"Manifeste du surréalisme" (André Breton)

Aus Lexikon Traumkultur
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[IN BEARBEITUNG] Das 1924 erschienene, erste Manifeste du surréalisme des französischen Dichters und Schriftstellers André Breton (1896–1966) zählt zu den zentralen theoretischen Schriften der surrealistischen Bewegung in Paris. Das Werk wurde 1929 mit einem Vorwort des Autors erneut publiziert. Die Traumaspekte innerhalb des Manifests stellen einen wesentlichen Kernpunkt für die surrealistische Ästhetik dar.

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In der Forschungsliteratur wird Breton oftmals als „Kopf“ der Gruppe der Surrealisten in Paris bezeichnet. Deren Mitglieder waren z.T. untereinander eng befreundet, wobei die innere Bindung der gesamten Gruppe mitunter durch gemeinsame Aktivitäten (z.B. Traumsitzungen) sowie zentrale Treffpunkte weitestgehend aufrechterhalten wurde. Jedoch hatten Bretons Regulationen in Form von Ausschlussverfahren, Ächtungen der Ausgestoßenen sowie politische Meinungsverschiedenheiten auch immer wieder interne Konflikte ausgelöst (Schneede 2006, 14 f.; 68–70; 220–230).

Ausgehend vom Manifeste du surréalisme finden sich im Gesamtwerk Bretons einige weitere Schriften, wie Nadja (1928), Les Vases communicants (1932) oder L’Amour fou (1937), bei denen diverse Aspekte des Traumes eine wichtige Position einnehmen. Anhand seiner Aussagen zu Kunst und Ästhetik treten sowohl sein erweitertes Interesse an der Schaffung von traumhaften Werken als auch deren Wirkungsmechanismen in Kunst und Literatur hervor (Goumegou 2007, 315–333).

Entstehungs- und Veröffentlichungszusammenhang des ersten Manifeste du surréalisme

Die Gattung des Manifests war etwa ab 1910 bis in die 1930er Jahre hinein ein beliebtes Medium der Avantgarde, und vermittelte u.a. ihre kritische Haltung zum akademischen Kunst- und Bildbegriff (Asholt/Fähnders 1995/2005, XV). In der letzten Dekade ging jedoch die Menge dieser Publikationen zurück (ebd., 328). Einerseits schließt das erste Manifeste du surréalisme partiell an Traditionen der Textgattung aus dem 19. Jahrhundert an (z.B. durch die lexikalische Definition des Begriffs surréalisme) und steht andererseits durch die Gliederung und Darstellungsweise den Konventionen entgegen. Diese Abweichung von der Norm vollzieht sich aber, bis auf wenige Stellen, eher auf einer inhaltlichen Ebene und in Bezug auf die Darlegung einer anderen Weltansicht (ebd., XVI–XX).

Die Veröffentlichung der theoretischen Überlegungen André Bretons im ersten Manifest ereignet sich in einer Phase, in der sich die Gruppe vom Dadaismus distanziert und ist zeitlich später einzuordnen als die Auseinandersetzung mit der écriture automatique[1] (Schneede 2006, 19; 23–27; 42–44). Obwohl sich 1924 schon Bildende Künstler, wie Max Ernst (1891–1976), im Personenkreis um Breton versammelten und bereits surrealistische Gestaltungsmethoden entwickelten, bezieht sich das erste Manifest auf die literarische Bewegung (Schneede 2006, 42–44) und setzt sich zudem mit Gesellschaftsfragen auseinander (Asholt/Fähnders 1995/2005, 327). Geprägt von den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges betrachteten nämlich die Surrealisten das Bürgertum kritisch und sahen es in der Verantwortung für das Geschehene (Schneede 2006, 19). Bretons zweites Manifest erschien 1930 und wurde 1946 mit einem Vorwort des Autors ergänzt und erneut aufgelegt (Breton 2008, 61–65; Breton 1993, 45–49). Der Lexikon-Artikel behandelt jedoch ausschließlich sein erstes Werk.

In den nachfolgenden Kapiteln wird Bretons Argumentationskette behandelt, deren Teilaspekte (Imagination, Freiheit, Traum, Realität und traumtheoretische Bezüge) teilweise recht vage miteinander verwoben sind. Diese Verknüpfungen herzustellen, obliegt jedoch zumeist den Lesenden. Bretons Argumentation wird zudem durch gedankliche Einschübe öfters unterbrochen. Dadurch ergeben sich entweder nachträgliche Bedeutungserweiterungen von Begrifflichkeiten, die zudem nicht immer im ursprünglichen Sinnkontext auftreten, oder es können erst im Laufe des Lesens inhaltliche Rückbezüge hergestellt werden (Bürger, 1994, 63; Breton 2008; Breton 1993). Diese Fragmentierung der Argumentation innerhalb der Schrift kann in einem Zusammenhang mit der surrealistischen Ästhetik und den dadurch ausgelösten Assoziationen von Betrachtenden bzw. Lesenden gesehen werden; Breton verweist beispielsweise in seinen Ausführungen auch auf Collagen von Pablo Picasso und Georges Braque und geht anschließend zu einem experimentellen Gedicht über, das aus ausgeschnitten Zeitungstiteln zusammengesetzt wurde (Breton 2008, 53–56; Breton 1993, 38–40). An dieser Stelle werden durch die geschilderte Technik ebenso die Wechselwirkungen zwischen Bildender Kunst und Literatur deutlich, die für die Gruppe der Surrealisten in Paris essenziell war.

  1. Dabei handelt es sich um eine Ausdrucksform, die Satzstrukturen, -zeichen und inhaltliche Logiken negiert. Die Methode steht im Zusammenhang mit dem Ansatz des sogenannten psychischen Automatismus. Die Künstler*innen sollen hierbei die Vernunft ausschalten, damit die Gedanken bzw. Imaginationen unmittelbar und ungehindert fließen können. Somit sollte Potenzial aus dem Unbewussten geschöpft werden. Anwendungen der Methode existieren jedoch bereits im 19. Jahrhundert (in der Literatur in Les Chants de Maldoror des Comte de Lautrémont (1846–1870) von 1869; in der Psychotherapie durch Pierre Janet (1859–1947) ab 1889), (Hadda 2019, 17 f.; FN1).