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Zwischen 1901 und 1913 verfasste er neun Romane und Erzählungen. Bekannt sind insbesondere der musikalische Roman ''Enzio'' (1911), der Roman ''Pitt und Fox. Die Lebenswege der Brüder Sintrup'' (1909) sowie der autobiografisch geprägte, psychologische Jugendroman ''Mao'' (1907), der häufig zu Unrecht der Kategorie des Schul- bzw. Kadettenromans zugeordnet wird.<ref>So etwa im Paratext der Fischer-Ausgabe, wo es heißt: „Friedrich Huch steht in einer Reihe mit so bedeutenden Autoren wie Thomas Mann, Emil Strauß Hermann Hesse, die zu Beginn dieses Jahrhunderts das Problem der Existenz des begabten und sensiblen Kindes in einer verständnislosen, bloßem Zweckmäßigkeits- und Effektivitätsdenken verpflichteten Erwachsenenwelt gestaltet haben. Sein Thomas ist ein Geistesverwandter von Hanno Buddenbrook, Heinrich Lindner [''Freund Hein''] und Hans Giebenrath [''Unterm Rad''].“ Mit den zahlreichen Schul- und Kadettenromanen der Zeit um 1900 hat dieser Roman jedoch nur einige wenige thematische Aspekte gemein. In seiner mystischen Ästhetik wie auch in seiner Motivik, etwa das Doppelgängermotiv betreffend, weist er viel eher eine Nähe zur Literatur der Romantik auf.</ref>  
 
Zwischen 1901 und 1913 verfasste er neun Romane und Erzählungen. Bekannt sind insbesondere der musikalische Roman ''Enzio'' (1911), der Roman ''Pitt und Fox. Die Lebenswege der Brüder Sintrup'' (1909) sowie der autobiografisch geprägte, psychologische Jugendroman ''Mao'' (1907), der häufig zu Unrecht der Kategorie des Schul- bzw. Kadettenromans zugeordnet wird.<ref>So etwa im Paratext der Fischer-Ausgabe, wo es heißt: „Friedrich Huch steht in einer Reihe mit so bedeutenden Autoren wie Thomas Mann, Emil Strauß Hermann Hesse, die zu Beginn dieses Jahrhunderts das Problem der Existenz des begabten und sensiblen Kindes in einer verständnislosen, bloßem Zweckmäßigkeits- und Effektivitätsdenken verpflichteten Erwachsenenwelt gestaltet haben. Sein Thomas ist ein Geistesverwandter von Hanno Buddenbrook, Heinrich Lindner [''Freund Hein''] und Hans Giebenrath [''Unterm Rad''].“ Mit den zahlreichen Schul- und Kadettenromanen der Zeit um 1900 hat dieser Roman jedoch nur einige wenige thematische Aspekte gemein. In seiner mystischen Ästhetik wie auch in seiner Motivik, etwa das Doppelgängermotiv betreffend, weist er viel eher eine Nähe zur Literatur der Romantik auf.</ref>  
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Noch bemerkenswerter als sein Erzählwerk sind womöglich die beiden Publikationen, die sein privates Traumerleben betreffen und mit denen er die Textsorte des Traumnotats etablierte (vgl.: Schmidt-Hannisa 2018a, 93). Auf Drängen seines Freundes Ludwig Klages, der in Huchs Träumen eine Bestätigung seiner romantischen Naturphilosophie und in Huch selbst das Idealbild eines endindividualisierten Dichters sah (vgl. Schmidt-Hannisa 2018b, 31), publizierte er im Jahr 1903 insgesamt 100 Traumnotate aus seinem privaten Traumtagebuch, die bei S. Fischer in Berlin unter dem Titel ''Träume'' erschienen (vgl. Greuner 1983, 141). Im Sommer 1912 wählte er weitere 170 Traumnotate aus, die von zwanzig Bildtafeln Alfred Kubins begleitet wurden. <ref>In ''Über mein Traumerleben'' geht Alfred Kubin auf die Faszination an seinem Traumerleben ein und schreibt: „Viele meiner Zeichnungen versuchen, meine Träume festzuhalten“ (Kubin 1970, 7).</ref> Aufgrund des Kriegsbeginns wurde dieser zweite Band erst im Jahr 1917 bei Georg Müller in München unter dem Titel ''Neue Träume'' publiziert (vgl. ebd., 141f. Siehe auch: Schäfer 2021). Diese Publikation erlebte er nicht mehr, da er am 12. Mai 1913 an den Folgen einer Mittelohroperation verstarb. Die bei Huchs Bestattung von Thomas Mann gehaltene Gedächtnisrede wurde 1913 im Juniheft der ''Süddeutschen Monatshefte'' publiziert.
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Noch bemerkenswerter als sein Erzählwerk sind womöglich die beiden Publikationen, die sein privates Traumerleben betreffen und mit denen er die Textsorte des Traumnotats etablierte (vgl.: Schmidt-Hannisa 2018a, 93). Auf Drängen seines Freundes Ludwig Klages, der in Huchs Träumen eine Bestätigung seiner romantischen Naturphilosophie und in Huch selbst das Idealbild eines endindividualisierten Dichters sah (vgl. Schmidt-Hannisa 2018b, 31), publizierte er im Jahr 1903 insgesamt 100 Traumnotate aus seinem privaten Traumtagebuch, die bei S. Fischer in Berlin unter dem Titel ''Träume'' erschienen (vgl. Greuner 1983, 141). Im Sommer 1912 wählte er weitere 170 Traumnotate aus, die von zwanzig Bildtafeln Alfred Kubins begleitet wurden. <ref>In ''Über mein Traumerleben'' geht Alfred Kubin auf die Faszination an seinem Traumerleben ein und schreibt: „Viele meiner Zeichnungen versuchen, meine Träume festzuhalten“ (Kubin 1970, 7).</ref> Aufgrund des Kriegsbeginns wurde dieser zweite Band erst im Jahr 1917 bei Georg Müller in München unter dem Titel ''Neue Träume'' publiziert (vgl. ebd., 141 f. Siehe auch: Schäfer 2021). Diese Publikation erlebte er nicht mehr, da er am 12. Mai 1913 an den Folgen einer Mittelohroperation verstarb. Die bei Huchs Bestattung von Thomas Mann gehaltene Gedächtnisrede wurde 1913 im Juniheft der ''Süddeutschen Monatshefte'' publiziert.
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== Die Träume ==  
 
== Die Träume ==  
Der Roman kreist durchweg um die Beschreibung der träumerischen Wahrnehmung der Hauptfigur. Seine Tagträume sind häufig narzisstisch und lustvoll gefärbt, mitunter weisen sie auch eskapistische und angsttraumhafte Züge auf. Nächtliches Träumen wird mehrfach erwähnt, etwa wenn davon die Rede ist, dass er aus seinen Träumen aufschreckt und in „nächtlichen Visionen“ von ''Mao'' oder einem ihn erpressenden Klassenkameraden heimgesucht wird. Explizit beschrieben wird lediglich an zwei Stellen ein Traumgeschehen. Als Thomas von einem Mitschüler erpresst wird und dieser ihm androht, ihn in seinem geliebten Elternhaus aufzusuchen, erleidet er Angstzustände und wird im Schlaf, aber auch im Halbschlaf von Fieberträumen heimgesucht, die wie folgt beschrieben werden:
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Der Roman kreist durchweg um die Beschreibung der träumerischen Wahrnehmung der Hauptfigur. Seine Tagträume sind häufig narzisstisch und lustvoll gefärbt, mitunter weisen sie auch eskapistische und angsttraumhafte Züge auf. Nächtliches Träumen wird mehrfach erwähnt, etwa wenn davon die Rede ist, dass er aus seinen Träumen aufschreckt und in „nächtlichen Visionen“ von ''Mao'' oder einem ihn erpressenden Klassenkameraden heimgesucht wird. Explizit beschrieben wird lediglich an zwei Stellen ein Traumgeschehen. Als Thomas von einem Mitschüler erpresst wird und dieser ihm androht, ihn in seinem geliebten Elternhaus aufzusuchen, erleidet er Angstzustände und wird im Schlaf, aber auch im Halbschlaf von Fieberträumen heimgesucht, die wie folgt beschrieben werden:
    
=== Beschreibung ===
 
=== Beschreibung ===
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: <span style="color: #7b879e;">So lag er tagelang im Fieber; Visionen des Hauses glitten häufiger in seine Träume. Fetzenweise loderten sie auf in großen Bildern, zumeist verknüpft mit der letzten Vergangenheit: Der Sturm jagte über den Garten hin und spaltete die alten Bäume, das Wappenschild zerbarst. – Er lag im Grase, das hoch emporstand, in den Bäumen läuteten die Bienen, ein Glas schob sich an seine Lippen, er wollte trinken, der Arm ward länger und wuchs auf durch den ganzen Garten bis hoch zum Giebel, wo sein Todfeind saß. Eine leise begütigende Stimme drang an sein Ohr: Der Arm verschwand, und statt der schrecklichen Gestalt gewahrte er dort oben Alexander. – – Feuer zischte aus allen Spalten und Fugen des Hauses, er wollte retten, löschen, Brandglocken dröhnten, und die lohe Fackel oben auf dem Turme schwang in riesenhaftem Kreise. Die Balken sprühten, knisterten und qualmten, und wie sie berstend niederkrachten, stand dort oben eine einsame Gestalt. Was er für Feuer sah, ward Glut der Abendröte. Leuchtend im Rosenlichte lag das Haus, regungslos stand die Gestalt. Zitternd streckte er die Arme nach ihr aus, er flüsterte einen Namen. Sie wich zurück, schwand ferner, verblaßte, zerging in schimmerndem Nebel – – noch traumverloren, halbwach, ruhte sein Blick auf dem trüben, blinden Bilde, das hoch am Fußende seines Bettes hing (M 41 f.).</span>
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: <span style="color: #7b879e;">So lag er tagelang im Fieber; Visionen des Hauses glitten häufiger in seine Träume. Fetzenweise loderten sie auf in großen Bildern, zumeist verknüpft mit der letzten Vergangenheit: Der Sturm jagte über den Garten hin und spaltete die alten Bäume, das Wappenschild zerbarst. – Er lag im Grase, das hoch emporstand, in den Bäumen läuteten die Bienen, ein Glas schob sich an seine Lippen, er wollte trinken, der Arm ward länger und wuchs auf durch den ganzen Garten bis hoch zum Giebel, wo sein Todfeind saß. Eine leise begütigende Stimme drang an sein Ohr: Der Arm verschwand, und statt der schrecklichen Gestalt gewahrte er dort oben Alexander. – – Feuer zischte aus allen Spalten und Fugen des Hauses, er wollte retten, löschen, Brandglocken dröhnten, und die lohe Fackel oben auf dem Turme schwang in riesenhaftem Kreise. Die Balken sprühten, knisterten und qualmten, und wie sie berstend niederkrachten, stand dort oben eine einsame Gestalt. Was er für Feuer sah, ward Glut der Abendröte. Leuchtend im Rosenlichte lag das Haus, regungslos stand die Gestalt. Zitternd streckte er die Arme nach ihr aus, er flüsterte einen Namen. Sie wich zurück, schwand ferner, verblaßte, zerging in schimmerndem Nebel – – noch traumverloren, halbwach, ruhte sein Blick auf dem trüben, blinden Bilde, das hoch am Fußende seines Bettes hing (M 41 f.).</span>
 
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Der Traum bzw. eine höchst individuelle, traumhafte Wahrnehmung sind in dieser Erzählung auf mehreren Ebenen dominant. Was die Struktur betrifft, kommen der Traum und das Träumen in einem traumförmig strukturierten Handlungsablauf (Steinlein 2008, 2) zur Darstellung, der surrealistische Erzählweisen vorwegnimmt. Inspiriert sind diese Darstellungen eines diffusen Zwischenraumes von Wach- und Traumbewusstsein augenscheinlich aus den Kindheitserlebnissen des Autors, aber auch aus seinen Traumnotaten (vgl. Schäfer 2021). Mit Blick auf den Effekt dieser Darstellung wird eine Nähe zur schwarzen Romantik deutlich, da der Traum auch hier „als Medium der Entdifferenzierung und Aufhebung der Identität, als Schauplatz von Verdopplung, Ich-Diffusion und Selbstentfremdung, von Rollenwechsel und Transgression, von Besessenheit und Triebdetermination“ (Alt 2005, 20) erscheint. Hinzu kommt der Aspekt, dass traumhafte und kindliche Wahrnehmung enggeführt werden, wobei eine qualitative Differenzierung von weiblichen und männlichen Figuren sichtbar wird. So bedauert es die Mutter des Protagonisten, dass ihre Tochter so hartherzig und pragmatisch ist, während ihr Sohn sich als überaus sensibel und träumerisch erweist; Attribute, die man einem Mädchen verzeihen könnte, die sich für einen Jungen jedoch nicht zu eignen scheinen. Der Umzug und der damit verbundene endgültige Verlust des geliebten Bildes markieren das Ende der kindlichen Träumerei (vgl. Li 1989, 77). Die finale Szene, die einer wahnhaften (Traum-)Vision gleicht, kann daher auch als bewusste Abwehr der Anforderungen an die Integration eines männlichen Individuums in die geschilderte Erwachsenengesellschaft gelesen werden. Die Figur ist nicht im Stande oder nicht gewillt, ihre individuelle traumhafte Wahrnehmung sowie die als höchst angenehm empfundene Symbiose mit dem Elternhaus und dem geliebten Bild aufzugeben.
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Der Traum bzw. eine höchst individuelle, traumhafte Wahrnehmung sind in dieser Erzählung auf mehreren Ebenen dominant. Was die Struktur betrifft, kommen der Traum und das Träumen in einem traumförmig strukturierten Handlungsablauf (Steinlein 2008, 2) zur Darstellung, der surrealistische Erzählweisen vorwegnimmt. Inspiriert sind diese Darstellungen eines diffusen Zwischenraumes von Wach- und Traumbewusstsein augenscheinlich aus den Kindheitserlebnissen des Autors, aber auch aus seinen Traumnotaten (vgl. Schäfer 2021). Mit Blick auf den Effekt dieser Darstellung wird eine Nähe zur schwarzen Romantik deutlich, da der Traum auch hier „als Medium der Entdifferenzierung und Aufhebung der Identität, als Schauplatz von Verdopplung, Ich-Diffusion und Selbstentfremdung, von Rollenwechsel und Transgression, von Besessenheit und Triebdetermination“ (Alt 2005, 20) erscheint. Hinzu kommt der Aspekt, dass traumhafte und kindliche Wahrnehmung enggeführt werden, wobei eine qualitative Differenzierung von weiblichen und männlichen Figuren sichtbar wird. So bedauert es die Mutter des Protagonisten, dass ihre Tochter so hartherzig und pragmatisch ist, während ihr Sohn sich als überaus sensibel und träumerisch erweist; Attribute, die man einem Mädchen verzeihen könnte, die sich für einen Jungen jedoch nicht zu eignen scheinen. Der Umzug und der damit verbundene endgültige Verlust des geliebten Bildes markieren das Ende der kindlichen Träumerei (vgl. Li 1989, 77). Die finale Szene, die einer wahnhaften (Traum-)Vision gleicht, kann daher auch als bewusste Abwehr der Anforderungen an die Integration eines männlichen Individuums in die geschilderte Erwachsenengesellschaft gelesen werden. Die Figur ist nicht im Stande oder nicht gewillt, ihre individuelle traumhafte Wahrnehmung sowie die als höchst angenehm empfundene Symbiose mit dem Elternhaus und dem geliebten Bild aufzugeben.
     

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