und "Arbeitstier" (00:56:10) ausgenutzt, hat sie inzwischen alles verloren, inklusive des Lebenswillens.
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Anna ist in ihrem Leiden damit dem Beckmann aus [["Draußen vor der Tür" (Wolfgang Borchert)|Borcherts Theaterstück]] nun als gleichberechtigtes Äquivalent gegenübergestellt, wenn auch mit unterschiedlichen Erfahrungen und einer anderen Perspektive: Nicht nur der männliche Kriegsheimkehrer findet sich in der Trümmerwüste der Großstadt nicht mehr zurecht, hat seine Kniescheibe (im Gefecht), seine Ehefrau Lisa (an einen jüngeren Mann) und seinen Sohn Andreas (bei den alliierten Bombenangriffen) verloren, sondern auch die zu Hause gebliebene Frau hat unter dem Krieg gelitten, ist auf ihre Art 'versehrt'. Anna klagt in ihren rückblickenden Erzählungen ebenso jene Männer an, die in den Krieg gezogen sind und so ihre Frauen zurückgelassen haben, wie auch die Nachkriegsgewinnler, die nun die Schwäche der Frauen ausnutzen und diese in die (symbolische wie tatsächliche) Prostitution drängen (vgl. Baer 2012, 85): "Die Welt wird von Männern regiert, und so sieht sie auch aus." (00:21:07)
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Anna ist in ihrem Leiden damit dem Beckmann aus Borcherts Theaterstück nun als gleichberechtigtes Äquivalent gegenübergestellt, wenn auch mit unterschiedlichen Erfahrungen und einer anderen Perspektive: Nicht nur der männliche Kriegsheimkehrer findet sich in der Trümmerwüste der Großstadt nicht mehr zurecht, hat seine Kniescheibe (im Gefecht), seine Ehefrau Lisa (an einen jüngeren Mann) und seinen Sohn Andreas (bei den alliierten Bombenangriffen) verloren, sondern auch die zu Hause gebliebene Frau hat unter dem Krieg gelitten, ist auf ihre Art 'versehrt'. Anna klagt in ihren rückblickenden Erzählungen ebenso jene Männer an, die in den Krieg gezogen sind und so ihre Frauen zurückgelassen haben, wie auch die Nachkriegsgewinnler, die nun die Schwäche der Frauen ausnutzen und diese in die (symbolische wie tatsächliche) Prostitution drängen (vgl. Baer 2012, 85): "Die Welt wird von Männern regiert, und so sieht sie auch aus." (00:21:07)
    
Tatsächlich entsteht so gerade keine "Opferkonkurrenz" (Weckel 2003, 153), denn während Anna nicht mehr will, kann Beckmann nicht mehr (vgl. 00:21:52). Stärker noch als Annas Nacherzählung gleichen seine Rückblicke einem klassischen Stationendrama, das ihn aus Russland zunächst nach Berlin-Zehlendorf geführt hat. Dort sucht er seinen früheren Oberst auf, der offenbar nicht in russischer Kriegsgefangenschaft war, sondern gerade mit seiner Familie beim opulenten Abendessen sitzt, und der dem Unteroffizier Beckmann einst das Kommando für eine Erkundung gegeben hat, von der elf Kameraden dann nicht wieder zurückgekehrt sind. Der Heimkehrer beschwert sich beim Oberst, damals von ihm diese Verantwortung über die Soldaten bekommen zu haben – schließlich könne er nun nicht mehr ruhig schlafen, sei einfach müde und wolle in Ruhe "richtig tief pennen" (01:09:22).
 
Tatsächlich entsteht so gerade keine "Opferkonkurrenz" (Weckel 2003, 153), denn während Anna nicht mehr will, kann Beckmann nicht mehr (vgl. 00:21:52). Stärker noch als Annas Nacherzählung gleichen seine Rückblicke einem klassischen Stationendrama, das ihn aus Russland zunächst nach Berlin-Zehlendorf geführt hat. Dort sucht er seinen früheren Oberst auf, der offenbar nicht in russischer Kriegsgefangenschaft war, sondern gerade mit seiner Familie beim opulenten Abendessen sitzt, und der dem Unteroffizier Beckmann einst das Kommando für eine Erkundung gegeben hat, von der elf Kameraden dann nicht wieder zurückgekehrt sind. Der Heimkehrer beschwert sich beim Oberst, damals von ihm diese Verantwortung über die Soldaten bekommen zu haben – schließlich könne er nun nicht mehr ruhig schlafen, sei einfach müde und wolle in Ruhe "richtig tief pennen" (01:09:22).

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