"Nightmare in Red" (Fredric Brown): Unterschied zwischen den Versionen

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Die Geschichte ist in der dritten Person erzählt; der Protagonist ebenfalls männlich („He“). Die etwa eine Druckseite lange Kürzesterzählung ist trotz interner Fokalisierung in einem nüchternen Stil verfasst. Die interne Fokalisierung tritt vor allem in Fragesätzen hervor, die der Protagonist offenbar an sich selbst richtet (erlebte Rede?) und die Unsicherheiten in Bezug auf seine Wahrnehmung und die raumzeitliche Orientierung betreffen.
Die Geschichte ist in der dritten Person erzählt; der Protagonist ebenfalls männlich („He“). Die etwa eine Druckseite lange Kürzesterzählung ist trotz interner Fokalisierung in einem nüchternen Stil verfasst. Die interne Fokalisierung tritt vor allem in Fragesätzen hervor, die der Protagonist offenbar an sich selbst richtet (erlebte Rede?) und die Unsicherheiten in Bezug auf seine Wahrnehmung und die raumzeitliche Orientierung betreffen.


Strukturell lässt sich „Nightmare in Red“ in verschiedene Abschnitte einteilen: Das plötzliche Erwachen des Protagonisten mit den ersten beiden Erschütterungen, seine zeitliche und örtliche Orientierung mit den Wahrnehmungen von Lichtern und Glocken, seine Furcht vor einem Erdbeben und der Drang, das Haus zu verlassen, dort die Irritation über die veränderte Topografie, die dritte Erschütterung und das Kollidieren mit dem Pfosten und schließlich das Erscheinen des Wortes TILT, gefolgt von dem ‚Ende‘. Raumtheoretisch betrachtet überschreitet die Hauptfigur innerhalb des sehr kurzen Textes mehrere Schwellen: in der Außenwelt von seinem Bett zum Fenster, dann durch die Haustür und das Tor hin zu der Erdverwerfung. Innerlich wird zu Beginn offenbar die ‚Schwelle‘ zum Wachzustand überschritten, die aber mit den wunderbaren Geschehnissen am Ende des Textes wieder in Frage gestellt wird. Dieser Twist am Ende soll gleich im Rahmen der Problematisierung des Träumens erörtert werden.
Strukturell lässt sich ''Nightmare in Red'' in verschiedene Abschnitte einteilen: Das plötzliche Erwachen des Protagonisten mit den ersten beiden Erschütterungen, seine zeitliche und örtliche Orientierung mit den Wahrnehmungen von Lichtern und Glocken, seine Furcht vor einem Erdbeben und der Drang, das Haus zu verlassen, dort die Irritation über die veränderte Topografie, die dritte Erschütterung und das Kollidieren mit dem Pfosten und schließlich das Erscheinen des Wortes TILT, gefolgt von dem ‚Ende‘. Raumtheoretisch betrachtet überschreitet die Hauptfigur innerhalb des sehr kurzen Textes mehrere Schwellen: in der Außenwelt von seinem Bett zum Fenster, dann durch die Haustür und das Tor hin zu der Erdverwerfung. Innerlich wird zu Beginn offenbar die ‚Schwelle‘ zum Wachzustand überschritten, die aber mit den wunderbaren Geschehnissen am Ende des Textes wieder in Frage gestellt wird. Dieser Twist am Ende soll gleich im Rahmen der Problematisierung des Träumens erörtert werden.  
Im Vergleich zu den anderen „Nightmares“ wird die Andersartigkeit der short short story deutlich, denn während sich diese trotz teils schrecklicher Ereignisse stets im Rahmen des Möglichen bewegen, liegt hier eine außerordentliche Situation vor.  
 
Im Vergleich zu den anderen „Nightmares“ wird die Andersartigkeit der ''short short story'' deutlich, denn während sich diese trotz teils schrecklicher Ereignisse stets im Rahmen des Möglichen bewegen, liegt hier eine außerordentliche Situation vor.  


Drei grundsätzliche Interpretationsansätze für die Kürzesterzählung erscheinen denkbar:
Drei grundsätzliche Interpretationsansätze für die Kürzesterzählung erscheinen denkbar:
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== Einordnung ==
== Einordnung ==
Zwar ist eine eindeutige paratextuelle Markierung als Traum vorhanden, diese wird aber durch die Ungültigkeit bzw. metaphorische Deutung der seriell vorangestellten Geschichten vermindert; im Gegenzug kann auch die Erwachensmarkierung bezweifelt werden.  Obgleich nicht unbedingt als Alptraum zu identifizieren, weist die Geschichte aber Merkmale traumhaften Erzählens wie ungewisse Ortsangaben, Umstände und Motivation, starke Subjektivierung und Bizarrerien auf und kann als phantastisch verstanden werden. Sie trägt Merkmale apokalyptischer Traumvisionen und wäre auch als wahrgewordener Alptraum zu lesen. In dieselbe Linie ist das ‚unnatürliche‘ Erzählen aus der Perspektive eines eigentlich unbelebten Objekts einzuordnen. Für die verschiedenen Interpretationen sind teilweise dieselben Umstände unterschiedlich zu bewerten, wodurch Ambivalenz bestehen bleibt. In Browns Werk fügt sich die short short story mit ihrem absurden Twist passgenau ein, in der Reihe der anderen „Nightmares“ sticht sie jedoch hervor und bleibt trotz der weitestgehenden Nichtbeachtung der Forschung<ref>Interessant sind auch intertextuelle Referenzen, wenn u.a. eine ''Doctor Who''-Episode „Nightmare in Silver“ heißt (7.12, 2013 geschrieben von Neil Gaiman) oder ein Aufsatz über ''Twin Peaks'' eine Anspielung im Titel beinhaltet (Jowett, Lorna: Nightmare in Red? Twin Peaks Parody, Homage, Intertextuality, and Mashup. In: Jeffrey Andrew Weinstock/Catherine Spooner (Hg.): Return to Twin Peaks: New Approaches to Materiality, Theory, and Genre on Television. New York: Palgrave Macmillan 2016, 211–217), ebenso ein Buch über das amerikanische Horrorgenre (Maddrey, Joseph: Nightmares in Red, White, and Blue. The Evolution of the American Horror Film. Jefferson, NC: McFarland 2004) oder die McCarthy-Ära (Fried, Richard M.: Nightmare in Red. The McCarthy Era in Perspective. New York: Oxford University Press 1991).</ref> in ihrer extremen Kürze ein interessantes Beispiel für die Mehrdeutigkeit von Hinweisen in mit Traum assoziierten (Genre-)Texten.
Zwar ist eine eindeutige paratextuelle Markierung als Traum vorhanden, diese wird aber durch die Ungültigkeit bzw. metaphorische Deutung der seriell vorangestellten Geschichten vermindert; im Gegenzug kann auch die Erwachensmarkierung bezweifelt werden.  Obgleich nicht unbedingt als Alptraum zu identifizieren, weist die Geschichte aber Merkmale traumhaften Erzählens wie ungewisse Ortsangaben, Umstände und Motivation, starke Subjektivierung und Bizarrerien auf und kann als phantastisch verstanden werden. Sie trägt Merkmale apokalyptischer Traumvisionen und wäre auch als wahrgewordener Alptraum zu lesen. In dieselbe Linie ist das ‚unnatürliche‘ Erzählen aus der Perspektive eines eigentlich unbelebten Objekts einzuordnen. Für die verschiedenen Interpretationen sind teilweise dieselben Umstände unterschiedlich zu bewerten, wodurch Ambivalenz bestehen bleibt. In Browns Werk fügt sich die ''short short story'' mit ihrem absurden Twist passgenau ein, in der Reihe der anderen „Nightmares“ sticht sie jedoch hervor und bleibt trotz der weitestgehenden Nichtbeachtung der Forschung<ref>Interessant sind auch intertextuelle Referenzen, wenn u.a. eine ''Doctor Who''-Episode „Nightmare in Silver“ heißt (7.12, 2013 geschrieben von Neil Gaiman) oder ein Aufsatz über ''Twin Peaks'' eine Anspielung im Titel beinhaltet (Jowett, Lorna: Nightmare in Red? Twin Peaks Parody, Homage, Intertextuality, and Mashup. In: Jeffrey Andrew Weinstock/Catherine Spooner (Hg.): Return to Twin Peaks: New Approaches to Materiality, Theory, and Genre on Television. New York: Palgrave Macmillan 2016, 211–217), ebenso ein Buch über das amerikanische Horrorgenre (Maddrey, Joseph: Nightmares in Red, White, and Blue. The Evolution of the American Horror Film. Jefferson, NC: McFarland 2004) oder die McCarthy-Ära (Fried, Richard M.: Nightmare in Red. The McCarthy Era in Perspective. New York: Oxford University Press 1991).</ref> in ihrer extremen Kürze ein interessantes Beispiel für die Mehrdeutigkeit von Hinweisen in mit Traum assoziierten (Genre-)Texten.


[[Autoren|Kathrin Neis]]
[[Autoren|Kathrin Neis]]
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*Gogol', Nikolaj Vasil'evič: Das Porträt [Portret]. In: Ders.: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. 1: Erzählungen. Hg. von Angela Martini, übers. von Georg Schwarz. Stuttgart: Cotta 1982, 643–706.
*Gogol', Nikolaj Vasil'evič: Das Porträt [Portret]. In: Ders.: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. 1: Erzählungen. Hg. von Angela Martini, übers. von Georg Schwarz. Stuttgart: Cotta 1982, 643–706.
*Kehlmann, Daniel: Mahlers Zeit. Roman. 11. Aufl. Frankfurt a. M.: suhrkamp taschenbuch 2016.
*Kehlmann, Daniel: Mahlers Zeit. Roman. 11. Aufl. Frankfurt a. M.: suhrkamp taschenbuch 2016.
*de Maupassant, Guy: Bel-Ami. Paris: Louis Conard 1910; https://fr.wikisource.org/wiki/Bel-Ami/%C3%89dition_Conard,_1910/Bel-Ami/Premi%C3%A8re_partie/VII
*Jean Paul Richter: Siebenkäs. Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel. Nach Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Erste Abteilung, sechster Band, hg. v. Kurt Schreinert. Hg. von Carl Pietzcker. Nachdr. Stuttgart: Reclam 2020.
*Jean Paul Richter: Siebenkäs. Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel. Nach Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Erste Abteilung, sechster Band, hg. v. Kurt Schreinert. Hg. von Carl Pietzcker. Nachdr. Stuttgart: Reclam 2020.
*Maupassant, Guy de: Bel-Ami. Paris: Louis Conard 1910; https://fr.wikisource.org/wiki/Bel-Ami/%C3%89dition_Conard,_1910/Bel-Ami/Premi%C3%A8re_partie/VII
*Schiller, Friedrich: Die Räuber. Ein Schauspiel [Erstfassung]. In: Ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Bd. 2: Die Räuber. Fiesko. Kabale und Liebe: Text und Kommentar. Hg. von Gerhard Kluge. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 2009, 9–181.
*Schiller, Friedrich: Die Räuber. Ein Schauspiel [Erstfassung]. In: Ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Bd. 2: Die Räuber. Fiesko. Kabale und Liebe: Text und Kommentar. Hg. von Gerhard Kluge. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 2009, 9–181.


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