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==Werkentstehung und Werkstruktur==
 
==Werkentstehung und Werkstruktur==
Jungs ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' entstand nach einem langen Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit Traumsymbolen, der nach dem Bruch mit seinem ehemaligen Mentor Freud im Jahr 1914 einsetzte und bis in die 1930er Jahre andauerte. Zwischen 1914 und 1930 arbeitete Jung insgesamt 16 Jahre an seinen eigenen, inneren Bildern, die schließlich – nach seinem Tod – im ''Roten Buch'' kulminierten. Jung verfügte zu Lebzeiten, dass seine eigenen Träume und Visionen nicht veröffentlicht werden sollten, möglicherweise auch deshalb, weil er sich durch die Beschäftigung mit den eigenen Träumen auch von einer depressiven Verstimmung zu lösen versuchte (vgl. Greene 2018, 2). Erst im Jahr 2009 konnten deshalb diese lange geheim gebliebenen Ego-Dokumente der Öffentlichkeit mit der Publikation des ''Roten Buches'' zugänglich gemacht. Im Ergebnis grenzt sich der von Jung konstruierte Konnex von Traum und Individuation in vielen wesentlichen Punkten von Freuds Diktum des Wunscherfüllungstraums sowie von Adlers "Wille zur Macht"- Prinzip ab (Jung GW 7, 41-42). Bei dieser Abgrenzung spielen neben eigenen Traumerfahrungen auch zahlreiche spirituelle, religiöse oder aus anderen Symbolquellen stammende, individuationsrelevante Traumerfahrungen, die ihm von Patienten und anderen Versuchspersonen mitgeteilt wurden, eine wichtige Rolle. Je länger Jung anhand von Traumbeobachtungen an seiner Individuationstheorie forschte, desto stärker wuchs sein Interesse an überindividuellen Einflussfaktoren auf das menschliche Traumerleben (vgl. u.a. Etheber 1998, 82-86; Roesler/ Vogel 2016, 36). In seiner Privatpraxis in Küsnacht entwickelte Jung die Technik der sogenannten "aktiven Imagination", auf deren Grundlage er in einem zweiten Schritt das persönliche und kollektive Unbewusste zu erforschen und auf archetypische Bilder zurückzuführen versuchte (vgl. Graf-Nold 2014). Bereits als junger Arzt in der Psychiatrie kam Jung auf die Idee, dass es sich bei den Wahrnehmungen von vielen psychisch erkrankten Menschen keineswegs um simple mentale Irreleitungen handele, sondern darin sehr viel häufiger rational verdrängtes, archetypisches Denken zum Ausdruck komme. Vor allem aber seine jahrelange Auseinandersetzung mit antiken Werken, mit der Astrologie, der Alchemie und nicht zuletzt mit seinen eigenen Träumen, welche Bilder im Grenzbereich von Halbschlafbildern, Halluzinationen und Visionen produziert hätten (vgl. Kluger 2011, 225-227), habe ihn in seinem Glauben an überindividuelle und überzeitliche Traumstrukturen bestärkt. (vgl. Greene 2018, 2-5).  
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Jungs ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' entstand nach einem langen Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit Traumsymbolen, der nach dem Bruch mit seinem ehemaligen Mentor Freud im Jahr 1914 einsetzte und bis in die 1930er Jahre andauerte. Zwischen 1914 und 1930 arbeitete Jung insgesamt 16 Jahre an seinen eigenen, inneren Bildern, die schließlich – nach seinem Tod – im ''Roten Buch'' kulminierten. Jung verfügte zu Lebzeiten, dass seine eigenen Träume und Visionen nicht veröffentlicht werden sollten, möglicherweise auch deshalb, weil er sich durch die Beschäftigung mit den eigenen Träumen auch von einer depressiven Verstimmung zu lösen versuchte (vgl. Greene 2018, 2). Erst im Jahr 2009 konnten deshalb diese lange geheim gebliebenen Ego-Dokumente der Öffentlichkeit mit der Publikation des ''Roten Buches'' zugänglich gemacht werden. Im Ergebnis grenzt sich der von Jung konstruierte Konnex von Traum und Individuation in vielen wesentlichen Punkten von Freuds Diktum des Wunscherfüllungstraums sowie von Adlers "Wille zur Macht"- Prinzip ab (Jung GW 7, 41-42). Bei dieser Abgrenzung spielen neben eigenen Traumerfahrungen auch zahlreiche spirituelle, religiöse oder aus anderen Symbolquellen stammende, individuationsrelevante Traumerfahrungen, die ihm von Patienten und anderen Versuchspersonen mitgeteilt wurden, eine wichtige Rolle. Je länger Jung anhand von Traumbeobachtungen an seiner Individuationstheorie forschte, desto stärker wuchs sein Interesse an überindividuellen Einflussfaktoren auf das menschliche Traumerleben (vgl. u.a. Etheber 1998, 82-86; Roesler/ Vogel 2016, 36). In seiner Privatpraxis in Küsnacht entwickelte Jung die Technik der sogenannten "aktiven Imagination", auf deren Grundlage er in einem zweiten Schritt das persönliche und kollektive Unbewusste zu erforschen und auf archetypische Bilder zurückzuführen versuchte (vgl. Graf-Nold 2014). Bereits als junger Arzt in der Psychiatrie kam Jung auf die Idee, dass es sich bei den Wahrnehmungen von vielen psychisch erkrankten Menschen keineswegs um simple mentale Irreleitungen handele, sondern darin sehr viel häufiger rational verdrängtes, archetypisches Denken zum Ausdruck komme. Vor allem aber seine jahrelange Auseinandersetzung mit antiken Werken, mit der Astrologie, der Alchemie und nicht zuletzt mit seinen eigenen Träumen, welche Bilder im Grenzbereich von Halbschlafbildern, Halluzinationen und Visionen produziert hätten (vgl. Kluger 2011, 225-227), habe ihn in seinem Glauben an überindividuelle und überzeitliche Traumstrukturen bestärkt. (vgl. Greene 2018, 2-5).  
 
Bereits während des Ersten Weltkriegs, in dem er bereits als Arzt tätig war, stellte sich Jung die Frage, "warum Menschen lieber ihre Brüder töten, als in sich selbst nach ihren Schatten zu suchen" (Sadigh 2011). In den 1920er Jahren unternahm Jung ausgedehnte Reisen, die ihn zu den Pueblo-Indianern nach Nordamerika sowie nach Nord- und Ostafrika führten. Während dieser Zeit gelangte Jung zunehmend zu der Überzeugung, dass die Analyse von Symbolen, die der eigenen imaginativen Erfahrung entspringen, in einem dialektischen Prozess zu einer Integration des Unbewussten ins Bewusstsein führen müsste, indem das Ich selbst in die Träume oder die Imagination eindringt und in einen Dialog mit den dort agierenden, unbewussten Figuren tritt (vgl. Kast 2014, 38).  
 
Bereits während des Ersten Weltkriegs, in dem er bereits als Arzt tätig war, stellte sich Jung die Frage, "warum Menschen lieber ihre Brüder töten, als in sich selbst nach ihren Schatten zu suchen" (Sadigh 2011). In den 1920er Jahren unternahm Jung ausgedehnte Reisen, die ihn zu den Pueblo-Indianern nach Nordamerika sowie nach Nord- und Ostafrika führten. Während dieser Zeit gelangte Jung zunehmend zu der Überzeugung, dass die Analyse von Symbolen, die der eigenen imaginativen Erfahrung entspringen, in einem dialektischen Prozess zu einer Integration des Unbewussten ins Bewusstsein führen müsste, indem das Ich selbst in die Träume oder die Imagination eindringt und in einen Dialog mit den dort agierenden, unbewussten Figuren tritt (vgl. Kast 2014, 38).  
 
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel Jung in den Jahren 1933 und 1934 mehrfach mit öffentlichen Äußerungen auf, die antisemitisch gedeutet werden können. Mit zeitlichem Voranschreiten des Bestehens der nationalsozialistischen Diktatur änderte Jung seine Rhetorik und öffentliche Handlungsweise hingegen immer deutlicher: Nicht nur verbal, sondern auch mit Taten stellte Jung sich während der 1930er Jahre zusehends gegen jedwede nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuche (vgl. u.a. Jungs "persönliche Gleichung": Jung GW 10 (1933), 25-26; für die allgemeine Einordnung seiner Haltung gegenüber nationalsozialistischem Gedankengut: Grunert (1984) Gess (1994), Adler und Jaffé 2001 (1973), Bair (2005), Kirsch (2012), Sorge (2016)). So bemühte sich Jung als Präsident der 1934 neugeschaffenen Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP) um die Einhaltung von elementaren, rechtlichen Strukturen der bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Zürich ansässigen Gesellschaft. Diese sollte von Deutschland unabhängig und politisch neutral bleiben sowie darüber hinaus dezidiert auch jüdischen Psychotherapeuten, die von der deutschen Landesgruppe ausgeschlossen worden waren, zu einer individuellen Gesellschaftsmitgliedschaft verhelfen (vgl. Bair 2005, 638-639).  
 
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel Jung in den Jahren 1933 und 1934 mehrfach mit öffentlichen Äußerungen auf, die antisemitisch gedeutet werden können. Mit zeitlichem Voranschreiten des Bestehens der nationalsozialistischen Diktatur änderte Jung seine Rhetorik und öffentliche Handlungsweise hingegen immer deutlicher: Nicht nur verbal, sondern auch mit Taten stellte Jung sich während der 1930er Jahre zusehends gegen jedwede nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuche (vgl. u.a. Jungs "persönliche Gleichung": Jung GW 10 (1933), 25-26; für die allgemeine Einordnung seiner Haltung gegenüber nationalsozialistischem Gedankengut: Grunert (1984) Gess (1994), Adler und Jaffé 2001 (1973), Bair (2005), Kirsch (2012), Sorge (2016)). So bemühte sich Jung als Präsident der 1934 neugeschaffenen Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP) um die Einhaltung von elementaren, rechtlichen Strukturen der bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Zürich ansässigen Gesellschaft. Diese sollte von Deutschland unabhängig und politisch neutral bleiben sowie darüber hinaus dezidiert auch jüdischen Psychotherapeuten, die von der deutschen Landesgruppe ausgeschlossen worden waren, zu einer individuellen Gesellschaftsmitgliedschaft verhelfen (vgl. Bair 2005, 638-639).  
 
Auch innerhalb seines wissenschaftlichen Werks versuchte Jung seit der Mitte der 1930er Jahre verstärkt jeglicher Vereinnahmung durch Politik oder Religion entgegenzuwirken.  
 
Auch innerhalb seines wissenschaftlichen Werks versuchte Jung seit der Mitte der 1930er Jahre verstärkt jeglicher Vereinnahmung durch Politik oder Religion entgegenzuwirken.  
Diese späte Einsicht in die religionspolitische Neutralitätsverpflichtung spiegelt sich auch in ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' wider. Anstelle von religiösen Einflussfaktoren rücken nunmehr alchemistische Argumentationsketten in den Vordergrund. Besonders an Textstellen, welche die Entschlüsselung von überindividuellen Traumsymbolen thematisieren, kommt Jungs denkerische Distanzierung vom Christentum nunmehr deutlich zum Ausdruck. Insbesondere die Erfahrung seiner Indienreise (1938) könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, in deren Verlauf er unter anderem das buddhistische Kloster von Bhutia Busty besuchte und mit dem "lamaistischen Rimpotche namens Lindam Gomchen über das Mandala" (Jung GW 12, 115) sprach. Zugleich ereignete sich Jungs Idee, einem verborgenen Konnex zwischen Buddhismus, Alchemie und Psychologie in den Tiefen des menschlichen Unbewussten nachzuspüren, keineswegs zufällig. Bereits seine vor der Indienreise begonnene Paracelsus-Lektüre gab ihm entsprechende Impulse, weil er in Paracelsus‘ Werk eine seinem eigenen Denken ähnliche geistige Konfliktlinie zwischen "Wissen und Glauben" (vgl. Jung GW 13, 131) entdeckt zu haben glaubte. Seine im zunehmenden Alter gesteigerte Skepsis gegenüber der Verschiebbarkeit "der Grenze des Erkennbaren" innerhalb der psychologischen Disziplin verschriftliche er schließlich in seinem Werk ''Mysterium Coniunctionis'' (vgl. Jung GW 14, 130).  
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Diese späte Einsicht in die religionspolitische Neutralitätsverpflichtung spiegelt sich auch in ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' wider. Anstelle von religiösen Einflussfaktoren rücken nunmehr alchemistische Argumentationsketten in den Vordergrund. Besonders an Textstellen, welche die Entschlüsselung von überindividuellen Traumsymbolen thematisieren, kommt Jungs denkerische Distanzierung vom Christentum nunmehr deutlich zum Ausdruck. Insbesondere die Erfahrung seiner Indienreise (1938) könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, in deren Verlauf er unter anderem das buddhistische Kloster von Bhutia Busty besuchte und mit dem "lamaistischen Rimpotche namens Lindam Gomchen über das Mandala" (Jung GW 12, 115) sprach. Zugleich ereignete sich Jungs Idee, einem verborgenen Konnex zwischen Buddhismus, Alchemie und Psychologie in den Tiefen des menschlichen Unbewussten nachzuspüren, keineswegs zufällig. Bereits seine vor der Indienreise begonnene Paracelsus-Lektüre gab ihm entsprechende Impulse, weil er in Paracelsus' Werk eine seinem eigenen Denken ähnliche geistige Konfliktlinie zwischen "Wissen und Glauben" (vgl. Jung GW 13, 131) entdeckt zu haben glaubte. Seine im zunehmenden Alter gesteigerte Skepsis gegenüber der Verschiebbarkeit "der Grenze des Erkennbaren" innerhalb der psychologischen Disziplin verschriftliche er schließlich in seinem Werk ''Mysterium Coniunctionis'' (vgl. Jung GW 14, 130).  
 
Unter diesen Gesichtspunkten erscheint das im Kapitel "Einleitung in die religionspsychologische Problematik der Alchemie" genutzte Stilmittel der Prokatalepsis zugleich als Zusammenfassung seines forscherischen Erkenntnisinteresses und als erneuerte Kritik an Freud. Bereits in ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' kündigt sich Jungs auf Ganzheitlichkeit ausgerichteter tiefenpsychologischer Ansatz an, der sich gleichermaßen von der (christlichen) Religion wie von biologisch verengten Psychologieansätzen emanzipiert:  
 
Unter diesen Gesichtspunkten erscheint das im Kapitel "Einleitung in die religionspsychologische Problematik der Alchemie" genutzte Stilmittel der Prokatalepsis zugleich als Zusammenfassung seines forscherischen Erkenntnisinteresses und als erneuerte Kritik an Freud. Bereits in ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' kündigt sich Jungs auf Ganzheitlichkeit ausgerichteter tiefenpsychologischer Ansatz an, der sich gleichermaßen von der (christlichen) Religion wie von biologisch verengten Psychologieansätzen emanzipiert:  
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: <span style="color: #7b879e;">„In Erinnerung an die bald ein halbes Jahrhundert hinter uns liegenden Anfangszeiten der Analyse mit ihren pseudobiologischen Auffassungen und Entwertungen des seelischen Entwicklungsprozesses wird das Verharren in der analytischen Arbeit gerne als "Lebensflucht", "unabgelöste Übertragung", "Autoerotismus" und was der unliebenswürdigen Auffassungen mehr sind, bezeichnet. […] Der richtige Weg zur Ganzheit aber besteht – leider – aus schicksalsmäßigen Um- und Irrwegen. Es ist eine "longissima via", […] ein Pfad, dessen labyrinthische Verschlungenheit des Schreckens nicht entbehrt. […]  Eine ausschließlich religiöse Projektion kann die Seele ihrer Werte berauben, so daß sie sich infolge der Inanition [Entleerung] nicht mehr weiter zu entwickeln vermag und in einem unbewußten Zustand steckenbleibt." (Jung GW 12, 19-20, 22-23).</span>
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: <span style="color: #7b879e;">„In Erinnerung an die bald ein halbes Jahrhundert hinter uns liegenden Anfangszeiten der Analyse mit ihren pseudobiologischen Auffassungen und Entwertungen des seelischen Entwicklungsprozesses wird das Verharren in der analytischen Arbeit gerne als "Lebensflucht", "unabgelöste Übertragung", "Autoerotismus" und was der unliebenswürdigen Auffassungen mehr sind, bezeichnet. […] Der richtige Weg zur Ganzheit aber besteht – leider – aus schicksalsmäßigen Um- und Irrwegen. Es ist eine "longissima via", […] ein Pfad, dessen labyrinthische Verschlungenheit des Schreckens nicht entbehrt. […]  Eine ausschließlich religiöse Projektion kann die Seele ihrer Werte berauben, so daß sie sich infolge der Inanition [Entleerung] nicht mehr weiter zu entwickeln vermag und in einem unbewußten Zustand steckenbleibt" (Jung GW 12, 19-20, 22-23).</span>
 
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:<span style="color: #7b879e;">„Sie nehmen an, wie man es gewöhnlich tut, dass ich mich an eine bestimmte Methode halte. Das ist ein großer Irrtum. Ich besitze überhaupt keine Methode, wenn es um den individuellen Fall geht. Wenn ich über das spreche oder schreibe, was ich tue, dann abstrahiere ich von der Gesamtheit meiner individuellen Erfahrungen von dem, was bei einer Analyse  geschieht, und ich konstruiere eine Methode zu pädagogischen Zwecken. […] Doch es würde beinahe übermenschliches Genie erfordern, um ein Bild von dem zu malen, was ich tue. […] Das menschliche Individuum ist nichts, was man begreifen oder klassifizieren kann, wenn man die Existenz des Unbewussten in Rechnung zieht. Doch genau das ist der Fehler des zeitgenössischen Denkens, dass es die Existenz des Unbewussten nicht mit berücksichtigt[.]" (zit. nach: Bair 2005, 542-543).</span>
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:<span style="color: #7b879e;">„Sie nehmen an, wie man es gewöhnlich tut, dass ich mich an eine bestimmte Methode halte. Das ist ein großer Irrtum. Ich besitze überhaupt keine Methode, wenn es um den individuellen Fall geht. Wenn ich über das spreche oder schreibe, was ich tue, dann abstrahiere ich von der Gesamtheit meiner individuellen Erfahrungen von dem, was bei einer Analyse  geschieht, und ich konstruiere eine Methode zu pädagogischen Zwecken. […] Doch es würde beinahe übermenschliches Genie erfordern, um ein Bild von dem zu malen, was ich tue. […] Das menschliche Individuum ist nichts, was man begreifen oder klassifizieren kann, wenn man die Existenz des Unbewussten in Rechnung zieht. Doch genau das ist der Fehler des zeitgenössischen Denkens, dass es die Existenz des Unbewussten nicht mit berücksichtigt" (zit. nach: Bair 2005, 542-543).</span>
 
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Paulis Traumspektrum stützt sich auf eine zehnmonatige Traumnotatserie, die Jung allerdings nicht als Ganzes und im Originalzustand mitveröffentlichte. Stattdessen zitiert Jung seine Traum-Versuchsperson in sehr verkürzender, wenn nicht gar zensierter Form und ergänzt eigene Bearbeitungen und Erläuterungen, um, wie er schreibt, die Privatsphäre des in der Öffentlichkeit stehenden Forschers zu wahren (vgl. ebd., 61). Obgleich die empirische Aussagekraft der Gesamtuntersuchung dadurch, dass Jungs Vorgehensweise nicht an den Gütekriterien von Validität, Reliabilität und Objektivität orientiert ist, stark eingeschränkt ist (vgl. Henderson 1975, 117), erscheint der Ansatz, das ''Selbst'' aus einer quantitativ großen Traumserie gleichsam als ästhetische Strukturform herauszuschälen, innovativ. Nur die letzten 55 der 400 berücksichtigten Träume wurden dabei zwischen dem Probanden und Jung selbst besprochen, wohingegen die ersten 345 Träume ohne jeglichen Kontakt zwischen beiden verschriftlich wurden. Dieses Vorgehen begründet Jung mit dem Motiv, dass er jegliche Beeinflussung seines Probanden verhindern wollte (vgl. ebd., 60-61). Die Serie fungiert als selbstreferenzieller Bezugsrahmen, der für die einzelnen Träume mit all ihrer Fragmentiertheit und Bizarrheit eine Kontextualisierung liefert.
 
Paulis Traumspektrum stützt sich auf eine zehnmonatige Traumnotatserie, die Jung allerdings nicht als Ganzes und im Originalzustand mitveröffentlichte. Stattdessen zitiert Jung seine Traum-Versuchsperson in sehr verkürzender, wenn nicht gar zensierter Form und ergänzt eigene Bearbeitungen und Erläuterungen, um, wie er schreibt, die Privatsphäre des in der Öffentlichkeit stehenden Forschers zu wahren (vgl. ebd., 61). Obgleich die empirische Aussagekraft der Gesamtuntersuchung dadurch, dass Jungs Vorgehensweise nicht an den Gütekriterien von Validität, Reliabilität und Objektivität orientiert ist, stark eingeschränkt ist (vgl. Henderson 1975, 117), erscheint der Ansatz, das ''Selbst'' aus einer quantitativ großen Traumserie gleichsam als ästhetische Strukturform herauszuschälen, innovativ. Nur die letzten 55 der 400 berücksichtigten Träume wurden dabei zwischen dem Probanden und Jung selbst besprochen, wohingegen die ersten 345 Träume ohne jeglichen Kontakt zwischen beiden verschriftlich wurden. Dieses Vorgehen begründet Jung mit dem Motiv, dass er jegliche Beeinflussung seines Probanden verhindern wollte (vgl. ebd., 60-61). Die Serie fungiert als selbstreferenzieller Bezugsrahmen, der für die einzelnen Träume mit all ihrer Fragmentiertheit und Bizarrheit eine Kontextualisierung liefert.
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:<span style="color: #7b879e;">„Dieser prinzipiellen Haltung dem Traum gegenüber scheint nun die Methode, die ich in dieser Untersuchung verfolge, direkt ins Gesicht zu schlagen. Es hat den Anschein, als ob die Träume ›gedeutet‹ würden […] ohne die leiseste Rücksicht auf den Kontext. In der Tat habe ich nirgends den Kontext aufgenommen; denn die Traumserie fand überhaupt (wie oben bemerkt) gar nicht unter meiner Beobachtung statt. Ich verfahre gewissermaßen so, wie wenn ich selber die Träume gehabt hätte und deshalb imstande wäre, den Kontext selber zu liefern. Dieses Vorgehen wäre, auf isolierte Träume eines mir persönlich so gut wie Unbekannten angewendet, ein grober Kunstfehler. Hier handelt es sich aber nicht um isolierte Träume, sondern um zusammenhängende Serien, in deren Verlauf sich der Sinn allmählich von selber gewissermaßen herauswickelt. Die Serie nämlich ist der Kontext, den der Träumer selber liefert." (ebd., 62-64)</span>
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:<span style="color: #7b879e;">„Dieser prinzipiellen Haltung dem Traum gegenüber scheint nun die Methode, die ich in dieser Untersuchung verfolge, direkt ins Gesicht zu schlagen. Es hat den Anschein, als ob die Träume ›gedeutet‹ würden […] ohne die leiseste Rücksicht auf den Kontext. In der Tat habe ich nirgends den Kontext aufgenommen; denn die Traumserie fand überhaupt (wie oben bemerkt) gar nicht unter meiner Beobachtung statt. Ich verfahre gewissermaßen so, wie wenn ich selber die Träume gehabt hätte und deshalb imstande wäre, den Kontext selber zu liefern. Dieses Vorgehen wäre, auf isolierte Träume eines mir persönlich so gut wie Unbekannten angewendet, ein grober Kunstfehler. Hier handelt es sich aber nicht um isolierte Träume, sondern um zusammenhängende Serien, in deren Verlauf sich der Sinn allmählich von selber gewissermaßen herauswickelt. Die Serie nämlich ist der Kontext, den der Träumer selber liefert" (ebd., 62-64).</span>
 
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Den "Kontext" von Träumen verortet Jung wiederum in der Nähe der alchemistischen Tradition. Denn im Gegensatz zu den Riten und Dogmen der christlichen Kirche, die von einer Entfremdung von den "naturhaften Wurzeln im Unbewußten" (ebd., 51) geprägt seien, seien Astrologie und Alchemie immer um die Aufrechterhaltung von Brücken zum Unbewussten bemüht gewesen. Außerdem hätte insbesondere die Alchemie aufgrund ihres Wandelns auf schmalem Grat, der historisch betrachtet meist an der Schwelle zur Häresie verlaufen sei, stets mit einer allegorischen Bild- und Symbolsprache operiert, die "Anlaß zur Projektion jener Archetypen" (ebd.) gegeben hätte, die sich nicht reibungslos in den christlichen Prozess hätten einfügen lassen.
 
Den "Kontext" von Träumen verortet Jung wiederum in der Nähe der alchemistischen Tradition. Denn im Gegensatz zu den Riten und Dogmen der christlichen Kirche, die von einer Entfremdung von den "naturhaften Wurzeln im Unbewußten" (ebd., 51) geprägt seien, seien Astrologie und Alchemie immer um die Aufrechterhaltung von Brücken zum Unbewussten bemüht gewesen. Außerdem hätte insbesondere die Alchemie aufgrund ihres Wandelns auf schmalem Grat, der historisch betrachtet meist an der Schwelle zur Häresie verlaufen sei, stets mit einer allegorischen Bild- und Symbolsprache operiert, die "Anlaß zur Projektion jener Archetypen" (ebd.) gegeben hätte, die sich nicht reibungslos in den christlichen Prozess hätten einfügen lassen.
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: <span style="color: #7b879e;">„Es steht für mich außer Frage, daß im Osten diese Symbole ursprünglich aus Träumen und Visionen entstanden und nicht von irgendeinem Mahayana-Kirchenvater erfunden wurden. Sie gehören im Gegenteil zu den ältesten religiösen Symbolen der Menschheit […] und sind vielleicht schon im Paläolithikum anzutreffen." (ebd., 121-122)</span>
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: <span style="color: #7b879e;">„Es steht für mich außer Frage, daß im Osten diese Symbole ursprünglich aus Träumen und Visionen entstanden und nicht von irgendeinem Mahayana-Kirchenvater erfunden wurden. Sie gehören im Gegenteil zu den ältesten religiösen Symbolen der Menschheit […] und sind vielleicht schon im Paläolithikum anzutreffen" (ebd., 121-122).</span>
 
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Jungs alchemistisches Kernanliegen an der Rekonstruktion der mandalaartigen Symbole des ''Selbst'' lässt sich somit dahingehend konkretisieren, dass er seine Patienten "auf den richtigen Punkt" (ebd., 123) hinzuführen versuchte, den er bei den meisten Menschen als sträflich unachtsam vernachlässigt ansah. Der historisch dominanten Traditionslinie der Religionen, welche die menschliche Seele meist als "Gefäß aller Bosheit" (ebd.) ansähen, setzte Jung dabei ein Verständnis entgegen, gemäß welchem der Mensch eine wertvolle Seele habe, um die er sich kümmern sollte, weil gerade aus dieser Beschäftigung etwas Gutes erwachsen könne.  
 
Jungs alchemistisches Kernanliegen an der Rekonstruktion der mandalaartigen Symbole des ''Selbst'' lässt sich somit dahingehend konkretisieren, dass er seine Patienten "auf den richtigen Punkt" (ebd., 123) hinzuführen versuchte, den er bei den meisten Menschen als sträflich unachtsam vernachlässigt ansah. Der historisch dominanten Traditionslinie der Religionen, welche die menschliche Seele meist als "Gefäß aller Bosheit" (ebd.) ansähen, setzte Jung dabei ein Verständnis entgegen, gemäß welchem der Mensch eine wertvolle Seele habe, um die er sich kümmern sollte, weil gerade aus dieser Beschäftigung etwas Gutes erwachsen könne.  
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Jung ordnet die Traumhandlung aufgrund des Traumortes als kultische Handlung ein, die zugleich aber mit grotesk-komischen Elementen gespickt sei, welche er vor allem im Schlussteil des Traums verortet, als sich das Dionysos-Mysterium "im gemütlichen Teil der Handlung" (ebd., 170) ereignet. Die Hagia Sophia als synkretistisches Gebäude versinnbildliche das Ziel des Traums, christliche und dionysische religiöse Ideen zusammenzuführen, wobei die Richtung der Traumhandlung umgekehrt zum historischen Prozess in Richtung des dionysischen Heiligtums, dem Askese fremd ist, verlaufe  (vgl. ebd., 170-171). Amerika verkörpere als Traumsymbol ein utopisch überhöhtes Land "der vernünftigen Ideen des praktischen Intellekts" und entspräche damit implizit auch der modernen Definition von "Geist". Durch den Einzug des Dionysischen in die Kirche verliere letztere ihren sakralen Charakter, wodurch ein "systematischer Abstieg 'ad infernos'" (ebd.) möglich gemacht werde. In diesem dionysischen Moment macht Jung ebenjene Emotionalität beziehungsweise Affektivität des Menschen aus, die der katholischen Kirche im Verlaufe des Mittelalters abhandengekommen sei. Der Kirche sei deshalb nunmehr lediglich "Trauer, Ernst, Strenge, und wohlabgemessene geistliche Freude" (ebd.) verblieben. Jung betont an dieser Stelle aber auch, dass das Unbewusste keineswegs aktiv blasphemische Absichten hege, sondern vielmehr in Anlehnung an Nietzsche das verloren gegangene Dionysos-Element in die religiöse Welt des modernen Menschen zu reintegrieren versucht (vgl. ebd.).
 
Jung ordnet die Traumhandlung aufgrund des Traumortes als kultische Handlung ein, die zugleich aber mit grotesk-komischen Elementen gespickt sei, welche er vor allem im Schlussteil des Traums verortet, als sich das Dionysos-Mysterium "im gemütlichen Teil der Handlung" (ebd., 170) ereignet. Die Hagia Sophia als synkretistisches Gebäude versinnbildliche das Ziel des Traums, christliche und dionysische religiöse Ideen zusammenzuführen, wobei die Richtung der Traumhandlung umgekehrt zum historischen Prozess in Richtung des dionysischen Heiligtums, dem Askese fremd ist, verlaufe  (vgl. ebd., 170-171). Amerika verkörpere als Traumsymbol ein utopisch überhöhtes Land "der vernünftigen Ideen des praktischen Intellekts" und entspräche damit implizit auch der modernen Definition von "Geist". Durch den Einzug des Dionysischen in die Kirche verliere letztere ihren sakralen Charakter, wodurch ein "systematischer Abstieg 'ad infernos'" (ebd.) möglich gemacht werde. In diesem dionysischen Moment macht Jung ebenjene Emotionalität beziehungsweise Affektivität des Menschen aus, die der katholischen Kirche im Verlaufe des Mittelalters abhandengekommen sei. Der Kirche sei deshalb nunmehr lediglich "Trauer, Ernst, Strenge, und wohlabgemessene geistliche Freude" (ebd.) verblieben. Jung betont an dieser Stelle aber auch, dass das Unbewusste keineswegs aktiv blasphemische Absichten hege, sondern vielmehr in Anlehnung an Nietzsche das verloren gegangene Dionysos-Element in die religiöse Welt des modernen Menschen zu reintegrieren versucht (vgl. ebd.).
 
   
 
   
Der weitere Verlauf des Mandalakapitels weist eine Vielzahl von weiteren Traumsymbolen auf, die Jung als Beispiele für den voranschreitenden Individuationsprozesses wertet. Diese progressive Entwicklung wird in den Träumen einerseits durch das zunehmend vermehrte Auftauchen von geometrischen Objekten wie Kreisen, Quadraten, Oktaedern und Kugeln begleitet (vgl. u. a. ebd., 219-227, [Traum 38, 41, 44, 46, 52]). Andererseits charakterisiert Jung auch den disruptiven Charakter des Individuationsprozesses in Traumsettings, die mit geometrisch geformten Örtlichkeiten aufwarten. Im siebenundzwanzigsten Mandalatraum träumt Pauli zum Beispiel von einem Kreis, in dessen Mittelpunkt ein Baum steht, der von den zwei Gruppen, welche den Traum bevölkern und die beiden Kreishälften gegeneinander kämpfend besetzt halten, nicht bemerkt werden. Diese dichotome Anordnung des Traumszenarios analysiert Jung als Manifestation eines unabgeschlossenen Individuationsprozesses, in dem die psychischen Anteilen des Ursprünglichen, Kindlichen oder "Wilden" zum Ausdruck gebracht würden (vgl. ebd., 205). Auch das Ringen von Licht und Dunkelheit weise – etwa durch das Traumsymbol des "Nebels" versinnbildlicht – noch diese Eigenschaften des Ursprünglichen auf, welches nunmehr aber im Sinne einer "Vektorialität" (Nünning 2008, 19-26) transgrediert werde, indem das Traumsubjekt den "Durchstoßpunkt" von Lichtstrahlen im Nebel sichtet und diesen Durchstoßpunkt als Mittelpunkt einer acht Strahlen aussendende Sonne erkennt (vgl. ebd., 222 [Traum 43]). Der Gedanke der alchemistischen Richtungsweisung wird in den letzten Mandalaträumen zunehmend intensiviert, etwa durch einen aus einem Ei geschlüpften Adler. Letzterer fliegt mit einem zu Gold gewordenen Ring in seinen Klauen dem Traum-Ich voraus, das ihm auf einem Schiff folgt, welches sich über dem Meer in liminaler Position zwischen Ahnung und Intuition einerseits sowie den "Tiefen des Unbewussten" andererseits befindet. (vgl. ebd., 234-237 [Traum 58]).  
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Der weitere Verlauf des Mandalakapitels weist eine Vielzahl von weiteren Traumsymbolen auf, die Jung als Beispiele für den voranschreitenden Individuationsprozesses wertet. Diese progressive Entwicklung wird in den Träumen einerseits durch das zunehmend vermehrte Auftauchen von geometrischen Objekten wie Kreisen, Quadraten, Oktaedern und Kugeln begleitet (vgl. u. a. ebd., 219-227, [Traum 38, 41, 44, 46, 52]). Andererseits charakterisiert Jung auch den disruptiven Charakter des Individuationsprozesses in Traumsettings, die mit geometrisch geformten Örtlichkeiten aufwarten. Im siebenundzwanzigsten Mandalatraum träumt Pauli zum Beispiel von einem Kreis, in dessen Mittelpunkt ein Baum steht, der von den zwei Gruppen, welche den Traum bevölkern und die beiden Kreishälften gegeneinander kämpfend besetzt halten, nicht bemerkt werden. Diese dichotome Anordnung des Traumszenarios analysiert Jung als Manifestation eines unabgeschlossenen Individuationsprozesses, in dem die psychischen Anteilen des Ursprünglichen, Kindlichen oder "Wilden" zum Ausdruck gebracht würden (vgl. ebd., 205). Auch das Ringen von Licht und Dunkelheit weise – etwa durch das Traumsymbol des "Nebels" versinnbildlicht – noch diese Eigenschaften des Ursprünglichen auf, welches nunmehr aber im Sinne einer "Vektorialität" (Nünning 2008, 19-26) transgrediert werde, indem das Traumsubjekt den "Durchstoßpunkt" von Lichtstrahlen im Nebel sichtet und diesen Durchstoßpunkt als Mittelpunkt einer acht Strahlen aussendende Sonne erkennt (vgl. ebd., 222 [Traum 43]). Der Gedanke der alchemistischen Richtungsweisung wird in den letzten Mandalaträumen zunehmend intensiviert, etwa durch einen aus einem Ei geschlüpften Adler. Letzterer fliegt mit einem zu Gold gewordenen Ring in seinen Klauen dem Traum-Ich voraus, das ihm auf einem Schiff folgt, welches sich über dem Meer in liminaler Position zwischen Ahnung und Intuition einerseits sowie den "Tiefen des Unbewussten" andererseits befindet (vgl. ebd., 234-237 [Traum 58]).  
 
Abschließend zeigt ein Blick auf den letzten Traum des Mandalakapitels, der den Titel  "Die Vision von der Weltuhr. Große Vision" (vgl. ebd., 237-251 [Traum 59]) trägt, wie sich das Selbst am Ende des von Jung begleiteten Individuationsprozesses von den Schleiern des Unbewussten befreit hat: Der Träumende schildert in seinem Traumnotat den Anblick der durch einen schwarzen Vogel getragenen Weltuhr, die sich aus zwei Kreisen zusammensetzt, die senkrecht zueinander angeordnet sind und über einen gemeinsamen Mittelpunkt verfügen. In diesem Traum tritt mit der Farbsymbolik eine weitere Symbolebene zu den sonst eher dominierenden figuralen und geometrischen Traumsymbolebenen hinzu:  
 
Abschließend zeigt ein Blick auf den letzten Traum des Mandalakapitels, der den Titel  "Die Vision von der Weltuhr. Große Vision" (vgl. ebd., 237-251 [Traum 59]) trägt, wie sich das Selbst am Ende des von Jung begleiteten Individuationsprozesses von den Schleiern des Unbewussten befreit hat: Der Träumende schildert in seinem Traumnotat den Anblick der durch einen schwarzen Vogel getragenen Weltuhr, die sich aus zwei Kreisen zusammensetzt, die senkrecht zueinander angeordnet sind und über einen gemeinsamen Mittelpunkt verfügen. In diesem Traum tritt mit der Farbsymbolik eine weitere Symbolebene zu den sonst eher dominierenden figuralen und geometrischen Traumsymbolebenen hinzu:  
 
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0"
 
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:<span style="color: #7b879e;">„Es ist ein vertikaler und ein horizontaler Kreis mit gemeinsamem Mittelpunkt. Das ist die Weltuhr. Sie ist von schwarzen Vögeln getragen. Der vertikale Kreis ist eine blaue Scheibe mit weißem Rand, in 4x8 = 32 Teile geteilt. Darauf rotiert ein Zeiger. Der horizontale Kreis besteht aus vier Farben. Darauf stehen vier kleine Männchen mit Pendeln, und darum liegt der ehemals dunkle und jetzt goldene Ring (vormals von den vier Kindern getragen). Die "Uhr" hat drei Rhythmen oder Pulse: Der kleine Puls: Der Zeiger des blauen Vertikalkreises springt 1/32 weiter. Der mittlere Puls: Eine ganze Umdrehung des Zeigers. Zugleich rückt der horizontale Kreis um 1/32 weiter. Der große Puls: 32 mittlere Pulse machen einen Umlauf des goldenen Ringes aus." (ebd., 237-238)
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:<span style="color: #7b879e;">„Es ist ein vertikaler und ein horizontaler Kreis mit gemeinsamem Mittelpunkt. Das ist die Weltuhr. Sie ist von schwarzen Vögeln getragen. Der vertikale Kreis ist eine blaue Scheibe mit weißem Rand, in 4x8 = 32 Teile geteilt. Darauf rotiert ein Zeiger. Der horizontale Kreis besteht aus vier Farben. Darauf stehen vier kleine Männchen mit Pendeln, und darum liegt der ehemals dunkle und jetzt goldene Ring (vormals von den vier Kindern getragen). Die "Uhr" hat drei Rhythmen oder Pulse: Der kleine Puls: Der Zeiger des blauen Vertikalkreises springt 1/32 weiter. Der mittlere Puls: Eine ganze Umdrehung des Zeigers. Zugleich rückt der horizontale Kreis um 1/32 weiter. Der große Puls: 32 mittlere Pulse machen einen Umlauf des goldenen Ringes aus" (ebd., 237-238).
 
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Durch die nunmehr erblickte Dreidimensionalität des Mandalas sieht Jung die Körperhaftigkeit des Mandalas erstmals als gegeben an, die er mit dem erlangten Status der ''Selbst''-Verwirklichung gleichsetzt. Die Erlangung der "höchsten Harmonie" durch das ''Selbst'' des Träumenden macht Jung dabei an ästhetischen Qualitäten des Traums fest, die sowohl die Form als auch die Farbgebung des Mandalas betreffen. Dies beginnt bei dem Umstand, dass sich im gemeinsamen Mittelpunkt des vertikalen und horizontalen Kreises "zwei heterogene Systeme schneiden" würden, die wechselseitig durch die gesetzmäßige und funktionale Beziehung der "drei Rhythmen" und der "vier Farben" aufeinander verweisen würden (vgl. ebd., 238, 246-249). Mit der Zahl "drei" assoziiert Jung die christliche Trinität, wohingegen er in der Zahl "vier" als Traumsymbol die vier Evangelisten des Neuen Testaments repräsentiert sieht.  
 
Durch die nunmehr erblickte Dreidimensionalität des Mandalas sieht Jung die Körperhaftigkeit des Mandalas erstmals als gegeben an, die er mit dem erlangten Status der ''Selbst''-Verwirklichung gleichsetzt. Die Erlangung der "höchsten Harmonie" durch das ''Selbst'' des Träumenden macht Jung dabei an ästhetischen Qualitäten des Traums fest, die sowohl die Form als auch die Farbgebung des Mandalas betreffen. Dies beginnt bei dem Umstand, dass sich im gemeinsamen Mittelpunkt des vertikalen und horizontalen Kreises "zwei heterogene Systeme schneiden" würden, die wechselseitig durch die gesetzmäßige und funktionale Beziehung der "drei Rhythmen" und der "vier Farben" aufeinander verweisen würden (vgl. ebd., 238, 246-249). Mit der Zahl "drei" assoziiert Jung die christliche Trinität, wohingegen er in der Zahl "vier" als Traumsymbol die vier Evangelisten des Neuen Testaments repräsentiert sieht.  
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Abb. 2 "Gott als Trinität, den Tierkreis schaffend.  
 
Abb. 2 "Gott als Trinität, den Tierkreis schaffend.  
Petrus Lombardus, De sacramentis (Vatikan, 14. Jh.)" (Jung GW 12, 248)
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Petrus Lombardus, De sacramentis (Vatikan, 14. Jh.)" (Jung GW 12, 248).
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Abb. 3 "Osiris mit den vier Horussöhnen auf dem Lotus.  
 
Abb. 3 "Osiris mit den vier Horussöhnen auf dem Lotus.  
Book of the Dead (Papyrus von Hunefer)" (Jung GW 12, 245)
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Book of the Dead (Papyrus von Hunefer)" (Jung GW 12, 245).
     
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