"TrÀume" (Meret Oppenheim)
TrĂ€ume. Aufzeichnungen 1928-1985 ist eine Sammlung von persönlich ausgewĂ€hlten Traumaufzeichnungen aus sĂ€mtlichen Lebensphasen der in Berlin-Charlottenburg geborenen schweizerischen KĂŒnstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim (1913-1985). Sie notierte ihre TrĂ€ume, weil sie diesen sowohl im Allgemeinen aber auch in Bezug auf ihre Kunst und Dichtung eine besondere Bedeutung beimaĂ (Schulz 2006, 51). Nach Christiane Meyer-Thoss, Herausgeberin von TrĂ€ume. Aufzeichnungen 1928-1985 (2013) und Vertraute bzw. Freundin Meret Oppenheims, sind die Traumaufzeichnungen nicht âals Bildspeicherâ, sondern vielmehr als âdas dokumentarische Material, das Storyboard zum Film der Bilder, zu dem von Meret Oppenheim realisierten Bilderkosmosâ, zu verstehen (T 87). Die Sammlung ermöglicht einen tiefreichenden Einblick in Meret Oppenheims TrĂ€ume, die ein breites inhaltliches Spektrum aufweisen und auch einige von ihr selbst verfasste Deutungen der Trauminhalte anbieten. Diese Deutungen referieren zuweilen auf grundlegende Ideen der Lehren von Carl Gustav Jung (1875-1961), durch die Meret Oppenheim auch dazu inspiriert war, ihre eigenen TrĂ€ume zu notieren (Baur 2021, 211), und die ihre eigene Traumauffassung prĂ€gten. Meret Oppenheim interpretierte bzw. benutzte ihre eigenen TrĂ€um hĂ€ufig ââzur Lösung grundlegender Lebensfragenâ. Sie dienen ihr wĂ€hrend aller Lebensphasen als eine Art persönliche Orientierungshilfeâ (Schulz 2006, 54).
Zu Meret Oppenheim
Meret Oppenheim ist eine am 6. Oktober 1913 in Deutschland (Berlin-Charlottenburg) geborene, schweizerische bildende KĂŒnstlerin und Lyrikerin (gestorben am 15. November 1985 in Basel). Bekannt und berĂŒhmt wurde sie insbesondere als KĂŒnstlerin, die ab ca. 1932 den Kreis der Pariser Surrealisten um AndrĂ© Breton (1896-1966), Marcel Duchamp (1887-1968), Max Ernst (1891-1976), Man Ray (1890-1976), Alberto Giacometti (1901-1966), Joan MirĂČ (1893-1983) etc. frequentierte, in den sie durch den Schweizer KĂŒnstler Hans Arp (1886-1966) eingefĂŒhrt worden war (Meyer-Thoss 2013b, 72). Obwohl Oppenheim durch die Pariser Bekanntschaften und Freundschaften zwar kĂŒnstlerisch und persönlich geprĂ€gt wurde und fĂŒr ihr frĂŒhes Ćuvre zahlreiche wichtige Impulse bekam, fĂŒhlte sie sich der Gruppe der Surrealisten nie vollstĂ€ndig zugehörig. Trotz ihrer frĂŒhen, âvom Surrealismus vereinnahmtenâ und hinsichtlich der Publikumsrezeption erfolgreichen Werke, wie z.B. der sogenannte âPelztasseâ von 1936 â AndrĂ© Breton erfand fĂŒr das Werk den Namen âDejeuner en fourrureâ (âFrĂŒhstĂŒck im Pelzâ) â, setzte sie Zeit ihres Lebens beharrlich ihre EigenstĂ€ndigkeit als KĂŒnstlerin ohne starke Bindung zu den Pariser Surrealisten durch (Helfenstein 1993, 68-78). Neben den zahlreichen Malereien und Zeichnungen schuf Oppenheim in ihrem auch von einigen lĂ€ngeren Schaffenskrisen geprĂ€gten Leben (Curiger 1989, 42 ff.; T 28-30), das sie ĂŒberwiegend an verschiedenen Orten in der Schweiz verbringt (RĂŒckkehr von Paris nach Basel im Jahr 1937; spĂ€ter Bern und Carona im Tessin etc.), ein umfangreiches Ćuvre. Dieses umfasst u.a. Skulpturen, Brunnen (z.B. am Waisenhausplatz in Bern), Kunstobjekte in verschiedensten Materialien (Baur 2021, 150-167), Fotografien, aber auch Designobjekte wie Möbel, Schmuck und Kleidung (Baur 2021, 130-147) sowie Performancekunst und Gedichte (Baur 2021, 90-107). Ihre Werke sind nicht selten von ihren eigenen TrĂ€umen sowie von den allgemeinen Eigenschaften des Traums inspiriert und besonders vom âSehnsuchtspotential des Fragmentarischenâ sowie vom âAtem des gröĂeren, zeitenthobenen Zusammenhangsâ geprĂ€gt (Meyer-Thoss, T 87).
Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen
Meret Oppenheim sammelte seit dem Jahr 1928 ihre Traumaufzeichnungen und ĂŒbergab ihre âSammelmappeâ mit den chronologisch sortierten Aufzeichnungen im Jahr 1984 der Herausgeberin des Bandes, Christiane Meyer-Thoss. Zeitlich nach der Ăbergabe notierte und spĂ€ter noch zur Publikation ausgewĂ€hlte TrĂ€ume schickte sie nachtrĂ€glich per Post an Meyer-Thoss (T 86). In der editorischen Notiz (vgl. hierzu und im folgenden Meyer-Thoss, T 117) merkt die Herausgeberin an, dass Oppenheim, wie anhand des âeinheitlichen Schriftbildesâ zu folgern sei, âwahrscheinlich bis Ende der fĂŒnfziger Jahre, wichtige TrĂ€ume innerhalb eines kurzen Zeitraumes nacheinander abgeschrieben hat, also ĂŒbernommen aus Ă€lteren Notizheftenâ. In diesem Zusammenhang âfĂŒgte Meret Oppenheim auch zusĂ€tzliche ErklĂ€rungen und Kommentare einâ, die im gesamten Band ihre eigene Sicht und teilweise auch persönliche Deutungsversuche des GetrĂ€umten darlegen. Das gesamte Textmaterial wurde von Oppenheim in den âsiebziger Jahrenâ sowie âein letztes Mal dann im Dezember 1984 in Frankfurtâ â sehr wahrscheinlich bei einem Besuch bei Meyer-Thoss â âdurchgesehen, kommentiert, ergĂ€nzt, verbessertâ. Die im Rahmen der Korrekturen vorgenommenen Ănderungen stehen in den Texten in eckigen Klammern. Die Sammlung TrĂ€ume gibt abgesehen von wenigen Auslassungen, die z.B. âsehr persönliche Daten betreffenâ, Oppenheims Aufzeichnungen ânahezu vollstĂ€ndigâ und âin der von ihr bestimmten chronologischen Reihenfolgeâ wieder.
Ăbersicht zu den Traumaufzeichnungen
Die folgende Ăbersicht prĂ€sentiert die Traumaufzeichnungen im Band TrĂ€ume. In die Liste aufgenommen wurden ausschlieĂlich die Traumnotate, nicht aber die von Meret Oppenheim verfassten Darstellungen zu ihren LebensumstĂ€nden, die sie zuweilen zwischen den Traumaufzeichnungen ergĂ€nzte, um den Kontext zu erlĂ€utern. Zuweilen sind in TrĂ€ume Abbildungen, d.h. Reproduktionen von Skizzen, die Meret Oppenheim begleitend zum Text angefertigt hat, enthalten, z.B. zum Traum mit dem Höllenhund (â1928-30?â, Nr. 3 der folgenden Liste; T 10), zum Friedhofstraum mit Schlange und Apfel von 1929 (Nr. 6; T 13), zum Traum mit dem Rettungsinstrument fĂŒr Ertrinkende vom 6. August 1933 (Nr. 10; T 16), zu den TrĂ€umen vom 10. und 11. August 1936 bzgl. der Einrichtung des eigenen HĂ€uschens, bzgl. der âkleinen Maschine zum SĂ€tzeschreiben fĂŒr Schriftstellerâ und bzgl. des Bildes von Salvador DalĂ, das sich wie ein Film bewegt (Nr. 21-23; T 23), sowie zu weiteren Themen (siehe dazu T 34, 36, 47, 51, 57, 59, 63, 67 und 69). Wie bereits erwĂ€hnt, werden die Traumaufzeichnungen Meret Oppenheims zuweilen von ErlĂ€uterungen zu LebensumstĂ€nden unterbrochen, z.B.: âZwischen 1936 und 1953 habe ich, soviel ich aus meinen Notizen sehe, keinen einzigen Traum aufgeschriebenâ (T 28-30) oder âIm Nov. 1954 hatte ich ein âinneres Erlebnisâ (T 31-33). Die folgende Ăbersicht ĂŒbernimmt die verwendete Orthografie und Interpunktion der Darstellung im herausgegebenen Band und nimmt keine Textkorrekturen vor. ErgĂ€nzungen werden lediglich an fĂŒnf Stellen eingefĂŒgt, z.B. um AbkĂŒrzungen zu erlĂ€utern; diese sind in geschweifte Klammern gesetzt, weil Oppenheim in ihren Texten sowohl runde als auch eckige Klammern fĂŒr spĂ€tere ErgĂ€nzungen bei der prĂ€finalen und finalen Ăberarbeitung verwendet hat.
Nr. | Ăberschrift der Traumaufzeichnung | Beginn der Traumaufzeichnung | Nachweis in TrĂ€ume |
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1 | Eine Vision od. Wachtraum ca. 1928 (Königsfeld im Schwarzwald). ⊠| âVor mir steigt aus der Tiefe eine SĂ€ule die sich oben im Nebel oder in den Wolken verliert. Von unten auf steigt dichter Dunst, der sich in Spiralen um die SĂ€ule dreht. âŠâ | T 9 |
2 | ca. 1928 | âIch renne in furchtbarer Angst durch einen Wald. Es sind niedrige, laublose BĂ€ume. âŠâ | T 9 |
3 | 1928-30? (Zeichnung) | âDer Höllenhund sprang ĂŒber einen kleinen Abhang. Wir (Christin und ich) fingen ihn und wollten ihn töten. âŠâ | T 9 f. |
4 | 1928 | âEine Treppe an einer hohen Backsteinmauer, an der immer wieder Stufen fehlen. Ich sollte diese Treppe mit kleinen Kindern hinuntergehn. âŠâ | T 11 |
5 | 1928 | âIch sitze auf einer sehr hohen Mauer aus Erde, mit Gras bewachsen, die Wurzeln halten sie zusammen. Zuletzt bricht sie und ich falle auf die Erde.â | T 11 |
6 | 1929 (Königsfeld) | âEin Friedhof, an einem schwach ansteigenden Hang gelegen (glich dem Friedhof von Steinen i/W {Steinen im Wiesental, eine Gemeinde im Landkreis Lörrach in Baden-WĂŒrttemberg}). Durch das Eingangsgatter unten kommt eine alte Frau. âŠâ | T 11 f. |
7 | 1929 (Königsfeld) | âIch halte einen grossen blauen Enzian gegen die untergehende Sonne. Die Blume verwandelt sich in ein Glas mit rotem Wein und strahlt wunderbar.â | T 12 |
8 | 7. Okt. 1932 | âHabe recht peinlich getrĂ€umt. Zuerst ging ich durch einen Wald, der plötzlich ganz sumpfig wurde. ⊠Dann trĂ€umte ich, ich solle wegen irgend einer geringfĂŒgigen Sache gehenkt werden. Man sagte, ich habe ein Salzfass gestohlen. âŠâ | T 12-14 |
9 | Paris 31. Jan. 1933 | âI. Bin durch alten Tempel gegangen. Ein weiter, nicht sehr hoher Raum mit vielen SĂ€ulen, teils Holz, teils Stein mit gemeisselten Reliefs oben. II. Ich stiess mit der Hand zufĂ€llig an Papas Brust. Darauf war er sehr aufgebracht und sagte ich solle doch aufpassen, er sei doch krank da! âŠâ | T 14 |
10 | Traum vom 6. August 1933 (Zeichnung) | âRettungsinstrument fĂŒr Ertrinkende. (Je nach Bedingungen wird vom Ertrunkenen die eine oder andere Hand aus dem Wasser gestreckt.)â | T 15 |
11 | Basel 25. Dez. 1935 | âIch habe einen Backenbart. Dann: Ich bin in meinem Atelier (Klingenthal 13). Jemand fragt nach der Zeit. âŠâ | T 15 |
12 | (ca. 35?) | âIch fahre in einem Automobil das ganz aus Knochen gemacht ist. Es ist ein altes Modell, die Bremse ist aussen und besteht aus einem Oberschenkelknochen.â | T 17 |
13 | Sept. 1935, in Barcelona getrĂ€umt | âIch bin mit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales steht. Den WĂ€nden entlang geht ein griechisches Relief, Ă€hnlich Parthenon. âŠâ | T 17-19 |
14 | 15. Dez. 1935 | âEin sehr trauriges, graues Tal. Steinige AbhĂ€nge. Unten Zementstrassen, am Hang angelegt, wie die TreibhĂ€user einer GĂ€rtnerei. âŠâ | T 19 |
15 | 15. Dez. | âIch hĂ€nge am Ast eines Baumes und versuche durch Hin- und Herschwingen einem Puma das nach mir schnappt, auszuweichen. Es gelingt mir endlich, mich hoch an den Berg zu schwingen. âŠâ | T 19 |
16 | (ca. 35?) | âIch bin im Zuschauerraum eines kleinen Theaters, allein. Es ist dunkel, nur die BĂŒhne ist beleuchtet. âŠâ | T 20 |
17 | 1. Januar 1936 | âWohne auf der Dach-Terrasse eines sehr hohen neuen Hauses. Rundherum Gitter. Ich sage zu mir selbst: Warum sagen wohl alle Leute ich wohne so gefĂ€hrlich, wo doch ringsum Gitter sind? âŠâ | T 20 |
18 | 9. Januar 1936 | âJemand versucht in einem Zuber halb voll Wasser Feuer zu machen. Es geht aber nicht. âŠâ | T 20 |
19 | Wann ich diesen Traum hatte weiss ich nicht mehr. Ich schĂ€tze zwischen 1935 und 1937. | âIch bin in einem Menschenschlachthaus. Ăberall liegen und hĂ€ngen abgehĂ€utete blutige Körper, wie in einer grossen Metzgerei. âŠâ | T 20 f. |
20 | (1935-1937) | âIch bin bei einem GynĂ€kologen, liege auf dem Untersuchungsstuhl. Der Arzt bringt eine abgehĂ€utete, aber lebende Ziege herein. âŠâ | T 21 |
21 | 10. August 1936 | âIch richte mir ein HĂ€uschen ein. Sehr einfach. Ein kleines MĂ€dchen verkauft mir einen Korb mit Kapuzinern.â | T 21 |
22 | 10. August | âEine kleine Maschine, zum SĂ€tzeschreiben fĂŒr Schriftsteller. (Skizze mit ErklĂ€rungen) âŠâ | T 22 |
23 | 11. August | âIch sehe ein Bild, von Salvador Dali, das sich aber wie ein Film bewegt: Eine graue WĂŒste auf einer Hochebene. Rechts ein Bach, der aber gestaut ist. âŠâ | T 22 |
24 | 12. August 1936 | âHole im Warenhaus etwas ab und gehe, kehre aber um, um es doch noch zu bezahlen. Bekomme einen Hut geĂ€ndert zurĂŒck und noch zwei neue. âŠâ | T 22 |
25 | 12. August 1936 | âIch gehe mit meinem Bruder ĂŒber eine Strasse. An einer Hauswand ist ein Automat, aufgemacht wie ich sie in Paris gesehn habe. âŠâ | T 24 |
26 | Dies Gedicht hat M. {Mandiargues, 1909-1991} nach einem Traum gemacht, den ich ihm einmal erzĂ€hlte, wie er mir sagte (zwischen 1939 u. 1942) | âUne station par AndrĂ© Pieyre de Mandiargues: Tu es liĂ©e sur un Ăźlot au milieu de la mer, Un lĂ©preux te nourrit de ses mains pourriers âŠâ | T 24 |
27 | nach 1940-vor 1950 | âIch weiss nicht mehr wann ich diesen Traum hatte. Ich ging auf einem steinigen Pfad einen Berg hinauf (es war der San Salvatore). Ich sah meine Freundin IrĂšne Zurkinden in sonnendurchschienenem hellgrĂŒnem GebĂŒsch stehen. âŠâ | T 25 |
28 | zwischen 1942 u. 1950 (etwa) | âIch versuche, meine (gestorbene) Grossmutter zu ĂŒberreden, mit mir in die 'Kunsthalle' (Restaurant in Basel wo ich meine Kollegen manchmal traf) zu kommen. Sie strĂ€ubt sich, weil sie ja tot sei. âŠâ | T 25 |
29 | zwischen 1942 u. 1950 | âMit meiner Grossmutter und meiner Mutter sitze ich in einem kleinen offenen Fahrzeug. Es ist aus Kunststein. âŠâ | T 25 f. |
30 | 1949 | âBin in einem gotischen Dom. Stehe vor einer hohen geschnitzten Holzstatue eines Heiligen [ohne Farben und ganz wurmzerfressen]. âŠâ | T 26-28 |
31 | (zwischen 1953 u. 54): | â1. Ich bin in einer Schneelandschaft. Um einen kleinen HĂŒgel kommt ein weisser Hase. Ich versuche, ihn zu fangen. ⊠2. Ich bin an einem Meeresstrand. Hinter mir erheben sich steile Felsen. Ăberall finde ich Eier. âŠâ | T 30 |
32 | Juli 53 | âIn der WĂŒste. Drei bis fĂŒnf berittene kriegerisch aussehende Beduinen. Es sind aber Frauen. âŠâ | T 31 |
33 | Nov.[?] 1953 | âIch gehe auf dem Meer (zugleich sehe ich mich selbst von hinten), nahe an einem mit BĂ€umen bewachsenen Ufer. Alles ist sonnig, ĂŒber und unter dem durchsichtigen Wasser sind kleine grĂŒne Inselchen, auch der Grund des Meeres ist sonnenerhellt. âŠâ | T 33 |
34 | Dez. 1954 | âAndrĂ© Breton sitzt in einer Art Loge, oder Thron. Seine SekretĂ€rin (in Wirklichkeit hat er keine) verabschiedet sich von ihm indem sie 'Kotau' macht. âŠâ | T 33 |
35 | Dez. 1954 | âIch sitze an langem Tisch mit meinen Pariser Freunden, von denen aber niemand deutlich ist ausser Breton und {Benjamin} PĂ©ret {surrealistischer Autor}. Der Tisch steht in einer weiten Landschaft, auf einer erhöhten Ebene, man sieht in der Ferne am Horizont Bergketten. âŠâ | T 35 f. |
36 | Drei kleine prophetische TrĂ€ume | âI. (1954) Bekomme viele Briefe. Unter anderm drei feuerrote UmschlĂ€ge und ein Telegramm von A. Letzteres in sehr kleinem Format, wie Puppenpost. ⊠II. Ich trĂ€ume ich stehe am Fenster unserer Wohnung in der Kramgasse Bern. ⊠III. (1948) Bevor wir nach Bern umzogen, also noch in Basel, trĂ€umte ich, dass ich in einer neuen Wohnung bin, und davor, im Garten, ein runder kleiner Springbrunnen. âŠâ | T 37 |
37 | [Zwei weitere kleine âprophetischeâ TrĂ€ume] | âIch stand an einem Strom aus Blut. Weisse Vögel flogen drĂŒber oder setzten sich auf das 'Wasser' (am andern Morgen hatte ich die Periode). Es ist Krieg. Ich gehe in einer Strasse. Als ich um die Hausecke biege, stehen vor mir drei MĂ€nner, jeder zielt mit einer Pistole auf mich. âŠâ | T 38 |
38 | II. 1955 Engelberg | âIch trĂ€ume, ich liege in einem Glassarg, wie Schneewittchen. In der Hand einen roten (Reichs-) Apfel, aus Seife, wie man ihn in den ParfĂŒmerien kaufen kann. âŠâ | T 38-40 |
39 | 1955 | âMan besieht ein Bild wie eine Reliefschnitzerei (supraporta) von Marcel Duchamp. Es ist ein grosser Karton auf dem sind abgebildet: In der Mitte ein Wappen mit einem Rosenstrauss (Rrose Selavy {von Duchamp verwendetes Pseudonym}), rechts und links gehalten von zwei FĂŒchsen (Duchamp war rothaarig). âŠâ | T 40 |
40 | 21. VIII. 56 | âGehe mit einer Art Giesskanne-StreubĂŒchse herum und bestreue ca. 50 cm hohe, dicke Kakteen (sie sehen etwas erfroren aus), mit goldgelbem BlĂŒtenstaub (âum sie zu befruchtenâ). âŠâ | T 41 |
41 | 20. XII. 56 | âIn einem GeschĂ€ft probiere ich hohe, bis unter die Wade reichende Stiefeletten an. Sie sind ĂŒber und ĂŒber mit hellgrĂŒnen Pailletten bestickt. âŠâ | T 41 |
42 | 21. XII. 56 (aufgeklebter Zeitungsausriss v. IV. 1974) | âBin in einer BĂ€ckerei, ein riesiger Backofen, ĂŒberall Gestelle mit Brötchen und Brot und eine wundervolle WĂ€rme und Geruch. Auf einer der EtagĂšren liegt ein Kind (undeutlich â ein MĂ€dchen? Es ist bekleidet). âŠâ | T 42 |
43 | 16. IV. 57 | âKomme durch eine TĂŒr in einen grossen ebenerdigen Raum. Man bedeutet mir ruhig zu sein. Ich sehe dass ich zu einem Spiel oder einer Zeremonie gekommen bin. âŠâ | T 42 f. |
44 | 2. IX. 58 | âEine hĂŒgelige Wald- und Wiesenlandschaft. An schwach abfallender Stelle, unten durch GebĂŒsch abgeschlossen, sind meine Schwester, ich und einige junge Leute beschĂ€ftigt, eine 'Brunnenstube' zu bauen. âŠâ | T 44 f. |
45 | XII. 59 | âImmer wieder trĂ€ume ich dass man mir berichtet, dass meine Mutter im Sterben liegt. Ich scheine ihren Tod (April 1959) noch nicht realisiert zu haben. âŠâ | T 45 |
46 | 17. XII. 1959 | âNach dem 'festin' an der surrealistischen Ausstellung [bei Cordier {in der Pariser Galerie Daniel Cordier}], das ich arrangiert hatte (der Saal mit dem Festessen auf der nackten Frau), hatte ich scheinbar Schutz nötig: Ich trĂ€ume, ich gehe in ein langes weites Lodencape gekleidet ĂŒber Land. âŠâ | T 45 f. |
47 | 18. XII. 59 | âIch liege bĂ€uchlings auf einer hohen, hohen Klippe und schaue ins Meer hinab (gegen Westen). Es kommen Leute, ich bewege mich etwas 2 Meter landeinwĂ€rts (Ich hatte Angst, sie könnten mich hinunterstossen). âŠâ | T 46-48 |
48 | III. 60 | âDer Zustand der Unzufriedenheit ging weiter. Ich zwang mich zu arbeiten. Ohne Resultat. Da trĂ€umte ich: Ich sitze in der Eisenbahn in einem Spezial-Abteil, mit lauter minderm Volk. âŠâ | T 48 |
49 | 19. IV. 60 | âTrĂ€umte von einer grossen, modernen Lokomotive. Sie stand riesig und glĂ€nzend auf einer Wiese am Waldrand. âŠâ | T 49 |
50 | 5. VII. 60 | âIch ging bergan, war schon fast oben, eine kleine Stapfel {allemanisch fĂŒr 'Stufe'} kam jetzt, es lag Schnee. Ich sagte mir, das kann ja gut werden, jetzt auch noch Schnee. âŠâ | T 49 |
51 | 15. 8. 1960 | âBehelmte weisse Marmorschildkröte mit Hufeisen. Eine wunderschöne Skulptur. Sie stand aufrecht, von unten gesehn auf dem Kamin bei Alfr. BĂŒhler, meinem Schwager, Ethnologe. âŠâ | T 49 f. |
52 | 15. I. 61 | âIch trĂ€umte, dass ich ein MĂ€rchen getrĂ€umt habe. Ich sagte mir im Traum, es sei ja zwar gleich wie alle andern MĂ€rchen, aber ich wolle es doch aufschreiben. âŠâ | T 50 f. |
53 | ca. 20. Januar 64 | âBin in diesen (mir in Wirklichkeit unbekannten) RĂ€umen. Gehe an die rechte GlastĂŒre, öffne sie, sehe dass das Meer, in hellgrĂŒnen Wellen 'schon' die Terrasse umspĂŒlt. âŠâ | T 52 |
54 | 22. Januar 1964 | âStehe an einer grĂŒnl. Sandsteinbalustrade. Darauf stehen zwei zylindrische Glasvasen. âŠâ | T 52 f. |
55 | 5. Februar 64 | â(Am Abend vorher hatte man mir mitgeteilt, dass mein Wandbildentwurf den 1. Preis gewonnen hat. Ich denke sehr an die Arbeit vor dem Einschlafen). Bin auf einem Acker. In dichten Reihen noch niedrig aber ĂŒppig und buschig, wĂ€chst Klee. âŠâ | T 54 |
56 | 12. II. 64 | âBin in eine Art Markthalle eingefahren. Gehe neben meinem weissen Pferd, das einen kleinen Wagen zieht. âŠâ | T 55 f. |
57 | 25. I. 1965 | âMarquis de Cuevas {Balletgruppe, gegrĂŒndet von George de Cuevas (1885â1961)} 'Die Blume Lilie' von Novalis, Giacometti-Ballettdekor u. KostĂŒme mit LendenschĂŒrzen (ein anderes Thema). âŠâ | T 56 |
58 | II. 65 | âBin im Haus von Freunden. Man schickt mich, um zu sehen ob noch etwas im Garten ist das man versorgen muss (weil es regnen könnte, oder Nacht wird). âŠâ | T 56-58 |
59 | 1965? | âIm Traum sagte jemand von einem, der gestorben war: âEr hat den Mantel des Lebens genommenâ.â | T 58 |
60 | Ende 1966 | âW. {Wolfgang La Roche, Meret Oppenheims Ehemann} muss sich wegen seiner Depression behandeln lassen. [âŠ] Ein Traum zeigt mir, dass ich diese (UnglĂŒcks-)Zeit annehmen muss. Ich liege auf einer Wiese. Ein Rabe kommt auf mich zugeflogen und kuschelt sich (freundlich) zwischen linke Schulter und Kopf. âŠâ | T 58 |
61 | ca. 6. Januar 1968, zwei Wochen etwa, nach Wolfgangs Tod. | âIch gehe an der Spitze eines Zuges, schwarz gekleidet. Auch alle andern sind in Schwarz. âŠâ | T 58-60 |
62 | 16. II. 1968 | âStehe oben auf einem felsigen Berg, auf einem Vorsprung, der eine dĂŒnne Humusschicht hat, es wachsen StrĂ€ucher und GrĂ€ser darauf. âŠâ | T 60 |
63 | 27. April 1970 | âGrosse GitterkĂ€fige, im obersten Abteil ein schönes Kaninchen, weiss-braun? Schon zwei- oder dreimal habe ich die KĂ€fige nach vorn oder hinten umgekippt, um irgendetwas zu Ă€ndern, oder weiss-ich-was. âŠâ | T 60 f. |
64 | 17.-18. I. 71 | âFelsiger Berg, erhöht im Tal gelegen. Im Fels Reste von Mauern (Ruine). Man weiss, dass man in diesen Felsen Kristalle findet. âŠâ | T 61 |
65 | 1971 | âSatz getrĂ€umt: --- der Familienschein des Widerspruchsâ | T 62 |
66 | 1971 | â(Nach kompliziertem Traum, den ich vergessen habe). Ich sage kopfschĂŒttelnd 'Was mĂŒssen die Tiere von uns denken!' âŠâ | T 62 |
67 | Traum vom 10. Juli 1971 | âAuf der Umrandung meines Dachgartens in Bern (ca. 20m lang) stehen alte und neue Schiffsmodelle, unter anderem Galeere, od. Ă€. âŠâ | T 62 |
68 | Mitte Dez. 71 in Paris getrĂ€umt: | âBern, Blick von oben ins 'Marzili', zwischen den HĂ€usern stehn einige hohe Tannen. An allen Zweigen waren grössere und kleinere Steinplatten und Steine befestigt, bis zu 10 m LĂ€nge und ca. 60 cm Breite. âŠâ | T 62-64 |
69 | Traum vom 17. MĂ€rz 1972 (Collage) | âEinige Personen und ich betrachteten diese Collage, die wie der Traum sagte, von Marcel Duchamp gemacht worden sei. Oben, in dem auf die Spitze gestellten Quadrat, konnte man lesen: 'Ăa continue' (Es geht weiter). âŠâ | T 64 |
70 | 6. Oktober 1974 (an meinem Geburtstag) | âIch erinnere mich, dass es mit meiner Biographie (Katalog Solothurn) zu tun hatte (fĂŒr Eröffnung Ausstellung am 28. Sept. 74). âŠâ | T 64-66 |
71 | Paris 9. IV. 75 | âIch legte mich schlafen um 4 h nachmittags, weil ich deprimiert war, mir völlig leer vorkam und mir ĂŒberlegte, ob ich wohl je wieder etwas machen könne. Hatte folgenden Traum: Er begann in einem Haus, ich weiss nur noch, dass ich in einem Zimmer, 5. oder 6. Stockwerk, war mit rotem Spannteppich. âŠâ | T 66-69 |
72 | 30. Oktober 1976 | âIn weit verzweigten GĂ€ngen tief unter der Erde war ich mit Bruder und Schwester. Wir waren lebend, aber ich erklĂ€rte irgendetwas ĂŒber den Tod, dass das nicht etwas Negatives, sondern im Gegenteil usw. âŠâ | T 70 |
73 | 1977 | âIch habe eine mich erfreuende 'Rangerhöhung' erfahren. Ich trĂ€umte, kurz danach: Ein Mann beklagte sich mir gegenĂŒber, dass es fĂŒr ihn unbequem sei, zur TĂŒre aus- und einzugehn, weil gleichzeitig andere Leute an ihm vorbei wollten. âŠâ | T 70 |
74 | August 1977 | âEin dunkles GewĂ€sser von dichten BĂ€umen umstanden, an der hohen Mauer eines Schlosses. Ich sitze in einem Boot, das etwa die Form von der untern Seite einer Samenkapsel hat. âŠâ | T 70 |
75 | August 1977 | âIch gehe auf einer Strasse in einem Tal (Richtung etwa Nord-Nord-Ost. Es ist Tag). Linkerhand steigt ein Abhang auf, mit eher lichtem Baumbewuchs. âŠâ | T 71 |
76 | 13.-14. XII. 78 (Skizze) | âUnter BrĂŒcke 'wie in einer Art Gelee eingelagert' grosse Fische und Aale. Sie sind aber lebendig. âŠâ | T 71 |
77 | ca. 14. Okt. 1980 (Skizze) | âVor hellblauem Himmel drei weisse, fast durchsichtige Monde. Die zwei untern steigen langsam zum obern. âŠâ | T 71 |
78 | Ende November 1980 | âVor altem GemĂ€uer, ein (unser?) Haus in Carona, sitzen meine Schwester K. {Kristin BĂŒhler-Oppenheim} und ich auf einer Decke, auf einem schmalen Rasenband. Wir sitzen nicht ganz nahe zusammen. âŠâ | T 72 |
79 | 17. IV. 81 | âIm Halbschlaf, ein Satz: --- so klar, so hell die Mondennacht. Ich schlafe ein, ich trĂ€ume, dass ich in der Wohnung an der Kramgasse bin (Bern, 1952-54), in meinem Zimmer das zwei hohe Fenster auf die Strasse hin hatte. âŠâ | T 72 f. |
80 | 25. Juli 81 | âIch stehe an einer offenen GlastĂŒre, die aufs Meer hinaus geht. Das Meer reicht bis an die Hauswand, bis etwa 1-2 Meter unter die TĂŒre wo ich stehe. âŠâ | T 73 |
81 | am 9. Okt. 82 | âBeim jap. Nachtessen traf ich zum ersten Mal seit Seoul (im Mai) wieder Mi-ong-i und Setaik (Yim). [âŠ] Ich trĂ€umte in der Nacht darauf, dass Setaik von Paris nach Seoul geflogen sei, dort ein Zimmer voller Vögel geholt habe, mit dem nĂ€chsten Flug zurĂŒck sei, um es mir zu bringen.â | T 74 |
82 | ca. 15. Okt. 82 | âBin in einem Zimmer, eher gross. Eigentlich das Kinderzimmer im Steinener Haus. âŠâ | T 74 |
83 | Der Garten der LĂŒste, I. Traum, 6. MĂ€rz 84, Carona | âEin Park. Ich liege seitlich im Gras. Mit zugewandt, an meinem RĂŒcken, in mir, ein Homosexueller. âŠâ | T 75 |
84 | ca. 1 Woche spĂ€ter, 18. MĂ€rz 1984, Carona | âLanger ausfĂŒhrlicher Traum, zu dem der vorherige wie eine Einleitung erscheint. Es handelt sich nicht nur um einen erotischen, nur die SexualitĂ€t betreffenden Traum, er hatte irgendwie â wie, weiss ich nicht â eine geistige Komponente. Ich ging nachts, schon gegen Morgen, aber es war noch finster, in Paris spazieren, kaum jemand auf der Strasse. âŠâ | T 75 f. |
85 | Frankfurt, etwa Oktober 1984 | âTrĂ€ume, ich stehe im Dachstuhl eines (meines?) grossen Hauses. Es sind dort RĂ€ume, aber ganz unausgebaut, ohne TĂŒren. âŠâ | T 77 |
86 | Rom, I. 85 | âBin in einem ziemlich wilden Wald. Neben einem Baumstrunk zeigt sich plötzlich ein Wildschwein. âŠâ | T 77 |
87 | Rom, I. 85 | âAltes GebĂ€ude oder Ruine. Etwa in Augenhöhe auf einem Absatz liegt zusammengerollt eine graue Mamba, der Kopf liegt gegen mich, die Augen sind offen. âŠâ | T 77 |
88 | Rom, 2. Januar 85 | â'Man muss das Wasser fĂŒhren wie ein Tier: Gegen sein Schreien'. Ein eher lichter, niedriger Wald, viel Unterholz. âŠâ | T 78 |
89 | Paris, 4. V. 85 | â(âŠ) Ich halte eine zylinderförmige hölzerne HĂŒlse in der Hand. Darin ist der zusammengeschobene Schirm ('Knirps') meiner Mutter (im Stil der 30er Jahre). âŠâ | T 78 f. |
Themen und Motive
Das inhaltliche Spektrum der von Meret Oppenheim aufgezeichneten TrÀume ist breit. Allerdings weist die prÀsentierte Sammlung zahlreiche wiederkehrende Traummotive auf, die in manchmal kurzen Traumsituationen, zuweilen aber auch in lÀngeren TraumerzÀhlungen beschrieben werden, in denen sich innerhalb des Traumes der Ort, an dem der Traum stattfindet, deutlich verÀndern kann, aber auch beteiligte Personen oder GegenstÀnde vielfÀltige Verwandlungen oder Metamorphosen erleben können. Meret Oppenheim prÀsentiert hier unter anderem folgende Arten von TrÀumen (einige davon lassen sich mehreren Kategorien zuordnen):
- TrĂ€ume von Tieren, z.B. Nr. 31 (Einfangen eines weiĂen Hasen in einer Schneelandschaft), Nr. 44 (Vögel, ein Adler, ein Löwe), Nr. 50 (MĂ€uslein und ein âmetallisch glĂ€nzendesâ Schweinchen), Nr. 52 (VogelmĂ€rchen), Nr. 60 (freundlicher Rabe und âfreudiger Hundâ), Nr. 63 (GitterkĂ€fige mit einem Kaninchen), Nr. 66 (âWas mĂŒssen die Tiere von uns denken!â), Nr. 71 (groĂe Fische, ein Wal, eine Eidechse, ein grĂŒner Gecko, ein grĂŒnes Insekt), Nr. 76 (groĂe Fische und Aale lebendig âwie in einer Art Gelee eingelagertâ), Nr. 81 (ein Freund bringt ein Zimmer voller Vögel), Nr. 86 (Treffen mit einem Wildschwein im Wald), Nr. 87 (altes GebĂ€ude oder Ruine, eine graue Mamba, eine alte Frau verwandelt sich in eine Schlange, Katzen), Nr. 88 (Vögel, wildes GeflĂŒgel, Elefanten, Rhinozerosse, Nilpferde, LĂ€mmchen, RegenwĂŒrmer),
- TrĂ€ume zur kĂŒnstlerischen ProduktivitĂ€t, z.B. Nr. 31 (âHase = Fruchtbarkeitâ, âEier = Symbol f. ProduktivitĂ€tâ), Nr. 47 (âwinzige Fischleinâ), Nr. 48 (âSpezial-Abteil in der Eisenbahnâ), Nr. 49 (groĂe Lokomotive auf einer Wiese), Nr. 55 (Acker mit Klee), Nr. 56 (weiĂes Pferd zieht einen Spannwagen), Nr. 63 (GitterkĂ€fige mit einem Kaninchen), Nr. 67 (Schiffe und Flugzeuge auf der eigenen Dachterrasse), Nr. 82 (Zimmer im Umbau, Wind und Sturm),
- Naturvisionen und Naturerfahrungen, z.B. Nr. 1 (aufsteigende SĂ€ule), Nr. 6 (Friedhofstraum mit einer Frau und deren drei toten Töchtern, Schlange und Apfel), Nr. 7 (Enzian verwandelt sich in ein Glas Wein), Nr. 14 (Treibhaus mit sprieĂenden SkeletthĂ€nden), Nr. 27 (âGeheimnis der Vegetationâ), Nr. 46 (SchĂŒtzende Regenwand um das Bett), Nr. 77 (âdrei weiĂe, fast durchsichtige Mondeâ),
- TrĂ€ume von Meer und Wasser, z.B. Nr. 33 (Gehen auf dem Meer), Nr. 53 (hellgrĂŒne Wellen umspĂŒlen das Haus, Treffen mit der Mutter), Nr. 71 (wildes Meer, starke Wellen schlagen gegen das Haus in Basel), Nr. 74 (in einem Boot in dunklem GewĂ€sser), Nr. 80 (das Meer reicht bis an die Hauswand, KĂŒhe unter Wasser),
- TrĂ€ume mit einem Fokus auf Materialien, z.B. Nr. 12 (Automobil aus Knochen), Nr. 24 (Hut aus lackiertem grĂŒnem Karton), Nr. 29 (Fahrzeug aus Kunststein), Nr. 41 (Stiefel mit hellgrĂŒnen Pailletten und Kapuzenmantel mit Marabufedern), Nr. 64 (Steinbruch mit Kristallen),
- TrĂ€ume von Freunden aus dem Kreis der Surrealisten, z.B. Nr. 34 (AndrĂ© Breton als âPapstâ), Nr. 35 (Allegorie des Krieges gemeinsam betrachtet vom langen Tisch in der weiten Landschaft), Nr. 39 (Vergleich mit Marcel Duchamp), Nr. 69 (Betrachten einer angeblichen Arbeit von Marcel Duchamp, die Meret Oppenheim anschlieĂend als Collage erstellt hat),
- Prognostische bzw. von ihr sogenannte âprophetischeâ TrĂ€ume, deren Inhalte sich anschlieĂend in einem ĂŒbertragenen Sinne in der Wachwelt "bewahrheiteten", z.B. Nr. 36 (âkleine Liebesgeschichteâ, Kugel, Springbrunnen), Nr. 37 (âStrom aus Blutâ), Nr. 38 (âGlassarg, wie Schneewittchenâ), Nr. 47 (âwinzige Fischleinâ),
- Erotische TrĂ€ume und Trauminhalte, z.B. Nr. 13 (âmit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales stehtâ), Nr. 19 (âLiebe mit Totenâ), Nr. 43 (Zeremonie mit Tanz und âBalimaskenâ), Nr. 83 (âGarten der LĂŒsteâ, Hermaphrodit), Nr. 84 (lange Fassung des âGarten der LĂŒsteâ, hermaphroditischer Engel),
- TrĂ€ume zum Verstreichen der eigenen Lebenszeit, z.B. Nr. 29 (Fahrt mit dem Fahrzeug aus Kunststein mit Mutter und GroĂmutter), Nr. 30 (Holzstatue, die eine Sanduhr umdreht, âHĂ€lfte des Lebensâ), Nr. 45 (Sterben der eigenen Mutter, die voraussagt: âIn 15 Jahren sind wir wieder zusammen.â),
- TrĂ€ume mit Inhalten aus der asiatischen Kultur und Kunst, z.B. Nr. 40 (âschöne Inderin in hellrotem Sari mit GoldfĂ€denâ), Nr. 43 (Zeremonie mit Tanz und âBalimaskenâ), Nr. 51 (âbehelmte weiĂe Marmorschildkröteâ),
- TrĂ€ume von Hermaphroditen, z.B. Nr. 78 (abgeschlagener Kopf fĂ€llt auf die Sitzdecke), Nr. 83 (âGarten der LĂŒsteâ, Hermaphrodit), Nr. 84 (lange Fassung des âGarten der LĂŒsteâ, hermaphroditischer Engel),
- MusiktrĂ€ume, z.B. Nr. 16 (Cello spielendes Skelett), Nr. 62 (durch Wind zwischen Felsen entstehender Klang einer Fuge), Nr. 79 (BlĂ€ttern im Notenbuch, Weinen und Scham, Abwehrhaltung gegen âklassischeâ Musik),
- FluchttrĂ€ume und Kampf mit wilden Tieren, z.B. Nr. 2 (Flucht vor Schlangen), Nr. 3 (Kampf mit einem âHöllenhundâ), Nr. 15 (Flucht vor einem Puma, dann Herausbrechen seiner ZĂ€hne),
- Alb- oder AngsttrĂ€ume, z.B. Nr. 8 (eigenen Hinrichtung), Nr. 19 (âMenschenschlachthausâ), Nr. 75 (Frau in einem KĂ€fig zwischen BaumstĂ€mmen),
- TrĂ€ume von Treffen mit Toten, z.B. Nr. 28 (GroĂmutter), Nr. 58 (tote Schwester, die wieder lebendig wird),
- KreativtrĂ€ume, in denen Meret Oppenheim neue Objekte erfindet, z.B. Nr. 10 (âRettungsinstrument fĂŒr Ertrinkendeâ), Nr. 22 (âkleine Maschine zum SĂ€tzeschreiben fĂŒr Schriftstellerâ),
- âBlumentrĂ€umeâ, z.B. Nr. 53 (zwei Vasen mit Levkojen und einer weiĂen BlĂŒte, spĂ€ter abgeknickte orange Ringelblumen), Nr. 57 (ââDie Blume Lilieâ von Novalisâ),
- TrĂ€ume vom Tod oder vom Sterben, z.B. Nr. 45 (Sterben der eigenen Mutter), Nr. 72 (in GĂ€ngen unter der Erde, GesprĂ€che ĂŒber den Tod mit Bruder und Schwester),
- ErfolgstrÀume, z.B. Nr. 25 (Geld aus dem Automaten), Nr. 55 (Acker mit Klee),
- TrĂ€ume vom Einrichten der eigenen Wohnung, z.B. Nr. 17 (Dachterrasse mit Gras auf feuchtem Zeitungspapier), Nr. 21 (âKorb mit Kapuzinernâ),
- TrÀume vom Sumpf, z.B. Nr. 8 (sumpfiger Wald), Nr. 18 (kochender Sumpf im Zuber),
- TrÀume von einem Haus im Umbau, z.B. Nr. 82 (Zimmer im Umbau, Wind und Sturm), Nr. 85 (Dachstuhl, unausgebaute RÀume, Maler vor Staffelei).
Interpretationen
Meret Oppenheim verstand ihre TrĂ€ume als ĂuĂerungen ihres eigenen Unbewussten, die auf ihre persönliche und kĂŒnstlerische Entwicklung sowie auf die Entwicklung ihres kĂŒnstlerischen Werkes Einfluss nehmen können, und maĂ ihnen deshalb eine erhebliche Bedeutung bei (Schulz 2006, 51). Sie notierte ihre eigenen TrĂ€ume auch deshalb, weil sie aufgrund von âDiskussionen im Elternhaus ĂŒber die Lehren Carl Gustav Jungsâ â Meret Oppenheims Vater, der Arzt Erich Alfons Oppenheim, stand mit C.G. Jung in Kontakt (Curiger 1989, 9; Meyer-Thoss, T 87 f.) â ein Interesse am Themengebiet der Psychologie und der Bedeutung des Traums als âRegulativ der Psycheâ entwickelt hatte (Schulz 2006, 53). In den aufgezeichneten Trauminhalten, aber auch in Meret Oppenheims eigenen Deutungen sowie Trauminterpretationen finden sich immer wieder Hinweise auf C.G. Jungs Ideen zum âkollektiven Unbewusstenâ, zu den sogenannten âArchetypenâ â den von Jung beschriebenen âuniversellenâ Grundstrukturen in den Vorstellungen und Handlungen von Menschen â, zum Konzept von Anima und Animus â der âpsychologischen Zweigeschlechtlichkeitâ â oder zur âuniversellenâ Bedeutung von Symbolen (Jung 2001). Auf diesen Ideen begrĂŒndete Meret Oppenheim auch ihr SelbstverstĂ€ndnis als KĂŒnstlerin, wenn sie nicht nur die von ihr erinnerten Trauminhalte als âweit ĂŒber die eigene Person hinausgehendâ betrachtete, sondern auch davon ausging, dass die BeschĂ€ftigung mit TrĂ€umen eine gesellschaftliche Dimension bzw. Bedeutung habe. AuĂerdem stellte sie fest: âEs sind die KĂŒnstler, die trĂ€umen fĂŒr die Gesellschaftâ (Schulz 2006, 54). Weiterhin hat Meret Oppenheims BeschĂ€ftigung mit C.G. Jungs Symbolforschung auf die verwendete Ikonografie ihres kĂŒnstlerischen Werkes Einfluss genommen; sie verwendet in ihren Werken bestimmte Motive und Gestalten, wie z.B. Schlangen, Spiralen, das Auge etc., welche auch hĂ€ufig in ihren Traumaufzeichnungen vorkommen und Leitmotive der ewigen Wiederkehr und des niemals endenden Naturkreislaufs darstellen (Schulz 2006, 59).
Eine der Traumaufzeichnungen, die von Meret Oppenheim als Anima-Animus-Traum im Sinne C. G. Jungs ausgelegt wurden, ist z.B. Nr. 73:
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Meret Oppenheim erlĂ€utert dazu ihr eigenes VerstĂ€ndnis von den mĂ€nnlichen und weiblichen Seelenanteilen, die in ihr (im âIch selbstâ) um ein âGleichgewicht der MĂ€chteâ streiten:
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Ein weiteres Beispiel fĂŒr einen Traum, den Meret Oppenheim im Sinne eines Anima-Animus-Traums deutete, ist der Traum Nr. 13 (T 17-19), welchen sie bereits im Jahr 1935 in Barcelona trĂ€umte und notierte:
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Im Jahr 1978 â also ca. 43 Jahre nach der Niederschrift des Traumes â formulierte Meret Oppenheim nachtrĂ€glich folgende persönliche Trauminterpretation (T 18-19):
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Wie diese Beispiele zeigen, bietet Meret Oppenheim zu ihren Traumaufzeichnungen manchmal Deutungsmöglichkeiten an, die auf zentrale Konzepte in C.G. Jungs Lehre und auch dort adressierte Symbole zurĂŒckgreifen. Meret Oppenheim hat sich lebenslang mit Jungs Ideen beschĂ€ftigt, und diese haben ihre persönliche Perspektive auf ihre eigenen TrĂ€ume geprĂ€gt, auch noch Jahrzehnte nach dem Notieren. Es kann spekuliert werden, dass sich eine solch intensive BeschĂ€ftigung mit TrĂ€umen und möglichen Deutungen nicht nur die Traumauffassung im Wachleben einer Person auswirkt, sondern eventuell auch das TrĂ€umen selbst prĂ€gen könnte. Um mit Sigmund Freuds Die Traumdeutung zu Sprechen: TrĂ€ume setzen sich auch aus Erlebnissen im Wachleben zusammen (Freud 2014, 27), und die im Wachleben verinnerlichten und im Rahmen von Traumauslegungen angewandten Traumtheorieinhalte können so selbst zum âTraummaterialâ werden, was als ein sich selbst verstĂ€rkender Mechanismus betrachtet werden kann.
Fazit
Die Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim eröffnen nicht nur einen interessanten Einblick in das Denken und das Seelenleben dieser auĂergewöhnlichen KĂŒnstlerin und Persönlichkeit, sie stellen darĂŒber hinaus neben ihrem Wert fĂŒr die kunsthistorische Forschung eine wahre Fundgrube spannender Perspektiven auf den Traum an sich fĂŒr die kulturwissenschaftlich orientierte Traumforschung dar.
Literatur
Ausgaben
- Oppenheim, Meret: Aufzeichnungen 1928-1985. TrÀume. Hg. von Christiane Meyer-Thoss. Bern, Berlin: Gachnang & Springer 1986 (Erstausgabe).
- Oppenheim, Meret: TrĂ€ume. Aufzeichnungen 1928â1985. Hg. mit einem Nachwort von Christiane Meyer-Thoss. Berlin: Suhrkamp 2. Auflage 2013; zitiert mit der Sigle T.
Kontexte
- Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt/M.: Fischer 15., unverÀnderte. Aufl. 2014.
- Jung, Carl Gustav: Traum und Traumdeutung. MĂŒnchen: dtv 2001.
Forschungsliteratur
- Baur, Simon: Meret Oppenheim. Eine EinfĂŒhrung. Hg. von Christian Fluri. Basel: Merian 2013.
- Baur, Simon: Meret Oppenheim Geheimnisse. Eine Reise durch Leben und Werk. ZĂŒrich: Scheidegger & Spiess 2021.
- Curiger, Bice: Meret Oppenheim. Spuren durchstandener Freiheit. ZĂŒrich: ABC 3. Aufl. 1989.
- Helfenstein, Josef: Meret Oppenheim und der Surrealismus. Stuttgart: Hatje 1993.
- Meyer-Thoss, Christiane: Editorische Notiz. In: T 117.
- Meyer-Thoss, Christiane: Komplizin des Traums. Meret Oppenheim in ihren Traumaufzeichnungen. In: T 85-111.
- Meyer-Thoss, Christiane: Maskerade und Spiele der Verwandlung. In: Meret Oppenheim: âWarum ich meine Schuhe liebeâ. Mode â Zeichnungen und Gedichte. Hg. und mit einem Nachwort von Christiane Meyer-Thoss. Berlin: Insel 3. Auflage 2013b, 69-87.
- Oberhuber, Andrea: Figuration de soi et de lâautre chez Meret Oppenheim. In: MĂ©lusine 33 (2013), 111-123.
- Probst, Rudolf/Magnus Wieland (Hg.): Meret Oppenheim; Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs 48 (2020).
- Schulz, Isabel: âEdelfuchs im Morgenrotâ. Studien zum Werk von Meret Oppenheim. MĂŒnchen: Schreiber 1993.
- Schulz, Isabel: Die âAllmacht des Traumesâ. Traum und Unbewusstes im Werk von Meret Oppenheim In: Therese Bhattacharya-Stettler/Matthias Frehner (Hg.): Meret Oppenheim. Retrospektive: âmit ganz enorm wenig vielâ. Ostfildern: Hatje Cantz 2006, 51-62.
Zitiervorschlag fĂŒr diesen Artikel: Houy, Constantin: "TrĂ€ume" (Meret Oppenheim). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "EuropĂ€ische Traumkulturen", 2022; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Tr%C3%A4ume%22_(Meret_Oppenheim). |
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