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Neben der vielschichtigen traumatischen Vergangenheit ziehen sich weitere Leitthemen und -motive durch den Roman, die allerdings eng mit ihr verwoben sind. Dazu gehört das Thema der fragmentierten Erinnerung, die die Ich-Erzählerin wiederholt mit dem Wort „Krater“ umschreibt (u. a. MdT 206, 253, 276). Hervorzuheben ist auch die klangliche Dimension. So tauchen auf allen Zeitebenen der Erzählungen immer wieder Ausschnitte aus Songtexten auf. Auf der Vergangenheitsebene korrespondieren die Releases der jeweiligen Songs, die Autor*in Yaghoobifarah auch auf einer Spotify-Playlist gesammelt hat, mit dem zeitlichen Rahmen des Geschehens. Zu der klanglichen Dimension zählt zudem das Telefonklingeln, das Nasrin regelmäßig als einzige zu hören scheint und das bei ihr traumatische Flashbacks auslöst (MdT 276, 380). In dem immer wieder auftauchenden Motiv der Telefonzelle bekommt das retraumatisierende Geräusch ein Bild. Alle erwähnten Aspekte manifestieren sich insbesondere in den Träumen der Protagonistin, die so zu einem Brennglas für all das werden, an dem Nasrin in Gegenwart und Vergangenheit zerbricht.
 
Neben der vielschichtigen traumatischen Vergangenheit ziehen sich weitere Leitthemen und -motive durch den Roman, die allerdings eng mit ihr verwoben sind. Dazu gehört das Thema der fragmentierten Erinnerung, die die Ich-Erzählerin wiederholt mit dem Wort „Krater“ umschreibt (u. a. MdT 206, 253, 276). Hervorzuheben ist auch die klangliche Dimension. So tauchen auf allen Zeitebenen der Erzählungen immer wieder Ausschnitte aus Songtexten auf. Auf der Vergangenheitsebene korrespondieren die Releases der jeweiligen Songs, die Autor*in Yaghoobifarah auch auf einer Spotify-Playlist gesammelt hat, mit dem zeitlichen Rahmen des Geschehens. Zu der klanglichen Dimension zählt zudem das Telefonklingeln, das Nasrin regelmäßig als einzige zu hören scheint und das bei ihr traumatische Flashbacks auslöst (MdT 276, 380). In dem immer wieder auftauchenden Motiv der Telefonzelle bekommt das retraumatisierende Geräusch ein Bild. Alle erwähnten Aspekte manifestieren sich insbesondere in den Träumen der Protagonistin, die so zu einem Brennglas für all das werden, an dem Nasrin in Gegenwart und Vergangenheit zerbricht.
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== Subjektivität und Traumerleben ==
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Mit seinem Roman möchte Marco Balzano bewusst einen subjektiv aufgeladenen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis Südtirols und Italiens leisten (Grite/Siller 2011). In einer Anmerkung des Autors begründet er sein Vorhaben wie folgt:
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{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
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== Die Träume ==
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Insgesamt gibt es im Roman vier Traumepisoden, die unterschiedlich deutlich markiert sind, sich alle jedoch durch ihre Traumhaftigkeit auffällig vom Wacherleben abheben. Daneben gibt es seltene Momente, die unklar zwischen traumatischem Flashback, Traum und Wacherleben zu schweben scheinen (MdT 15, 24, 103, 380). Die Protagonistin spielt auf diese die Vergangenheit betreffende Unsicherheit auch selbst an: „Ängste, Träume, Wünsche, alles wirkt gleichermaßen unreal, ich weiß nicht mehr, was wirklich passiert und was nur ein Trip gewesen ist“ (MdT 250). Das Wortspiel „Traum(a)fabrik“, das zu Beginn des Romans eingeführt wird (MdT 29), weist auf die Verschränkung von Traum und Trauma hin, die für alle vier Traumepisoden konstitutiv ist. Dabei wird nicht nur der Umstand reflektiert, dass  angstbesetzte Träume und Albträume häufige Symptome eines Traumas sind (vgl. z. B. Barrett 1996: 3; oder Pietrowsky 2014: 99–102). In Nasrins Träumen wird vor allem deutlich, was traumatische Erfahrungen mit der Erinnerung machen. Die Lückenhaftigkeit der eigenen Erinnerung, die die Protagonistin immer wieder als „Krater“ oder „Löcher“ thematisiert, spielgelt sich dabei auch in der Leseerfahrung, denn die Rezipient*innen werden in den Träumen mit Bruchstücken von traumatischen Erfahrungen der Protagonistin konfrontiert, die sich erst durch spätere Textpassagen verstehen und zu einem Bild zusammensetzen lassen (zum Zusammenspiel von Traum und Trauma in der Literatur vgl. z. B. Solte-Gresser 2021; Sliwinski 2017).  
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: <span style="color: #7b879e;">A me, ma forse accade lo stesso a molti scrittori, non interessava la cronaca della storia altoatestina né quella delle vicende di uno die tanti paesi schiacciati da interessi politico-economici incontrastabili dalla gente comune […]. O meglio, questi fatti mi interessavano, ma come punto di partenza. Se la storia di quella terra e della diga non mi fossero parse da subito capaci di ospitare una storia piú intima e personale, attraverso cui filtrare la Storia con la ''s'' maiuscola, se non mi fossero immediatamente sembrate di valore piú generale per parlare di incuria, di confini, di violenza del potere, dell’importanza e dell’impotenza della parola, non avrei […] trovato interesse sufficiente per […] scrivere un romanzo (RQ 178 f.).
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: <span style="color: #7b879e;">Wie wahrscheinlich vielen Schriftstellern ging es mir weder um die Chronik der Südtiroler Geschichte noch um die Ereignisse in einem jener Dörfer, die von den politisch-ökonomischen Interessen überrollt wurden, ohne dass die Bevölkerung etwas dagegen ausrichten konnte […]. Oder, besser gesagt, es ging mir schon um die Fakten, aber sie waren für mich Ausgangspunkt, nicht das Ziel. Hätte ich nicht sofort den Eindruck gehabt, dass die Geschichte dieser Gegend und des Staudamms sich dafür eignete, hier eine private und persönliche Geschichte anzusiedeln, in der sich die historischen Abläufe spiegeln und die die Möglichkeit bot, ganz allgemein über Verantwortungslosigkeit, über Grenzen, über Machtmissbrauch und die Bedeutung des Wortes zu sprechen, dann hätte ich […] nicht genug Interesse aufgebracht, um […] einen Roman darüber zu schreiben (RQd 283 f.)</span>
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In fast allen Träumen finden sich Songtext-Fragmente, die nicht nur assoziativ mit den geträumten Inhalten zusammenhängen, sondern teilweise selbst Traumbezug aufweisen. In jedem Traum hört Nasrin ein Telefon klingeln, das ihr bedrohlich erscheint und dem sie in drei Traumepisoden erst langsam näher kommt – insbesondere die Telefonzelle wird dabei zu einem wichtigen Leitmotiv. Die Telefongespräche, die Nasrin in allen Träumen führt, bleiben rätselhaft: Sie ist sich nicht sicher, wer am anderen Ende der Leitung spricht oder was der*die Anrufer*in von ihr will. Hier zeichnen sich Kommunikationsprobleme ab, die auch auf der Wachebene zwischen den Figuren bestehen, sowie der Wunsch, mit Personen in Kontakt zu treten, die nicht länger erreichbar sind. Die Traumepisoden sind komplex und legen verschiedene Deutungen nahe, die im Folgenden nur skizziert werden können.
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Die Wahl einer homodiegetischen Erzählinstanz schafft in diesem Sinn eine subjektive Dimension, die durch den Aufbau des Romans noch verstärkt wird (Orosz 2016). In 38 kurzen Kapiteln erzählt Trina ihre Lebensgeschichte aus der Retrospektive. Jedes Kapitel hebt dabei einzelne, sorgfältig ausgewählte Ereignisse hervor, die Trina in Form eines Briefes an ihre Tochter Marica richtet, die 1939 heimlich mit ihrer Tante den elterlichen Hof verließ, um die Chance auf ein besseres Leben zu haben und zu der die Eltern seither keinen Kontakt mehr haben. In diesem höchst subjektiven Erinnerungsprozess spielen Träume wiederholt eine Rolle.
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Ganz generell hebt Trina den Traum als wichtigen persönlichen und kulturellen Anker hervor, da er in den Stunden des Schlafs eine Rückkehr in die Heimat und zu sich selbst ermöglicht. Angesichts der Gastarbeiter, die in ''Resto qui'' zum Bau des Staudamms ins Südtiroler Dorf Graun geholt werden, überlegt die Erzählerin: »La notte senz’altro sognavano i loro paese assolati e le mogli con cui fare l’amore appena tornati a casa« (RQ 150; »Bestimmt träumten sie nachts von ihren sonnenbeschienenen Dörfern und ihren Frauen, mit denen sie bei ihrer Rückkehr schlafen würden«, RQd 239). Der Traum wird in Balzanos Roman so zu einer transkulturellen Erfahrung, die eine nonverbale Verständigungsbasis zwischen Individuen schafft. Obwohl Trina die Sprache der Gastarbeiter nur fehlerhaft spricht und diese Teil des geradezu verhassten Bauprojekts sind – in den Augen der Grauner Bevölkerung Schergen des faschistischen Systems – bildet der Traum eine Brücke des Verständnisses und der Verständigung.
      
== Grenzerfahrung und Vergangenheitsbewältigung im Traum ==
 
== Grenzerfahrung und Vergangenheitsbewältigung im Traum ==
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