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Adornos bizarre Traumbeschreibung evoziert vielschichtige Bilder und Gefühle, die unter anderem mit seinen Erfahrungen als Schüler an der kürzlich wieder besuchten Schule verknüpft sind. Zum Zeitpunkt des Traumes „huldigt“ ihm sein „alter widerwärtiger Musiklehrer, was für einen international bekannten und bedeutenden Komponisten, Musiktheoretiker und -kritiker wohl kein allzu besonderes Ereignis darstellen oder gar einer „Wunscherfüllung“ entsprechen dürfte. Für einen Schüler allerdings, der – auf der Grundlage von Adornos Beschreibungsvokabular schlussfolgernd und aus welchen Gründen auch immer – keine allzu große Sympathie für den Lehrer hegte, könnte dies allerdings doch ein befriedigendes Erlebnis darstellen und möglicherweise ein „alter“ Wunsch des Schülers Theodor Wiesengrund in Erfüllung gehen. Weiterhin erscheint bei dieser Traumbeschreibung besonders interessant, dass sich Adorno bezüglich des Tanzens – einer Tätigkeit, die ihm nach eigenen Aussagen nicht besonders liegt – ganz der aufrechtstehenden und gutgekleideten Dogge, die er ganz ohne Ironie oder sonstige Untertöne in einem sehr positiven Licht beschreibt, „überlässt“ und so – eventuell wie von einem guten (Tanz-)Lehrer geführt – „zum ersten Mal im Leben“ ein äußerst angenehmes und befriedigendes Erlebnis bei dieser Tätigkeit hat. Auch der letzte Hinweis des Protokolls („Höchst befriedigt aufgewacht“) deutet implizit auf Adornos Auffassung von Träumen als mögliche Erfüllungen unbewusster Wünsche hin, welche im Einklang mit den Ideen Sigmund Freuds steht.
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Adornos bizarre und höchstkomische Traumbeschreibung evoziert vielschichtige Bilder und Gefühle, die unter anderem mit seinen Erfahrungen als Schüler an der kürzlich wieder besuchten Schule verknüpft sind. Zum Zeitpunkt des Traumes „huldigt“ ihm sein „alter widerwärtiger Musiklehrer, was für einen international bekannten und bedeutenden Komponisten, Musiktheoretiker und -kritiker wohl kein allzu besonderes Ereignis darstellen oder gar einer „Wunscherfüllung“ entsprechen dürfte. Für einen Schüler allerdings, der – auf der Grundlage von Adornos Beschreibungsvokabular schlussfolgernd und aus welchen Gründen auch immer – keine allzu große Sympathie für den Lehrer hegte, könnte dies allerdings doch ein befriedigendes Erlebnis darstellen und möglicherweise ein „alter“ Wunsch des Schülers Theodor Wiesengrund in Erfüllung gehen. Weiterhin erscheint bei dieser Traumbeschreibung besonders interessant, dass sich Adorno bezüglich des Tanzens – einer Tätigkeit, die ihm nach eigenen Aussagen nicht besonders liegt – ganz der aufrechtstehenden und gutgekleideten Dogge, die er ganz ohne Ironie oder sonstige Untertöne in einem sehr positiven Licht beschreibt, „überlässt“ und so – eventuell wie von einem guten (Tanz-)Lehrer geführt – „zum ersten Mal im Leben“ ein äußerst angenehmes und befriedigendes Erlebnis bei dieser Tätigkeit hat. Auch der letzte Hinweis des Protokolls („Höchst befriedigt aufgewacht“) deutet implizit auf Adornos Auffassung von Träumen als mögliche Erfüllungen unbewusster Wünsche hin, welche im Einklang mit den Ideen Sigmund Freuds steht. Allerdings erzählt Adorno diesen Traum auch auf eine Art und Weise, die das Traum-Ich, das mit dem Hund Küsse austauscht und sich der Freude am Tanzen hingibt, belustigend oder gar lächerlich wirken lassen. Es ist insofern auch recht verwunderlich, dass Adorno am Ende dieses Traumes nicht, wie so oft in seiner Sammlung, notiert, dass er "lachend aufgewacht" sei, sondern "befriedigt".
    
In einem weiteren, hier exemplarisch betrachteten Traum (Nr. 78 der obigen Liste) deutet Adorno mit einem abschließenden Kommentar an, dass er diesen für ein „Fressen für einen Analytiker“ hält (T 68 f.):
 
In einem weiteren, hier exemplarisch betrachteten Traum (Nr. 78 der obigen Liste) deutet Adorno mit einem abschließenden Kommentar an, dass er diesen für ein „Fressen für einen Analytiker“ hält (T 68 f.):
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Eindrücklich bei dieser Traumbeschreibung ist das traumtypische unvermittelte Aufeinandertreffen zahlreicher inhaltlich disparater Elemente (Konzert in der Aula der Universität, Glassplitter und Strümpfe, Rektor und romantische Rechtsphilosophie, Pächter und Hausherr, Freundin, umsorgte Person auf Trägergerüst, verschiedene Personen und Abschiedsgrüße). Auffällig ist dabei, dass Adorno in diesem Protokoll sein eigenes Handeln – das Ausziehen der Strümpfe, bevor er den mit Glassplittern bedeckten Boden betritt – mitten in der Beschreibung, wie von außen, als "töricht" beurteilt. Weshalb die beschriebenen Trauminhalte für Adorno derart brisant sind, dass er sie für ein „Fressen für einen Analytiker“ hält, erschließt sich aufgrund der eingeführten Abkürzungen für die Personennamen nicht vollständig, weil keine gesicherten Rückschlüsse bezüglich der tatsächlichen Personenkonstellationen oder -beziehungen getroffen werden können. Allerdings ist festzustellen, dass für Adorno ein besonderes Augenmerk auf den „Abschiedsgrüße[n] von Fräulein Sch.“ zu liegen scheint, die er mit der Person „E.“ in Verbindung bringt und wegen denen er „lachend“ aufwachte. Sein angeführter Nachsatz deutet allerdings zweifelsfrei auf seine Traumauffassung hin, die über den referenzierten Ansatz der ''Psychoanalyse'' sowie ''Traumdeutung'' mit den Ideen Sigmund Freuds verknüpft ist.
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Eindrücklich bei dieser Traumbeschreibung ist das traumtypische unvermittelte Aufeinandertreffen zahlreicher inhaltlich disparater Elemente (Konzert in der Aula der Universität, Glassplitter und Strümpfe, Othmar Spann als Rektor, Pächter und Hausherr, Freundin, umsorgte Person auf Trägergerüst, verschiedene Personen und Abschiedsgrüße). Der erste große Teil des beschriebenen Traumes, der sich mit dem "Zugang" zur Universität und dem Treffen mit dem Rektor der Universität, im Traum Othmar Spann (1878-1950), österreichischer Nationalökonom, Philosoph und Soziologe sowie ein Wegbereiter des Faschismus in Österreich, beschäftigt, lässt sich als eine Einschätzung Adornos zur allgemeinen Lage an bundesdeutschen Universitäten in den 1950er Jahren verstehen, aus der sich auch Adornos eigene schwierige berufliche Entwicklung ergab und die ihm einen nahezu "törichten" Mut abverlangte, wie Adorno in der Traumbeschreibung hinsichtlich seines eigenen Handelns – das Ausziehen der Strümpfe, bevor er den mit Glassplittern bedeckten Boden betritt – wie von außen, d. h. aus einer Außenperspektive auf den Traum urteilt. Weiterhin könnten die beschriebenen Trauminhalte für Adorno als derart brisant gelten, dass er sie für ein „Fressen für einen Analytiker“ hält, weil außerdem im zweiten größeren Themenkomplex dieses Traumprotokolls zahlreiche anonymisierte Personennamen auftreten (G steht höchstwahrscheinlich für Gretel, Adornos Ehefrau; alle anderen Abkürzungen sind nicht ohne weiteres direkt zugänglich) und sich insbesondere aus der Bemerkung bezüglich der "allerherzlichsten Abschiedsgrüße von Fräulein Sch." schließen lassen könnte, dass es sich hier überwiegend um deutlich jüngere Frauen handeln könnte. Die beschriebenen Begegnungen und Konstellationen könnte im Zusammenhang mit Adornos bekanntermaßen zahlreichen Liebschaften in Verbindung stehen. Besonders die Abschiedsgrüße schienen Adorno zum Lachen über das Traum-Ich zu bringen. Der angeführter Nachsatz zum "Fressen für einen Analytiker" deutet wieder zweifelsfrei auf eine Traumauffassung hin, die über den referenzierten Ansatz der ''Psychoanalyse'' sowie der ''Traumdeutung'' zumindest teilweise mit den Ideen Sigmund Freuds verknüpft ist.
    
Insgesamt ermöglicht die publizierte Sammlung von Adornos Traumprotokollen nicht nur aufgrund ihres Umfangs und Vielseitigkeit weitere Deutungen und Interpretationen. Die vorhandene Literatur geht bisher nur auf einen überschaubaren Teil der aufgezeichneten Träume Adornos in detaillierter Form ein, weshalb aus der Betrachtung von Adornos Traumprotokollen sowohl für die Traum- als auch für die Adorno-Forschung noch erhebliches Erkenntnispotential vorhanden und in Zukunft noch weiter herauszuarbeiten ist.
 
Insgesamt ermöglicht die publizierte Sammlung von Adornos Traumprotokollen nicht nur aufgrund ihres Umfangs und Vielseitigkeit weitere Deutungen und Interpretationen. Die vorhandene Literatur geht bisher nur auf einen überschaubaren Teil der aufgezeichneten Träume Adornos in detaillierter Form ein, weshalb aus der Betrachtung von Adornos Traumprotokollen sowohl für die Traum- als auch für die Adorno-Forschung noch erhebliches Erkenntnispotential vorhanden und in Zukunft noch weiter herauszuarbeiten ist.

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