"Manifeste du surréalisme" (André Breton)

Aus Lexikon Traumkultur
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Das 1924 erschienene erste Manifeste du surréalisme des französischen Dichters und Schriftstellers André Breton (1896–1966) zählt zu den zentralen theoretischen Schriften der surrealistischen Bewegung in Paris. Das Werk wurde 1929 mit einem Vorwort des Autors erneut publiziert. Die Traumaspekte innerhalb des Manifests stellen einen Kernpunkt der surrealistischen Ästhetik dar.

Zum Autor

In der Forschungsliteratur wird Breton oftmals als „Kopf“ der Gruppe der Surrealisten in Paris bezeichnet. Deren Mitglieder waren teilweise untereinander eng befreundet, wobei die innere Bindung der gesamten Gruppe mitunter durch gemeinsame Aktivitäten (z.B. Traumsitzungen; Sebbag 2004) sowie zentrale Treffpunkte weitestgehend aufrechterhalten wurde. Jedoch hatten Bretons Maßregelungen in Form von Ausschlussverfahren und Ächtungen der Ausgestoßenen sowie politische Meinungsverschiedenheiten auch immer wieder interne Konflikte ausgelöst (Schneede 2006, 14 f., 68–70, 220–230).

Ausgehend vom Manifeste du surréalisme finden sich im Gesamtwerk Bretons weitere Schriften - wie Nadja (1928), Les vases communicants (1932 - die wichtigste traumtheoretische Schrift des Autors) oder L’amour fou (1937) -, in denen diverse Aspekte des Traumes eine wichtige Position einnehmen. Seine Aussagen zu Kunst und Ästhetik belegen sein erweitertes Interesse an der Schaffung von traumhaften Werken und deren Wirkungsmechanismen in Kunst und Literatur (Goumegou 2007, 315–333).

Entstehungs- und Veröffentlichungszusammenhang des ersten Manifeste du surréalisme

Die Gattung des Manifests war etwa ab 1910 bis in die 1930er Jahre hinein ein beliebtes Medium der Avantgarde und vermittelte u.a. deren kritische Haltung zum akademischen Kunst- und Bildbegriff (Asholt/Fähnders 2005, XV). In der letzten Dekade ging jedoch die Menge dieser Publikationen zurück (ebd., 328). Einerseits schließt das erste Manifeste du surréalisme partiell an Traditionen der Textgattung aus dem 19. Jahrhundert an (z.B. durch die lexikalische Definition des Begriffs 'surréalisme'), andererseits steht es durch Gliederung und Darstellungsweise den Konventionen entgegen. Diese Abweichung von der Norm vollzieht sich aber, bis auf wenige Stellen, eher auf einer inhaltlichen Ebene und in Bezug auf die Darlegung einer anderen Weltansicht (ebd., XVI–XX).

Die Veröffentlichung der theoretischen Überlegungen André Bretons im ersten Manifest ereignet sich in einer Phase, in der sich die Gruppe vom Dadaismus distanziert und ist zeitlich später einzuordnen als die Auseinandersetzung mit der écriture automatique (Schneede 2006, 19, 23–27, 42–44).[1] Obwohl sich 1924 schon bildende Künstler wie Max Ernst (1891–1976) im Personenkreis um Breton versammelten und surrealistische Gestaltungsmethoden entwickelten, bezieht sich das erste Manifest nur auf die literarische Bewegung (Schneede 2006, 42–44) und setzt sich zudem mit Gesellschaftsfragen auseinander (Asholt/Fähnders 2005, 327). Geprägt von den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges betrachteten nämlich die Surrealisten das Bürgertum kritisch und sahen es in der Verantwortung für das Geschehene (Schneede 2006, 19). Ein zweites surrealistisches Manifest Bretons erschien 1930 und wurde 1946 mit einem Vorwort des Autors ergänzt und erneut aufgelegt (MS 61–65; MSd 45–49).

In den nachfolgenden Kapiteln wird Bretons Argumentationskette behandelt, deren Teilaspekte (Imagination, Freiheit, Traum, Realität und traumtheoretische Bezüge) teilweise recht vage miteinander verwoben sind. Diese Verknüpfungen herzustellen, obliegt zumeist den Lesenden. Bretons Argumentation wird zudem durch gedankliche Einschübe öfters unterbrochen. Dadurch ergeben sich entweder nachträgliche Bedeutungserweiterungen von Begrifflichkeiten, die nicht immer im ursprünglichen Sinnkontext auftreten, oder es können erst im Laufe des Lesens inhaltliche Rückbezüge hergestellt werden (Bürger 1994, 63). Diese Fragmentierung der Argumentation innerhalb der Schrift kann in einem Zusammenhang mit der surrealistischen Ästhetik und den dadurch ausgelösten Assoziationen von Betrachtenden bzw. Lesenden gesehen werden; Breton verweist beispielsweise in seinen Ausführungen auch auf Collagen von Pablo Picasso (1881-1973) und Georges Braque (1882-1963) und geht anschließend zu einem experimentellen Gedicht über, das aus ausgeschnitten Zeitungstiteln zusammengesetzt wurde (MS 53–56; MSd 38–40). Dies verdeutlicht die Wechselwirkungen zwischen bildender Kunst und Literatur, die für die Gruppe der Surrealisten in Paris essenziell war.

Imagination und Freiheit

Traum und Imagination sind im Manifest auf derselben argumentativen Ebene angesiedelt und den Begriffen Logik, Vernunft und Realität gegenübergestellt (Goumegou 2007, 267). Die Fähigkeit des Imaginierens ermöglicht aus der Sicht Bretons geistige Freiheit. Des Weiteren kann Imagination zukünftige Möglichkeiten aufzeigen, sich aber auch zu einem Trugbild wandeln (MS 14–16; MSd 12 f.). Allerdings hat Breton keine Angst vor letzterem und hinterfragt das Wertesystem richtiger und falscher Gedanken:

Où commence-t-elle [l'imagination] à devenir mauvaise et où s’arrête la sécurité de l’esprit? Pour l’esprit, la possibilité d’errer n’est-elle pas plutôt la contingence du bien? (MS 15).
Wo beginnt sie [die Imagination] Trug zu werden, und wo ist der Geist nicht mehr zuverlässig? Ist für den Geist die Möglichkeit, sich zu irren, nicht vielmehr die Zufälligkeit, richtig zu denken? (MSd 12).

Breton leitet dann zu den Halluzinationen, Illusionen, Einbildungen von geistig erkrankten Personen über und schildert, dass deren Handlungen mit gesellschaftlichen Normen kollidieren. Jedoch vermutet er, dass die Imaginationen zugleich den Betroffenen Trost verschaffen. Daher ist aus seiner Sicht der Verfall des Wahnsinns durch Imaginationen nicht zu fürchten (MS 15 f.; MSd 12).

Des Weiteren fordert Breton dazu auf, nach der Gegenpositionierung zum Materialismus auch eine solche zum Realismus einzunehmen. Breton verweist unter anderem auf rein informative oder detaillierte Literatur, die den Lesenden keinen Raum mehr für eigene Assoziationen lässt (MS 16–19; MSd 13–15). In seinen weiteren Ausführungen begründet er seine Kritik an der allzu großen Dominanz der menschlichen Logik auch damit, dass sie Lebenserfahrungen einsperrt, wobei der wissenschaftliche Kenntnisstand innerhalb einer Gesellschaft zu dieser „Freiheitsberaubung“ des Geistes zusätzlich beiträgt:

[L’expérience] tourne dans une cage d’où il est de plus en difficile de la faire sortir […], et elle est gardée par le bon sens. Sous couleur de civilisation, sous prétexte de progrès, on est parvenu à bannir de l’esprit tout ce qui se peut taxer à tort ou à raison de superstition, de chimère; à proscrire tout mode de recherche de la vérité qui n’est pas conforme à l’usage (MS 20).
[Die logische Erfahrung] windet sich in einem Käfig, und es wird immer schwieriger, sie entweichen zu lassen […], auch sie wird vom Menschenverstand bewacht. Unter dem Banner der Zivilisation, unter dem Vorwand des Fortschritts ist es gelungen, alles aus dem Geist zu verbannen, was zu Recht oder Unrecht als Aberglaube, als Hirngespinst gilt, und jede Art der Wahrheitssuche zu verurteilen, die nicht der gebräuchlichen entspricht (MSd 15).

Das was Breton an dieser Stelle unter die Begriffe „superstition“ und „chimère“ erfasst, kann ebenso in einem weiteren Traumkontext gesehen werden. Für ihn sind nämlich alle Spielarten der Fantasie, so auch das gesellschaftlich verachtete Wunderbare in der Literatur, von unschätzbarer Relevanz beim literarischen Schaffensprozess. So spricht er sich bezüglich der Dichtkunst vehement dagegen aus, Inspirationsquellen (wie auch den Traum) von vorneherein auszuschließen (MS 24–28; MSd 18–21).

Traum und Realität

Nach Breton ist das Traumerleben ursprünglich strukturiert; durch den Eingriff des Gedächtnisses erfolgen jedoch Veränderungen, so dass sich scheinbar mehrere Träume abspielen. Was innerhalb des Traumes als Realität eingestuft wird, hängt seiner Meinung nach mit der Willenskraft der Träumenden zusammen. Zudem ist dieser Moment des Realitätsempfindens ohnehin von kurzer Dauer. Dabei bedauert er in einer Anmerkung, dass er gerade die Inhalte nicht erinnert, die ihn besonders interessieren und die nicht mit dem Tageserleben in Verbindung stehen. Daher glaubt er, dass die Trauminhalte nicht vollständig aufgelöst werden können. Er wünscht sich gar schlafende Philosophen, damit die Logik imstande wäre zurückzutreten. Breton schließt auch weder die Möglichkeit einer narrativen Weitererzählung von Traum zu Traum aus, noch dass reale Erlebnisse in diesen weitergeführt werden (MS 21 f.; MSd 16–18). In solchen Überlegungen deutet sich bereits eine erste Vermischung von Wach- und Traumerleben an, die für die Surrealisten ästhetisch von Interesse war. Danach äußert Breton seine Gedanken zur Funktion des Traumes:

pourqoui n’accorderais-je pas au rêve ce que je refuse parfois à la réalité, soit cette valeur de certitude en elle-même, qui, dans son temps, n’est point exposée à mon désaveu ? Pourqoui n’attenderais-je pas de l’indice du rêve plus que je n’attends d’un degré de conscience chaque jour plus élevé ? Le rêve ne peut-il être appliqué, lui aussi, à la résolution des questions fondamentales de la vie ? (MS 22).
warum sollte ich dem Traum nicht zugestehen, was ich zuweilen der Wirklichkeit verweigere, jenen Wert der in sich ruhenden Gewißheit nämlich, der für die Traumspanne ganz und gar nicht von mir geleugnet wird? Warum sollte ich vom Traum-Hinweis nicht noch mehr erwarten als von einem täglich wachsenden Bewußtseinsgrad? Kann nicht auch der Traum zur Lösung grundlegender Lebensfragen dienen? (MSd 17).

Im nächsten Abschnitt hinterfragt Breton die Verlässlichkeit der Wahrnehmung im Wacherleben, bevor er den Traum als Ort völliger moralischer Freiheit und unbegrenzter Möglichkeiten skizziert, was von der Vernunft der Träumenden im Schlaf nicht in Frage gestellt wird. Das Erwachen reißt die Personen aus diesem Ort und die gesellschaftlichen Moralvorstellungen greifen erneut (MS 23 f.; MSd 16–18). Breton versteht Traum und Realität daher nicht als einen unwiderruflichen Gegensatz, sondern sieht sie als zusammengehörig an. Im gleichzeitigen Zusammenspiel von Wach- und Traumzustand wird sogar eine neue Wahrnehmungserfahrung ermöglicht. Dieser Wahrnehmungszustand ist in seinen Augen erstrebenswert, aber nur bedingt erreichbar:

Je crois à la résolution future de ces deux états, en apparence si contradictoires, que sont le rêve et la réalité, en une sorte de réalité absolue, de surréalité, si l’on peut ainsi dire. C’est à sa conquête que je vais, certain de n’y pas parvenir mais trop insoucieux de ma mort pour ne pas supporter un peu les joies d’une telle possession (MS 24).
Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluten Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. Nach ihrer Eroberung strebe ich, sicher, sie nicht zu erreichen, zu unbekümmert jedoch um meinen Tod, um nicht zumindest die Freuden eines solchen Besitzes abzuwägen (MSd 18).

Die Aufhebung der Grenzen zwischen „rêve“ und „réalité“ ist folglich das zentrale Konzept des Surrealismus, auf das sich auch Bretons gesamtes künstlerisches Schaffen ausrichtet.

Traumtheoretische Bezüge

An wenigen Stellen bezieht sich Breton auf Die Traumdeutung (1899) von Sigmund Freud (1856–1939),[2] ohne sich detailliert zu den inhaltlichen Aspekten seiner Theorie zu äußern und auf dessen Fachbegriffe zurückzugreifen. Seine Verweise sind eher subtil, offen formuliert und als Anspielungen zu verstehen. So wird beispielsweise Freuds Auffassung des Traums als Zugangsmöglichkeit zum Unbewussten von Breton nur vage angedeutet und als wichtiger Anstoß für die Aufwertung der Rolle der Imagination dargestellt:

Sur la foi de […] découvertes [de Freud], un courant d’opinion se dessine enfin, à la faveur duquel l’explorateur humain pourra pousser plus loin ses investigations, autorisé qu’il sera à ne plus seulement tenir compte des réalités sommaires. L’imagination est peut-être sur le point de reprendre ses droits (MS 20).
Auf Grund von [Freuds] Entdeckungen bildet sich eine Strömung im Denken heraus, mit deren Hilfe der Erforscher der Menschen seine Untersuchungen weiter treiben vermag, da er nun nicht mehr nur summarische Fakten in Betracht zu ziehen braucht. Die Imagination ist vielleicht im Begriff, wieder in ihre alten Rechte einzutreten (MSd 15).

Nach Bretons Ansicht kann zudem geistiges Potenzial aus Imaginationen geschöpft werden, indem auch verborgene Inhalte an die „surface“ treten. Mit Zuspruch gegenüber Freuds Kritik bemängelt anschließend Breton die ungenügende, allgemeine Auseinandersetzung mit dem Traum, der einen großen Bestandteil der menschlichen Psyche einnehme. Da die Erinnerung an den Traum nur einen Bruchteil des Traumerlebens wiedergibt und bisweilen undeutlich ist, führt Breton seinen eigenen Gedankengang über Traum und Realität weiter aus (MS 20–23; MSd 15 f.). An dieser Stelle wird deutlich, wie Breton Freuds Traumtheorie primär zur Untermauerung eigener Argumentationen nutzt (Goumegou 2007, 269, 279).

Ein weiteres Mal bezieht sich Breton auf Freuds Psychoanalyse, als er die Überlegungen zur freien Assoziation von Patienten als einen Denkanstoß für die Entwicklung der écriture automatique charakterisiert (Goumegou 2007, 267 f.):

Tout occupé que j’étais encore de Freud à cette époque et familiarisé avec ses méthodes d’examen que j’avais eu quelque peu l’occasion de pratiquer sur des malades pendant la guerre, je résolus d’obtenir de moi ce qu’on cherche à obtenir d´eux, soit un monologue de débit aussi rapide que possible, sur lequel l’esprit critique du sujet ne fasse porter aucun jugement, qui ne s’embarasse, par suite, d’aucune réticence, et qui soit aussi exactement que possible la pensée parlée. Il m’avait paru, et il ma paraît encore […] que la vitesse de la pensée n´est pas supérieur à celle de la parole, et qu´elle ne défie pas forcément la langue, ni même la plume qui court (MS 33).
Ich beschäftigte mich damals noch eingehend mit Freud und war mit seinen Untersuchungsmethoden vertraut, die ich im Kriege gelegentlich selbst bei Kranken hatte anwenden können,[3] und beschloß nun, von mir selbst das zu erreichen, was man von ihnen haben wollte: nämlich einen so rasch wie möglich fließenden Monolog, der dem kritischen Verstand des Subjekts in keiner Weise unterliegt, der sich infolgedessen keinerlei Zurückhaltung auferlegt und der so weit möglich gesprochener Gedanke wäre. Ich hatte den Eindruck, und habe ihn noch […], daß das Tempo des Denkstroms nicht größer ist als das des Redestroms und daß das Denken nicht unbedingt die Zunge oder gar die Feder am Mitkommen hindert (MSd 24 f.).

Zuvor berichtet Breton noch von einem Satz, der zugleich mit einer vagen, visuellen Vorstellung verbunden war und der ihm einst kurz vor dem Einschlafen einfiel. An den Satz könne er sich immer noch nicht vollständig erinnern, ihn beschäftigte aber zugleich die Satzstruktur von „Il y a un homme coupé en deux par la fenêtre“ (MS 31; „Da ist ein Mann, der vom Fenster entzweigeschnitten wird“, MSd 23).

Im Manifest tauchen zudem Bezüge zum Traumdiskurs in Frankreich des 19. Jahrhunderts auf (z.B. beim bereits geschilderten narrativen Fortgang von Träumen), sodass der Imaginationsbegriff von Breton eher mit Auffassungen des Unbewussten aus dieser Zeit korreliert (Goumegou 2007, 268 f.). Daneben haben ihn die Überlegungen der Symbolisten und Romantiker zum Traum inspiriert, woraus er im Manifest eine Traumauffassung formuliert (Jiménez 2013, 24–29). Diese Auffassung Bretons streift also bisweilen flüchtig sowie partiell diverse Traumdiskurse mit denen er überwiegend seine Ansicht zum Verhältnis zwischen Traum und Realität zu bekräftigen sucht; deshalb werden in der Forschungsliteratur seine Reflexionen nicht als Traumtheorie eingestuft (Goumegou 2007, 279).

Rezeption und Bedeutung des Werks

Das Manifeste du surréalisme von 1924 lässt Rückschlüsse auf Bretons Positionierung innerhalb der Kulturgeschichte des Traumdiskurses zu und gibt darüber hinaus wesentliche Einblicke in die Geisteshaltung der Surrealisten in Paris. Daher wird in der Forschung die Schrift bis heute ergänzend herangezogen, um z.B. die Überlegungen hinter ausgewählten ästhetischen Ausdrucksformen einiger Mitglieder der Gruppe zu vermitteln. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die Technik der Frottage[4] verwiesen, die Max Ernst selbst in Relation zur écriture automatique setze. Dennoch muss ebenso die Frottage in ihrem kunsthistorischen Zusammenhang zu den Collagen-Arbeiten des Künstlers gesehen werden (Hadda 2019, 110–127).


Jacqueline Rhein


Literatur

Ausgaben

  • Breton, André: Manifeste du surréalisme. Paris: Éd. du Sagittaire 1924.
  • Ders.: Manifeste du surréalisme; Poisson soluble. Paris: Éd. Kra 2. Aufl. mit neuem Vorwort 1929.
  • Ders.: Manifestes du surréalisme. Paris: Gallimard 2008 (Collection Folio / Essais, 5); zitiert als MS.
  • Ders.: Die Manifeste des Surrealismus. Übers. von Ruth Henry. Reinbek, Hamburg: Rowohlt 1993 (Rowohlts Enzyklopädie 434); zitiert als MSd.

Kontexte

  • Sebbag, Georges (Hg.), Sommeils & Rêves surréalistes. Paris: Jean-Michel Place 2004.

Forschungsliteratur

  • Alexandrian, Sarane: Le Surréalisme et le rêve. Paris: Gallimard 1974.
  • Asholt, Wolfgang/Walter Fähnders (Hg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938). Stuttgart: Metzler 2005.
  • Bürger, Peter: Der französische Surrealismus. Studien zur avantgardistischen Literatur. Frankfurt/M.: erw. Ausgabe Suhrkamp 1996 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1222).
  • Gamwell, Lynn: Die innere Muse. Die Psyche im Jahrhundert der Wissenschaft, In: Dies. (Hg.): Träume 1900–2000. Kunst, Wissenschaft und das Unbewußte. München u.a: Prestel 2000, 13–60.
  • Goumegou, Susanne: Traumtext und Traumdiskurs. Nerval, Breton, Leiris. München: Fink 2007.
  • Hadda, Sarah: Der Schnitt als Denkfigur im Surrealismus. Max Ernst, Man Ray, Luis Buñuel und Salvador Dalí, Bielefeld: transcript 2019 (Image, Bd. 149).
  • Jiménez, José: Surrealism and the Dream. In: Ders. (Hg.): Surrealism and the Dream [Ausst. Kat.]. Madrid: Museo Thyssen-Bornemisza 2013, 17–54.
  • Kaltwasser, Nadja: Surrealismus und Traum: André Breton. In: Dies.: Zwischen Traum und Alptraum. Studien zur französischen und deutschen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verlag 2000, 57-90.
  • Lusty, Natalya: Surrealism and Dreams. In: Dies. (Hg.), Surrealism. Cambridge: Cambridge UP 2021, 94-111.
  • Schneede, Uwe M.: Die Kunst des Surrealismus. München: Beck 2006.

Anmerkungen

  1. Dabei handelt es sich um eine Ausdrucksform, die Satzstrukturen, Interpunktion und inhaltliche Logiken negiert. Die Methode steht im Zusammenhang mit dem Ansatz des sogenannten psychischen Automatismus. Die Künstler*innen sollen hierbei die Vernunft ausschalten, damit die Gedanken bzw. Imaginationen unmittelbar und ungehindert fließen können. Somit sollte Potenzial aus dem Unbewussten geschöpft werden. Anwendungen der Methode existieren jedoch bereits im 19. Jahrhundert - in der Literatur in Les Chants de Maldoror des Comte de Lautrémont (1846–1870) von 1869, in der Psychotherapie ab 1889 bei Pierre Janet (1859–1947) (Hadda 2019, 17 f.).
  2. Breton traf Freud bereits 1921, doch dieses Treffen hat ihn ernüchtert (Sebbag 2004, 21 f.; Jiménez 2013, 27). Dennoch kontaktierte er den Psychoanalytiker bis 1938 immer wieder in der Hoffnung auf eine fruchtbare Zusammenarbeit. Freud distanzierte sich jedoch beständig von diesen Bemühungen. Eine Ursache mag in dem unterschiedlichen Nutzen liegen, den beide aus der Beschäftigung mit Träumen ziehen wollten. Während Freud in Gesprächen mit seinen Patient*innen den 'latenten' Traumgedanken suchte und zu Behandlungszwecken verwendete, diente der „unlogisch“ wirkende erinnerte 'manifeste' Traum den Surrealisten als Inspiration für ihre Werke (Gamwell 2000, 38 f.). In diesem Zusammenhang könnten auch bewusste Kompositionen der Surrealisten gesehen werden, die sich der menschlichen Logik entziehen, etwa durch die Nutzung des künstlerischen Mittels der Kombinatorik. Die Verbindung bzw. das Aufeinandertreffen zweier nicht zusammengehöriger Bildelemente ist hierbei nicht nur auf die bildende Kunst beschränkt, sondern findet sich auch als poetisches Mittel in der Literatur wieder (Schneede 2006, 142 f.). Kamen sie schon deshalb nicht auf einen gemeinsamen Nenner, war Freud zudem Breton aufgrund dessen persönlichen und überheblichen Auftretens 1921 in der Praxis in Wien vermutlich nicht sonderlich zugetan. Umgekehrt haben Freuds verhaltene Reaktionen Gegenaktionen Bretons ausgelöst, die sich zwischen dem Ausdruck von Bewunderung, öffentlicher Kritik und Versuchen der Verteidigung des Psychoanalytikers zur Zeit des Nationalsozialismus bewegten (Gamwell 2000, 38 f.).
  3. Während des Ersten Weltkrieges war Breton medizinischer Assistent im psychiatrischen Zentrum in Saint-Dizier. Die Eindrücke vor Ort mit mental Erkrankten regten ihn zu seiner Auseinandersetzung mit den Theorien Pierre Janets (1859-1947) und Sigmund Freuds über das Unbewusste und den Traum an (Schneede 2006, 42–44).
  4. Bei der Frottage wird zunächst ein Papier über einen Gegenstand der Wahl gelegt. Dann wird z.B. ein Bleistift genutzt, um damit über die Fläche zu reiben, wodurch sich die Materialstruktur auf dem Papier abzeichnet. Die Technik ist hierbei sowohl künstlerisches Inspirationsmittel als auch ein Verfahren, den Betrachtenden Raum für Assoziationen zu lassen (Schneede 2006, 99–101).


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Rhein, Jacqueline: "Manifeste du surréalisme". In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2022; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=Manifeste_du_surr%C3%A9alisme,_1924_(Andr%C3%A9_Breton).