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Im Traum finden sich zahlreiche Motive, die im Verlauf der Erzählung und auch in den weiteren Träumen wieder aufgegriffen werden. Dazu zählt in erster Linie das Telefonklingeln. Der Gedanke der Erzählerin – „Schon wieder dieses Geräusch“ – ergibt erst durch die weitere Lektüre einen Sinn, denn hier werden traumatische Erinnerungen mit akustischen Signalen verbunden: Die Sirenen in Teheran (MdT 36); die Telefonzelle, durch die die Familie mit dem Vater kommunizierte und in der schließlich die Mutter von dessen Ermordung erfuhr (MdT 49); die Türklingel, die die Polizisten mit der Nachricht vom Tod der Schwester ankündigt (MdT 16). Die traumatischen Erlebnisse, die mit diesen Geräuschen verbunden sind, verdichten sich in diesem und den anderen Träumen zu einem Symbol: Die Telefonzelle ist der Mittelpunkt des Traums, mit ihr sind extreme Emotionalität und körperliches Empfinden verknüpft. Sie ist ein realer Gegenstand (noch dazu ein naheliegender in der Erzählung von migrantischen Erfahrungen), der in den Träumen zum Symbol wird. Sie ist außerdem ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, die im Kopf der Erzählerin allerdings nicht abgeschlossen ist, sondern in Träumen, Erinnerungen und Flashbacks immer wieder auftaucht, um alte Wunden aufzureißen.
 
Im Traum finden sich zahlreiche Motive, die im Verlauf der Erzählung und auch in den weiteren Träumen wieder aufgegriffen werden. Dazu zählt in erster Linie das Telefonklingeln. Der Gedanke der Erzählerin – „Schon wieder dieses Geräusch“ – ergibt erst durch die weitere Lektüre einen Sinn, denn hier werden traumatische Erinnerungen mit akustischen Signalen verbunden: Die Sirenen in Teheran (MdT 36); die Telefonzelle, durch die die Familie mit dem Vater kommunizierte und in der schließlich die Mutter von dessen Ermordung erfuhr (MdT 49); die Türklingel, die die Polizisten mit der Nachricht vom Tod der Schwester ankündigt (MdT 16). Die traumatischen Erlebnisse, die mit diesen Geräuschen verbunden sind, verdichten sich in diesem und den anderen Träumen zu einem Symbol: Die Telefonzelle ist der Mittelpunkt des Traums, mit ihr sind extreme Emotionalität und körperliches Empfinden verknüpft. Sie ist ein realer Gegenstand (noch dazu ein naheliegender in der Erzählung von migrantischen Erfahrungen), der in den Träumen zum Symbol wird. Sie ist außerdem ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, die im Kopf der Erzählerin allerdings nicht abgeschlossen ist, sondern in Träumen, Erinnerungen und Flashbacks immer wieder auftaucht, um alte Wunden aufzureißen.
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Ein weiteres Motiv sind die Löcher – Löcher auf der Straße, Löcher im fallengelassenen Buch, Leere in den Augen der verbrannten Gestalten und schließlich ein Loch da, wo eigentlich das eigene Spiegelbild sein sollte. Löcher oder Krater werden im Verlauf der Erzählung immer wieder im Zusammenhang mit der eigenen (traumatisch verzerrten und unvollständigen) Erinnerung evoziert (das Buch scheint ein treffendes Bild dafür). Auch für die Leser*innen ergibt sich mit diesem Traum ein unvollständiges Bild und eine Desorientierung, die zunächst noch anhalten wird, da der daran anschließende erste Teil des Romans achronologisch davon erzählt, wie Nasrin vom Tod ihrer Schwester erfährt. Es wird, anders als in den folgenden Träumen, nicht ersichtlich, wie dieser Traum zeitlich verortet ist oder in welches Ich sich die Träumerin zeitlich hineinträumt. Dass die Schwester gegenüber der Mutter als „kleinere der beiden Personen“ beschrieben wird, könnte dafür sprechen, dass diese als kindlich geträumt wird. Zugleich spricht sie aus dem Mund einer der verbrannten Gestalten, was an ihren Tod in einem brennenden Auto erinnert. Daher scheinen sich in diesem Traum verschiedene zeitliche Ebenen zu überlagern.  
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Ein weiteres Motiv sind die Löcher – Löcher auf der Straße, Löcher im fallengelassenen Buch, Leere in den Augen der verbrannten Gestalten und schließlich ein Loch da, wo eigentlich das eigene Spiegelbild sein sollte. Löcher oder Krater werden im Verlauf der Erzählung immer wieder im Zusammenhang mit Nasrins (traumatisch verzerrter und unvollständiger) Erinnerung evoziert (insbesondere das Buch scheint hier ein treffendes Bild zu sein). Auch für die Leser*innen ergibt sich mit diesem Traum ein unvollständiges Bild und eine Desorientierung, die zunächst noch anhalten wird, da der daran anschließende erste Teil des Romans achronologisch davon erzählt, wie Nasrin vom Tod ihrer Schwester erfährt. Es wird, anders als in den folgenden Träumen, nicht ersichtlich, wie dieser Traum zeitlich verortet ist oder in welches Ich sich die Träumerin zeitlich hineinträumt. Dass die Schwester gegenüber der Mutter als „kleinere der beiden Personen“ beschrieben wird, könnte dafür sprechen, dass diese als kindlich geträumt wird. Zugleich spricht sie aus dem Mund einer der verbrannten Gestalten, was an ihren Tod in einem brennenden Auto erinnert. Daher scheinen sich in diesem Traum verschiedene zeitliche Ebenen zu überlagern.  
    
Das Motiv, das diesen Traum von den anderen unterscheidet, ist die extreme Hitze, bzw. das Feuer. Dies lässt sich nicht nur mit dem Tod der Schwester in Verbindung bringen, sondern auch mit dem geschichtlichen Kontext. In den zahlreichen rassistischen Anschlägen, die in den 90er Jahren in Deutschland verübt wurden, ist ein Muster zu erkennen: Molotov-Cocktails in den Händen der Angreifer*innen, brennende Flüchtlingsunterkünfte, eine desinteressierte Politik (Stichwort: „Beileidstourismus“) und eine Polizei, die darum bemüht war, die Brandanschläge als Einzelfälle abzutun. Im Traum spiegelt sich Angst und Panik, selbst das Opfer eines rassistischen Anschlags zu werden und die Hilflosigkeit, da keiner der Menschen in der Schlange Nasrins Verzweiflung wahrzunehmen scheint: „''Verstehen Sie es denn nicht?'', will ich brüllen. Vielleicht verstehen sie es ja doch, und es ist ihnen einfach egal.“
 
Das Motiv, das diesen Traum von den anderen unterscheidet, ist die extreme Hitze, bzw. das Feuer. Dies lässt sich nicht nur mit dem Tod der Schwester in Verbindung bringen, sondern auch mit dem geschichtlichen Kontext. In den zahlreichen rassistischen Anschlägen, die in den 90er Jahren in Deutschland verübt wurden, ist ein Muster zu erkennen: Molotov-Cocktails in den Händen der Angreifer*innen, brennende Flüchtlingsunterkünfte, eine desinteressierte Politik (Stichwort: „Beileidstourismus“) und eine Polizei, die darum bemüht war, die Brandanschläge als Einzelfälle abzutun. Im Traum spiegelt sich Angst und Panik, selbst das Opfer eines rassistischen Anschlags zu werden und die Hilflosigkeit, da keiner der Menschen in der Schlange Nasrins Verzweiflung wahrzunehmen scheint: „''Verstehen Sie es denn nicht?'', will ich brüllen. Vielleicht verstehen sie es ja doch, und es ist ihnen einfach egal.“
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