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====Analyse und Interpretation====
 
====Analyse und Interpretation====
In dieser Traumsequenz dominiert die erwachsene über die kindliche Welt, gleichzeitig zeichnet sich der Traum durch die Omnipräsenz des Weiblichen aus: „Es waren mehr Erwachsene als Kinder da. Alle Erwachsene waren Frauen. Und alle Kinder waren Mädchen“ (RB 104). Selbst Thomas‘ eigener Sohn erscheint ihm als Mädchen. Die weiblichen Traumfiguren üben Verfügungsgewalt über die Lakritzschnecken aus, die als einzige Speise auf diesem Kindergeburtstag nicht nur den kompletten Raum besetzen, sondern ausschließlich von weiblichen Figuren gegessen und verformt werden oder ihnen als Spielzeug dienen: „Auf dem Tisch, auf den Stühlen, unter dem Tisch, unter den Stühlen, lag alles voll mit Lakritzschnecken, die Frauen und Mädchen rollten die Lakritzschnecken aus, machten einen Knoten hinein und aßen sie. Die Mädchen spielten mit aufgerollten Lakritzschnecken Eisenbahn“ (RB 105). Der Traum erfährt bei Thomas eine negative emotionale Konnotation: „So einen Traum wünsch ich niemandem [..] nicht mal einem Feind“ (ebd.). Verglichen mit Irenes Träumen, die aus der heterodiegetischen Perspektive mit interner Fokalisierung geschildert werden, erzählt Thomas seinen Traum für die Dauer seines Traumberichts aus der homodiegetischen Erzählperspektive. Diese Regression der weiblichen Perspektive illustriert einerseits Irenes traumatische Entfremdung aus ihrem Ich, andererseits korrespondiert sie mit Thomas‘ Dominanz, die sich in der misogynen Verdrängung und Verachtung des Weiblichen äußert und die in der Beziehung zu Irene ebenfalls sichtbar wird: „Ich musste Dich doch rasch noch lieben, bevor du welkst“ (RB 111). Thomas‘ Traum kann unter dem Blickwinkel seiner Homosexualität interpretiert werden. Er geht keine Beziehungen mit Männern ein. Wegen seiner Bindungsphobie und der Furcht vor der Aufdeckung kann er seine homoerotische Neigung nur auf dem Strich ausleben. Zwei Interpretationsansätze bieten sich an: In seinem Traum manifestiert sich seine Angst und Ekel vor der weiblichen Vereinnahmung sowie dem Verlust seiner sowohl männlichen als auch homosexuellen Identität. Die aufgerollten Lakritzschnecken, verknüpft mit dem Eisenbahnspiel ließen sich im Sinne einer freudianischen Umkehrung interpretieren. Das Zugmotiv stellt ein klassisches Phallussymbol wie beispielsweise am Ende von Alfred Hitchcocks Film ''Der unsichtbare Dritte'' dar. Im Traum formen die Mädchen aus den Lakritzschnecken, aus einer klebrigen, süß-bitteren, schneckenförmigen Masse, die sich mit einer Vagina assoziieren lässt, die Eisenbahnschienen. In dieser Metamorphose zwischen den weiblichen und männlichen Genitalien tritt einerseits ein Transgenderaspekt zu Tage - auch Thomas Sohn wechselt sein Geschlecht - andererseits repräsentieren die ausschließlich weiblichen Protagonistinnen die Omnipräsenz und Dominanz des Weiblichen. Thomas erlebt den Geschlechterwechsel nicht als ein lustvolles Spiel, er gerinnt für ihn zum Alptraum, in dem das Weibliche aus der Verdrängung auftaucht und die weibliche Lust seine männliche und homosexuelle Identität gleich in doppelter Weise bedroht. Dies geschieht durch die völlige Absenz der männlichen Subjekte. Das Männliche wird auf die Genitalien und die Objekthaftigkeit reduziert und fungiert lediglich als verformbares Sexualobjekt für den weiblichen Blick. Sein Traum ließe sich aber entgegen seiner eigener emotionalen Abwehr als ein Wunschtraum interpretieren. Trotz des artikulierten Ekels „jetzt wirst Du welken, zuerst dein Magen, dann dein Hals, dann dein Gesicht“ (RB 110) geht Thomas eine sexuelle Beziehung mit Irene ein: „Ich musste Dich doch rasch noch lieben, bevor du welkst“ (RB 111). Thomas stößt ab, was er begehrt. Dieser Verdrängung und Absenz des Weiblichen in Thomas‘ Wachleben steht die Omnipräsenz des Weiblichen in seinem Traum gegenüber.
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In dieser Traumsequenz dominiert die erwachsene über die kindliche Welt, gleichzeitig zeichnet sich der Traum durch die Omnipräsenz des Weiblichen aus: „Es waren mehr Erwachsene als Kinder da. Alle Erwachsene waren Frauen. Und alle Kinder waren Mädchen“ (RB 104). Selbst Thomas‘ eigener Sohn erscheint ihm als Mädchen. Die weiblichen Traumfiguren üben Verfügungsgewalt über die Lakritzschnecken aus, die als einzige Speise auf diesem Kindergeburtstag nicht nur den kompletten Raum besetzen, sondern ausschließlich von weiblichen Figuren gegessen und verformt werden oder ihnen als Spielzeug dienen: „Auf dem Tisch, auf den Stühlen, unter dem Tisch, unter den Stühlen, lag alles voll mit Lakritzschnecken, die Frauen und Mädchen rollten die Lakritzschnecken aus, machten einen Knoten hinein und aßen sie. Die Mädchen spielten mit aufgerollten Lakritzschnecken Eisenbahn“ (RB 105). Der Traum erfährt bei Thomas eine negative emotionale Konnotation: „So einen Traum wünsch ich niemandem [..] nicht mal einem Feind“ (ebd.). Verglichen mit Irenes Träumen, die aus der heterodiegetischen Perspektive mit interner Fokalisierung geschildert werden, erzählt Thomas seinen Traum für die Dauer seines Traumberichts aus der homodiegetischen Erzählperspektive. Diese Regression der weiblichen Perspektive illustriert einerseits Irenes traumatische Entfremdung aus ihrem Ich, andererseits korrespondiert sie mit Thomas‘ Dominanz, die sich in der misogynen Verdrängung und Verachtung des Weiblichen äußert und die in der Beziehung zu Irene ebenfalls sichtbar wird: „Ich musste Dich doch rasch noch lieben, bevor du welkst“ (RB 111). Thomas‘ Traum kann unter dem Blickwinkel seiner Homosexualität interpretiert werden. Er geht keine Beziehungen mit Männern ein. Wegen seiner Bindungsphobie und der Furcht vor der Aufdeckung kann er seine homoerotische Neigung nur auf dem Strich ausleben. Zwei Interpretationsansätze bieten sich an: In seinem Traum manifestiert sich seine Angst und Ekel vor der weiblichen Vereinnahmung sowie dem Verlust seiner sowohl männlichen als auch homosexuellen Identität. Die aufgerollten Lakritzschnecken, verknüpft mit dem Eisenbahnspiel ließen sich im Sinne einer freudianischen Umkehrung interpretieren. Das Zugmotiv stellt ein klassisches Phallussymbol wie beispielsweise am Ende von Alfred Hitchcocks Film ''Der unsichtbare Dritte'' dar. Im Traum formen die Mädchen aus den Lakritzschnecken, aus einer klebrigen, süß-bitteren, schneckenförmigen Masse, die sich mit einer Vagina assoziieren lässt, die Eisenbahnschienen. In dieser Metamorphose zwischen den weiblichen und männlichen Genitalien tritt einerseits ein Transgenderaspekt zu Tage - auch Thomas Sohn wechselt sein Geschlecht - andererseits repräsentieren die ausschließlich weiblichen Protagonistinnen die Omnipräsenz und Dominanz des Weiblichen. Thomas erlebt den Geschlechterwechsel nicht als ein lustvolles Spiel, er gerinnt für ihn zum Alptraum, in dem das Weibliche aus der Verdrängung auftaucht und die weibliche Lust seine männliche und homosexuelle Identität gleich in doppelter Weise bedroht. Dies geschieht durch die völlige Absenz der männlichen Subjekte. Das Männliche wird auf die Genitalien und die Objekthaftigkeit reduziert und fungiert lediglich als verformbares Sexualobjekt für den weiblichen Blick. Sein Traum ließe sich aber entgegen seiner eigener emotionalen Abwehr auch als ein Wunschtraum interpretieren. Trotz des artikulierten Ekels „jetzt wirst Du welken, zuerst dein Magen, dann dein Hals, dann dein Gesicht“ (RB 110) geht Thomas eine sexuelle Beziehung mit Irene ein: „Ich musste Dich doch rasch noch lieben, bevor du welkst“ (RB 111). Thomas stößt ab, was er begehrt. Dieser Verdrängung und Absenz des Weiblichen in Thomas‘ Wachleben steht die Omnipräsenz des Weiblichen in seinem Traum gegenüber.
    
===Irenes Metamorphosentraum===
 
===Irenes Metamorphosentraum===

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