Träume. Aufzeichnungen 1928-1985 ist eine Sammlung von persönlich ausgewählten Traumaufzeichnungen aus sämtlichen Lebensphasen der in Berlin-Charlottenburg geborenen schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim (1913-1985). Sie notierte ihre Träume, weil sie diesen sowohl im Allgemeinen aber auch in Bezug auf ihre Kunst und Dichtung eine besondere Bedeutung beimaß (Schulz 2006, 51). Nach Christiane Meyer-Thoss, Herausgeberin von Träume. Aufzeichnungen 1928-1985 (2013) und Vertraute bzw. Freundin Meret Oppenheims, sind die Traumaufzeichnungen nicht „als Bildspeicher“, sondern vielmehr als „das dokumentarische Material, das Storyboard zum Film der Bilder, zu dem von Meret Oppenheim realisierten Bilderkosmos“, zu verstehen (T 87). Die Sammlung ermöglicht einen tiefreichenden Einblick in Meret Oppenheims Träume, die ein breites inhaltliches Spektrum aufweisen und auch einige von ihr selbst verfasste Deutungen der Trauminhalte anbieten. Diese Deutungen referieren zuweilen auf grundlegende Ideen der Lehren von Carl Gustav Jung (1875-1961), durch die Meret Oppenheim auch dazu inspiriert war, ihre eigenen Träume zu notieren (Baur 2021, 211), und die ihre eigene Traumauffassung prägten. Meret Oppenheim interpretierte bzw. benutzte ihre eigenen Träum häufig „‘zur Lösung grundlegender Lebensfragen‘. Sie dienen ihr während aller Lebensphasen als eine Art persönliche Orientierungshilfe“ (Schulz 2006, 54).


Zu Meret Oppenheim

Meret Oppenheim war eine am 6. Oktober 1913 in Deutschland (Berlin-Charlottenburg) geborene, schweizerische Künstlerin und Lyrikerin (gestorben am 15. November 1985 in Basel). Bekannt und berühmt wurde sie insbesondere als Künstlerin, die ab ca. 1932 den Künstlerkreis der Pariser Surrealisten um André Breton (1896-1966), Marcel Duchamp (1887-1968), Max Ernst (1891-1976), Man Ray (1890-1976), Alberto Giacometti (1901-1966), Joan Mirò (1893-1983) etc. frequentierte, in den sie durch den Schweizer Künstler Hans Arp (1886-1966) eingeführt wurde (Meyer-Thoss 2013b, 72). Während Meret Oppenheim durch die Pariser Bekanntschaften und Freundschaften zwar künstlerisch und persönlich geprägt wurde und sie für ihr frühes Œuvre zahlreiche wichtige Impulse bekam, fühlte sie sich der Gruppe der Surrealisten nie vollständig zugehörig. Trotz ihrer frühen, „vom Surrealismus vereinnahmten“ und hinsichtlich der Publikumsrezeption erfolgreichen Werke, wie z. B. der sogenannte „Pelztasse“ von 1936 – André Breton erfand für das Werk den Namen „Dejeuner en fourrure“ („Frühstück im Pelz“) – setzte sie Zeit ihres Lebens beharrlich ihre Eigenständigkeit als Künstlerin ohne starke Bindung zu den Pariser Surrealisten durch (Helfenstein 1993, 68-78). Neben den zahlreichen Malereien und Zeichnungen schuf Meret Oppenheim in ihrem auch von einigen längeren Schaffenskrisen geprägten Leben (Curiger 1989, 42 ff.; T 28-30), das sie überwiegend an verschiedenen Orten in der Schweiz verbringt (Rückkehr von Paris nach Basel im Jahr 1937, später Bern und Carona im Tessin etc.), ein umfangreiches Œuvre. Dieses umfasst u.a. auch Skulpturen, Brunnen (z.B. am Waisenhausplatz in Bern), Kunstobjekte in verschiedensten Materialien (Baur 2021, 150-167), Fotografien, aber auch Designobjekte wie Möbel, Schmuck und Kleidung (Baur 2021, 130-147) sowie Performancekunst und Gedichte (Baur 2021, 90-107). Ihre Werke sind nicht selten von ihren eigenen Träumen sowie von den allgemeinen Eigenschaften des Traums inspiriert und besonders vom „Sehnsuchtspotential des Fragmentarischen“ sowie vom „Atem des größeren, zeitenthobenen Zusammenhangs“ geprägt (Meyer-Thoss, T 87).

Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim

Meret Oppenheim sammelte seit dem Jahr 1928 ihre Traumaufzeichnungen und übergab ihre „Sammelmappe“ mit den chronologisch sortierten Aufzeichnungen im Jahr 1984 der Herausgeberin des Bandes Träume. Aufzeichnungen Christiane Meyer-Thoss. Zeitlich nach der Übergabe notierte und von Meret Oppenheim später noch zur Publikation ausgewählte Träume schickte sie nachträglich per Post an Meyer-Thoss (Meyer-Thoss, T 86). In der editorischen Notiz (vgl. hierzu und im folgenden Meyer-Thoss, T 117) merkt die Herausgeberin an, dass Meret Oppenheim, wie anhand des „einheitlichen Schriftbild[es]“ zu folgern sei, „wahrscheinlich bis Ende der fünfziger Jahre, wichtige Träume innerhalb eines kurzen Zeitraumes nacheinander abgeschrieben [.], also übernommen [hat] aus älteren Notizheften“. In diesem Zusammenhang „fügte Meret Oppenheim auch zusätzliche Erklärungen und Kommentare ein“, die im gesamten Band ihre eigene Sicht und teilweise auch persönliche Deutungsversuche des Geträumten darlegen. Das gesamte Textmaterial wurde von Meret Oppenheim in den „siebziger Jahren“ sowie „ein letztes Mal dann im Dezember 1984 in Frankfurt“ – sehr wahrscheinlich bei einem Besuch bei Meyer-Thoss – „durchgesehen, kommentiert, ergänzt, verbessert“. Die im Rahmen der Korrekturen vorgenommenen Änderungen stehen in den Texten in eckigen Klammern. Die Sammlung Träume gibt abgesehen von wenigen Auslassungen, die z. B. „sehr persönliche Daten betreffen“, Oppenheims Aufzeichnungen „nahezu vollständig“ und „in der von ihr bestimmten chronologischen Reihenfolge“ wieder.


Meret Oppenheims Aufzeichnungen im Band „Träume“

Die folgende Übersicht präsentiert die Traumaufzeichnungen Meret Oppenheims im Band Träume. In folgende Liste aufgenommen wurden ausschließlich ihre Traumaufzeichnungen, nicht aber die von Meret Oppenheim verfassten Darstellungen zu den herrschenden Lebensumständen, die sie zuweilen zwischen den Traumaufzeichnungen ergänzte, um den Kontext zu erläutern, in dem die Traumaufzeichnungen stehen bzw. vor dessen Hintergrund diese zu deuten wären. Zuweilen sind im Band Träume Abbildungen, d. h. Reproduktionen von Skizzen, die Meret Oppenheim begleitend zum Text angefertigt hat, enthalten, z. B. zum Traum mit dem Höllenhund („1928-30?“, Nr. 3 der folgenden Liste, T 10), zum Friedhofstraum mit Schlange und Apfel von 1929 (Nr. 6, T 13), zum Traum mit dem Rettungsinstrument für Ertrinkende vom 6. August 1933 (Nr. 10, T 16), zu den Träumen am 10. und 11. August 1936 bzgl. der Einrichtung des eigenen Häuschens, bzgl. der „kleinen Maschine zum Sätzeschreiben für Schriftsteller“ und bzgl. des Bildes von Salvador Dalì, das sich wie ein Film bewegt, (Nr. 21-23, T 23) sowie zu weiteren Themen (siehe dazu T 34, T 36, T 47, T 51, T 57, T 59, T 63, T 67 und T 69). Wie bereits erwähnt, werden die Traumaufzeichnungen Meret Oppenheims zuweilen von Erläuterungen zu den herrschenden Lebensumständen unterbrochen, die eine persönliche Einordnung der Traumaufzeichnungen in einen Kontext darstellen, z. B. „Zwischen 1936 und 1953 habe ich, soviel ich aus meinen Notizen sehe, keinen einzigen Traum aufgeschrieben. […]“ (T 28-30) oder „Im Nov. 1954 hatte ich ein „inneres Erlebnis“ […]“ (T 31-33). Die folgende Übersicht übernimmt die verwendete Orthografie und Interpunktion der Darstellung im herausgegebenen Band und es wurden keine Textkorrekturen vorgenommen. Ergänzungen werden im vorliegenden Beitrag lediglich an fünf Stellen vorgenommen, z. B. um Abkürzungen zu erläutern, und diese in geschweifte Klammern, d. h. {}, gesetzt. Diese Art der Markierung ist notwendig, weil Meret Oppenheim in ihren Texten sowohl runde Klammern, d. h. (), als auch eckige Klammern, d. h. [], für spätere Ergänzungen bei der präfinalen und finalen Überarbeitung verwendet hat.


Nr. Überschrift der Traumaufzeichnung Beginn der Traumaufzeichnung Nachweis in „Träume“
1 Eine Vision od. Wachtraum ca. 1928 (Königsfeld im Schwarzwald). … „Vor mir steigt aus der Tiefe eine Säule die sich oben im Nebel oder in den Wolken verliert. Von unten auf steigt dichter Dunst, der sich in Spiralen um die Säule dreht. …“ T 9
2 ca. 1928 „Ich renne in furchtbarer Angst durch einen Wald. Es sind niedrige, laublose Bäume. …“ T 9
3 1928-30? „Der Höllenhund sprang über einen kleinen Abhang. Wir (Christin und ich) fingen ihn und wollten ihn töten. …“ T 9-10
4 1928 „Eine Treppe an einer hohen Backsteinmauer, an der immer wieder Stufen fehlen. Ich sollte diese Treppe mit kleinen Kindern hinuntergehn. …“ T 11
5 1928 „Ich sitze auf einer sehr hohen Mauer aus Erde, mit Gras bewachsen, die Wurzeln halten sie zusammen. Zuletzt bricht sie und ich falle auf die Erde.“ T 11
6 1929 (Königsfeld) „Ein Friedhof, an einem schwach ansteigenden Hang gelegen (glich dem Friedhof von Steinen i/W) {Steinen im Wiesental, eine Gemeinde im Landkreis Lörrach in Baden-Württemberg}. Durch das Eingangsgatter unten kommt eine alte Frau. …“ T 11-12
7 1929 (Königsfeld) „Ich halte einen grossen blauen Enzian gegen die untergehende Sonne. Die Blume verwandelt sich in ein Glas mit rotem Wein und strahlt wunderbar.“ T 12
8 7. Okt. 1932 „Habe recht peinlich geträumt. Zuerst ging ich durch einen Wald, der plötzlich ganz sumpfig wurde. … Dann träumte ich, ich solle wegen irgend einer geringfügigen Sache gehenkt werden. Man sagte, ich habe ein Salzfass gestohlen. …“ T 12-14
9 Paris 31. Jan. 1933 „I. Bin durch alten Tempel gegangen. Ein weiter, nicht sehr hoher Raum mit vielen Säulen, teils Holz, teils Stein mit gemeisselten Reliefs oben. II. Ich stiess mit der Hand zufällig an Papas Brust. Darauf war er sehr aufgebracht und sagte ich solle doch aufpassen, er sei doch krank da! …“ T 14
10 Traum vom 6. August 1933 (Zeichnung) „Rettungsinstrument für Ertrinkende. (Je nach Bedingungen wird vom Ertrunkenen die eine oder andere Hand aus dem Wasser gestreckt.)“ T 15
11 Basel 25. Dez. 1935 „Ich habe einen Backenbart. Dann: Ich bin in meinem Atelier (Klingenthal 13). Jemand fragt nach der Zeit. …“ T 15
12 (ca. 35?) „Ich fahre in einem Automobil das ganz aus Knochen gemacht ist. Es ist ein altes Modell, die Bremse ist aussen und besteht aus einem Oberschenkelknochen.“ T 17
13 Sept. 1935, in Barcelona geträumt „Ich bin mit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales steht. Den Wänden entlang geht ein griechisches Relief, ähnlich Parthenon. …“ T 17-19
14 15. Dez. 1935 „Ein sehr trauriges, graues Tal. Steinige Abhänge. Unten Zementstrassen, am Hang angelegt, wie die Treibhäuser einer Gärtnerei. …“ T 19
15 15. Dez. „Ich hänge am Ast eines Baumes und versuche durch Hin- und Herschwingen einem Puma das nach mir schnappt, auszuweichen. Es gelingt mir endlich, mich hoch an den Berg zu schwingen. …“ T 19
16 (ca. 35?) „Ich bin im Zuschauerraum eines kleinen Theaters, allein. Es ist dunkel, nur die Bühne ist beleuchtet. …“ T 20
17 1. Januar 1936 „Wohne auf der Dach-Terrasse eines sehr hohen neuen Hauses. Rundherum Gitter. Ich sage zu mir selbst: Warum sagen wohl alle Leute ich wohne so gefährlich, wo doch ringsum Gitter sind? …“ T 20
18 9. Januar 1936 „Jemand versucht in einem Zuber halb voll Wasser Feuer zu machen. Es geht aber nicht. …“ T 20
19 Wann ich diesen Traum hatte weiss ich nicht mehr. Ich schätze zwischen 1935 und 1937. „Ich bin in einem Menschenschlachthaus. Überall liegen und hängen abgehäutete blutige Körper, wie in einer grossen Metzgerei. …“ T 20-21
20 (1935-1937) „Ich bin bei einem Gynäkologen, liege auf dem Untersuchungsstuhl. Der Arzt bringt eine abgehäutete, aber lebende Ziege herein. …“ T 21
21 10. August 1936 „Ich richte mir ein Häuschen ein. Sehr einfach. Ein kleines Mädchen verkauft mir einen Korb mit Kapuzinern.“ T 21
22 10. August „Eine kleine Maschine, zum Sätzeschreiben für Schriftsteller. (Skizze mit Erklärungen) …“ T 22
23 11. August „Ich sehe ein Bild, von Salvador Dali, das sich aber wie ein Film bewegt: Eine graue Wüste auf einer Hochebene. Rechts ein Bach, der aber gestaut ist. …“ T 22
24 12. August 1936 „Hole im Warenhaus etwas ab und gehe, kehre aber um, um es doch noch zu bezahlen. Bekomme einen Hut geändert zurück und noch zwei neue. …“ T 22
25 12. August 1936 „Ich gehe mit meinem Bruder über eine Strasse. An einer Hauswand ist ein Automat, aufgemacht wie ich sie in Paris gesehn habe. …“ T 24
26 Dies Gedicht hat M. {Mandiargues} nach einem Traum gemacht, den ich ihm einmal erzählte, wie er mir sagte (zwischen 1939 u. 1942) „Une station par André Pieyre de Mandiargues: Tu es liée sur un îlot au milieu de la mer, Un lépreux te nourrit de ses mains pourriers …“ T 24
27 nach 1940-vor 1950 „Ich weiss nicht mehr wann ich diesen Traum hatte. Ich ging auf einem steinigen Pfad einen Berg hinauf (es war der San Salvatore). Ich sah meine Freundin Irène Zurkinden in sonnendurchschienenem hellgrünem Gebüsch stehen. …“ T 25
28 zwischen 1942 u. 1950 (etwa) „Ich versuche, meine (gestorbene) Grossmutter zu überreden, mit mir in die „Kunsthalle“ (Restaurant in Basel wo ich meine Kollegen manchmal traf) zu kommen. Sie sträubt sich, weil sie ja tot sei. …“ T 25
29 zwischen 1942 u. 1950 „Mit meiner Grossmutter und meiner Mutter sitze ich in einem kleinen offenen Fahrzeug. Es ist aus Kunststein. …“ T 25-26
30 1949 „Bin in einem gotischen Dom. Stehe vor einer hohen geschnitzten Holzstatue eines Heiligen [ohne Farben und ganz wurmzerfressen]. …“ T 26-28
31 (zwischen 1953 u. 54): „1. Ich bin in einer Schneelandschaft. Um einen kleinen Hügel kommt ein weisser Hase. Ich versuche, ihn zu fangen. … 2. Ich bin an einem Meeresstrand. Hinter mir erheben sich steile Felsen. Überall finde ich Eier. …“ T 30
32 Juli 53 „In der Wüste. Drei bis fünf berittene kriegerisch aussehende Beduinen. Es sind aber Frauen. …“ T 31
33 Nov.[?] 1953 „Ich gehe auf dem Meer (zugleich sehe ich mich selbst von hinten), nahe an einem mit Bäumen bewachsenen Ufer. Alles ist sonnig, über und unter dem durchsichtigen Wasser sind kleine grüne Inselchen, auch der Grund des Meeres ist sonnenerhellt. …“ T 33
34 Dez. 1954 „André Breton sitzt in einer Art Loge, oder Thron. Seine Sekretärin (in Wirklichkeit hat er keine) verabschiedet sich von ihm indem sie „Kotau“ macht. …“ T 33
35 Dez. 1954 „Ich sitze an langem Tisch mit meinen Pariser Freunden, von denen aber niemand deutlich ist ausser Breton und Péret. Der Tisch steht in einer weiten Landschaft, auf einer erhöhten Ebene, man sieht in der Ferne am Horizont Bergketten. …“ T 35-36
36 Drei kleine prophetische Träume „I. (1954) Bekomme viele Briefe. Unter anderm drei feuerrote Umschläge und ein Telegramm von A. Letzteres in sehr kleinem Format, wie Puppenpost. … II. Ich träume ich stehe am Fenster unserer Wohnung in der Kramgasse Bern. … III. (1948) Bevor wir nach Bern umzogen, also noch in Basel, träumte ich, dass ich in einer neuen Wohnung bin, und davor, im Garten, ein runder kleiner Springbrunnen. …“ T 37
37 [Zwei weitere kleine „prophetische“ Träume] „Ich stand an einem Strom aus Blut. Weisse Vögel flogen drüber oder setzten sich auf das „Wasser“ (am andern Morgen hatte ich die Periode). Es ist Krieg. Ich gehe in einer Strasse. Als ich um die Hausecke biege, stehen vor mir drei Männer, jeder zielt mit einer Pistole auf mich. …“ T 38
38 II. 1955 Engelberg „Ich träume, ich liege in einem Glassarg, wie Schneewittchen. In der Hand einen roten (Reichs-) Apfel, aus Seife, wie man ihn in den Parfümerien kaufen kann. …“ T 38-40
39 1955 „Man besieht ein Bild wie eine Reliefschnitzerei (supraporta) von Marcel Duchamp. Es ist ein grosser Karton auf dem sind abgebildet: In der Mitte ein Wappen mit einem Rosenstrauss (Rrose Selavy), rechts und links gehalten von zwei Füchsen (Duchamp war rothaarig). …“ T 40
40 21. VIII. 56 „Gehe mit einer Art Giesskanne-Streubüchse herum und bestreue ca. 50 cm hohe, dicke Kakteen (sie sehen etwas erfroren aus), mit goldgelbem Blütenstaub („um sie zu befruchten“). …“ T 41
41 20. XII. 56 „In einem Geschäft probiere ich hohe, bis unter die Wade reichende Stiefeletten an. Sie sind über und über mit hellgrünen Pailletten bestickt. …“ T 41
42 21. XII. 56 (aufgeklebter Zeitungsausriss v. IV. 1974) „Bin in einer Bäckerei, ein riesiger Backofen, überall Gestelle mit Brötchen und Brot und eine wundervolle Wärme und Geruch. Auf einer der Etagèren liegt ein Kind (undeutlich – ein Mädchen? Es ist bekleidet). …“ T 42
43 16. IV. 57 „Komme durch eine Tür in einen grossen ebenerdigen Raum. Man bedeutet mir ruhig zu sein. Ich sehe dass ich zu einem Spiel oder einer Zeremonie gekommen bin. …“ T 42-43
44 2. IX. 58 „Eine hügelige Wald- und Wiesenlandschaft. An schwach abfallender Stelle, unten durch Gebüsch abgeschlossen, sind meine Schwester, ich und einige junge Leute beschäftigt, eine „Brunnenstube“ zu bauen. …“ T 44-45
45 XII. 59 „Immer wieder träume ich dass man mir berichtet, dass meine Mutter im Sterben liegt. Ich scheine ihren Tod (April 1959) noch nicht realisiert zu haben. …“ T 45
46 17. XII. 1959 „Nach dem „festin“ an der surrealistischen Ausstellung [bei Cordier], das ich arrangiert hatte (der Saal mit dem Festessen auf der nackten Frau), hatte ich scheinbar Schutz nötig: Ich träume, ich gehe in ein langes weites Lodencape gekleidet über Land. …“ T 45-46
47 18. XII. 59 „Ich liege bäuchlings auf einer hohen, hohen Klippe und schaue ins Meer hinab (gegen Westen). Es kommen Leute, ich bewege mich etwas 2 Meter landeinwärts (Ich hatte Angst, sie könnten mich hinunterstossen). …“ T 46-48
48 III. 60 „Der Zustand der Unzufriedenheit ging weiter. Ich zwang mich zu arbeiten. Ohne Resultat. Da träumte ich: Ich sitze in der Eisenbahn in einem Spezial-Abteil, mit lauter minderm Volk. …“ T 48
49 19. IV. 60 „Träumte von einer grossen, modernen Lokomotive. Sie stand riesig und glänzend auf einer Wiese am Waldrand. …“ T 49
50 5. VII. 60 „Ich ging bergan, war schon fast oben, eine kleine Stapfel {allemanisch für „Stufe“} kam jetzt, es lag Schnee. Ich sagte mir, das kann ja gut werden, jetzt auch noch Schnee. …“ T 49
51 15. 8. 1960 „Behelmte weisse Marmorschildkröte mit Hufeisen. Eine wunderschöne Skulptur. Sie stand aufrecht, von unten gesehn auf dem Kamin bei Alfr. Bühler, meinem Schwager, Ethnologe. …“ T 49-50
52 15. I. 61 „Ich träumte, dass ich ein Märchen geträumt habe. Ich sagte mir im Traum, es sei ja zwar gleich wie alle andern Märchen, aber ich wolle es doch aufschreiben. …“ T 50-51
53 ca. 20. Januar 64 „Bin in diesen (mir in Wirklichkeit unbekannten) Räumen. Gehe an die rechte Glastüre, öffne sie, sehe dass das Meer, in hellgrünen Wellen „schon“ die Terrasse umspült. …“ T 52
54 22. Januar 1964 „Stehe an einer grünl. Sandsteinbalustrade. Darauf stehen zwei zylindrische Glasvasen. …“ T 52-53
55 5. Februar 64 „(Am Abend vorher hatte man mir mitgeteilt, dass mein Wandbildentwurf den 1. Preis gewonnen hat. Ich denke sehr an die Arbeit vor dem Einschlafen). Bin auf einem Acker. In dichten Reihen noch niedrig aber üppig und buschig, wächst Klee. …“ T 54
56 12. II. 64 „Bin in eine Art Markthalle eingefahren. Gehe neben meinem weissen Pferd, das einen kleinen Wagen zieht. …“ T 55-56
57 25. I. 1965 „Marquis de Cuevas „Die Blume Lilie“ von Novalis, Giacometti-Ballettdekor u. Kostüme mit Lendenschürzen (ein anderes Thema). …“ T 56
58 II. 65 „Bin im Haus von Freunden. Man schickt mich, um zu sehen ob noch etwas im Garten ist das man versorgen muss (weil es regnen könnte, oder Nacht wird). …“ T 56-58
59 1965? „Im Traum sagte jemand von einem, der gestorben war: „Er hat den Mantel des Lebens genommen“.“ T 58
60 Ende 1966 „W. {Wolfgang La Roche, Meret Oppenheims Ehemann} muss sich wegen seiner Depression behandeln lassen. […] Ein Traum zeigt mir, dass ich diese (Unglücks-)Zeit annehmen muss. Ich liege auf einer Wiese. Ein Rabe kommt auf mich zugeflogen und kuschelt sich (freundlich) zwischen linke Schulter und Kopf. …“ T 58
61 ca. 6. Januar 1968, zwei Wochen etwa, nach Wolfgangs Tod. „Ich gehe an der Spitze eines Zuges, schwarz gekleidet. Auch alle andern sind in Schwarz. …“ T 58-60
62 16. II. 1968 „Stehe oben auf einem felsigen Berg, auf einem Vorsprung, der eine dünne Humusschicht hat, es wachsen Sträucher und Gräser darauf. …“ T 60
63 27. April 1970 „Grosse Gitterkäfige, im obersten Abteil ein schönes Kaninchen, weiss-braun? Schon zwei- oder dreimal habe ich die Käfige nach vorn oder hinten umgekippt, um irgendetwas zu ändern, oder weiss-ich-was. …“ T 60-61
64 17.-18. I. 71 „Felsiger Berg, erhöht im Tal gelegen. Im Fels Reste von Mauern (Ruine). Man weiss, dass man in diesen Felsen Kristalle findet. …“ T 61
65 1971 „Satz geträumt: --- der Familienschein des Widerspruchs“ T 62
66 1971 „(Nach kompliziertem Traum, den ich vergessen habe). Ich sage kopfschüttelnd „Was müssen die Tiere von uns denken!“ …“ T 62
67 Traum vom 10. Juli 1971 „Auf der Umrandung meines Dachgartens in Bern (ca. 20m lang) stehen alte und neue Schiffsmodelle, unter anderem Galeere, od. ä. …“ T 62
68 Mitte Dez. 71 in Paris geträumt: „Bern, Blick von oben ins „Marzili“, zwischen den Häusern stehn einige hohe Tannen. An allen Zweigen waren grössere und kleinere Steinplatten und Steine befestigt, bis zu 10 m Länge und ca. 60 cm Breite. …“ T 62-64
69 Traum vom 17. März 1972 (Collage) „Einige Personen und ich betrachteten diese Collage, die wie der Traum sagte, von Marcel Duchamp gemacht worden sei. Oben, in dem auf die Spitze gestellten Quadrat, konnte man lesen: „Ça continue“ (Es geht weiter). …“ T 64
70 6. Oktober 1974 (an meinem Geburtstag) „Ich erinnere mich, dass es mit meiner Biographie (Katalog Solothurn) zu tun hatte (für Eröffnung Ausstellung am 28. Sept. 74). …“ T 64-66
71 Paris 9. IV. 75 „Ich legte mich schlafen um 4 h nachmittags, weil ich deprimiert war, mir völlig leer vorkam und mir überlegte, ob ich wohl je wieder etwas machen könne. Hatte folgenden Traum: Er begann in einem Haus, ich weiss nur noch, dass ich in einem Zimmer, 5. oder 6. Stockwerk, war mit rotem Spannteppich. …“ T 66-69
72 30. Oktober 1976 „In weit verzweigten Gängen tief unter der Erde war ich mit Bruder und Schwester. Wir waren lebend, aber ich erklärte irgendetwas über den Tod, dass das nicht etwas Negatives, sondern im Gegenteil usw. …“ T 70
73 1977 „Ich habe eine mich erfreuende „Rangerhöhung“ erfahren. Ich träumte, kurz danach: Ein Mann beklagte sich mir gegenüber, dass es für ihn unbequem sei, zur Türe aus- und einzugehn, weil gleichzeitig andere Leute an ihm vorbei wollten. …“ T 70
74 August 1977 „Ein dunkles Gewässer von dichten Bäumen umstanden, an der hohen Mauer eines Schlosses. Ich sitze in einem Boot, das etwa die Form von der untern Seite einer Samenkapsel hat. …“ T 70
75 August 1977 „Ich gehe auf einer Strasse in einem Tal (Richtung etwa Nord-Nord-Ost. Es ist Tag). Linkerhand steigt ein Abhang auf, mit eher lichtem Baumbewuchs. …“ T 71
76 13.-14. XII. 78 (Skizze) „Unter Brücke „wie in einer Art Gelee eingelagert“ grosse Fische und Aale. Sie sind aber lebendig. …“ T 71
77 ca. 14. Okt. 1980 (Skizze) „Vor hellblauem Himmel drei weisse, fast durchsichtige Monde. Die zwei untern steigen langsam zum obern. …“ T 71
78 Ende November 1980 „Vor altem Gemäuer, ein (unser?) Haus in Carona, sitzen meine Schwester K. {Kristin Bühler-Oppenheim} und ich auf einer Decke, auf einem schmalen Rasenband. Wir sitzen nicht ganz nahe zusammen. …“ T 72
79 17. IV. 81 „Im Halbschlaf, ein Satz: --- so klar, so hell die Mondennacht. Ich schlafe ein, ich träume, dass ich in der Wohnung an der Kramgasse bin (Bern, 1952-54), in meinem Zimmer das zwei hohe Fenster auf die Strasse hin hatte. …“ T 72-73
80 25. Juli 81 „Ich stehe an einer offenen Glastüre, die aufs Meer hinaus geht. Das Meer reicht bis an die Hauswand, bis etwa 1-2 Meter unter die Türe wo ich stehe. …“ T 73
81 am 9. Okt. 82 „Beim jap. Nachtessen traf ich zum ersten Mal seit Seoul (im Mai) wieder Mi-ong-i und Setaik (Yim). […] Ich träumte in der Nacht darauf, dass Setaik von Paris nach Seoul geflogen sei, dort ein Zimmer voller Vögel geholt habe, mit dem nächsten Flug zurück sei, um es mir zu bringen.“ T 74
82 ca. 15. Okt. 82 „Bin in einem Zimmer, eher gross. Eigentlich das Kinderzimmer im Steinener Haus. …“ T 74
83 Der Garten der Lüste, I. Traum, 6. März 84, Carona „Ein Park. Ich liege seitlich im Gras. Mit zugewandt, an meinem Rücken, in mir, ein Homosexueller. …“ T 75
84 ca. 1 Woche später, 18. März 1984, Carona „Langer ausführlicher Traum, zu dem der vorherige wie eine Einleitung erscheint. Es handelt sich nicht nur um einen erotischen, nur die Sexualität betreffenden Traum, er hatte irgendwie – wie, weiss ich nicht – eine geistige Komponente. Ich ging nachts, schon gegen Morgen, aber es war noch finster, in Paris spazieren, kaum jemand auf der Strasse. …“ T 75-76
85 Frankfurt, etwa Oktober 1984 „Träume, ich stehe im Dachstuhl eines (meines?) grossen Hauses. Es sind dort Räume, aber ganz unausgebaut, ohne Türen. …“ T 77
86 Rom, I. 85 „Bin in einem ziemlich wilden Wald. Neben einem Baumstrunk zeigt sich plötzlich ein Wildschwein. …“ T 77
87 Rom, I. 85 „Altes Gebäude oder Ruine. Etwa in Augenhöhe auf einem Absatz liegt zusammengerollt eine graue Mamba, der Kopf liegt gegen mich, die Augen sind offen. …“ T 77
88 Rom, 2. Januar 85 „Man muss das Wasser führen wie ein Tier: Gegen sein Schreien“. Ein eher lichter, niedriger Wald, viel Unterholz. …“ T 78
89 Paris, 4. V. 85 „(…) Ich halte eine zylinderförmige hölzerne Hülse in der Hand. Darin ist der zusammengeschobene Schirm („Knirps“) meiner Mutter (im Stil der 30er Jahre). …“ T 78-79


Themen, Motive und Interpretationen zu Meret Oppenheims Träumen

Das inhaltliche Spektrum der von Meret Oppenheim aufgezeichneten Träume ist breit. Allerdings weist die präsentierte Sammlung zahlreiche wiederkehrende Traummotive auf, die in manchmal kurzen Traumsituationen, zuweilen aber auch in längeren Traumerzählungen beschrieben werden, in denen sich innerhalb des Traumes der Ort, an dem der Traum stattfindet, deutlich verändern kann, aber auch beteiligte Personen oder Gegenstände vielfältige Verwandlungen oder Metamorphosen erleben können. Meret Oppenheim präsentiert hier unter anderem folgende Arten von Träumen (einige Träume lassen sich auch mehreren Kategorien zuordnen):

  • Träume von Tieren, z. B. Nr. 31 (Einfangen eines weißen Hasen in einer Schneelandschaft), Nr. 44 (Vögel, ein Adler, ein Löwe), Nr. 50 (Mäuslein und ein „metallisch glänzendes“ Schweinchen), Nr. 52 (Vogelmärchen), Nr. 60 (freundlicher Rabe und „freudiger Hund“), Nr. 63 (Gitterkäfige mit einem Kaninchen), Nr. 66 („Was müssen die Tiere von uns denken!“), Nr. 71 (große Fische, ein Wal, eine Eidechse, ein grüner Gecko, ein grünes Insekt), Nr. 76 (große Fische und Aale lebendig „wie in einer Art Gelee eingelagert“), Nr. 81 (ein Freund bringt ein Zimmer voller Vögel), Nr. 86 (Treffen mit einem Wildschwein im Wald), Nr. 87 (altes Gebäude oder Ruine, eine graue Mamba, eine alte Frau verwandelt sich in eine Schlange, Katzen), Nr. 88 (Vögel, wildes Geflügel, Elefanten, Rhinozerosse, Nilpferde, Lämmchen, Regenwürmer),
  • Träume zur künstlerischen Produktivität, z. B. Nr. 31 („Hase = Fruchtbarkeit“, „Eier = Symbol f. Produktivität“), Nr. 47 („winzige Fischlein“), Nr. 48 („Spezial-Abteil in der Eisenbahn“), Nr. 49 (große Lokomotive auf einer Wiese), Nr. 55 (Acker mit Klee), Nr. 56 (weißes Pferd zieht einen Spannwagen), Nr. 63 (Gitterkäfige mit einem Kaninchen), Nr. 67 (Schiffe und Flugzeuge auf der eigenen Dachterrasse), Nr. 82 (Zimmer im Umbau, Wind und Sturm),
  • Naturvisionen und Naturerfahrungen, z. B. Nr. 1 (aufsteigende Säule), Nr. 6 (Friedhofstraum mit einer Frau und deren drei toten Töchtern, Schlange und Apfel), Nr. 7 (Enzian verwandelt sich in ein Glas Wein), Nr. 14 (Treibhaus mit sprießenden Skeletthänden), Nr. 27 („Geheimnis der Vegetation“), Nr. 46 (Schützende Regenwand um das Bett), Nr. 77 („drei weiße, fast durchsichtige Monde“),
  • Träume von Meer und Wasser, z. B. Nr. 33 (Gehen auf dem Meer), Nr. 53 (hellgrüne Wellen umspülen das Haus, Treffen mit der Mutter), Nr. 71 (wildes Meer, starke Wellen schlagen gegen das Haus in Basel), Nr. 74 (in einem Boot in dunklem Gewässer), Nr. 80 (das Meer reicht bis an die Hauswand, Kühe unter Wasser),
  • Träume mit einem Fokus auf Materialien, z. B. Nr. 12 (Automobil aus Knochen), Nr. 24 (Hut aus lackiertem grünem Karton), Nr. 29 (Fahrzeug aus Kunststein), Nr. 41 (Stiefel mit hellgrünen Pailletten und Kapuzenmantel mit Marabufedern), Nr. 64 (Steinbruch mit Kristallen),
  • Träume von Freunden aus dem Kreis der Surrealisten, z. B. Nr. 34 (André Breton als „Papst“), Nr. 35 (Allegorie des Krieges gemeinsam betrachtet vom langen Tisch in der weiten Landschaft), Nr. 39 (Vergleich mit Marcel Duchamp), Nr. 69 (Betrachten einer angeblichen Arbeit von Marcel Duchamp, die Meret Oppenheim anschließend als Collage erstellt hat),
  • Prognostische bzw. von ihr sogenannte „prophetische“ Träume, deren Inhalte sich anschließend in einem übertragenen Sinne in der Wachwelt "bewahrheiteten", z. B. Nr. 36 („kleine Liebesgeschichte“, Kugel, Springbrunnen), Nr. 37 („Strom aus Blut“), Nr. 38 („Glassarg, wie Schneewittchen“), Nr. 47 („winzige Fischlein“),
  • Erotische Träume und Trauminhalte, z. B. Nr. 13 („mit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales steht“), Nr. 19 („Liebe mit Toten“), Nr. 43 (Zeremonie mit Tanz und „Balimasken“), Nr. 83 („Garten der Lüste“, Hermaphrodit), Nr. 84 (lange Fassung des „Garten der Lüste“, hermaphroditischer Engel),
  • Träume zum Verstreichen der eigenen Lebenszeit, z. B. Nr. 29 (Fahrt mit dem Fahrzeug aus Kunststein mit Mutter und Großmutter), Nr. 30 (Holzstatue, die eine Sanduhr umdreht, „Hälfte des Lebens“), Nr. 45 (Sterben der eigenen Mutter, die voraussagt: „In 15 Jahren sind wir wieder zusammen.“),
  • Träume mit Inhalten aus der asiatischen Kultur und Kunst, z. B. Nr. 40 („schöne Inderin in hellrotem Sari mit Goldfäden“), Nr. 43 (Zeremonie mit Tanz und „Balimasken“), Nr. 51 („behelmte weiße Marmorschildkröte“),
  • Träume von Hermaphroditen, z. B. Nr. 78 (abgeschlagener Kopf fällt auf die Sitzdecke), Nr. 83 („Garten der Lüste“, Hermaphrodit), Nr. 84 (lange Fassung des „Garten der Lüste“, hermaphroditischer Engel),
  • Musikträume, z. B. Nr. 16 (Cello spielendes Skelett), Nr. 62 (durch Wind zwischen Felsen entstehender Klang einer Fuge), Nr. 79 (Blättern im Notenbuch, Weinen und Scham, Abwehrhaltung gegen „klassische“ Musik),
  • Fluchtträume und Kampf mit wilden Tieren, z. B. Nr. 2 (Flucht vor Schlangen), Nr. 3 (Kampf mit einem „Höllenhund“), Nr. 15 (Flucht vor einem Puma, dann Herausbrechen seiner Zähne),
  • Alb- oder Angstträume, z. B. Nr. 8 (eigenen Hinrichtung), Nr. 19 („Menschenschlachthaus“), Nr. 75 (Frau in einem Käfig zwischen Baumstämmen),
  • Träume von Treffen mit Toten, z. B. Nr. 28 (Großmutter), Nr. 58 (tote Schwester, die wieder lebendig wird),
  • Kreativträume, in denen Meret Oppenheim neue Objekte erfindet, z. B. Nr. 10 („Rettungsinstrument für Ertrinkende“), Nr. 22 („kleine Maschine zum Sätzeschreiben für Schriftsteller“),
  • „Blumenträume“, z. B. Nr. 53 (zwei Vasen mit Levkojen und einer weißen Blüte, später abgeknickte orange Ringelblumen), Nr. 57 („‘Die Blume Lilie‘ von Novalis“),
  • Träume vom Tod oder vom Sterben, z. B. Nr. 45 (Sterben der eigenen Mutter), Nr. 72 (in Gängen unter der Erde, Gespräche über den Tod mit Bruder und Schwester),
  • Erfolgsträume, z. B. Nr. 25 (Geld aus dem Automaten), Nr. 55 (Acker mit Klee),
  • Träume vom Einrichten der eigenen Wohnung, z. B. Nr. 17 (Dachterrasse mit Gras auf feuchtem Zeitungspapier), Nr. 21 („Korb mit Kapuzinern“),
  • Träume vom Sumpf, z. B. Nr. 8 (sumpfiger Wald), Nr. 18 (kochender Sumpf im Zuber) oder
  • Träume von einem Haus im Umbau, z. B. Nr. 82 (Zimmer im Umbau, Wind und Sturm), Nr. 85 (Dachstuhl, unausgebaute Räume, Maler vor Staffelei).


Meret Oppenheim verstand ihre Träume als Äußerungen ihres eigenen Unbewussten, die auf ihre persönliche und künstlerische Entwicklung sowie auf die Entwicklung ihres künstlerischen Werkes Einfluss nehmen können, und maß ihnen deshalb eine erhebliche Bedeutung bei (Schulz 2006, 51). Sie notierte ihre eigenen Träume auch deshalb, weil sie aufgrund von „Diskussionen im Elternhaus über die Lehren Carl Gustav Jungs“ – Meret Oppenheims Vater, der Arzt Erich Alfons Oppenheim, stand mit C. G. Jung in Kontakt (Curiger 1989, 9; Meyer-Thoss, T 87-88) – ein Interesse am Themengebiet der Psychologie und der Bedeutung des Traums als „Regulativ der Psyche“ entwickelt hatte (Schulz 2006, 53). In den aufgezeichneten Trauminhalten, aber auch in Meret Oppenheims eigenen Deutungen sowie Trauminterpretationen finden sich immer wieder Hinweise auf C. G. Jungs Ideen zum „kollektiven Unbewussten“, zu den sog. „Archetypen“ – den von Jung beschriebenen „universellen“ Grundstrukturen in den Vorstellungen und Handlungen von Menschen –, zum Konzept von Anima und Animus – der „psychologischen Zweigeschlechtlichkeit“ – oder zur „universellen“ Bedeutung von Symbolen (vgl. u. a. Jung 2001). Auf diesen Ideen begründete Meret Oppenheim auch ihr Selbstverständnis als Künstlerin, wenn sie nicht nur die von ihr erinnerten Trauminhalte als „weit über die eigene Person hinausgehend“ betrachtete, sondern auch davon ausging, dass die Beschäftigung mit Träumen eine gesellschaftliche Dimension bzw. Bedeutung habe. Außerdem stellte sie diesbezüglich fest: „Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft“ (Schulz 2006, 54). Weiterhin hat Meret Oppenheims Beschäftigung mit C. G. Jungs Symbolforschung auf die verwendete Ikonografie ihres künstlerischen Werkes Einfluss genommen und sie verwendet in ihren Werken bestimmte Motive und Gestalten, wie z. B. Schlangen, Spiralen, das Auge etc., welche auch häufig in ihren Traumaufzeichnungen vorkommen und Leitmotive der ewigen Wiederkehr und des niemals endenden Naturkreislaufs darstellen (Schulz 2006, 59).

Eine der Traumaufzeichnungen, die von Meret Oppenheim als Anima-Animus-Traum im Sinne C. G. Jungs ausgelegt wurden, ist z. B. die oben unter der Nr. 73 angeführte:

„Ich habe eine mich erfreuende „Rangerhöhung“ erfahren. Ich träumte, kurz danach: Ein Mann beklagte sich mir gegenüber, dass es für ihn unbequem sei, zur Türe aus- und einzugehn, weil gleichzeitig andere Leute an ihm vorbei wollten. Ich sagte etwas spöttisch zu ihm: „Sie finden wohl, man sollte eine zweite Türe für Sie aushauen“. Der Mann hatte tatsächlich eine erstaunlich grosse Brustweite = eine geschwellte Brust.“

Dazu führt Meret Oppenheim selbst folgendes aus (T 70) und erläutert ihr eigenes Verständnis von den männlichen und weiblichen Seelenanteilen, die in ihr (im „Ich selbst“) um ein „Gleichgewicht der Mächte“ streiten:

„Interessant, dass es mein männlicher Seelenteil (mein Animus) war, dem die Ehrung sozusagen „in die Brust gefahren“ war. „Ich selbst“ machte sich darüber lustig. Ein Beweis (mehr), wie unser Unbewusstsein für das innere Gleichgewicht sorgt.“

Ein weiteres Beispiel für einen Traum, den Meret Oppenheim im Sinne eines Anima-Animus-Traums deutete, ist der Traum Nr. 13 (T 17-19), welchen sie bereits im Jahr 1935 in Barcelona träumte und notierte:

„Ich bin mit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales steht. Den Wänden entlang geht ein griechisches Relief, ähnlich Parthenon. […] Der Mann, neben dem ich gehe, ist jetzt plötzlich mein Vater. Wir gehen nebeneinander auf einer Hochebene. Unten an den Hängen wachsen Tannen, von denen man aber nur die Spitzen sieht. Mein Vater zeigt auf eine Gruppe dieser Tannenwipfel (am Südhang), die sich stark bewegen und sagt: „Dort lernte ich Deine Mutter kennen.“ Ich sage: „Dort ist mein Mörder!“ Ich gehe den Hang hinunter, jetzt ist es, glaube ich der Nordhang, bis zum Fusse dieser Tannen. Dort sitzt, angelehnt an einen Stamm, ein älterer, sportlich gekleideter Herr, rostbraune Tweedjacke, graues kurzes Haar. Er richtet ein Messer auf mich. Ich berühre mit der Zeigefingerspitze der einen Hand die Spitze des Messers, mit dem andern Zeigefinger das Ende des Griffes, drehe das Messer herum und will gerade den Mann erstechen, als mein Vater neben mir steht und sagt: „Das tut man nicht“. Daraufhin gebe ich dem Mann einen Stoss, sodass er den Abhang hinunterrollt. Er rollt, indem er mit dem Zeigefinger die Stirne berührt und sieht aus, wie die Schlange (Uroborus), die sich in den Schwanz beisst.“

Im Jahr 1978 – also ca. 43 Jahre nach der Niederschrift des Traumes – formulierte Meret Oppenheim nachträglich folgende persönliche Trauminterpretation (T 18-19):

„[Es scheint mir, dass es mir jetzt, Mai 1978, gelungen ist, den Traum vom Sept. 1935 (in Barcelona) zu deuten. Der grauhaarige Mann (Vater), am Ort, wo mein Vater meine Mutter „kennengelernt hat“, wo ich also gezeugt wurde, im Tweedanzug, war ein Vertreter des Patriarchats in mir selbst, der auch mich gezeugt hatte. Auch ich trug also diese alte Einstellung in mir und war dadurch beteiligt an der Entwertung des Weiblichen, das, seit der Zeit, dass das Patriarchat dauert, auf das weibliche Geschlecht projiziert wird. Dabei handelt es sich bei diesem entwerteten Weiblichen nicht um die natürliche, Kinder gebärende Frau (wenn es sich auch, durch die Projektion, auf diese auswirkt), sondern um das geistig-weibliche Prinzip, das die Frauen und die Männer in sich selbst entwertet haben. Das bedeutet, dass es die patriarchalische Haltung in mir selbst ist, die das (geistig-) Weibliche in mir entwertet, „mordet“, und die gleichzeitig, wie es von altersher ihre Art ist, mich zurückhält, das (geistig-) Männliche in mir zu entwickeln und damit zur Ganzheit zu kommen. Diesen Vertreter des Patriarchats wollte ich ermorden. Mein Vater, vielleicht der Repräsentant des Männlichen auf einer höheren Stufe, ja, vielleicht sogar des Männlichen auf der Stufe, wo es vom Weiblichen nicht mehr geschieden ist (vielleicht auch des Ethischen an sich), gab mir den Rat, gegenüber der patriarchalischen Haltung wohl zu handeln, aber dieses männliche Prinzip nicht zu ermorden, also Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern ihm nur einen Anstoss zu geben, um damit eine Änderung der Situation herbeizuführen (die zur Entwicklung zur Ganzheit führen wird, für die der Uroborus, die Schlange, die sich in den Schwanz beisst, ein Symbol ist). Vielleicht ist die passive Haltung des „Patriarchen“, die es möglich machte, dass ich das Messer ohne Schwierigkeiten umdrehen und gegen ihn selbst richten konnte, eine Andeutung, dass dieses Unternehmen erfolgreich sein werde.]“

Wie die vorangegangenen Beispiele aufzeigen, bietet Meret Oppenheim zu ihren Traumaufzeichnungen manchmal Deutungsmöglichkeiten an, die auf zentrale Konzepte in C. G. Jungs Lehre und auch dort adressierte Symbole zurückgreifen. Meret Oppenheim hat sich lebenslang mit C. G. Jungs Ideen beschäftigt und diese haben ihre persönliche Perspektive auf ihre eigenen Träume geprägt, auch noch Jahrzehnte nach dem Notieren der Träume. Es kann spekuliert werden, dass sich eine solch intensive Beschäftigung mit Träumen und möglichen Deutungen nicht nur die Traumauffassung im Wachleben einer Person auswirkt, sondern eventuell auch das Träumen selbst prägen könnte. Um mit den Ideen Sigmund Freuds zu sprechen, die dieser in Die Traumdeutung formulierte, setzen sich Träume auch aus Erlebnissen im Wachleben zusammen (Freud 2014, 27), und die im Wachleben verinnerlichten und im Rahmen von Traumauslegungen angewandten Traumtheorieinhalte können so selbst zum „Traummaterial“ werden, was als ein sich selbst verstärkender Mechanismus betrachtet werden kann.

Die Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim eröffnen nicht nur einen interessanten Einblick in das Denken und das Seelenleben dieser außergewöhnlichen Künstlerin und Persönlichkeit, sie stellen darüber hinaus neben ihrem Wert für die kunsthistorische Forschung eine wahre Fundgrube spannender Perspektiven auf den Traum an sich für die kulturwissenschaftlich orientierte Traumforschung dar.


Literatur

Ausgaben

  • Oppenheim, Meret: Aufzeichnungen 1928-1985. Träume. Hg. von Christiane Meyer-Thoss. Bern, Berlin: Gachnang & Springer 1986 (Erstausgabe).
  • Oppenheim, Meret: Träume. Aufzeichnungen 1928–1985. Hg. mit einem Nachwort von Christiane Meyer-Thoss. Berlin: Suhrkamp 2. Auflage 2013; zitiert mit der Sigle T.

Kontexte

  • Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt/M.: Fischer 15., unveränderte. Aufl. 2014.
  • Jung, Carl Gustav: Traum und Traumdeutung. München: dtv 2001.

Forschungsliteratur

  • Baur, Simon: Meret Oppenheim. Eine Einführung. Hg. von Christian Fluri. Basel: Merian 2013.
  • Baur, Simon: Meret Oppenheim Geheimnisse. Eine Reise durch Leben und Werk. Zürich: Scheidegger & Spiess 2021.
  • Curiger, Bice: Meret Oppenheim. Spuren durchstandener Freiheit. Zürich: ABC 3. Aufl. 1989.
  • Helfenstein, Josef: Meret Oppenheim und der Surrealismus. Stuttgart: Hatje 1993.
  • Meyer-Thoss, Christiane: Editorische Notiz. In: T 117.
  • Meyer-Thoss, Christiane: Komplizin des Traums. Meret Oppenheim in ihren Traumaufzeichnungen. In: T 85-111.
  • Meyer-Thoss, Christiane: Maskerade und Spiele der Verwandlung. In: Meret Oppenheim: „Warum ich meine Schuhe liebe“. Mode – Zeichnungen und Gedichte. Hg. und mit einem Nachwort von Christiane Meyer-Thoss. Berlin: Insel 3. Auflage 2013b, 69-87.
  • Oberhuber, Andrea: Figuration de soi et de l’autre chez Meret Oppenheim. In: Mélusine 33 (2013), 111-123.
  • Probst, Rudolf/Magnus Wieland (Hg.): Meret Oppenheim; Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs 48 (2020).
  • Schulz, Isabel: „Edelfuchs im Morgenrot“. Studien zum Werk von Meret Oppenheim. München: Schreiber 1993.
  • Schulz, Isabel: Die „Allmacht des Traumes“. Traum und Unbewusstes im Werk von Meret Oppenheim In: Therese Bhattacharya-Stettler/Matthias Frehner (Hg.): Meret Oppenheim. Retrospektive: „mit ganz enorm wenig viel“. Ostfildern: Hatje Cantz 2006, 51-62.


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Houy, Constantin: "Träume" (Meret Oppenheim). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2022; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Tr%C3%A4ume%22_(Meret_Oppenheim).

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